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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr.

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Erinnerungen

bis dahin nicht gekannt. Er war ein hervorragender Gelehrter von Ruf im Ge¬
biete des Kirchenrechts, stand dogmatisch zwar auf positivem Boden, galt aber kirchen¬
politisch als Projektenmacher, der sich mit weitgehenden Reformplänen für die Ver¬
fassungsformen der evangelischen Kirche trug. Von konservativer Seite wurde er
in der Presse heftig bekämpft und als ein unpraktischer, subjektivistischer, durch und
durch doktrinärer und ungeschichtlich gerichteter, eigensinniger Professor bezeichnet.
Der Minister Falk, der Nnterstantssekretttr Sydow, der Ministerialdirektor Förster
standen zu ihm, und in den erbitterten Kämpfen um die der evangelischen Kirche zu
gebende Verfassung ist ihm von seinen Gegnern, wie ich glaube, manches Unrecht
geschehen. Darauf mag es zurückzuführen sei", daß er der Öffentlichkeit gegenüber
leicht nervös und gereizt erschien, und im Kultusministerium erzählte man sich unter
der Hand, daß er auch bei den Verhandlungen zwischen ihm und dem Minister
zuweilen recht schwierig und nnbeauem werde. Immerhin hat die damals so viel
angefochtene Kirchengemeinde- und Synodalordnnug, die im wesentlichen auf
Herrmann und Falk zurückzuführen ist, sich nachträglich als recht brauchbar und
für die kirchlichen Interessen förderlich erwiesen. Wie dem aber auch sein mag, die
positiven Kreise im Lande perhorreszierten ihn. Persönlich war er ohne Zweifel
ein hochgebildeter und völlig intakter Mann. Obwohl ich bei meiner Begegnung
mit ihm infolge des abfälligen Urteils über ihn, wie es unter meinen Bekannten
gäng und gäbe war, sicher eine gewisse Voreingenommenheit gegen ihn hegte, war
der Eindruck, den er bei den Verhandlungen mit mir auf mich machte, überwiegend
günstig.

Herrmann stich bei mir ans eine entschiedne Abneigung, mein kaum ange-
tretnes. in jeder Beziehung mir zusagendes Amt im Kultusministerium so schnell
wieder zu verlassen. Zwar stellte er mir eine mäßige finanzielle Verbesserung in
Aussicht. Allein dieser Gesichtspunkt machte auf mich keinen Eindruck, weil ich das
zum Leben nach unsern damaligen Verhältnissen und Bedürfnissen Nötige ebenfalls
auch im Kultusministerium hatte. Andrerseits verhehlte ich mir nicht, daß mein
innerstes Lebensinteresse den religiösen und den kirchlichen Fragen mehr zugewandt war,
als denen des höhern Unterrichts und der Mediziunlpolizei. Aber es tat mir wohl,
meine kirchlichen Interessen sozusagen privatim zu pflegen, ohne unmittelbar in die
damals mit Leidenschaft und nicht ohne Gehässigkeit geführten Kämpfe auf kirchlichem
Gebiete verflochten zu fein. Zudem deckten sich meine kirchenpolitischen Ansichten keines¬
wegs mit denen meiner kirchlichen Freunde. Ich war persönlich und dogmatisch ein
überzeugter evangelischer Christ und befand mich auf Grund eingehender Studien in
bewußter Übereinstimmung mit der Bekenntnissubstanz der Symbole. Der einzige
Punkt, in dem ich mich den Bekenntnisschriften gegenüber einigermaßen als Ketzer
fühlte, war die Lehre von der menschlichen Freiheit, an der ich als an der un¬
verrückbaren Grundlage meiner ganzen Welt- und Lebensanschauung und insbesondre
meines sittlichen Bewußtseins festhielt. Ich hatte auch die Überzeugung gewonnen,
daß dieser mein abweichender Standpunkt schriftgemäß sei, und daß auch die meisten
Theologen über diesen heikeln Punkt entweder nicht im klaren waren oder ihn sich
ähnlich zurechtlegten wie ich. Kurz, diese Ketzerei, wenn es eine war, machte mir
keine ernstlichen Skrupel. Aber kirchenpolitisch war ich ein ärgerer Ketzer. Es
würde zu weit führen, dies hier in den Einzelheiten darzulegen. Meine ganze
Stellung zur organisierten Kirche war freier, als die der meisten meiner kirchlichen
Freunde, die meines Erachtens die Bedeutung der organisierten Kirche überschätzten
und dadurch den evangelischen Begriff der Arche überhaupt verschoben und eine
"ach meiner Auffassung menschliche Ordnung (I,umani Mis) mit Attributen und
Funktionen bekleideten, die sie nach den Bekenntnissen nicht zu beanspruchen hatte.
Mir schienen sich daraus Tendenzen zu ergeben, die einerseits die unmittelbar und
frei wirkende Macht der christlichen Wahrheit unterschätzten, andrerseits aber diese
Wahrheit mit allerlei menschlichen Mitteln und Mittelchen zu schützen und zu stützen
suchten, die nach meiner Auffassung unnatürlich und an dieser Stelle ungehörig


Erinnerungen

bis dahin nicht gekannt. Er war ein hervorragender Gelehrter von Ruf im Ge¬
biete des Kirchenrechts, stand dogmatisch zwar auf positivem Boden, galt aber kirchen¬
politisch als Projektenmacher, der sich mit weitgehenden Reformplänen für die Ver¬
fassungsformen der evangelischen Kirche trug. Von konservativer Seite wurde er
in der Presse heftig bekämpft und als ein unpraktischer, subjektivistischer, durch und
durch doktrinärer und ungeschichtlich gerichteter, eigensinniger Professor bezeichnet.
Der Minister Falk, der Nnterstantssekretttr Sydow, der Ministerialdirektor Förster
standen zu ihm, und in den erbitterten Kämpfen um die der evangelischen Kirche zu
gebende Verfassung ist ihm von seinen Gegnern, wie ich glaube, manches Unrecht
geschehen. Darauf mag es zurückzuführen sei», daß er der Öffentlichkeit gegenüber
leicht nervös und gereizt erschien, und im Kultusministerium erzählte man sich unter
der Hand, daß er auch bei den Verhandlungen zwischen ihm und dem Minister
zuweilen recht schwierig und nnbeauem werde. Immerhin hat die damals so viel
angefochtene Kirchengemeinde- und Synodalordnnug, die im wesentlichen auf
Herrmann und Falk zurückzuführen ist, sich nachträglich als recht brauchbar und
für die kirchlichen Interessen förderlich erwiesen. Wie dem aber auch sein mag, die
positiven Kreise im Lande perhorreszierten ihn. Persönlich war er ohne Zweifel
ein hochgebildeter und völlig intakter Mann. Obwohl ich bei meiner Begegnung
mit ihm infolge des abfälligen Urteils über ihn, wie es unter meinen Bekannten
gäng und gäbe war, sicher eine gewisse Voreingenommenheit gegen ihn hegte, war
der Eindruck, den er bei den Verhandlungen mit mir auf mich machte, überwiegend
günstig.

Herrmann stich bei mir ans eine entschiedne Abneigung, mein kaum ange-
tretnes. in jeder Beziehung mir zusagendes Amt im Kultusministerium so schnell
wieder zu verlassen. Zwar stellte er mir eine mäßige finanzielle Verbesserung in
Aussicht. Allein dieser Gesichtspunkt machte auf mich keinen Eindruck, weil ich das
zum Leben nach unsern damaligen Verhältnissen und Bedürfnissen Nötige ebenfalls
auch im Kultusministerium hatte. Andrerseits verhehlte ich mir nicht, daß mein
innerstes Lebensinteresse den religiösen und den kirchlichen Fragen mehr zugewandt war,
als denen des höhern Unterrichts und der Mediziunlpolizei. Aber es tat mir wohl,
meine kirchlichen Interessen sozusagen privatim zu pflegen, ohne unmittelbar in die
damals mit Leidenschaft und nicht ohne Gehässigkeit geführten Kämpfe auf kirchlichem
Gebiete verflochten zu fein. Zudem deckten sich meine kirchenpolitischen Ansichten keines¬
wegs mit denen meiner kirchlichen Freunde. Ich war persönlich und dogmatisch ein
überzeugter evangelischer Christ und befand mich auf Grund eingehender Studien in
bewußter Übereinstimmung mit der Bekenntnissubstanz der Symbole. Der einzige
Punkt, in dem ich mich den Bekenntnisschriften gegenüber einigermaßen als Ketzer
fühlte, war die Lehre von der menschlichen Freiheit, an der ich als an der un¬
verrückbaren Grundlage meiner ganzen Welt- und Lebensanschauung und insbesondre
meines sittlichen Bewußtseins festhielt. Ich hatte auch die Überzeugung gewonnen,
daß dieser mein abweichender Standpunkt schriftgemäß sei, und daß auch die meisten
Theologen über diesen heikeln Punkt entweder nicht im klaren waren oder ihn sich
ähnlich zurechtlegten wie ich. Kurz, diese Ketzerei, wenn es eine war, machte mir
keine ernstlichen Skrupel. Aber kirchenpolitisch war ich ein ärgerer Ketzer. Es
würde zu weit führen, dies hier in den Einzelheiten darzulegen. Meine ganze
Stellung zur organisierten Kirche war freier, als die der meisten meiner kirchlichen
Freunde, die meines Erachtens die Bedeutung der organisierten Kirche überschätzten
und dadurch den evangelischen Begriff der Arche überhaupt verschoben und eine
"ach meiner Auffassung menschliche Ordnung (I,umani Mis) mit Attributen und
Funktionen bekleideten, die sie nach den Bekenntnissen nicht zu beanspruchen hatte.
Mir schienen sich daraus Tendenzen zu ergeben, die einerseits die unmittelbar und
frei wirkende Macht der christlichen Wahrheit unterschätzten, andrerseits aber diese
Wahrheit mit allerlei menschlichen Mitteln und Mittelchen zu schützen und zu stützen
suchten, die nach meiner Auffassung unnatürlich und an dieser Stelle ungehörig


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[0043] Erinnerungen bis dahin nicht gekannt. Er war ein hervorragender Gelehrter von Ruf im Ge¬ biete des Kirchenrechts, stand dogmatisch zwar auf positivem Boden, galt aber kirchen¬ politisch als Projektenmacher, der sich mit weitgehenden Reformplänen für die Ver¬ fassungsformen der evangelischen Kirche trug. Von konservativer Seite wurde er in der Presse heftig bekämpft und als ein unpraktischer, subjektivistischer, durch und durch doktrinärer und ungeschichtlich gerichteter, eigensinniger Professor bezeichnet. Der Minister Falk, der Nnterstantssekretttr Sydow, der Ministerialdirektor Förster standen zu ihm, und in den erbitterten Kämpfen um die der evangelischen Kirche zu gebende Verfassung ist ihm von seinen Gegnern, wie ich glaube, manches Unrecht geschehen. Darauf mag es zurückzuführen sei», daß er der Öffentlichkeit gegenüber leicht nervös und gereizt erschien, und im Kultusministerium erzählte man sich unter der Hand, daß er auch bei den Verhandlungen zwischen ihm und dem Minister zuweilen recht schwierig und nnbeauem werde. Immerhin hat die damals so viel angefochtene Kirchengemeinde- und Synodalordnnug, die im wesentlichen auf Herrmann und Falk zurückzuführen ist, sich nachträglich als recht brauchbar und für die kirchlichen Interessen förderlich erwiesen. Wie dem aber auch sein mag, die positiven Kreise im Lande perhorreszierten ihn. Persönlich war er ohne Zweifel ein hochgebildeter und völlig intakter Mann. Obwohl ich bei meiner Begegnung mit ihm infolge des abfälligen Urteils über ihn, wie es unter meinen Bekannten gäng und gäbe war, sicher eine gewisse Voreingenommenheit gegen ihn hegte, war der Eindruck, den er bei den Verhandlungen mit mir auf mich machte, überwiegend günstig. Herrmann stich bei mir ans eine entschiedne Abneigung, mein kaum ange- tretnes. in jeder Beziehung mir zusagendes Amt im Kultusministerium so schnell wieder zu verlassen. Zwar stellte er mir eine mäßige finanzielle Verbesserung in Aussicht. Allein dieser Gesichtspunkt machte auf mich keinen Eindruck, weil ich das zum Leben nach unsern damaligen Verhältnissen und Bedürfnissen Nötige ebenfalls auch im Kultusministerium hatte. Andrerseits verhehlte ich mir nicht, daß mein innerstes Lebensinteresse den religiösen und den kirchlichen Fragen mehr zugewandt war, als denen des höhern Unterrichts und der Mediziunlpolizei. Aber es tat mir wohl, meine kirchlichen Interessen sozusagen privatim zu pflegen, ohne unmittelbar in die damals mit Leidenschaft und nicht ohne Gehässigkeit geführten Kämpfe auf kirchlichem Gebiete verflochten zu fein. Zudem deckten sich meine kirchenpolitischen Ansichten keines¬ wegs mit denen meiner kirchlichen Freunde. Ich war persönlich und dogmatisch ein überzeugter evangelischer Christ und befand mich auf Grund eingehender Studien in bewußter Übereinstimmung mit der Bekenntnissubstanz der Symbole. Der einzige Punkt, in dem ich mich den Bekenntnisschriften gegenüber einigermaßen als Ketzer fühlte, war die Lehre von der menschlichen Freiheit, an der ich als an der un¬ verrückbaren Grundlage meiner ganzen Welt- und Lebensanschauung und insbesondre meines sittlichen Bewußtseins festhielt. Ich hatte auch die Überzeugung gewonnen, daß dieser mein abweichender Standpunkt schriftgemäß sei, und daß auch die meisten Theologen über diesen heikeln Punkt entweder nicht im klaren waren oder ihn sich ähnlich zurechtlegten wie ich. Kurz, diese Ketzerei, wenn es eine war, machte mir keine ernstlichen Skrupel. Aber kirchenpolitisch war ich ein ärgerer Ketzer. Es würde zu weit führen, dies hier in den Einzelheiten darzulegen. Meine ganze Stellung zur organisierten Kirche war freier, als die der meisten meiner kirchlichen Freunde, die meines Erachtens die Bedeutung der organisierten Kirche überschätzten und dadurch den evangelischen Begriff der Arche überhaupt verschoben und eine "ach meiner Auffassung menschliche Ordnung (I,umani Mis) mit Attributen und Funktionen bekleideten, die sie nach den Bekenntnissen nicht zu beanspruchen hatte. Mir schienen sich daraus Tendenzen zu ergeben, die einerseits die unmittelbar und frei wirkende Macht der christlichen Wahrheit unterschätzten, andrerseits aber diese Wahrheit mit allerlei menschlichen Mitteln und Mittelchen zu schützen und zu stützen suchten, die nach meiner Auffassung unnatürlich und an dieser Stelle ungehörig

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_293618/43>, abgerufen am 05.07.2024.