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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr.

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Schwächen und Aktionen des modernen
Parlamentarismus

g o sind doch die Zeiten geblieben, die um die Erringung und die
Ausbildung parlamentarischer Verfassungen leidenschaftliche Kämpfe
^ führten und in dem Verhältnis Wischer der Neqiernng und der
Volksvertretung den Hauptinhalt des Staatslebens sahen? Und
doch war diese Form nirgends auf dem Festlande heimisch, sondern
direkt oder indirekt von England importiert, als etwas an sich sozusagen
Vollendetes, als ein allgemein für alle Völker anwendbares und segensreiches
Muster. Das ganz und gar unhistorische achtzehnte Jahrhundert sah nicht ein,
daß die parlamentarische Verfassung Englands auf ganz bestimmten, nirgends
sonst vorhandnen Grundlagen beruhte, und daß das englische Parlament mit
einer wirklichen Volksvertretung nur eine sehr entfernte Ähnlichkeit hatte. Es
war vielmehr damals und bis tief in das neunzehnte Jahrhundert hinein
schlechterdings nur eine Vertretung der herrschenden Stände, des weltlichen und
des geistlichen hohen Adels, der nobilit.v, und des kleinen Landadels, der
^nri-7, deren Abgeordnete allerdings auch eine Anzahl von Städten und
Burgflecken vertraten. Diese beiden Stände hatten zugleich die Unter der
Selbstverwaltung inne; sie regierten also das Land, erwarben sich dadurch
praktische Geschüftskenntnis und bildeten zugleich die höchste gesetzgebende Körper¬
schaft. Es war ein Zustand, der mit einem modernen Parlament viel wemger
Ähnlichkeit hatte als mit dem Organismus eines ständisch regierten deutschen
Territoriums, wo Klerus, Adel und Vertreter der Stadträte, nicht der Ge¬
meinden, zugleich das Land verwalteten und den Landtag bildeten, und der¬
selbe Ausdruck, der sie im politischen Latein des siebzehnten Jahrhunderts be¬
zeichnet. 0rclino8. d. h. Stände, wird auch auf das englische Parlament ange-
^"de; das Wort xarliamenwin bezeichnet ja zunächst gar nicht eme Körperschaft,
sondern eine beratende Versammlung. Daß nun gerade die englischen Stande
dem fürstlichen Absolutismus, d. h. dein monarchisch-einheitsstaatlichen Gedanken
nicht erlagen, wie die festländischen, das beruhte auf Umständen, die mrgmds
sonst vorhanden waren wie in England. Zunächst hat der hohe englische Adel
schon seit der Na^ vuarta von 1214 nicht nur seine besondern Interessen.


Grenzboten II 1904


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Schwächen und Aktionen des modernen
Parlamentarismus

g o sind doch die Zeiten geblieben, die um die Erringung und die
Ausbildung parlamentarischer Verfassungen leidenschaftliche Kämpfe
^ führten und in dem Verhältnis Wischer der Neqiernng und der
Volksvertretung den Hauptinhalt des Staatslebens sahen? Und
doch war diese Form nirgends auf dem Festlande heimisch, sondern
direkt oder indirekt von England importiert, als etwas an sich sozusagen
Vollendetes, als ein allgemein für alle Völker anwendbares und segensreiches
Muster. Das ganz und gar unhistorische achtzehnte Jahrhundert sah nicht ein,
daß die parlamentarische Verfassung Englands auf ganz bestimmten, nirgends
sonst vorhandnen Grundlagen beruhte, und daß das englische Parlament mit
einer wirklichen Volksvertretung nur eine sehr entfernte Ähnlichkeit hatte. Es
war vielmehr damals und bis tief in das neunzehnte Jahrhundert hinein
schlechterdings nur eine Vertretung der herrschenden Stände, des weltlichen und
des geistlichen hohen Adels, der nobilit.v, und des kleinen Landadels, der
^nri-7, deren Abgeordnete allerdings auch eine Anzahl von Städten und
Burgflecken vertraten. Diese beiden Stände hatten zugleich die Unter der
Selbstverwaltung inne; sie regierten also das Land, erwarben sich dadurch
praktische Geschüftskenntnis und bildeten zugleich die höchste gesetzgebende Körper¬
schaft. Es war ein Zustand, der mit einem modernen Parlament viel wemger
Ähnlichkeit hatte als mit dem Organismus eines ständisch regierten deutschen
Territoriums, wo Klerus, Adel und Vertreter der Stadträte, nicht der Ge¬
meinden, zugleich das Land verwalteten und den Landtag bildeten, und der¬
selbe Ausdruck, der sie im politischen Latein des siebzehnten Jahrhunderts be¬
zeichnet. 0rclino8. d. h. Stände, wird auch auf das englische Parlament ange-
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sondern eine beratende Versammlung. Daß nun gerade die englischen Stande
dem fürstlichen Absolutismus, d. h. dein monarchisch-einheitsstaatlichen Gedanken
nicht erlagen, wie die festländischen, das beruhte auf Umständen, die mrgmds
sonst vorhanden waren wie in England. Zunächst hat der hohe englische Adel
schon seit der Na^ vuarta von 1214 nicht nur seine besondern Interessen.


Grenzboten II 1904
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_293618/493>, abgerufen am 04.07.2024.