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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr.

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Schwächen und Fiktionen des modernen Parlamentarismus

sondern auch die der andern Stände gegenüber dem Königtum wahrgenommen
und sie sich dadurch verpflichtet. Sodann hat sich in England niemals ein
königliches Soldbeamtentum entwickelt, weil die politische Einheit des Landes
sehr früh unantastbar feststand; endlich verfügte die Krone bis in das siebzehnte
Jahrhundert hinein niemals über eine stehende Armee, weil die insulare Lage
erlaubte, sich mit dem Aufgebot der Vasallen und der Milizen zu begnügen,
eine Berufsarmee entbehrlich machte; die Kriegsflotte aber war für innere
Konflikte unverwendbar. Die Kräfte, auf denen die monarchische Gestaltung
der festländischen Staaten beruhte, fehlten also dem englischen Königtum, und
daran sind die Versuche der Stuarts, den Absolutismus zu begründen, ge¬
scheitert, nicht an ihrer Ungesetzlichkeit; im Gegenteil, der Angriff auf den be¬
stehenden Rechtszustand ging vom Unterhause, vom Parlament aus, das die
Militärhoheit der Krone beschränken wollte. Als sich Karl der Erste dagegen
wehrte, versagte die Selbstverwaltung und setzte die Krone matt. Als seine
Söhne, zuletzt Jakob der Zweite, das nach der Zisat rebslliori wiederherge¬
stellte Königtum durch Beschränkung der Parlamentsrechte zu stärken und sich
ein ergebnes Heer zu bilden versuchten, stürzte das Parlament unter der
Führung des hohen Adels in der nur dem Namen nach Zlorious revolution
von 1688, die nur mit Hilfe der festländischen Mächte gelang, die Stuarts und
legte dem gewählten König Wilhelm dem Dritten von Oranien, der die Krone
nicht seinem Erbrecht, sondern der Berufung durch das Parlament verdankte,
die Staatsordnung auf, die seit 1689 tatsächlich die Souveränität von der
Krone auf das Parlament, genauer genommen auf das Unterhaus übertrug,
das Ministerium allmählich aus einem Kollegium von Vertrauensmännern des
Königs in einen Ausschuß der Unterhausmehrheit verwandelte und den Be¬
stand des nun doch wegen der europäischen Politik unentbehrlichen stehenden
Söldnerheeres von den jährlichen Bewilligungen des Parlaments abhängig
machte, also das alte, aus eignem Recht stehende Königtum zerstörte. Die
abermalige Berufung eines landfremden Geschlechts, der hannöverschen Welsen,
auf den Thron des Jnselreichs 1714 befestigte natürlich die Parlamentsherr¬
schaft, d. h. immer noch die Herrschaft einer kleinen, aristokratischen Minderheit,
deren beide Parteien sich ohne schwere innere Kämpfe in der Negierung ab¬
lösen konnten, weil beide weniger durch theoretische Grundsätze als durch Inter¬
essen geschieden und beide gleich geschäftskundig, also regierungsfähig waren-
Zwischen dieser englischen Entwicklung und der in den festländischen Monarchien
besteht nicht die geringste Ähnlichkeit. Und doch ist sie das Muster für diese
geworden, als das Aufsteigen der mittlern Stände parlamentarische Formen des
Staatslebens verlangte.

Es war die erste, freilich unbewußte Fälschung dieser ganz spezifisch
englischen Wirklichkeit, daß Montesquieu sie 1748 seinen französischen Lands¬
leuten als das politische Ideal empfahl, das sie daheim verwirklichen müßten.
Er glaubte, in der englischen Verfassung bestehe der von ihm als ein er¬
strebenswertes Ziel betrachtete Zustand, nämlich die sogenannte "Trennung der
Gewalten," der gesetzgebenden, der ausführenden und der richterlichen Gewalt,
während alle drei nirgends enger miteinander verbunden waren als gerade in


Schwächen und Fiktionen des modernen Parlamentarismus

sondern auch die der andern Stände gegenüber dem Königtum wahrgenommen
und sie sich dadurch verpflichtet. Sodann hat sich in England niemals ein
königliches Soldbeamtentum entwickelt, weil die politische Einheit des Landes
sehr früh unantastbar feststand; endlich verfügte die Krone bis in das siebzehnte
Jahrhundert hinein niemals über eine stehende Armee, weil die insulare Lage
erlaubte, sich mit dem Aufgebot der Vasallen und der Milizen zu begnügen,
eine Berufsarmee entbehrlich machte; die Kriegsflotte aber war für innere
Konflikte unverwendbar. Die Kräfte, auf denen die monarchische Gestaltung
der festländischen Staaten beruhte, fehlten also dem englischen Königtum, und
daran sind die Versuche der Stuarts, den Absolutismus zu begründen, ge¬
scheitert, nicht an ihrer Ungesetzlichkeit; im Gegenteil, der Angriff auf den be¬
stehenden Rechtszustand ging vom Unterhause, vom Parlament aus, das die
Militärhoheit der Krone beschränken wollte. Als sich Karl der Erste dagegen
wehrte, versagte die Selbstverwaltung und setzte die Krone matt. Als seine
Söhne, zuletzt Jakob der Zweite, das nach der Zisat rebslliori wiederherge¬
stellte Königtum durch Beschränkung der Parlamentsrechte zu stärken und sich
ein ergebnes Heer zu bilden versuchten, stürzte das Parlament unter der
Führung des hohen Adels in der nur dem Namen nach Zlorious revolution
von 1688, die nur mit Hilfe der festländischen Mächte gelang, die Stuarts und
legte dem gewählten König Wilhelm dem Dritten von Oranien, der die Krone
nicht seinem Erbrecht, sondern der Berufung durch das Parlament verdankte,
die Staatsordnung auf, die seit 1689 tatsächlich die Souveränität von der
Krone auf das Parlament, genauer genommen auf das Unterhaus übertrug,
das Ministerium allmählich aus einem Kollegium von Vertrauensmännern des
Königs in einen Ausschuß der Unterhausmehrheit verwandelte und den Be¬
stand des nun doch wegen der europäischen Politik unentbehrlichen stehenden
Söldnerheeres von den jährlichen Bewilligungen des Parlaments abhängig
machte, also das alte, aus eignem Recht stehende Königtum zerstörte. Die
abermalige Berufung eines landfremden Geschlechts, der hannöverschen Welsen,
auf den Thron des Jnselreichs 1714 befestigte natürlich die Parlamentsherr¬
schaft, d. h. immer noch die Herrschaft einer kleinen, aristokratischen Minderheit,
deren beide Parteien sich ohne schwere innere Kämpfe in der Negierung ab¬
lösen konnten, weil beide weniger durch theoretische Grundsätze als durch Inter¬
essen geschieden und beide gleich geschäftskundig, also regierungsfähig waren-
Zwischen dieser englischen Entwicklung und der in den festländischen Monarchien
besteht nicht die geringste Ähnlichkeit. Und doch ist sie das Muster für diese
geworden, als das Aufsteigen der mittlern Stände parlamentarische Formen des
Staatslebens verlangte.

Es war die erste, freilich unbewußte Fälschung dieser ganz spezifisch
englischen Wirklichkeit, daß Montesquieu sie 1748 seinen französischen Lands¬
leuten als das politische Ideal empfahl, das sie daheim verwirklichen müßten.
Er glaubte, in der englischen Verfassung bestehe der von ihm als ein er¬
strebenswertes Ziel betrachtete Zustand, nämlich die sogenannte „Trennung der
Gewalten," der gesetzgebenden, der ausführenden und der richterlichen Gewalt,
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[0494] Schwächen und Fiktionen des modernen Parlamentarismus sondern auch die der andern Stände gegenüber dem Königtum wahrgenommen und sie sich dadurch verpflichtet. Sodann hat sich in England niemals ein königliches Soldbeamtentum entwickelt, weil die politische Einheit des Landes sehr früh unantastbar feststand; endlich verfügte die Krone bis in das siebzehnte Jahrhundert hinein niemals über eine stehende Armee, weil die insulare Lage erlaubte, sich mit dem Aufgebot der Vasallen und der Milizen zu begnügen, eine Berufsarmee entbehrlich machte; die Kriegsflotte aber war für innere Konflikte unverwendbar. Die Kräfte, auf denen die monarchische Gestaltung der festländischen Staaten beruhte, fehlten also dem englischen Königtum, und daran sind die Versuche der Stuarts, den Absolutismus zu begründen, ge¬ scheitert, nicht an ihrer Ungesetzlichkeit; im Gegenteil, der Angriff auf den be¬ stehenden Rechtszustand ging vom Unterhause, vom Parlament aus, das die Militärhoheit der Krone beschränken wollte. Als sich Karl der Erste dagegen wehrte, versagte die Selbstverwaltung und setzte die Krone matt. Als seine Söhne, zuletzt Jakob der Zweite, das nach der Zisat rebslliori wiederherge¬ stellte Königtum durch Beschränkung der Parlamentsrechte zu stärken und sich ein ergebnes Heer zu bilden versuchten, stürzte das Parlament unter der Führung des hohen Adels in der nur dem Namen nach Zlorious revolution von 1688, die nur mit Hilfe der festländischen Mächte gelang, die Stuarts und legte dem gewählten König Wilhelm dem Dritten von Oranien, der die Krone nicht seinem Erbrecht, sondern der Berufung durch das Parlament verdankte, die Staatsordnung auf, die seit 1689 tatsächlich die Souveränität von der Krone auf das Parlament, genauer genommen auf das Unterhaus übertrug, das Ministerium allmählich aus einem Kollegium von Vertrauensmännern des Königs in einen Ausschuß der Unterhausmehrheit verwandelte und den Be¬ stand des nun doch wegen der europäischen Politik unentbehrlichen stehenden Söldnerheeres von den jährlichen Bewilligungen des Parlaments abhängig machte, also das alte, aus eignem Recht stehende Königtum zerstörte. Die abermalige Berufung eines landfremden Geschlechts, der hannöverschen Welsen, auf den Thron des Jnselreichs 1714 befestigte natürlich die Parlamentsherr¬ schaft, d. h. immer noch die Herrschaft einer kleinen, aristokratischen Minderheit, deren beide Parteien sich ohne schwere innere Kämpfe in der Negierung ab¬ lösen konnten, weil beide weniger durch theoretische Grundsätze als durch Inter¬ essen geschieden und beide gleich geschäftskundig, also regierungsfähig waren- Zwischen dieser englischen Entwicklung und der in den festländischen Monarchien besteht nicht die geringste Ähnlichkeit. Und doch ist sie das Muster für diese geworden, als das Aufsteigen der mittlern Stände parlamentarische Formen des Staatslebens verlangte. Es war die erste, freilich unbewußte Fälschung dieser ganz spezifisch englischen Wirklichkeit, daß Montesquieu sie 1748 seinen französischen Lands¬ leuten als das politische Ideal empfahl, das sie daheim verwirklichen müßten. Er glaubte, in der englischen Verfassung bestehe der von ihm als ein er¬ strebenswertes Ziel betrachtete Zustand, nämlich die sogenannte „Trennung der Gewalten," der gesetzgebenden, der ausführenden und der richterlichen Gewalt, während alle drei nirgends enger miteinander verbunden waren als gerade in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_293618/494>, abgerufen am 25.07.2024.