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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr.

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Japan, der Seestaat des äußersten Ostens

schon -- und der jetzt begonnene zweite folgt ihm darin --, daß Japan sein
Jnsclland nicht als das Zentrum einer Stellung zur Verteidigung der See
auffaßt, sondern als eine Vorbereitungsstellung, aus der es über die beherrschte
See hinweg den Landkrieg beginnen will.

Darüber ein Urteil abzugeben, ob dies richtig oder falsch sei, möchte ich
in dem Nahmen dieses kurzen Aufsatzes nicht versuchen. Die Zukunft wird
erst zeigen können, ob die Volkskraft des kleinen Jnselreichs genügen wird,
das zu erreichen und festzuhalten, was es erstrebt, oder ob, wie viele meinen,
sein ganzes Vorgehn darauf berechnet ist, sich die im chinesischen Reiche ruhende
Volksmasse der mongolischen Nasse anzugliedern und dann erst zu vollenden,
was es jetzt beginnt. Aber auch dieser russisch-japanische Krieg ist wie die
Kriege Englands ein Handelskrieg. Er soll das Japan zunächst liegende Gebiet
des asiatischen Festlandes seinem Handel erschließen, und darin ist er den Kriegen
Englands ähnlich, die dessen Heere am Niederrhein führten. Wird er enden
wie diese? Wird die Kriegspartei in Japan ihm zum Opfer fallen, wie das
dem Herzog von Marlborough ergebne englische Ministerium im Jahre 1711
der Volksstimme weichen mußte, als der Krieg in den Niederlanden trotz aller
Siege des Heeres dem Lande mehr Opfer an Geld und Menschen auferlegte,
als es zu tragen willens war? Oder wird er, wenn Rußlands militärische
Übermacht Zeit behält, zur Geltung zu kommen, enden wie die englischen
Landungen in Holland 1799 und 1809?

Eins aber ist klar: es erscheint hier eine ganz andre Auffassung des
Zusammenwirkens von Landkrieg und Seekrieg, als sie die Geschichte Englands,
von Ausnahmen abgesehen, zeigt. Wird sich diese Politik der industriellen
Entwicklung des Landes anpassen, wird der Landkrieg der Industrie nicht zu
viele Arbeiter entzieh", wird er das Land nicht finanziell zu schwer belasten?
Der Seekrieg, der sich in den Dienst des Erwerbes stellte, der weniger Menschen
brauchte und doch den Besitzstand des Landes sicherte, hat dem Inselstaat
England zu seiner Macht verhelfen. Ist ein solcher reiner Seekrieg heute noch
möglich, oder muß ein vorwärtsstrebendcs, sich schnell vermehrendes Volk, auch
wenn es die Natur auf ein Inselreich setzte und so seine Grenzen schützte, den
Weg gehn, den Japan heute geht?

Wir sehen, welche Fülle von Fragen auftaucht, wenn wir den Vergleich
zwischen Japan und England weiter verfolgen. Wir brauchen dazu noch gar
nicht näher auf den Krieg Rücksicht zu nehmen, der jetzt begonnen hat. Nur
in einer Richtung möchte ich die jetzige Lage noch weiter zum Gegenstande
der Betrachtung machen.

Englands Kriege sind zum großen Teile Bündniskriege gewesen. In
ihnen sollte der Bundesgenosse entweder die ungenügende Rüstung Englands
durch seine Heere ergänzen, den Gegner schwächen und die Last des Land¬
krieges tragen, oder in seinen Häfen England Stützpunkte für die Seekrieg¬
führung geben. Portugal ist in diesem Sinne der traditionelle Verbündete
Englands. Nur in seltnen Fällen hatte das Bündnis eine Verstärkung der
englischen Flottenmacht zum Zweck. Das Vüudnis mit Japan kann, abgesehen
davon, daß es vielleicht auch einen Rivalen lahmt, der zum Gegner der


Japan, der Seestaat des äußersten Ostens

schon — und der jetzt begonnene zweite folgt ihm darin —, daß Japan sein
Jnsclland nicht als das Zentrum einer Stellung zur Verteidigung der See
auffaßt, sondern als eine Vorbereitungsstellung, aus der es über die beherrschte
See hinweg den Landkrieg beginnen will.

Darüber ein Urteil abzugeben, ob dies richtig oder falsch sei, möchte ich
in dem Nahmen dieses kurzen Aufsatzes nicht versuchen. Die Zukunft wird
erst zeigen können, ob die Volkskraft des kleinen Jnselreichs genügen wird,
das zu erreichen und festzuhalten, was es erstrebt, oder ob, wie viele meinen,
sein ganzes Vorgehn darauf berechnet ist, sich die im chinesischen Reiche ruhende
Volksmasse der mongolischen Nasse anzugliedern und dann erst zu vollenden,
was es jetzt beginnt. Aber auch dieser russisch-japanische Krieg ist wie die
Kriege Englands ein Handelskrieg. Er soll das Japan zunächst liegende Gebiet
des asiatischen Festlandes seinem Handel erschließen, und darin ist er den Kriegen
Englands ähnlich, die dessen Heere am Niederrhein führten. Wird er enden
wie diese? Wird die Kriegspartei in Japan ihm zum Opfer fallen, wie das
dem Herzog von Marlborough ergebne englische Ministerium im Jahre 1711
der Volksstimme weichen mußte, als der Krieg in den Niederlanden trotz aller
Siege des Heeres dem Lande mehr Opfer an Geld und Menschen auferlegte,
als es zu tragen willens war? Oder wird er, wenn Rußlands militärische
Übermacht Zeit behält, zur Geltung zu kommen, enden wie die englischen
Landungen in Holland 1799 und 1809?

Eins aber ist klar: es erscheint hier eine ganz andre Auffassung des
Zusammenwirkens von Landkrieg und Seekrieg, als sie die Geschichte Englands,
von Ausnahmen abgesehen, zeigt. Wird sich diese Politik der industriellen
Entwicklung des Landes anpassen, wird der Landkrieg der Industrie nicht zu
viele Arbeiter entzieh», wird er das Land nicht finanziell zu schwer belasten?
Der Seekrieg, der sich in den Dienst des Erwerbes stellte, der weniger Menschen
brauchte und doch den Besitzstand des Landes sicherte, hat dem Inselstaat
England zu seiner Macht verhelfen. Ist ein solcher reiner Seekrieg heute noch
möglich, oder muß ein vorwärtsstrebendcs, sich schnell vermehrendes Volk, auch
wenn es die Natur auf ein Inselreich setzte und so seine Grenzen schützte, den
Weg gehn, den Japan heute geht?

Wir sehen, welche Fülle von Fragen auftaucht, wenn wir den Vergleich
zwischen Japan und England weiter verfolgen. Wir brauchen dazu noch gar
nicht näher auf den Krieg Rücksicht zu nehmen, der jetzt begonnen hat. Nur
in einer Richtung möchte ich die jetzige Lage noch weiter zum Gegenstande
der Betrachtung machen.

Englands Kriege sind zum großen Teile Bündniskriege gewesen. In
ihnen sollte der Bundesgenosse entweder die ungenügende Rüstung Englands
durch seine Heere ergänzen, den Gegner schwächen und die Last des Land¬
krieges tragen, oder in seinen Häfen England Stützpunkte für die Seekrieg¬
führung geben. Portugal ist in diesem Sinne der traditionelle Verbündete
Englands. Nur in seltnen Fällen hatte das Bündnis eine Verstärkung der
englischen Flottenmacht zum Zweck. Das Vüudnis mit Japan kann, abgesehen
davon, daß es vielleicht auch einen Rivalen lahmt, der zum Gegner der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_293618/444>, abgerufen am 04.07.2024.