Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Der Arieg und das Völkerrecht

abhängigkeit von fremder Hilfe und Mitwirkung. , . . Die trennenden Gegen¬
sätze unter den Völkern mögen von Zeit zu Zeit noch so sehr in den Vorder¬
grund treten und die Quelle von Streitfällen bilden, deren Lösung nur mit
dem Aufgebot der ganzen Volkskraft herbeigeführt werden kann; es mögen
auch wohl Epochen eintreten, in denen die spontane internationale Wirksamkeit
der Staaten durch eigenartige politische Strömungen, von denen das innere
Staatsleben augenblicklich beherrscht ist, gehemmt wird oder internationale
Prätensionen einzelner Nationen den ungestörten Fortgang der natürlichen
Entwicklung des Verkehrs selbständiger Staaten gefährden oder stören -- derlei
Erscheinungen des Volkslebens sind doch mir vorübergehend. In der Regel
lassen sie den Wert einer stabilen Ordnung der internationalen Verhältnisse
Und die Notwendigkeit aufrichtigen Eintretens für die Herrschaft des Rechts
und der Humanität, namentlich in Streitfällen, recht deutlich erkennen. In
der Tat find die größten Fortschritte der humanen Ausgestaltung des inter¬
nationalen Lebens an die großen Umgestaltungen der Verhältnisse jener
Staaten geknüpft, die sowohl in ihrer nationalen Rechtsordnung wie im
Völkerverkehr zur Verwirklichung der Rechtsidee in der Geschichte der Mensch¬
heit hauptsächlich berufen sind. . . > Im Bereich der Koexistenz von Staaten
gleicher Zivilisation treten Interessen in den Vordergrund, die sich auf den
ersten Blick als nationale Interessen darstellen, und deren Pflege auch in der
Tat bislang ausschließlich der internationalen Rechts- und Wohlfahrtspflege
vorbehalten war, bezüglich welcher aber Aufgaben an den Staat herantreten,
die nur in Verbindung mit andern Staaten eine erschöpfende Lösung finden
können." Damit kommt der Verfasser ans die solidarischen Interessen der
Völker an der Lösung der Arbeiterfrage, wohin wir ihm nicht weiter folgen
wollen.

Die brennendste Frage des Augenblicks ist die nach dem Unifang der Rechte
und der Pflichten der Neutralen während eines Kriegs. Luchsängig wachen
die beiden Kriegführenden, daß kein Neutraler seinem Gegner Vorteile zu¬
wendet, die nach den Präzcdcnzfällen und nach übereinstimmender Ansicht der
Völkerrechtslehrer nicht erwiesen werden dürfen. Unsre lieben Feinde im Aus¬
lande, deren wir eine übergroße Menge haben, benutzen alles, was wie ein
Schimmer von Begünstigung eines Kriegführenden aussieht, um uns zu ver¬
unglimpfen und uns Gegner zu erwecken. Und auch in unserm eignen Reichs¬
tage beherrscht die Parteileidenschaft die Menschen so, daß sie die Regierung
bezichtigen, die Gebote der Neutralität nicht streng zu beachten. Während des
südafrikanischen Kriegs gaben fanatische Burenfreunde ihr schuld, zu nach¬
sichtig gegen die Engländer zu sein, und jetzt denunziert das Haupt der
Sozialdemokratie sie, den Russen unerlaubte Vorteile zuzuwenden.

Die Quelle falscher Beurteilung pflegt immer zu sein, daß man die
Pflichten des neutralen Staates mit denen seiner Untertanen ver¬
wechselt. Der neutrale Staat darf gar nichts tun, was die Kriegführung
des einen oder des andern Parks begünstigt. "Dem Neutralen ist untersagt,
Truppen, Kriegsschiffe oder Schiffe zum Zwecke des Truppentransports, oder
Kriegsbedarfsartikel und Kriegsproviant, oder finanzielle Mittel einem Krieg-


Der Arieg und das Völkerrecht

abhängigkeit von fremder Hilfe und Mitwirkung. , . . Die trennenden Gegen¬
sätze unter den Völkern mögen von Zeit zu Zeit noch so sehr in den Vorder¬
grund treten und die Quelle von Streitfällen bilden, deren Lösung nur mit
dem Aufgebot der ganzen Volkskraft herbeigeführt werden kann; es mögen
auch wohl Epochen eintreten, in denen die spontane internationale Wirksamkeit
der Staaten durch eigenartige politische Strömungen, von denen das innere
Staatsleben augenblicklich beherrscht ist, gehemmt wird oder internationale
Prätensionen einzelner Nationen den ungestörten Fortgang der natürlichen
Entwicklung des Verkehrs selbständiger Staaten gefährden oder stören — derlei
Erscheinungen des Volkslebens sind doch mir vorübergehend. In der Regel
lassen sie den Wert einer stabilen Ordnung der internationalen Verhältnisse
Und die Notwendigkeit aufrichtigen Eintretens für die Herrschaft des Rechts
und der Humanität, namentlich in Streitfällen, recht deutlich erkennen. In
der Tat find die größten Fortschritte der humanen Ausgestaltung des inter¬
nationalen Lebens an die großen Umgestaltungen der Verhältnisse jener
Staaten geknüpft, die sowohl in ihrer nationalen Rechtsordnung wie im
Völkerverkehr zur Verwirklichung der Rechtsidee in der Geschichte der Mensch¬
heit hauptsächlich berufen sind. . . > Im Bereich der Koexistenz von Staaten
gleicher Zivilisation treten Interessen in den Vordergrund, die sich auf den
ersten Blick als nationale Interessen darstellen, und deren Pflege auch in der
Tat bislang ausschließlich der internationalen Rechts- und Wohlfahrtspflege
vorbehalten war, bezüglich welcher aber Aufgaben an den Staat herantreten,
die nur in Verbindung mit andern Staaten eine erschöpfende Lösung finden
können." Damit kommt der Verfasser ans die solidarischen Interessen der
Völker an der Lösung der Arbeiterfrage, wohin wir ihm nicht weiter folgen
wollen.

Die brennendste Frage des Augenblicks ist die nach dem Unifang der Rechte
und der Pflichten der Neutralen während eines Kriegs. Luchsängig wachen
die beiden Kriegführenden, daß kein Neutraler seinem Gegner Vorteile zu¬
wendet, die nach den Präzcdcnzfällen und nach übereinstimmender Ansicht der
Völkerrechtslehrer nicht erwiesen werden dürfen. Unsre lieben Feinde im Aus¬
lande, deren wir eine übergroße Menge haben, benutzen alles, was wie ein
Schimmer von Begünstigung eines Kriegführenden aussieht, um uns zu ver¬
unglimpfen und uns Gegner zu erwecken. Und auch in unserm eignen Reichs¬
tage beherrscht die Parteileidenschaft die Menschen so, daß sie die Regierung
bezichtigen, die Gebote der Neutralität nicht streng zu beachten. Während des
südafrikanischen Kriegs gaben fanatische Burenfreunde ihr schuld, zu nach¬
sichtig gegen die Engländer zu sein, und jetzt denunziert das Haupt der
Sozialdemokratie sie, den Russen unerlaubte Vorteile zuzuwenden.

Die Quelle falscher Beurteilung pflegt immer zu sein, daß man die
Pflichten des neutralen Staates mit denen seiner Untertanen ver¬
wechselt. Der neutrale Staat darf gar nichts tun, was die Kriegführung
des einen oder des andern Parks begünstigt. „Dem Neutralen ist untersagt,
Truppen, Kriegsschiffe oder Schiffe zum Zwecke des Truppentransports, oder
Kriegsbedarfsartikel und Kriegsproviant, oder finanzielle Mittel einem Krieg-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0436" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/294055"/>
          <fw type="header" place="top"> Der Arieg und das Völkerrecht</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1966" prev="#ID_1965"> abhängigkeit von fremder Hilfe und Mitwirkung. , . . Die trennenden Gegen¬<lb/>
sätze unter den Völkern mögen von Zeit zu Zeit noch so sehr in den Vorder¬<lb/>
grund treten und die Quelle von Streitfällen bilden, deren Lösung nur mit<lb/>
dem Aufgebot der ganzen Volkskraft herbeigeführt werden kann; es mögen<lb/>
auch wohl Epochen eintreten, in denen die spontane internationale Wirksamkeit<lb/>
der Staaten durch eigenartige politische Strömungen, von denen das innere<lb/>
Staatsleben augenblicklich beherrscht ist, gehemmt wird oder internationale<lb/>
Prätensionen einzelner Nationen den ungestörten Fortgang der natürlichen<lb/>
Entwicklung des Verkehrs selbständiger Staaten gefährden oder stören &#x2014; derlei<lb/>
Erscheinungen des Volkslebens sind doch mir vorübergehend.  In der Regel<lb/>
lassen sie den Wert einer stabilen Ordnung der internationalen Verhältnisse<lb/>
Und die Notwendigkeit aufrichtigen Eintretens für die Herrschaft des Rechts<lb/>
und der Humanität, namentlich in Streitfällen, recht deutlich erkennen. In<lb/>
der Tat find die größten Fortschritte der humanen Ausgestaltung des inter¬<lb/>
nationalen Lebens an die großen Umgestaltungen der Verhältnisse jener<lb/>
Staaten geknüpft, die sowohl in ihrer nationalen Rechtsordnung wie im<lb/>
Völkerverkehr zur Verwirklichung der Rechtsidee in der Geschichte der Mensch¬<lb/>
heit hauptsächlich berufen sind. . . &gt; Im Bereich der Koexistenz von Staaten<lb/>
gleicher Zivilisation treten Interessen in den Vordergrund, die sich auf den<lb/>
ersten Blick als nationale Interessen darstellen, und deren Pflege auch in der<lb/>
Tat bislang ausschließlich der internationalen Rechts- und Wohlfahrtspflege<lb/>
vorbehalten war, bezüglich welcher aber Aufgaben an den Staat herantreten,<lb/>
die nur in Verbindung mit andern Staaten eine erschöpfende Lösung finden<lb/>
können."  Damit kommt der Verfasser ans die solidarischen Interessen der<lb/>
Völker an der Lösung der Arbeiterfrage, wohin wir ihm nicht weiter folgen<lb/>
wollen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1967"> Die brennendste Frage des Augenblicks ist die nach dem Unifang der Rechte<lb/>
und der Pflichten der Neutralen während eines Kriegs. Luchsängig wachen<lb/>
die beiden Kriegführenden, daß kein Neutraler seinem Gegner Vorteile zu¬<lb/>
wendet, die nach den Präzcdcnzfällen und nach übereinstimmender Ansicht der<lb/>
Völkerrechtslehrer nicht erwiesen werden dürfen. Unsre lieben Feinde im Aus¬<lb/>
lande, deren wir eine übergroße Menge haben, benutzen alles, was wie ein<lb/>
Schimmer von Begünstigung eines Kriegführenden aussieht, um uns zu ver¬<lb/>
unglimpfen und uns Gegner zu erwecken. Und auch in unserm eignen Reichs¬<lb/>
tage beherrscht die Parteileidenschaft die Menschen so, daß sie die Regierung<lb/>
bezichtigen, die Gebote der Neutralität nicht streng zu beachten. Während des<lb/>
südafrikanischen Kriegs gaben fanatische Burenfreunde ihr schuld, zu nach¬<lb/>
sichtig gegen die Engländer zu sein, und jetzt denunziert das Haupt der<lb/>
Sozialdemokratie sie, den Russen unerlaubte Vorteile zuzuwenden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1968" next="#ID_1969"> Die Quelle falscher Beurteilung pflegt immer zu sein, daß man die<lb/>
Pflichten des neutralen Staates mit denen seiner Untertanen ver¬<lb/>
wechselt. Der neutrale Staat darf gar nichts tun, was die Kriegführung<lb/>
des einen oder des andern Parks begünstigt. &#x201E;Dem Neutralen ist untersagt,<lb/>
Truppen, Kriegsschiffe oder Schiffe zum Zwecke des Truppentransports, oder<lb/>
Kriegsbedarfsartikel und Kriegsproviant, oder finanzielle Mittel einem Krieg-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0436] Der Arieg und das Völkerrecht abhängigkeit von fremder Hilfe und Mitwirkung. , . . Die trennenden Gegen¬ sätze unter den Völkern mögen von Zeit zu Zeit noch so sehr in den Vorder¬ grund treten und die Quelle von Streitfällen bilden, deren Lösung nur mit dem Aufgebot der ganzen Volkskraft herbeigeführt werden kann; es mögen auch wohl Epochen eintreten, in denen die spontane internationale Wirksamkeit der Staaten durch eigenartige politische Strömungen, von denen das innere Staatsleben augenblicklich beherrscht ist, gehemmt wird oder internationale Prätensionen einzelner Nationen den ungestörten Fortgang der natürlichen Entwicklung des Verkehrs selbständiger Staaten gefährden oder stören — derlei Erscheinungen des Volkslebens sind doch mir vorübergehend. In der Regel lassen sie den Wert einer stabilen Ordnung der internationalen Verhältnisse Und die Notwendigkeit aufrichtigen Eintretens für die Herrschaft des Rechts und der Humanität, namentlich in Streitfällen, recht deutlich erkennen. In der Tat find die größten Fortschritte der humanen Ausgestaltung des inter¬ nationalen Lebens an die großen Umgestaltungen der Verhältnisse jener Staaten geknüpft, die sowohl in ihrer nationalen Rechtsordnung wie im Völkerverkehr zur Verwirklichung der Rechtsidee in der Geschichte der Mensch¬ heit hauptsächlich berufen sind. . . > Im Bereich der Koexistenz von Staaten gleicher Zivilisation treten Interessen in den Vordergrund, die sich auf den ersten Blick als nationale Interessen darstellen, und deren Pflege auch in der Tat bislang ausschließlich der internationalen Rechts- und Wohlfahrtspflege vorbehalten war, bezüglich welcher aber Aufgaben an den Staat herantreten, die nur in Verbindung mit andern Staaten eine erschöpfende Lösung finden können." Damit kommt der Verfasser ans die solidarischen Interessen der Völker an der Lösung der Arbeiterfrage, wohin wir ihm nicht weiter folgen wollen. Die brennendste Frage des Augenblicks ist die nach dem Unifang der Rechte und der Pflichten der Neutralen während eines Kriegs. Luchsängig wachen die beiden Kriegführenden, daß kein Neutraler seinem Gegner Vorteile zu¬ wendet, die nach den Präzcdcnzfällen und nach übereinstimmender Ansicht der Völkerrechtslehrer nicht erwiesen werden dürfen. Unsre lieben Feinde im Aus¬ lande, deren wir eine übergroße Menge haben, benutzen alles, was wie ein Schimmer von Begünstigung eines Kriegführenden aussieht, um uns zu ver¬ unglimpfen und uns Gegner zu erwecken. Und auch in unserm eignen Reichs¬ tage beherrscht die Parteileidenschaft die Menschen so, daß sie die Regierung bezichtigen, die Gebote der Neutralität nicht streng zu beachten. Während des südafrikanischen Kriegs gaben fanatische Burenfreunde ihr schuld, zu nach¬ sichtig gegen die Engländer zu sein, und jetzt denunziert das Haupt der Sozialdemokratie sie, den Russen unerlaubte Vorteile zuzuwenden. Die Quelle falscher Beurteilung pflegt immer zu sein, daß man die Pflichten des neutralen Staates mit denen seiner Untertanen ver¬ wechselt. Der neutrale Staat darf gar nichts tun, was die Kriegführung des einen oder des andern Parks begünstigt. „Dem Neutralen ist untersagt, Truppen, Kriegsschiffe oder Schiffe zum Zwecke des Truppentransports, oder Kriegsbedarfsartikel und Kriegsproviant, oder finanzielle Mittel einem Krieg-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_293618
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_293618/436
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_293618/436>, abgerufen am 25.07.2024.