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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr.

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Erinnerungen

13. November. Der Reporter v. Löbell aus dem Literarischen Bureau
erzählt, daß die Artikel, die in der Kölnischen Zeitung gegen Stosch erschienen sind,
von dem Fürsten Bismarck veranlaßt seien. Dieser ruhe nicht, bis Stosch fort sei.
Man erwarte, daß er abgehn werde, sobald der Kaiser die Regierung wieder über¬
nommen haben werde. Bis Weihnachten werde der Spruch des Kriegsgerichts in
der Untersuchung wegen des Untergangs des "Großen Kurfürsten" gefällt werden.
Die Voruntersuchung soll für Admiral Batsch, Graf Monts und die beiden andern
Offiziere ungünstige Ergebnisse gehabt haben. Bismarck habe Stosch auch zur Rede
gestellt, weil er wegen der Hebung des "Großen Kurfürsten" im Auslande einen
Vertrag abgeschlossen habe, ohne den Reichskanzler (das Auswärtige Amt) zuzuziehn.
Ans allen diesen im Literarischen Bureau bekannten und allgemein geglaubten Vor¬
gängen erhellt ein scharfer Gegensatz, ja eine anscheinend unversöhnliche Feindschaft
zwischen Fürst Bismarck und Stosch; das ist ein unmögliches Verhältnis, das nur
mit dem Abgange von Stosch endigen kann. Aber nach außen wirken diese Dinge
nicht gut. Es ist Tatsache, daß Stosch, der preußischer Minister ohne Portefeuille
ist, nicht zu den Sitzungen des Staatsministeriums eingeladen wird. Das sind doch
unhaltbare Zustände. Wo aber eigentlich die tiefern Wurzeln dieser Feindschaft
liegen, ahnt man nicht. Man sagt wohl: Stosch beugt sich nicht vor Bismarck.
Das wird richtig sein. Aber ein politischer Mann wie Stosch muß doch für die
persönliche und politische Bedeutung des Kanzlers und für die Notwendigkeit der
tatkräftigen Leitung der großen Politik durch Bismarck Verständnis haben. Und
wenn das der Fall ist, müßten sich zwei Männer, denen das Vaterland und der
Kaiser ohne allen Zweifel über jedes persönliche Interesse gehn, doch notdürftig
verständigen können. Stosch ist ja eine eckige, eigentümliche, schroffe Natur, ober
doch eine Kapazität, und wenn er sich so demonstrativ gegen Bismarck stellt, so
muß er entweder tiefer liegende, sittliche Gründe haben, oder sein Verhalten ist
ein kindischer Trotz. Ich komme hier trotz aller Bemühungen, Stosch gerecht zu
werden, der eigentlichen Wahrheit nicht auf den Grund.

19. November. Landtagseröffnung durch Graf Stolberg im Weiße" Saale.
Ich mußte ihm in großer Uniform die Thronrede überreichen und nach der Ver¬
lesung wieder abnehmen, um sie durch das Bureau des Staatsministeriums an das
Geheime Staatsarchiv zu geben, ein untergeordneter Dienst, der aber getan werden
muß. Vorher Eröffnungsgottesdienst im Dom. Die Predigt des Hofprediger Baur
war mir zu polemisch. Durch diese Art von Polemik bekommt unser ganzes kirch¬
liches Christentum das Gepräge einer anspruchsvollen Prätension, die seinem innersten
Wesen fremd ist. In, wenn das alles nicht durch den Mund der Geistlichen ginge!
So aber provoziert man geradezu den Widerspruch. Das alles wirkt bei uns Evan¬
gelischen weit schlimmer als in der katholischen Kirche. Denn wir verwerfen die
priesterliche Vermittlung durchaus. Die Katholiken brauchen die Hierarchie; bei uus
ist jeder hierarchische Anspruch eines Geistlichen lächerlich oder widerwärtig. Merk¬
würdig, daß auch Mäuner wie Baur, einer der lautersten und demütigster Geist¬
lichen, die ich kenne, das nicht lebhafter empfinden. Sie verletzen durch solche Fehler
gerade die selbständigen, individuell ausgeprägten Naturen und schaden der guten
Sache, die sie vertreten. Ein ehrlicher evangelischer Mann müßte das Taktgefühl
dafür, was bei uus auf der Kanzel möglich und unmöglich, nützlich und schädlich
ist, in den Fingerspitzen haben. Aber bei unsern Geistlichen bleibt in diesem Stück
viel zu wünschen übrig. Einen Teil der Schuld mag die durchschnittlich äußerst
mangelhafte Aus- und Vorbildung der evangelischen Theologen tragen. Schon für
ihre wissenschaftliche theologische Bildung siud die sechs Semester auf der Universität
recht dürftig bemessen. Für ihre eigentlich praktische Ausbildung im Dienst der
Kirche geschieht so gut wie nichts. Ein einziges Kolleg über "Praktische Theologie,"
noch dazu dürftig und stiefmütterlich behandelt, kaun der großen Aufgabe nicht
gerecht werden. Die Katholiken greifen diese Dinge viel geschickter an. Sie schicken
die jungen Kleriker, wenn diese mit dem wissenschaftlichen Studium der Theologie


Erinnerungen

13. November. Der Reporter v. Löbell aus dem Literarischen Bureau
erzählt, daß die Artikel, die in der Kölnischen Zeitung gegen Stosch erschienen sind,
von dem Fürsten Bismarck veranlaßt seien. Dieser ruhe nicht, bis Stosch fort sei.
Man erwarte, daß er abgehn werde, sobald der Kaiser die Regierung wieder über¬
nommen haben werde. Bis Weihnachten werde der Spruch des Kriegsgerichts in
der Untersuchung wegen des Untergangs des „Großen Kurfürsten" gefällt werden.
Die Voruntersuchung soll für Admiral Batsch, Graf Monts und die beiden andern
Offiziere ungünstige Ergebnisse gehabt haben. Bismarck habe Stosch auch zur Rede
gestellt, weil er wegen der Hebung des „Großen Kurfürsten" im Auslande einen
Vertrag abgeschlossen habe, ohne den Reichskanzler (das Auswärtige Amt) zuzuziehn.
Ans allen diesen im Literarischen Bureau bekannten und allgemein geglaubten Vor¬
gängen erhellt ein scharfer Gegensatz, ja eine anscheinend unversöhnliche Feindschaft
zwischen Fürst Bismarck und Stosch; das ist ein unmögliches Verhältnis, das nur
mit dem Abgange von Stosch endigen kann. Aber nach außen wirken diese Dinge
nicht gut. Es ist Tatsache, daß Stosch, der preußischer Minister ohne Portefeuille
ist, nicht zu den Sitzungen des Staatsministeriums eingeladen wird. Das sind doch
unhaltbare Zustände. Wo aber eigentlich die tiefern Wurzeln dieser Feindschaft
liegen, ahnt man nicht. Man sagt wohl: Stosch beugt sich nicht vor Bismarck.
Das wird richtig sein. Aber ein politischer Mann wie Stosch muß doch für die
persönliche und politische Bedeutung des Kanzlers und für die Notwendigkeit der
tatkräftigen Leitung der großen Politik durch Bismarck Verständnis haben. Und
wenn das der Fall ist, müßten sich zwei Männer, denen das Vaterland und der
Kaiser ohne allen Zweifel über jedes persönliche Interesse gehn, doch notdürftig
verständigen können. Stosch ist ja eine eckige, eigentümliche, schroffe Natur, ober
doch eine Kapazität, und wenn er sich so demonstrativ gegen Bismarck stellt, so
muß er entweder tiefer liegende, sittliche Gründe haben, oder sein Verhalten ist
ein kindischer Trotz. Ich komme hier trotz aller Bemühungen, Stosch gerecht zu
werden, der eigentlichen Wahrheit nicht auf den Grund.

19. November. Landtagseröffnung durch Graf Stolberg im Weiße» Saale.
Ich mußte ihm in großer Uniform die Thronrede überreichen und nach der Ver¬
lesung wieder abnehmen, um sie durch das Bureau des Staatsministeriums an das
Geheime Staatsarchiv zu geben, ein untergeordneter Dienst, der aber getan werden
muß. Vorher Eröffnungsgottesdienst im Dom. Die Predigt des Hofprediger Baur
war mir zu polemisch. Durch diese Art von Polemik bekommt unser ganzes kirch¬
liches Christentum das Gepräge einer anspruchsvollen Prätension, die seinem innersten
Wesen fremd ist. In, wenn das alles nicht durch den Mund der Geistlichen ginge!
So aber provoziert man geradezu den Widerspruch. Das alles wirkt bei uns Evan¬
gelischen weit schlimmer als in der katholischen Kirche. Denn wir verwerfen die
priesterliche Vermittlung durchaus. Die Katholiken brauchen die Hierarchie; bei uus
ist jeder hierarchische Anspruch eines Geistlichen lächerlich oder widerwärtig. Merk¬
würdig, daß auch Mäuner wie Baur, einer der lautersten und demütigster Geist¬
lichen, die ich kenne, das nicht lebhafter empfinden. Sie verletzen durch solche Fehler
gerade die selbständigen, individuell ausgeprägten Naturen und schaden der guten
Sache, die sie vertreten. Ein ehrlicher evangelischer Mann müßte das Taktgefühl
dafür, was bei uus auf der Kanzel möglich und unmöglich, nützlich und schädlich
ist, in den Fingerspitzen haben. Aber bei unsern Geistlichen bleibt in diesem Stück
viel zu wünschen übrig. Einen Teil der Schuld mag die durchschnittlich äußerst
mangelhafte Aus- und Vorbildung der evangelischen Theologen tragen. Schon für
ihre wissenschaftliche theologische Bildung siud die sechs Semester auf der Universität
recht dürftig bemessen. Für ihre eigentlich praktische Ausbildung im Dienst der
Kirche geschieht so gut wie nichts. Ein einziges Kolleg über „Praktische Theologie,"
noch dazu dürftig und stiefmütterlich behandelt, kaun der großen Aufgabe nicht
gerecht werden. Die Katholiken greifen diese Dinge viel geschickter an. Sie schicken
die jungen Kleriker, wenn diese mit dem wissenschaftlichen Studium der Theologie


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[0408] Erinnerungen 13. November. Der Reporter v. Löbell aus dem Literarischen Bureau erzählt, daß die Artikel, die in der Kölnischen Zeitung gegen Stosch erschienen sind, von dem Fürsten Bismarck veranlaßt seien. Dieser ruhe nicht, bis Stosch fort sei. Man erwarte, daß er abgehn werde, sobald der Kaiser die Regierung wieder über¬ nommen haben werde. Bis Weihnachten werde der Spruch des Kriegsgerichts in der Untersuchung wegen des Untergangs des „Großen Kurfürsten" gefällt werden. Die Voruntersuchung soll für Admiral Batsch, Graf Monts und die beiden andern Offiziere ungünstige Ergebnisse gehabt haben. Bismarck habe Stosch auch zur Rede gestellt, weil er wegen der Hebung des „Großen Kurfürsten" im Auslande einen Vertrag abgeschlossen habe, ohne den Reichskanzler (das Auswärtige Amt) zuzuziehn. Ans allen diesen im Literarischen Bureau bekannten und allgemein geglaubten Vor¬ gängen erhellt ein scharfer Gegensatz, ja eine anscheinend unversöhnliche Feindschaft zwischen Fürst Bismarck und Stosch; das ist ein unmögliches Verhältnis, das nur mit dem Abgange von Stosch endigen kann. Aber nach außen wirken diese Dinge nicht gut. Es ist Tatsache, daß Stosch, der preußischer Minister ohne Portefeuille ist, nicht zu den Sitzungen des Staatsministeriums eingeladen wird. Das sind doch unhaltbare Zustände. Wo aber eigentlich die tiefern Wurzeln dieser Feindschaft liegen, ahnt man nicht. Man sagt wohl: Stosch beugt sich nicht vor Bismarck. Das wird richtig sein. Aber ein politischer Mann wie Stosch muß doch für die persönliche und politische Bedeutung des Kanzlers und für die Notwendigkeit der tatkräftigen Leitung der großen Politik durch Bismarck Verständnis haben. Und wenn das der Fall ist, müßten sich zwei Männer, denen das Vaterland und der Kaiser ohne allen Zweifel über jedes persönliche Interesse gehn, doch notdürftig verständigen können. Stosch ist ja eine eckige, eigentümliche, schroffe Natur, ober doch eine Kapazität, und wenn er sich so demonstrativ gegen Bismarck stellt, so muß er entweder tiefer liegende, sittliche Gründe haben, oder sein Verhalten ist ein kindischer Trotz. Ich komme hier trotz aller Bemühungen, Stosch gerecht zu werden, der eigentlichen Wahrheit nicht auf den Grund. 19. November. Landtagseröffnung durch Graf Stolberg im Weiße» Saale. Ich mußte ihm in großer Uniform die Thronrede überreichen und nach der Ver¬ lesung wieder abnehmen, um sie durch das Bureau des Staatsministeriums an das Geheime Staatsarchiv zu geben, ein untergeordneter Dienst, der aber getan werden muß. Vorher Eröffnungsgottesdienst im Dom. Die Predigt des Hofprediger Baur war mir zu polemisch. Durch diese Art von Polemik bekommt unser ganzes kirch¬ liches Christentum das Gepräge einer anspruchsvollen Prätension, die seinem innersten Wesen fremd ist. In, wenn das alles nicht durch den Mund der Geistlichen ginge! So aber provoziert man geradezu den Widerspruch. Das alles wirkt bei uns Evan¬ gelischen weit schlimmer als in der katholischen Kirche. Denn wir verwerfen die priesterliche Vermittlung durchaus. Die Katholiken brauchen die Hierarchie; bei uus ist jeder hierarchische Anspruch eines Geistlichen lächerlich oder widerwärtig. Merk¬ würdig, daß auch Mäuner wie Baur, einer der lautersten und demütigster Geist¬ lichen, die ich kenne, das nicht lebhafter empfinden. Sie verletzen durch solche Fehler gerade die selbständigen, individuell ausgeprägten Naturen und schaden der guten Sache, die sie vertreten. Ein ehrlicher evangelischer Mann müßte das Taktgefühl dafür, was bei uus auf der Kanzel möglich und unmöglich, nützlich und schädlich ist, in den Fingerspitzen haben. Aber bei unsern Geistlichen bleibt in diesem Stück viel zu wünschen übrig. Einen Teil der Schuld mag die durchschnittlich äußerst mangelhafte Aus- und Vorbildung der evangelischen Theologen tragen. Schon für ihre wissenschaftliche theologische Bildung siud die sechs Semester auf der Universität recht dürftig bemessen. Für ihre eigentlich praktische Ausbildung im Dienst der Kirche geschieht so gut wie nichts. Ein einziges Kolleg über „Praktische Theologie," noch dazu dürftig und stiefmütterlich behandelt, kaun der großen Aufgabe nicht gerecht werden. Die Katholiken greifen diese Dinge viel geschickter an. Sie schicken die jungen Kleriker, wenn diese mit dem wissenschaftlichen Studium der Theologie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_293618/408>, abgerufen am 25.07.2024.