Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr.Htraßburger Bilder as der "Opernplatz" für Berlin, der "Augustusplatz" für Leipzig Daß die gebildeten und vermögenden Straßburger vielfach noch immer in Htraßburger Bilder as der „Opernplatz" für Berlin, der „Augustusplatz" für Leipzig Daß die gebildeten und vermögenden Straßburger vielfach noch immer in <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0526" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/294145"/> <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341879_293618/figures/grenzboten_341879_293618_294145_000.jpg"/><lb/> </div> </div> <div n="1"> <head> Htraßburger Bilder</head><lb/> <p xml:id="ID_2368"> as der „Opernplatz" für Berlin, der „Augustusplatz" für Leipzig<lb/> und der „Odeonsplatz" für München ist, das ist der „Broglie" für<lb/> Straßburg, nicht gerade der Brennpunkt des- geschäftlichen Verkehrs,<lb/> sondern der vornehme Platz, an dem das offizielle Leben, die Kunst<lb/> und der gesellschaftliche Verkehr ihr Heim aufgeschlagen haben. In<lb/> ! seiner unmittelbaren Nahe liegt das Statthalterpalais, während ihn<lb/> das Generalkommando, das Theater, die „Mairie," das Offizierkasino neben einer<lb/> Reihe schöner Privatbauten und auch einigen recht alten Baracken begrenzen. Einst<lb/> hatte er den ehrlichen Namen Roßmarkt, aber als Straßburg sechzig Jahre lang<lb/> das französische Joch getragen hatte, im Jahre 1740, taufte man ihn um, zu Ehren<lb/> des Statthalters der Provinz Elsaß, eines Herzogs von Broglie. Das Volk nennt<lb/> ihn „Bröjl" und liebt ihn besonders wegen der Militärkonzerte, die dort am<lb/> Sonntag Mittag, wenn am Kleberplatz die Wache aufgezogen ist, und im Sommer<lb/> auch am Dienstag Abend von sechs bis sieben Uhr xublies se xrs,dis abgehalten<lb/> werden. Wer das Straßburger Leben kennen lernen will, darf es nicht verschmähen,<lb/> sich öfter einmal unter die Menge zu mischen, die diesen musikalischen Genüssen<lb/> beiwohnt. Da sind zunächst die eifrigen Kunstenthusiasten, die in dichtem Kreise<lb/> die Musiker umgeben, sich keinen Ton entgehn lassen und der vorüberfahrenden<lb/> Tram, die etwa durch Klingeln ein zartes Piano stört, entrüstete Blicke zuwerfen.<lb/> Ihnen ist die Musik Selbstzweck, während sie den andern, die in ernstem Gespräch<lb/> oder munter scherzend unter den schattigen Baumreihen des Broglie auf und ab<lb/> wandeln, nur eine angenehme Beigabe ist. Wer hier die Ohren spitzt, wird viel<lb/> französische Worte hören, aber es wäre ein Irrtum, zu glauben, daß alle diese<lb/> Leute nur französisch sprächen. Einige tun es wohl, aber die meisten sprechen die<lb/> insIanAs von Elsässer Deutsch und Französisch, die im kleinern Mittelstande hier<lb/> jetzt so sehr beliebt ist. Denn im Grunde genommen ist der Elsässer um seine<lb/> „Zweisprachigkeit" nicht zu beneiden. Sie führt in den meisten Fällen mit Not¬<lb/> wendigkeit zu dem Zustande, den der Volksmund so treffend bezeichnet, wenn er<lb/> von jemand sagt, er habe sich zwischen zwei Stühle gesetzt. Daß in einer Reihe alt¬<lb/> eingesessener Familien, die den akademisch gebildeten Kreisen und den ihnen an<lb/> Bildung nahestehenden Gesellschaftsschichten angehören, ein gutes reines Französisch<lb/> gesprochen wird, ist selbstverständlich. In vielen davon ist das Französische jetzt<lb/> auch die im Familienkreise allein übliche Sprache; in manchen tritt ihm das Elsässische,<lb/> also der Dialekt, wenn auch nicht gleichberechtigt, so doch als beliebte Abwechslung<lb/> zur Seite. Überhaupt genießt der Dialekt, auch in den besten und gebildetsten<lb/> Schichten der Elsässer Bevölkerung, eine Wertschätzung, die ihm in andern Gegenden<lb/> Deutschlands nirgends in demselben Maße entgegengebracht wird, und die sich auch<lb/> in seiner Pflege in der Literatur kundgibt, auf die wir später noch zurückkommen<lb/> werden.</p><lb/> <p xml:id="ID_2369" next="#ID_2370"> Daß die gebildeten und vermögenden Straßburger vielfach noch immer in<lb/> Paris das suchen, was den norddeutschen Provinzler nach Berlin zieht, ist ja in<lb/> mancher Beziehung zu bedauern, im Grunde genommen aber recht selbstverständlich<lb/> und verzeihlich. Man fährt zweiter Klasse für dreißig Mark nach Paris, und zwar<lb/> in acht Stunden, während man nach Berlin wenigstens fünfzehn Stunden braucht</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0526]
[Abbildung]
Htraßburger Bilder
as der „Opernplatz" für Berlin, der „Augustusplatz" für Leipzig
und der „Odeonsplatz" für München ist, das ist der „Broglie" für
Straßburg, nicht gerade der Brennpunkt des- geschäftlichen Verkehrs,
sondern der vornehme Platz, an dem das offizielle Leben, die Kunst
und der gesellschaftliche Verkehr ihr Heim aufgeschlagen haben. In
! seiner unmittelbaren Nahe liegt das Statthalterpalais, während ihn
das Generalkommando, das Theater, die „Mairie," das Offizierkasino neben einer
Reihe schöner Privatbauten und auch einigen recht alten Baracken begrenzen. Einst
hatte er den ehrlichen Namen Roßmarkt, aber als Straßburg sechzig Jahre lang
das französische Joch getragen hatte, im Jahre 1740, taufte man ihn um, zu Ehren
des Statthalters der Provinz Elsaß, eines Herzogs von Broglie. Das Volk nennt
ihn „Bröjl" und liebt ihn besonders wegen der Militärkonzerte, die dort am
Sonntag Mittag, wenn am Kleberplatz die Wache aufgezogen ist, und im Sommer
auch am Dienstag Abend von sechs bis sieben Uhr xublies se xrs,dis abgehalten
werden. Wer das Straßburger Leben kennen lernen will, darf es nicht verschmähen,
sich öfter einmal unter die Menge zu mischen, die diesen musikalischen Genüssen
beiwohnt. Da sind zunächst die eifrigen Kunstenthusiasten, die in dichtem Kreise
die Musiker umgeben, sich keinen Ton entgehn lassen und der vorüberfahrenden
Tram, die etwa durch Klingeln ein zartes Piano stört, entrüstete Blicke zuwerfen.
Ihnen ist die Musik Selbstzweck, während sie den andern, die in ernstem Gespräch
oder munter scherzend unter den schattigen Baumreihen des Broglie auf und ab
wandeln, nur eine angenehme Beigabe ist. Wer hier die Ohren spitzt, wird viel
französische Worte hören, aber es wäre ein Irrtum, zu glauben, daß alle diese
Leute nur französisch sprächen. Einige tun es wohl, aber die meisten sprechen die
insIanAs von Elsässer Deutsch und Französisch, die im kleinern Mittelstande hier
jetzt so sehr beliebt ist. Denn im Grunde genommen ist der Elsässer um seine
„Zweisprachigkeit" nicht zu beneiden. Sie führt in den meisten Fällen mit Not¬
wendigkeit zu dem Zustande, den der Volksmund so treffend bezeichnet, wenn er
von jemand sagt, er habe sich zwischen zwei Stühle gesetzt. Daß in einer Reihe alt¬
eingesessener Familien, die den akademisch gebildeten Kreisen und den ihnen an
Bildung nahestehenden Gesellschaftsschichten angehören, ein gutes reines Französisch
gesprochen wird, ist selbstverständlich. In vielen davon ist das Französische jetzt
auch die im Familienkreise allein übliche Sprache; in manchen tritt ihm das Elsässische,
also der Dialekt, wenn auch nicht gleichberechtigt, so doch als beliebte Abwechslung
zur Seite. Überhaupt genießt der Dialekt, auch in den besten und gebildetsten
Schichten der Elsässer Bevölkerung, eine Wertschätzung, die ihm in andern Gegenden
Deutschlands nirgends in demselben Maße entgegengebracht wird, und die sich auch
in seiner Pflege in der Literatur kundgibt, auf die wir später noch zurückkommen
werden.
Daß die gebildeten und vermögenden Straßburger vielfach noch immer in
Paris das suchen, was den norddeutschen Provinzler nach Berlin zieht, ist ja in
mancher Beziehung zu bedauern, im Grunde genommen aber recht selbstverständlich
und verzeihlich. Man fährt zweiter Klasse für dreißig Mark nach Paris, und zwar
in acht Stunden, während man nach Berlin wenigstens fünfzehn Stunden braucht
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |