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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr.

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Die Zukunft der juristischen Professuren
Lügen Josef vonin
1

is im Jahre 1900 die Frage der Zulassung der Realschul¬
abiturienten zum juristischen Studium im preußischen Landtag
und auch sonst in der Öffentlichkeit viel erörtert wurde, ersuchte
die Schriftleitung der Deutschen Juristenzeitung eine Anzahl
hervorragender Juristen -- Rechtslehrer, Richter, Anwälte, Ver¬
waltungsbeamte --, ihre Meinung über diese Frage zu äußern, mit der
Absicht, sie sodann zur Klärung der ganz entgegengesetzten Ansichten zu ver¬
öffentlichen. Auch an Theodor Mommsen wandte sich die Deutsche Juristen¬
zeitung; denn wenn der große Gelehrte weitern Kreisen auch wohl nur auf
dem Felde der Geschichtsforschung bekannt war, so war doch von der Rechts¬
wissenschaft seine ruhmvolle Laufbahn dereinst ausgegangen. Jahrelang war
er als Lehrer des Römischen Rechts tätig gewesen, und so sehr man ihn
später als Forscher auf allen Gebieten der Altertumskunde bewunderte, er war
auch immer Jurist geblieben; das beweist seine Ausgabe der Digesten (Pan-
dekten). Die scharfsinnigen Emendationsvorschlüge, die er hier macht, ergeben,
daß er die Schriften der römischen Juristen nicht bloß mit den Augen des
Geschichts- und Sprachforschers, sondern auch von der rein sachlichen, also von
der Privatrechtlichen Seite ebenso und noch viel mehr erfaßt hatte als die
Juristen. Und die großen Werke seines hohen Alters, das Römische Staats¬
macht und das Römische Strafrecht, vereinigen die Vorzüge der besondern
rechtswissenschaftlichen Gelehrsamkeit mit denen der Altertumskunde so sehr,
daß man zutreffend gesagt hat, Mommsen habe hier die Altertumsforschung
in den Dienst des Juristen gestellt, er habe Gebiete, die bis dahin den Alter¬
tumsforschern allein eröffnet waren, für die Rechtswissenschaft erobert. Bei
dieser Neigung zur geschichtlichen Erforschung des Rechts ist es erklärlich, daß
Mommsen in denen, die die Zulassung der Nealschulabiturienten zum Nechts-
studium verlangten, "Totengräber des klassischen Unterrichts" sah, sowie daß
er auch an unserm neuen Bürgerlichen Recht wohl nicht die richtige Freude
empfand, weil mit dem Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs das In¬
teresse des Juristenstandes für das Römische Recht mehr und mehr erlosch,
und gerade die von Mommsen hochgehaltne Richtung der geschichtlichen Er¬
forschung des Römischen Rechts zum Absterben verurteilt schien. Wörtlich
äußert sich Mommsen"):

"Das Studium des Römischen Rechts ist die Grundlage der deutschen



Deutsche Juristenzeitung (1900) S. 257.


Die Zukunft der juristischen Professuren
Lügen Josef vonin
1

is im Jahre 1900 die Frage der Zulassung der Realschul¬
abiturienten zum juristischen Studium im preußischen Landtag
und auch sonst in der Öffentlichkeit viel erörtert wurde, ersuchte
die Schriftleitung der Deutschen Juristenzeitung eine Anzahl
hervorragender Juristen — Rechtslehrer, Richter, Anwälte, Ver¬
waltungsbeamte —, ihre Meinung über diese Frage zu äußern, mit der
Absicht, sie sodann zur Klärung der ganz entgegengesetzten Ansichten zu ver¬
öffentlichen. Auch an Theodor Mommsen wandte sich die Deutsche Juristen¬
zeitung; denn wenn der große Gelehrte weitern Kreisen auch wohl nur auf
dem Felde der Geschichtsforschung bekannt war, so war doch von der Rechts¬
wissenschaft seine ruhmvolle Laufbahn dereinst ausgegangen. Jahrelang war
er als Lehrer des Römischen Rechts tätig gewesen, und so sehr man ihn
später als Forscher auf allen Gebieten der Altertumskunde bewunderte, er war
auch immer Jurist geblieben; das beweist seine Ausgabe der Digesten (Pan-
dekten). Die scharfsinnigen Emendationsvorschlüge, die er hier macht, ergeben,
daß er die Schriften der römischen Juristen nicht bloß mit den Augen des
Geschichts- und Sprachforschers, sondern auch von der rein sachlichen, also von
der Privatrechtlichen Seite ebenso und noch viel mehr erfaßt hatte als die
Juristen. Und die großen Werke seines hohen Alters, das Römische Staats¬
macht und das Römische Strafrecht, vereinigen die Vorzüge der besondern
rechtswissenschaftlichen Gelehrsamkeit mit denen der Altertumskunde so sehr,
daß man zutreffend gesagt hat, Mommsen habe hier die Altertumsforschung
in den Dienst des Juristen gestellt, er habe Gebiete, die bis dahin den Alter¬
tumsforschern allein eröffnet waren, für die Rechtswissenschaft erobert. Bei
dieser Neigung zur geschichtlichen Erforschung des Rechts ist es erklärlich, daß
Mommsen in denen, die die Zulassung der Nealschulabiturienten zum Nechts-
studium verlangten, „Totengräber des klassischen Unterrichts" sah, sowie daß
er auch an unserm neuen Bürgerlichen Recht wohl nicht die richtige Freude
empfand, weil mit dem Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs das In¬
teresse des Juristenstandes für das Römische Recht mehr und mehr erlosch,
und gerade die von Mommsen hochgehaltne Richtung der geschichtlichen Er¬
forschung des Römischen Rechts zum Absterben verurteilt schien. Wörtlich
äußert sich Mommsen"):

»Das Studium des Römischen Rechts ist die Grundlage der deutschen



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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_293618/565>, abgerufen am 13.11.2024.