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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Aber es ist nicht unversöhnlich. Dazu hat es zu viel Gemüt und zu viel Verstand.
Es hat so Viel Geschichte gelernt, daß es weiß, wie sehr seine Väter unter dem
religiösen Zwiespalt gelitten haben. Es ist zu besonnen und zu klug dazu, als daß
es ein Wiederaufleben der alten Kämpfe wünschte.

Eben darauf bauen wir die Hoffnung, daß auch die jetzigen kriegerischen
Zeiten weichen und einem andern Geiste Platz machen werden. Je früher dies
geschieht, um so besser ist es für beide Teile wie für die Gesamtheit.

Noch ist es Nacht an vielen Orten, aber da und dort bricht doch schon etwas
wie Dämmerung herein. Sorgen wir dafür, daß sich die Morgenröte bald zeige.
Unser Volk, das wir lieben, hat schon genug geduldet und gelitten. Es sehnt sich
nach Frieden. Tragen wir das unsrige dazu bei, daß es sich dieses Friedens bald
erfreue! Ein evangelischer Geistlicher


Französische Nationalökonomie.

Bei Puttkammer und Mühlbrecht in
Berlin erscheint eine Sammlung: nationalökonomische Schulen des zwanzigsten
Jahrhunderts. Das erste, voriges Jahr herausgegebue Heft ist betitelt: Die
französische Nationalökonomie der Gegenwart von August Büchaux,
korrespondierenden Mitglied des Institut as I^unes, Professor der Nationalökonomie
der freien Universität Lille. Übersetzt und mit Anmerkungen versehen von Wam¬
pach, Doktor der Rechte und Doktor der Staatswissenschaften. Die beiden Verfasser
bekämpfen die englischen Schulen von Adam Smith und Ricardo, die deutsche
historische Schule (Röscher) und die auf den "Irrtümern-' Kants. Fichtes und Hegels
beruhende Staats- und kathedersozialistische Schule, empfehlen aber ihre eigne,
die französische Schule, die wissenschaftlich in ihrem Verfahren, human in ihrer
Lehre, liberal sei in dem Einfluß, den sie ausübe, und in der Politik, die sie
inspiriere. Sie sind Feinde der Staatsallmacht, erklären alle Verheißungen eines
vollkommnen Zustandes für utopisch, da ein so komplizierter Körper wie die heutige
Gesellschaft nie frei von mannigfachen Gebrechen sein könne, preisen das demophile,
nicht demokratische Programm des verstorbnen Papstes, wollen in der National-
"konomie den Menschen mehr berücksichtigt sehen als die Güterprodnktion, und
predigen die Pflichten des Individuums, die Pflichten des Arbeiters gegen die
Mitglieder der eignen Familie, deren treue Erfüllung das Eingreifen des Staates
Ul den meisten Fällen überflüssig machen würde, die Anbahnung eines ver¬
nünftigen persönlichen Verhältnisses zwischen Mensch und Mensch, anch zwischen
Brodherrn und Arbeiter: friedliche wirtschaftliche und Patronate Gebrauche nennen
W. was man bei uns als Jndnstriefeudalismus denunziert. Diese ekleltt,cye
Nationalökonomie ist gar nicht Übel; aber daß sie "die franzöNsche" sei können
nicht glauben; wenigstens spürt man in der innern französischen Politik nichts
dem Geiste der Freiheit, der sie durchweht. Daß d.e Zwangsversicherung der
Arbeiter nicht zustande kommt, entspricht ja diesem Geiste, aber was das ^us ande-
tonuuen verhindert, ist nicht dieser Geist. Der Bericht über die Geschichte der
Vorlage Millerands ist das. was uns veranlaßt hat, von dem Buche Notiz zu
"ebenen. Der Plan eiues Altersreutengesetzes wurde in sechzehn Sitzungen der
Z"'mener beraten, und diese nahm am 2. Juli 1901 den ersten Artikel folgender
^ssung an: "Jeder Arbeiter oder Angestellter, jedes aktive oder nicht aktwe t-
Ked einer Arbeitergenossenschaft hat. nnter den von gegenwärtigem Ge Ze ve,
sonnten Bedingungen und uuter der Voraussetzung der französischen Staats"-
"Hörigkeit, nach erreichtem fünfuudsechzigsteu Lebensjahre Aupruch "uf em
Aube- oder eintretendenfalls einen Jnvalidengehalt. der monatlich auf >en vom
Bürgermeister seines Wohnorts ausgestellten Lebensfaden hin "usg ah t wird
Den Anspruch tho hat jetzt jeder Franzose, aber den Gehalt hat noch wu r und
'"rd wohl auch sobald noch keiner bekommen. Nach Annahme des Prinzips
"°auch si6 es den Herren erst ein. daß man doch uuter neben musst, wie die
Sache eigentlich gemacht werden könne, und da man sich keinen Rat wußte, ^


Maßgebliches und Unmaßgebliches

Aber es ist nicht unversöhnlich. Dazu hat es zu viel Gemüt und zu viel Verstand.
Es hat so Viel Geschichte gelernt, daß es weiß, wie sehr seine Väter unter dem
religiösen Zwiespalt gelitten haben. Es ist zu besonnen und zu klug dazu, als daß
es ein Wiederaufleben der alten Kämpfe wünschte.

Eben darauf bauen wir die Hoffnung, daß auch die jetzigen kriegerischen
Zeiten weichen und einem andern Geiste Platz machen werden. Je früher dies
geschieht, um so besser ist es für beide Teile wie für die Gesamtheit.

Noch ist es Nacht an vielen Orten, aber da und dort bricht doch schon etwas
wie Dämmerung herein. Sorgen wir dafür, daß sich die Morgenröte bald zeige.
Unser Volk, das wir lieben, hat schon genug geduldet und gelitten. Es sehnt sich
nach Frieden. Tragen wir das unsrige dazu bei, daß es sich dieses Friedens bald
erfreue! Ein evangelischer Geistlicher


Französische Nationalökonomie.

Bei Puttkammer und Mühlbrecht in
Berlin erscheint eine Sammlung: nationalökonomische Schulen des zwanzigsten
Jahrhunderts. Das erste, voriges Jahr herausgegebue Heft ist betitelt: Die
französische Nationalökonomie der Gegenwart von August Büchaux,
korrespondierenden Mitglied des Institut as I^unes, Professor der Nationalökonomie
der freien Universität Lille. Übersetzt und mit Anmerkungen versehen von Wam¬
pach, Doktor der Rechte und Doktor der Staatswissenschaften. Die beiden Verfasser
bekämpfen die englischen Schulen von Adam Smith und Ricardo, die deutsche
historische Schule (Röscher) und die auf den „Irrtümern-' Kants. Fichtes und Hegels
beruhende Staats- und kathedersozialistische Schule, empfehlen aber ihre eigne,
die französische Schule, die wissenschaftlich in ihrem Verfahren, human in ihrer
Lehre, liberal sei in dem Einfluß, den sie ausübe, und in der Politik, die sie
inspiriere. Sie sind Feinde der Staatsallmacht, erklären alle Verheißungen eines
vollkommnen Zustandes für utopisch, da ein so komplizierter Körper wie die heutige
Gesellschaft nie frei von mannigfachen Gebrechen sein könne, preisen das demophile,
nicht demokratische Programm des verstorbnen Papstes, wollen in der National-
»konomie den Menschen mehr berücksichtigt sehen als die Güterprodnktion, und
predigen die Pflichten des Individuums, die Pflichten des Arbeiters gegen die
Mitglieder der eignen Familie, deren treue Erfüllung das Eingreifen des Staates
Ul den meisten Fällen überflüssig machen würde, die Anbahnung eines ver¬
nünftigen persönlichen Verhältnisses zwischen Mensch und Mensch, anch zwischen
Brodherrn und Arbeiter: friedliche wirtschaftliche und Patronate Gebrauche nennen
W. was man bei uns als Jndnstriefeudalismus denunziert. Diese ekleltt,cye
Nationalökonomie ist gar nicht Übel; aber daß sie „die franzöNsche" sei können
nicht glauben; wenigstens spürt man in der innern französischen Politik nichts
dem Geiste der Freiheit, der sie durchweht. Daß d.e Zwangsversicherung der
Arbeiter nicht zustande kommt, entspricht ja diesem Geiste, aber was das ^us ande-
tonuuen verhindert, ist nicht dieser Geist. Der Bericht über die Geschichte der
Vorlage Millerands ist das. was uns veranlaßt hat, von dem Buche Notiz zu
"ebenen. Der Plan eiues Altersreutengesetzes wurde in sechzehn Sitzungen der
Z"'mener beraten, und diese nahm am 2. Juli 1901 den ersten Artikel folgender
^ssung an: „Jeder Arbeiter oder Angestellter, jedes aktive oder nicht aktwe t-
Ked einer Arbeitergenossenschaft hat. nnter den von gegenwärtigem Ge Ze ve,
sonnten Bedingungen und uuter der Voraussetzung der französischen Staats»-
«Hörigkeit, nach erreichtem fünfuudsechzigsteu Lebensjahre Aupruch »uf em
Aube- oder eintretendenfalls einen Jnvalidengehalt. der monatlich auf >en vom
Bürgermeister seines Wohnorts ausgestellten Lebensfaden hin "usg ah t wird
Den Anspruch tho hat jetzt jeder Franzose, aber den Gehalt hat noch wu r und
'"rd wohl auch sobald noch keiner bekommen. Nach Annahme des Prinzips
"°auch si6 es den Herren erst ein. daß man doch uuter neben musst, wie die
Sache eigentlich gemacht werden könne, und da man sich keinen Rat wußte, ^


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[0491] Maßgebliches und Unmaßgebliches Aber es ist nicht unversöhnlich. Dazu hat es zu viel Gemüt und zu viel Verstand. Es hat so Viel Geschichte gelernt, daß es weiß, wie sehr seine Väter unter dem religiösen Zwiespalt gelitten haben. Es ist zu besonnen und zu klug dazu, als daß es ein Wiederaufleben der alten Kämpfe wünschte. Eben darauf bauen wir die Hoffnung, daß auch die jetzigen kriegerischen Zeiten weichen und einem andern Geiste Platz machen werden. Je früher dies geschieht, um so besser ist es für beide Teile wie für die Gesamtheit. Noch ist es Nacht an vielen Orten, aber da und dort bricht doch schon etwas wie Dämmerung herein. Sorgen wir dafür, daß sich die Morgenröte bald zeige. Unser Volk, das wir lieben, hat schon genug geduldet und gelitten. Es sehnt sich nach Frieden. Tragen wir das unsrige dazu bei, daß es sich dieses Friedens bald erfreue! Ein evangelischer Geistlicher Französische Nationalökonomie. Bei Puttkammer und Mühlbrecht in Berlin erscheint eine Sammlung: nationalökonomische Schulen des zwanzigsten Jahrhunderts. Das erste, voriges Jahr herausgegebue Heft ist betitelt: Die französische Nationalökonomie der Gegenwart von August Büchaux, korrespondierenden Mitglied des Institut as I^unes, Professor der Nationalökonomie der freien Universität Lille. Übersetzt und mit Anmerkungen versehen von Wam¬ pach, Doktor der Rechte und Doktor der Staatswissenschaften. Die beiden Verfasser bekämpfen die englischen Schulen von Adam Smith und Ricardo, die deutsche historische Schule (Röscher) und die auf den „Irrtümern-' Kants. Fichtes und Hegels beruhende Staats- und kathedersozialistische Schule, empfehlen aber ihre eigne, die französische Schule, die wissenschaftlich in ihrem Verfahren, human in ihrer Lehre, liberal sei in dem Einfluß, den sie ausübe, und in der Politik, die sie inspiriere. Sie sind Feinde der Staatsallmacht, erklären alle Verheißungen eines vollkommnen Zustandes für utopisch, da ein so komplizierter Körper wie die heutige Gesellschaft nie frei von mannigfachen Gebrechen sein könne, preisen das demophile, nicht demokratische Programm des verstorbnen Papstes, wollen in der National- »konomie den Menschen mehr berücksichtigt sehen als die Güterprodnktion, und predigen die Pflichten des Individuums, die Pflichten des Arbeiters gegen die Mitglieder der eignen Familie, deren treue Erfüllung das Eingreifen des Staates Ul den meisten Fällen überflüssig machen würde, die Anbahnung eines ver¬ nünftigen persönlichen Verhältnisses zwischen Mensch und Mensch, anch zwischen Brodherrn und Arbeiter: friedliche wirtschaftliche und Patronate Gebrauche nennen W. was man bei uns als Jndnstriefeudalismus denunziert. Diese ekleltt,cye Nationalökonomie ist gar nicht Übel; aber daß sie „die franzöNsche" sei können nicht glauben; wenigstens spürt man in der innern französischen Politik nichts dem Geiste der Freiheit, der sie durchweht. Daß d.e Zwangsversicherung der Arbeiter nicht zustande kommt, entspricht ja diesem Geiste, aber was das ^us ande- tonuuen verhindert, ist nicht dieser Geist. Der Bericht über die Geschichte der Vorlage Millerands ist das. was uns veranlaßt hat, von dem Buche Notiz zu "ebenen. Der Plan eiues Altersreutengesetzes wurde in sechzehn Sitzungen der Z"'mener beraten, und diese nahm am 2. Juli 1901 den ersten Artikel folgender ^ssung an: „Jeder Arbeiter oder Angestellter, jedes aktive oder nicht aktwe t- Ked einer Arbeitergenossenschaft hat. nnter den von gegenwärtigem Ge Ze ve, sonnten Bedingungen und uuter der Voraussetzung der französischen Staats»- «Hörigkeit, nach erreichtem fünfuudsechzigsteu Lebensjahre Aupruch »uf em Aube- oder eintretendenfalls einen Jnvalidengehalt. der monatlich auf >en vom Bürgermeister seines Wohnorts ausgestellten Lebensfaden hin "usg ah t wird Den Anspruch tho hat jetzt jeder Franzose, aber den Gehalt hat noch wu r und '"rd wohl auch sobald noch keiner bekommen. Nach Annahme des Prinzips "°auch si6 es den Herren erst ein. daß man doch uuter neben musst, wie die Sache eigentlich gemacht werden könne, und da man sich keinen Rat wußte, ^

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_293618/491>, abgerufen am 13.11.2024.