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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr.

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(Lindrücke aus der modernen Verwaltung Preußens,
besonders aus der Vezirksinstanz
p. von Hedemann von(Fortsetzung)
3. Lin Brief über die leidige Politik

MA)lieber Freund! Sie haben erst kürzlich einen Brief von mir be¬
kommen, aber einige Bemerkungen, die Sie in Ihrer Antwort
über die Stellung der Negierung zur Landwirtschaft und über
den sogenannten Mittellandkanal machen, sind mir immer wieder
I durch den Kopf gegangen, und ich möchte doch gern meine
abweichende Auffassung, die Sie im allgemeinen kennen, mit einigen Worten
verteidigen. Sie wissen ja, für wie wertlos ich es halte, den politischen Teil
der Tageszeitungen zu lesen, und wie gering meine Neugier ist, die Ansichten
ihrer Redakteure über die Tagesfragen, die öffentliche Meinung also zu er¬
fahren. Für den, der nicht selber im Getriebe der Staatsgeschäfte steht, ist
dieser Teil der Tagesblätter sogar meist schädlich, und ein klein wenig, fürchte
ich -- bitte seien Sie nicht böse --, haben Sie selbst sich im Zutrauen zu
Ihrem Leibblatt gegen die Absichten unsrer Negierung einnehmen und mit
Mißtrauen gegen ihr jetziges Verhalten erfüllen lassen. Ich habe seinerzeit den
Zusammenschluß der Landwirte zu der machtvollen Organisation des Bundes
freudig begrüßt; es war (ähnlich wie die Flottenvereine, die aber einen ver¬
gänglichen Zweck hatten) eine Bewegung, die naturnotwendig im Boden
wurzelte und der planmäßigen Agitation kaum dazu bedürfte, daß sie von vorn¬
herein so kraftvoll ins Leben trat. Was mich aber mit ernster Sorge erfüllt,
ist, daß die Presse dieses Bundes eine allgemeine Stimmung gegen unsre Re¬
gierung atmet und verbreitet, die immer mehr die Achtung vor der Obrigkeit
gefährdet und ein grundsätzliches Mißtrauen gegen ihre Maßnahmen in weiten
Schichten unsers Volkes erzeugt, die bisher die treuesten Stützen eines geord¬
neten Staatswesens waren. Schon jetzt hat diese Strömung die politische
Macht der konservativen Partei gefährdet, zu deren überzeugten Anhängern Sie
sich zählen, und die nur dann im Osten des Reichs, wo ihr natürliches Macht¬
gebiet liegt, die ihr schwer entbehrliche Förderung durch die Regierung erwarten
darf, wenn diese wiederum auf ihre Unterstützung, ans ihr Vertrauen, auch auf
ihre Opfer rechnen kann. Noch ist es ja nicht dahin gekommen, aber die Ge¬
fahr ist doch groß, daß staatsmännisches Denken und Handeln in ihren Reihen
verdrängt wird durch die unwiderstehliche Gewalt radikal-agrarischer Strömungen
in ihren Wählerkrcisen. Nur in beratenden Parlamenten dürfen, scheint mir, die


Grenzboten II 1S04 82


(Lindrücke aus der modernen Verwaltung Preußens,
besonders aus der Vezirksinstanz
p. von Hedemann von(Fortsetzung)
3. Lin Brief über die leidige Politik

MA)lieber Freund! Sie haben erst kürzlich einen Brief von mir be¬
kommen, aber einige Bemerkungen, die Sie in Ihrer Antwort
über die Stellung der Negierung zur Landwirtschaft und über
den sogenannten Mittellandkanal machen, sind mir immer wieder
I durch den Kopf gegangen, und ich möchte doch gern meine
abweichende Auffassung, die Sie im allgemeinen kennen, mit einigen Worten
verteidigen. Sie wissen ja, für wie wertlos ich es halte, den politischen Teil
der Tageszeitungen zu lesen, und wie gering meine Neugier ist, die Ansichten
ihrer Redakteure über die Tagesfragen, die öffentliche Meinung also zu er¬
fahren. Für den, der nicht selber im Getriebe der Staatsgeschäfte steht, ist
dieser Teil der Tagesblätter sogar meist schädlich, und ein klein wenig, fürchte
ich — bitte seien Sie nicht böse —, haben Sie selbst sich im Zutrauen zu
Ihrem Leibblatt gegen die Absichten unsrer Negierung einnehmen und mit
Mißtrauen gegen ihr jetziges Verhalten erfüllen lassen. Ich habe seinerzeit den
Zusammenschluß der Landwirte zu der machtvollen Organisation des Bundes
freudig begrüßt; es war (ähnlich wie die Flottenvereine, die aber einen ver¬
gänglichen Zweck hatten) eine Bewegung, die naturnotwendig im Boden
wurzelte und der planmäßigen Agitation kaum dazu bedürfte, daß sie von vorn¬
herein so kraftvoll ins Leben trat. Was mich aber mit ernster Sorge erfüllt,
ist, daß die Presse dieses Bundes eine allgemeine Stimmung gegen unsre Re¬
gierung atmet und verbreitet, die immer mehr die Achtung vor der Obrigkeit
gefährdet und ein grundsätzliches Mißtrauen gegen ihre Maßnahmen in weiten
Schichten unsers Volkes erzeugt, die bisher die treuesten Stützen eines geord¬
neten Staatswesens waren. Schon jetzt hat diese Strömung die politische
Macht der konservativen Partei gefährdet, zu deren überzeugten Anhängern Sie
sich zählen, und die nur dann im Osten des Reichs, wo ihr natürliches Macht¬
gebiet liegt, die ihr schwer entbehrliche Förderung durch die Regierung erwarten
darf, wenn diese wiederum auf ihre Unterstützung, ans ihr Vertrauen, auch auf
ihre Opfer rechnen kann. Noch ist es ja nicht dahin gekommen, aber die Ge¬
fahr ist doch groß, daß staatsmännisches Denken und Handeln in ihren Reihen
verdrängt wird durch die unwiderstehliche Gewalt radikal-agrarischer Strömungen
in ihren Wählerkrcisen. Nur in beratenden Parlamenten dürfen, scheint mir, die


Grenzboten II 1S04 82
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[0621] [Abbildung] (Lindrücke aus der modernen Verwaltung Preußens, besonders aus der Vezirksinstanz p. von Hedemann von(Fortsetzung) 3. Lin Brief über die leidige Politik MA)lieber Freund! Sie haben erst kürzlich einen Brief von mir be¬ kommen, aber einige Bemerkungen, die Sie in Ihrer Antwort über die Stellung der Negierung zur Landwirtschaft und über den sogenannten Mittellandkanal machen, sind mir immer wieder I durch den Kopf gegangen, und ich möchte doch gern meine abweichende Auffassung, die Sie im allgemeinen kennen, mit einigen Worten verteidigen. Sie wissen ja, für wie wertlos ich es halte, den politischen Teil der Tageszeitungen zu lesen, und wie gering meine Neugier ist, die Ansichten ihrer Redakteure über die Tagesfragen, die öffentliche Meinung also zu er¬ fahren. Für den, der nicht selber im Getriebe der Staatsgeschäfte steht, ist dieser Teil der Tagesblätter sogar meist schädlich, und ein klein wenig, fürchte ich — bitte seien Sie nicht böse —, haben Sie selbst sich im Zutrauen zu Ihrem Leibblatt gegen die Absichten unsrer Negierung einnehmen und mit Mißtrauen gegen ihr jetziges Verhalten erfüllen lassen. Ich habe seinerzeit den Zusammenschluß der Landwirte zu der machtvollen Organisation des Bundes freudig begrüßt; es war (ähnlich wie die Flottenvereine, die aber einen ver¬ gänglichen Zweck hatten) eine Bewegung, die naturnotwendig im Boden wurzelte und der planmäßigen Agitation kaum dazu bedürfte, daß sie von vorn¬ herein so kraftvoll ins Leben trat. Was mich aber mit ernster Sorge erfüllt, ist, daß die Presse dieses Bundes eine allgemeine Stimmung gegen unsre Re¬ gierung atmet und verbreitet, die immer mehr die Achtung vor der Obrigkeit gefährdet und ein grundsätzliches Mißtrauen gegen ihre Maßnahmen in weiten Schichten unsers Volkes erzeugt, die bisher die treuesten Stützen eines geord¬ neten Staatswesens waren. Schon jetzt hat diese Strömung die politische Macht der konservativen Partei gefährdet, zu deren überzeugten Anhängern Sie sich zählen, und die nur dann im Osten des Reichs, wo ihr natürliches Macht¬ gebiet liegt, die ihr schwer entbehrliche Förderung durch die Regierung erwarten darf, wenn diese wiederum auf ihre Unterstützung, ans ihr Vertrauen, auch auf ihre Opfer rechnen kann. Noch ist es ja nicht dahin gekommen, aber die Ge¬ fahr ist doch groß, daß staatsmännisches Denken und Handeln in ihren Reihen verdrängt wird durch die unwiderstehliche Gewalt radikal-agrarischer Strömungen in ihren Wählerkrcisen. Nur in beratenden Parlamenten dürfen, scheint mir, die Grenzboten II 1S04 82

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_293618/621>, abgerufen am 13.11.2024.