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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr.

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Deutsche Reise eines großen Briten vor ^56 Jahren

gegen sie hat freilich ein wenig nachgelassen, deren Schoßkind ist jetzt Sardinien.
Sie bat den General, ihr nicht so feindlich gesinnt zu sein wie sein Vorgänger,
der General Wentworth. Er antwortete, der König habe ihm Unparteilichkeit zur
Pflicht gemacht, und er sei entschlossen, sie zu wahren, obwohl das Ihrer Majestät
gegenüber nicht leicht sei. Wir wurden auch bei den Erzherzogen und Erz¬
herzoginnen -- schöne" Kindern -- eingeführt und bei der Kaiserinwitwe. Diese
hatte zwei Monate lang keine Gesellschaft gesehen, aber da sie erfuhr, daß Eng¬
länder ihr vorgestellt zu werden wünschten, war sie sofort zum Empfange bereit.
Du mußt wissen, daß man sich hier vor den Majestäten weder verbeugt noch vor
ihnen niederkniee sondern trinkst. Nach einer kurzen Unterhaltung mit der Kaiserin
hatten wir also den ziemlich langen Saal rückwärts und beständig knicksend zu durch¬
schreiten und waren in Gefahr, übereinander auf einen Haufen zu purzeln. Die
Kaiserin bemerkte es und rief: ^.ils?, allsü, UessiMrs, "ans eöremoiüö; veins n'etes
xs,s aoeouwmss ä es mouvömsrit, et Is pi-melisr ost xlissaut. Wir waren der
Kaiserin sehr dankbar für diese Aufmerksamkeit, denn meine Gefährten hatten schreck¬
liche Angst, ich möchte auf sie fallen und sie tot drücken. fHnme war schon in
jungen Jcchreu unförmlich dick und sehr ungeschickt.j

Dieser Hof ist fein, aber nicht lustig, die Gesellschaft ist zugänglich, aber nicht
gesellig (foci-Mo). Als wir dem Kaiserpaar vorgestellt werden sollten, versammelte
uns Sir Thomas Robinson in einer Fensternische. Da kam eine Dame heran und
fragte ihn, ob das seine Küchlein seien, die er da unter seine Flügel versäumte,
und knüpfte eine Unterhaltung mit uns an. Unter anderm fragte sie, ob wir die
Hofdamen kennten, und ob wir ihre Namen zu erfahren wünschten. Wir ant¬
worteten, sie werde uns damit einen großen Gefallen erweisen. "Gut, sagte sie,
so werde ich also mit mir selbst anfangen, ich bin die Gräfin--"; leider habe ich
den Namen vergessen. Solche Ungeniertheit ist uns mehrfach vorgekommen. Von
den Frauen sind viele schön, und wenn du einmal nicht weißt, wessen Gesundheit
du ausbringen sollst, so nenne nur auf meine Verantwortung Fräulein von Starhem-
berg oder die Gräfin Palffy. Die Männer dagegen sind häßlich und ungeschickt.
Wir haben alle die grimmen Helden gesehen, von denen wir so oft in der Zeitung
gelesen hatten: die Liechtenstein, die Esterhazy, die Colloredo.....

Wien, 25. April.

Morgen setzen wir unsre Reise fort, leider nicht über Venedig; doch werden
wir Mailand sehen. Wien ist klein für eine Hauptstadt, aber dicht bevölkert. Die
Häuser siud sehr hoch, die Straßen eng und krumm, sodaß die vielen schönen
Gebäude, die es gibt, nicht zur Geltung kommen. Die offnen Vorstädte sind ge¬
räumig, doch kaun ich nicht glauben, daß die Stadt 200000 Einwohner hat. Die
Einwohnerschaft besteht ausschließlich aus Adel, Lakaien, Soldaten und Priestern.
lHier hat er wohl doch eine englische Brille auf der Nase gehabt. Er spottet im
folgenden über den court cet obastit^, den die Kaiserin unter einer solchen Be¬
völkerung errichtet habe, und meint, sein Bruder werde hoffentlich nicht noch mehr
als bisher über die Steuern brummen, die er zahlen müsse, wenn er erfahre, daß
die Majestät, in deren Kriegsschatz sie fließen, eine so prüde Dame sei.j Man
hatte viel Aufhebens von dem neuen Palast in Schönbrunn gemacht. Dieser ist
ja ein recht schönes Haus, aber weder sehr groß noch reich ausgestattet. Die
Kaiserin sagte gestern Abend zum General, der Ban habe nicht einen einzigen
Soldaten gekostet, wenn man das auch vielleicht in England nicht glaube; aber sie
wolle lieber behaglich wohnen als sich mit unnützen Steinen behängen; sie habe
zur Bestreitung der Baukosten ihre Kronjuwelen verkauft. Ich meine, wenn man
sich so die europäischen Souveräne ansieht, gehört sie nicht zu deu schlechtesten;
man kann nicht umhin, ihr gut zu sein, wenn man deu Geist wahrnimmt, der aus
ihren Blicken, Worten und Handlungen spricht. Wie jammerschade, daß sie so dumme
Minister hat! Der Palast des Prinzen Eugen in einer Vorstadt ist ein kostbares


Grenzboten II 1904 58
Deutsche Reise eines großen Briten vor ^56 Jahren

gegen sie hat freilich ein wenig nachgelassen, deren Schoßkind ist jetzt Sardinien.
Sie bat den General, ihr nicht so feindlich gesinnt zu sein wie sein Vorgänger,
der General Wentworth. Er antwortete, der König habe ihm Unparteilichkeit zur
Pflicht gemacht, und er sei entschlossen, sie zu wahren, obwohl das Ihrer Majestät
gegenüber nicht leicht sei. Wir wurden auch bei den Erzherzogen und Erz¬
herzoginnen — schöne» Kindern — eingeführt und bei der Kaiserinwitwe. Diese
hatte zwei Monate lang keine Gesellschaft gesehen, aber da sie erfuhr, daß Eng¬
länder ihr vorgestellt zu werden wünschten, war sie sofort zum Empfange bereit.
Du mußt wissen, daß man sich hier vor den Majestäten weder verbeugt noch vor
ihnen niederkniee sondern trinkst. Nach einer kurzen Unterhaltung mit der Kaiserin
hatten wir also den ziemlich langen Saal rückwärts und beständig knicksend zu durch¬
schreiten und waren in Gefahr, übereinander auf einen Haufen zu purzeln. Die
Kaiserin bemerkte es und rief: ^.ils?, allsü, UessiMrs, «ans eöremoiüö; veins n'etes
xs,s aoeouwmss ä es mouvömsrit, et Is pi-melisr ost xlissaut. Wir waren der
Kaiserin sehr dankbar für diese Aufmerksamkeit, denn meine Gefährten hatten schreck¬
liche Angst, ich möchte auf sie fallen und sie tot drücken. fHnme war schon in
jungen Jcchreu unförmlich dick und sehr ungeschickt.j

Dieser Hof ist fein, aber nicht lustig, die Gesellschaft ist zugänglich, aber nicht
gesellig (foci-Mo). Als wir dem Kaiserpaar vorgestellt werden sollten, versammelte
uns Sir Thomas Robinson in einer Fensternische. Da kam eine Dame heran und
fragte ihn, ob das seine Küchlein seien, die er da unter seine Flügel versäumte,
und knüpfte eine Unterhaltung mit uns an. Unter anderm fragte sie, ob wir die
Hofdamen kennten, und ob wir ihre Namen zu erfahren wünschten. Wir ant¬
worteten, sie werde uns damit einen großen Gefallen erweisen. „Gut, sagte sie,
so werde ich also mit mir selbst anfangen, ich bin die Gräfin—"; leider habe ich
den Namen vergessen. Solche Ungeniertheit ist uns mehrfach vorgekommen. Von
den Frauen sind viele schön, und wenn du einmal nicht weißt, wessen Gesundheit
du ausbringen sollst, so nenne nur auf meine Verantwortung Fräulein von Starhem-
berg oder die Gräfin Palffy. Die Männer dagegen sind häßlich und ungeschickt.
Wir haben alle die grimmen Helden gesehen, von denen wir so oft in der Zeitung
gelesen hatten: die Liechtenstein, die Esterhazy, die Colloredo.....

Wien, 25. April.

Morgen setzen wir unsre Reise fort, leider nicht über Venedig; doch werden
wir Mailand sehen. Wien ist klein für eine Hauptstadt, aber dicht bevölkert. Die
Häuser siud sehr hoch, die Straßen eng und krumm, sodaß die vielen schönen
Gebäude, die es gibt, nicht zur Geltung kommen. Die offnen Vorstädte sind ge¬
räumig, doch kaun ich nicht glauben, daß die Stadt 200000 Einwohner hat. Die
Einwohnerschaft besteht ausschließlich aus Adel, Lakaien, Soldaten und Priestern.
lHier hat er wohl doch eine englische Brille auf der Nase gehabt. Er spottet im
folgenden über den court cet obastit^, den die Kaiserin unter einer solchen Be¬
völkerung errichtet habe, und meint, sein Bruder werde hoffentlich nicht noch mehr
als bisher über die Steuern brummen, die er zahlen müsse, wenn er erfahre, daß
die Majestät, in deren Kriegsschatz sie fließen, eine so prüde Dame sei.j Man
hatte viel Aufhebens von dem neuen Palast in Schönbrunn gemacht. Dieser ist
ja ein recht schönes Haus, aber weder sehr groß noch reich ausgestattet. Die
Kaiserin sagte gestern Abend zum General, der Ban habe nicht einen einzigen
Soldaten gekostet, wenn man das auch vielleicht in England nicht glaube; aber sie
wolle lieber behaglich wohnen als sich mit unnützen Steinen behängen; sie habe
zur Bestreitung der Baukosten ihre Kronjuwelen verkauft. Ich meine, wenn man
sich so die europäischen Souveräne ansieht, gehört sie nicht zu deu schlechtesten;
man kann nicht umhin, ihr gut zu sein, wenn man deu Geist wahrnimmt, der aus
ihren Blicken, Worten und Handlungen spricht. Wie jammerschade, daß sie so dumme
Minister hat! Der Palast des Prinzen Eugen in einer Vorstadt ist ein kostbares


Grenzboten II 1904 58
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[0405] Deutsche Reise eines großen Briten vor ^56 Jahren gegen sie hat freilich ein wenig nachgelassen, deren Schoßkind ist jetzt Sardinien. Sie bat den General, ihr nicht so feindlich gesinnt zu sein wie sein Vorgänger, der General Wentworth. Er antwortete, der König habe ihm Unparteilichkeit zur Pflicht gemacht, und er sei entschlossen, sie zu wahren, obwohl das Ihrer Majestät gegenüber nicht leicht sei. Wir wurden auch bei den Erzherzogen und Erz¬ herzoginnen — schöne» Kindern — eingeführt und bei der Kaiserinwitwe. Diese hatte zwei Monate lang keine Gesellschaft gesehen, aber da sie erfuhr, daß Eng¬ länder ihr vorgestellt zu werden wünschten, war sie sofort zum Empfange bereit. Du mußt wissen, daß man sich hier vor den Majestäten weder verbeugt noch vor ihnen niederkniee sondern trinkst. Nach einer kurzen Unterhaltung mit der Kaiserin hatten wir also den ziemlich langen Saal rückwärts und beständig knicksend zu durch¬ schreiten und waren in Gefahr, übereinander auf einen Haufen zu purzeln. Die Kaiserin bemerkte es und rief: ^.ils?, allsü, UessiMrs, «ans eöremoiüö; veins n'etes xs,s aoeouwmss ä es mouvömsrit, et Is pi-melisr ost xlissaut. Wir waren der Kaiserin sehr dankbar für diese Aufmerksamkeit, denn meine Gefährten hatten schreck¬ liche Angst, ich möchte auf sie fallen und sie tot drücken. fHnme war schon in jungen Jcchreu unförmlich dick und sehr ungeschickt.j Dieser Hof ist fein, aber nicht lustig, die Gesellschaft ist zugänglich, aber nicht gesellig (foci-Mo). Als wir dem Kaiserpaar vorgestellt werden sollten, versammelte uns Sir Thomas Robinson in einer Fensternische. Da kam eine Dame heran und fragte ihn, ob das seine Küchlein seien, die er da unter seine Flügel versäumte, und knüpfte eine Unterhaltung mit uns an. Unter anderm fragte sie, ob wir die Hofdamen kennten, und ob wir ihre Namen zu erfahren wünschten. Wir ant¬ worteten, sie werde uns damit einen großen Gefallen erweisen. „Gut, sagte sie, so werde ich also mit mir selbst anfangen, ich bin die Gräfin—"; leider habe ich den Namen vergessen. Solche Ungeniertheit ist uns mehrfach vorgekommen. Von den Frauen sind viele schön, und wenn du einmal nicht weißt, wessen Gesundheit du ausbringen sollst, so nenne nur auf meine Verantwortung Fräulein von Starhem- berg oder die Gräfin Palffy. Die Männer dagegen sind häßlich und ungeschickt. Wir haben alle die grimmen Helden gesehen, von denen wir so oft in der Zeitung gelesen hatten: die Liechtenstein, die Esterhazy, die Colloredo..... Wien, 25. April. Morgen setzen wir unsre Reise fort, leider nicht über Venedig; doch werden wir Mailand sehen. Wien ist klein für eine Hauptstadt, aber dicht bevölkert. Die Häuser siud sehr hoch, die Straßen eng und krumm, sodaß die vielen schönen Gebäude, die es gibt, nicht zur Geltung kommen. Die offnen Vorstädte sind ge¬ räumig, doch kaun ich nicht glauben, daß die Stadt 200000 Einwohner hat. Die Einwohnerschaft besteht ausschließlich aus Adel, Lakaien, Soldaten und Priestern. lHier hat er wohl doch eine englische Brille auf der Nase gehabt. Er spottet im folgenden über den court cet obastit^, den die Kaiserin unter einer solchen Be¬ völkerung errichtet habe, und meint, sein Bruder werde hoffentlich nicht noch mehr als bisher über die Steuern brummen, die er zahlen müsse, wenn er erfahre, daß die Majestät, in deren Kriegsschatz sie fließen, eine so prüde Dame sei.j Man hatte viel Aufhebens von dem neuen Palast in Schönbrunn gemacht. Dieser ist ja ein recht schönes Haus, aber weder sehr groß noch reich ausgestattet. Die Kaiserin sagte gestern Abend zum General, der Ban habe nicht einen einzigen Soldaten gekostet, wenn man das auch vielleicht in England nicht glaube; aber sie wolle lieber behaglich wohnen als sich mit unnützen Steinen behängen; sie habe zur Bestreitung der Baukosten ihre Kronjuwelen verkauft. Ich meine, wenn man sich so die europäischen Souveräne ansieht, gehört sie nicht zu deu schlechtesten; man kann nicht umhin, ihr gut zu sein, wenn man deu Geist wahrnimmt, der aus ihren Blicken, Worten und Handlungen spricht. Wie jammerschade, daß sie so dumme Minister hat! Der Palast des Prinzen Eugen in einer Vorstadt ist ein kostbares Grenzboten II 1904 58

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_293618/405>, abgerufen am 25.07.2024.