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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr.

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Der Mönch von Weinfelder
Julius R. Haarhnus Novelle von(Fortsetzung)

err Gyllis hatte sich erhoben und war ans Fenster getreten. Draußen
war alles still. Die Sichel des Mondes stand über dem Mäuseberg
und spiegelte sich auf der glatten Fläche des Weihers. Von den
weisem Blütendolden der Holunderbüsche am Zaune des Bongerts stieg
.ein berauschend starker Duft auf, und um die Erlen beim Wasser
I schwebten, Irrlichtern gleich, ganze Scharen von Johanniskäfern.

Als der Burgherr das Feuster schloß und seinen Platz am Tische wieder ein¬
nahm, wurde es unter den Bäumen des Bongerts lebendig. Drei Männer schlüpften
durch eine Lücke in der Hecke, schlichen schweigend am Ufer des Teiches hin und
ließen sich von der Sperrmauer in den Hof des Burghauses hinab. Der letzte
von ihnen reichte, bevor er von der Mauer in die Tiefe glitt, den beiden andern
ein paar Äxte, eine Eisenstange und eine verhüllte Laterne zu. Im Hofe blieben
sie stehn und warfen, in den Schatten der Mauer gedrückt, prüfende Blicke zu den
erleuchteten Fenstern des Obergeschosses hinauf. Dann eilten sie an der Hauswart
entlang bis zu der Stelle, wo das Kellerloch aufstand. Einer von ihnen -- es
war Merken Ströther -- setzte die Eisenstange an und bog die verrosteten Gitter¬
stäbe soweit auseinander, daß ein Mensch hindurchzuschlüpfen vermochte. Noch einmal
hielten sie inne, um zu lauschen, bevor sie einer nach dem andern in der Finsternis
verschwanden. Dort unten suchten sie sich, so gut es der schmale Streif des
schwachen Mondlichts erlaubte, zurechtzufinden, legten ihr Gerät auf den Boden und
setzten sich auf ein Reisigbündel. Zunächst wagte keiner von ihnen zu sprechen, als
sie aber eine Weile so gesessen hatten, und alles im Hause still blieb, begannen sie
sich mit gedämpfter Stimme zu unterhalten. Wiunemar vom Driesch, Ströthers
Schwager, brach das Schweigen.

Ich wollt, es wär erst Tag, und die Arbeit wär getan, sagte er seufzend.

Wirst es wohl abwarten können, erwiderte Ströther. Deinetwegen geht die
Sonne keinen Hahnschrei früher auf.

Lüg auch lieber daheim auf der Streu denn hier in dem kalten Loch, meinte
der Dritte.

Glaubs schon, sagte Ströther, Wenns nach dir ging, dann täten wir zwei,
der Winnemar und ich, die Arbeit allein und ließen dir morgen am lichten Tag
das Einsacken.

Hast gut reden, Merken, sagte der Dritte wieder, du weißt, warum du ihm
an den Kragen nullst; dir hat er die Faust zu kosten gegeben, aber ich -- ich komm
in den ganzen Handel hinein wie Pilatus ins Credo.

Hast wohl noch keine Reuse in der Lieser gestellt und noch kein Garn in die
Hecken?

Doch Merken, mehr als eine Reuse und mehr als ein Garn, antwortete der
andre gutmütig. Aber soll ich ihm darum den Hirnkasten einschlagen?

Denkst wohl, wenn er dich einmal erwischt, so drückt er beide Augen zu, weil
du der Enneres Moses bist?

Das Todschlagen möchte noch angehn, bemerkte jetzt Winnemar, und mit dem




Der Mönch von Weinfelder
Julius R. Haarhnus Novelle von(Fortsetzung)

err Gyllis hatte sich erhoben und war ans Fenster getreten. Draußen
war alles still. Die Sichel des Mondes stand über dem Mäuseberg
und spiegelte sich auf der glatten Fläche des Weihers. Von den
weisem Blütendolden der Holunderbüsche am Zaune des Bongerts stieg
.ein berauschend starker Duft auf, und um die Erlen beim Wasser
I schwebten, Irrlichtern gleich, ganze Scharen von Johanniskäfern.

Als der Burgherr das Feuster schloß und seinen Platz am Tische wieder ein¬
nahm, wurde es unter den Bäumen des Bongerts lebendig. Drei Männer schlüpften
durch eine Lücke in der Hecke, schlichen schweigend am Ufer des Teiches hin und
ließen sich von der Sperrmauer in den Hof des Burghauses hinab. Der letzte
von ihnen reichte, bevor er von der Mauer in die Tiefe glitt, den beiden andern
ein paar Äxte, eine Eisenstange und eine verhüllte Laterne zu. Im Hofe blieben
sie stehn und warfen, in den Schatten der Mauer gedrückt, prüfende Blicke zu den
erleuchteten Fenstern des Obergeschosses hinauf. Dann eilten sie an der Hauswart
entlang bis zu der Stelle, wo das Kellerloch aufstand. Einer von ihnen — es
war Merken Ströther — setzte die Eisenstange an und bog die verrosteten Gitter¬
stäbe soweit auseinander, daß ein Mensch hindurchzuschlüpfen vermochte. Noch einmal
hielten sie inne, um zu lauschen, bevor sie einer nach dem andern in der Finsternis
verschwanden. Dort unten suchten sie sich, so gut es der schmale Streif des
schwachen Mondlichts erlaubte, zurechtzufinden, legten ihr Gerät auf den Boden und
setzten sich auf ein Reisigbündel. Zunächst wagte keiner von ihnen zu sprechen, als
sie aber eine Weile so gesessen hatten, und alles im Hause still blieb, begannen sie
sich mit gedämpfter Stimme zu unterhalten. Wiunemar vom Driesch, Ströthers
Schwager, brach das Schweigen.

Ich wollt, es wär erst Tag, und die Arbeit wär getan, sagte er seufzend.

Wirst es wohl abwarten können, erwiderte Ströther. Deinetwegen geht die
Sonne keinen Hahnschrei früher auf.

Lüg auch lieber daheim auf der Streu denn hier in dem kalten Loch, meinte
der Dritte.

Glaubs schon, sagte Ströther, Wenns nach dir ging, dann täten wir zwei,
der Winnemar und ich, die Arbeit allein und ließen dir morgen am lichten Tag
das Einsacken.

Hast gut reden, Merken, sagte der Dritte wieder, du weißt, warum du ihm
an den Kragen nullst; dir hat er die Faust zu kosten gegeben, aber ich — ich komm
in den ganzen Handel hinein wie Pilatus ins Credo.

Hast wohl noch keine Reuse in der Lieser gestellt und noch kein Garn in die
Hecken?

Doch Merken, mehr als eine Reuse und mehr als ein Garn, antwortete der
andre gutmütig. Aber soll ich ihm darum den Hirnkasten einschlagen?

Denkst wohl, wenn er dich einmal erwischt, so drückt er beide Augen zu, weil
du der Enneres Moses bist?

Das Todschlagen möchte noch angehn, bemerkte jetzt Winnemar, und mit dem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_293618/478>, abgerufen am 13.11.2024.