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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Der Vatikan lenkt ein.

Sehr charakteristisch für die Politik Pius des-
Zehnten ist die Art, wie er sich zu dem Besuche Loubets in Rom gestellt hat.
Ein Protest dagegen war selbstverständlich, denn es galt den bisher immer fest--
gehaltnen Rechtsstandpunkt in der "römischen Frage" zu wahren. Aber die Kon¬
sequenz daraus hat der Papst keineswegs gezogen, er hat seinen Nuntius aus Paris
nicht abberufen, also die diplomatischen Beziehungen zu der "ältesten Tochter der
Kirche" nicht abgebrochen, und Frankreich hat das ebensowenig getan, obwohl es
seinen Botschafter abberufen hat. Jetzt ist freilich wieder von der Aufhebung des
Konkordats die Rede. Mag man es doch versuchen; es wird sich ja zeigen, wer
dabei mehr aufs Spiel setzt, das Papsttum oder die gerade jetzt in Frankreich
herrschende Partei. Ein deutlicher Wink, wie Pius der Zehnte einen solchen Schritt
vermutlich erwidern würde, ist schon sichtbar: er beginnt, sich dem Königreich
Italien zu nähern. Auf seine Weisung, ohne Veranlassung der königlichen Re¬
gierung, hat am 28. Mai der Erzbischof von Bologna, Kardinal Svampa, den
König bei seinem Einzuge feierlich begrüßt, in einer alten päpstlichen Stadt! Das
bedeutet: Pius der Zehnte läßt den Rechtsstandpunkt von dem an dem Kirchenstaat
begangnen "Kirchenraube" wenigstens außerhalb Roms stillschweigend fallen, und
was er dort getan hat, das kann er schließlich auch in Rom tun, denn ein prin¬
zipieller Unterschied zwischen Rom und Bologna besteht nicht. Käme aber ein
iiwäus vivsnäi zwischen Quirinal und Vatikan zustande, etwa auf Grund deK
Garantiegesetzes von 1871, dessen Verpflichtungen Italien seitdem gewissenhaft
erfüllt hat, dann könnte Italien als Schutzmacht des Papsttums an die Stelle
Frankreichs treten, und dieses würde sich bei der Intoleranz seiner Radikalen für
den Verlust seiner alten bisher von klügeru Leuten immer eifersüchtig bewahrten
Stellung zu bedanken haben. Selbstverständlich wäre eine solche Wendung, die den
unheilvollen Zwiespalt zwischen dem italienischen Nationalstaat und dem Papsttum
beendet, auch im Interesse Deutschlands. Die Erwartungen, die die Grenzboten
uumaßgeblicherweise schon nach der Wahl Joseph Sartos ausgesprochen haben
,
* scheinen sich also erfüllen zu wollen.




Herausgegeben von Johannes Grunow in Leipzig
Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig -- Druck von Karl Marquart in Leipzig




Maßgebliches und Unmaßgebliches

Der Vatikan lenkt ein.

Sehr charakteristisch für die Politik Pius des-
Zehnten ist die Art, wie er sich zu dem Besuche Loubets in Rom gestellt hat.
Ein Protest dagegen war selbstverständlich, denn es galt den bisher immer fest--
gehaltnen Rechtsstandpunkt in der „römischen Frage" zu wahren. Aber die Kon¬
sequenz daraus hat der Papst keineswegs gezogen, er hat seinen Nuntius aus Paris
nicht abberufen, also die diplomatischen Beziehungen zu der „ältesten Tochter der
Kirche" nicht abgebrochen, und Frankreich hat das ebensowenig getan, obwohl es
seinen Botschafter abberufen hat. Jetzt ist freilich wieder von der Aufhebung des
Konkordats die Rede. Mag man es doch versuchen; es wird sich ja zeigen, wer
dabei mehr aufs Spiel setzt, das Papsttum oder die gerade jetzt in Frankreich
herrschende Partei. Ein deutlicher Wink, wie Pius der Zehnte einen solchen Schritt
vermutlich erwidern würde, ist schon sichtbar: er beginnt, sich dem Königreich
Italien zu nähern. Auf seine Weisung, ohne Veranlassung der königlichen Re¬
gierung, hat am 28. Mai der Erzbischof von Bologna, Kardinal Svampa, den
König bei seinem Einzuge feierlich begrüßt, in einer alten päpstlichen Stadt! Das
bedeutet: Pius der Zehnte läßt den Rechtsstandpunkt von dem an dem Kirchenstaat
begangnen „Kirchenraube" wenigstens außerhalb Roms stillschweigend fallen, und
was er dort getan hat, das kann er schließlich auch in Rom tun, denn ein prin¬
zipieller Unterschied zwischen Rom und Bologna besteht nicht. Käme aber ein
iiwäus vivsnäi zwischen Quirinal und Vatikan zustande, etwa auf Grund deK
Garantiegesetzes von 1871, dessen Verpflichtungen Italien seitdem gewissenhaft
erfüllt hat, dann könnte Italien als Schutzmacht des Papsttums an die Stelle
Frankreichs treten, und dieses würde sich bei der Intoleranz seiner Radikalen für
den Verlust seiner alten bisher von klügeru Leuten immer eifersüchtig bewahrten
Stellung zu bedanken haben. Selbstverständlich wäre eine solche Wendung, die den
unheilvollen Zwiespalt zwischen dem italienischen Nationalstaat und dem Papsttum
beendet, auch im Interesse Deutschlands. Die Erwartungen, die die Grenzboten
uumaßgeblicherweise schon nach der Wahl Joseph Sartos ausgesprochen haben
,
* scheinen sich also erfüllen zu wollen.




Herausgegeben von Johannes Grunow in Leipzig
Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig — Druck von Karl Marquart in Leipzig




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[0552] Maßgebliches und Unmaßgebliches Der Vatikan lenkt ein. Sehr charakteristisch für die Politik Pius des- Zehnten ist die Art, wie er sich zu dem Besuche Loubets in Rom gestellt hat. Ein Protest dagegen war selbstverständlich, denn es galt den bisher immer fest-- gehaltnen Rechtsstandpunkt in der „römischen Frage" zu wahren. Aber die Kon¬ sequenz daraus hat der Papst keineswegs gezogen, er hat seinen Nuntius aus Paris nicht abberufen, also die diplomatischen Beziehungen zu der „ältesten Tochter der Kirche" nicht abgebrochen, und Frankreich hat das ebensowenig getan, obwohl es seinen Botschafter abberufen hat. Jetzt ist freilich wieder von der Aufhebung des Konkordats die Rede. Mag man es doch versuchen; es wird sich ja zeigen, wer dabei mehr aufs Spiel setzt, das Papsttum oder die gerade jetzt in Frankreich herrschende Partei. Ein deutlicher Wink, wie Pius der Zehnte einen solchen Schritt vermutlich erwidern würde, ist schon sichtbar: er beginnt, sich dem Königreich Italien zu nähern. Auf seine Weisung, ohne Veranlassung der königlichen Re¬ gierung, hat am 28. Mai der Erzbischof von Bologna, Kardinal Svampa, den König bei seinem Einzuge feierlich begrüßt, in einer alten päpstlichen Stadt! Das bedeutet: Pius der Zehnte läßt den Rechtsstandpunkt von dem an dem Kirchenstaat begangnen „Kirchenraube" wenigstens außerhalb Roms stillschweigend fallen, und was er dort getan hat, das kann er schließlich auch in Rom tun, denn ein prin¬ zipieller Unterschied zwischen Rom und Bologna besteht nicht. Käme aber ein iiwäus vivsnäi zwischen Quirinal und Vatikan zustande, etwa auf Grund deK Garantiegesetzes von 1871, dessen Verpflichtungen Italien seitdem gewissenhaft erfüllt hat, dann könnte Italien als Schutzmacht des Papsttums an die Stelle Frankreichs treten, und dieses würde sich bei der Intoleranz seiner Radikalen für den Verlust seiner alten bisher von klügeru Leuten immer eifersüchtig bewahrten Stellung zu bedanken haben. Selbstverständlich wäre eine solche Wendung, die den unheilvollen Zwiespalt zwischen dem italienischen Nationalstaat und dem Papsttum beendet, auch im Interesse Deutschlands. Die Erwartungen, die die Grenzboten uumaßgeblicherweise schon nach der Wahl Joseph Sartos ausgesprochen haben , * scheinen sich also erfüllen zu wollen. Herausgegeben von Johannes Grunow in Leipzig Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig — Druck von Karl Marquart in Leipzig

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_293618/552>, abgerufen am 13.11.2024.