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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr.

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Reinhold Uosers "Friedrich der Große"

Glaubt mir, wenn ich Voltaire wär,
Ein Menschenkind, wie andre mehr,
Sah ich, mit kargen Los zufrieden,
Vom flüchtigen Glück mich gern geschieden. . .
Doch andrer Stand hat andre Pflicht, , .
Voltaire in seiner stillen Klause,
Im Land, wo alte Treue noch zuhause,
Mag friedsam um den Ruhm des Weisen werben.
Nach Platos Muster und Gebot,
Ich aber, dem der Schiffbruch droht,
Muß mutig, trotzend den, Verderben,
Als König denken, leben, sterben.

Ja "sterben"! Ein Gedanke, der Friedrich in den verzweifeltsten Lagen
mit einem gewissen Trost erfüllte, war, daß er Schande nicht zu überleben
brauche, daß er die Tragödie enden könne, wann er wolle. Er war bereit,
wenn alles verloren ging, den Tod in der Schlacht zu suchen, und wenn er
ihn dort nicht finden könne, sich selbst das Leben zu nehmen. Er trug dazu
Gift bei sich. Fast wäre es 1759 zur Ausführung gekommen. Als damals
die Schlacht bei Kunersdorf mit so furchtbaren Verlusten für ihn endete, setzte
er sein Leben aufs äußerste aufs Spiel. Zwei Pferde wurden ihm unter dein
Leibe erschossen. Eine Flintenkugel, die ihm Hütte den Tod bringen müssen,
prallte an einem goldnen Etui in seiner Tasche ab. "Kann mich denn keine
verwünschte Kugel treffen?" rief er aus; und nach der Schlacht schrieb er dem
Minister Finkenstein: "Es ist ein grausamer Schlag, ich werde ihn nicht über¬
leben. ... Ich glaube alles verloren. Ich werde den Untergang meines Vater¬
landes nicht überleben. Adieu für immer." Der König hat sich aber auch in
dieser verzweifelten Lage wieder aufgerichtet, seine Kampfesmüdigkeit und Todes¬
sehnsucht wieder durch sein Pflichtgefühl überwunden zu weiteren Ausharren.
Der alte Kabinettssekretär Eichel, der die Seelenkämpfe des Königs miterlebt
hat, schreibt einmal bewundernd von der Festigkeit, zu der sich der König immer
wieder durchrang, sie sei "fast übernatürlich, und ohne Schmeichelei gesagt, eben
nur ihm selbst ähnlich und eigen."

Eine gewisse Beruhigung gab dem König in solchen Stunden der Gedanke,
daß der Ausgang aller jener Nöte schon festgestellt sei -- ob von einem per¬
sönlichen Gott oder dem blinden Geschick, das erschien ihm dabei zweifelhaft --,
aber doch festgestellt sei. Das verleitet ihn aber nicht zu passivem Zusehen,
sondern im Gegenteil, es treibt ihn dazu, alles zu tun, damit ihn kein Vor¬
wurf treffe.

Die seelischen Aufregungen und Kämpfe, verbunden mit den körperlichen
Strapazen des Krieges, mußten natürlich den König stark mitnehmen. Aus
dem Kriege ging er als Greis hervor, als der "alte Fritz"; darum hat er denn
sein Heldentum selbst als Martyrium beklagt. Und noch eine andre böse Folge
hatte diese harte Zeit, wie Koser ohne Beschönigung hervorhebt. Friedrichs
Sinn wurde verhärtet, sein Wesen schroffer, fast despotisch, Menschenverachtung
bemächtigte sich seiner; er, der an sich die höchsten Anforderungen stellte, ver¬
langte sie auch rücksichtslos von andern, und mehr: er forderte auch von ihm


Reinhold Uosers „Friedrich der Große"

Glaubt mir, wenn ich Voltaire wär,
Ein Menschenkind, wie andre mehr,
Sah ich, mit kargen Los zufrieden,
Vom flüchtigen Glück mich gern geschieden. . .
Doch andrer Stand hat andre Pflicht, , .
Voltaire in seiner stillen Klause,
Im Land, wo alte Treue noch zuhause,
Mag friedsam um den Ruhm des Weisen werben.
Nach Platos Muster und Gebot,
Ich aber, dem der Schiffbruch droht,
Muß mutig, trotzend den, Verderben,
Als König denken, leben, sterben.

Ja „sterben"! Ein Gedanke, der Friedrich in den verzweifeltsten Lagen
mit einem gewissen Trost erfüllte, war, daß er Schande nicht zu überleben
brauche, daß er die Tragödie enden könne, wann er wolle. Er war bereit,
wenn alles verloren ging, den Tod in der Schlacht zu suchen, und wenn er
ihn dort nicht finden könne, sich selbst das Leben zu nehmen. Er trug dazu
Gift bei sich. Fast wäre es 1759 zur Ausführung gekommen. Als damals
die Schlacht bei Kunersdorf mit so furchtbaren Verlusten für ihn endete, setzte
er sein Leben aufs äußerste aufs Spiel. Zwei Pferde wurden ihm unter dein
Leibe erschossen. Eine Flintenkugel, die ihm Hütte den Tod bringen müssen,
prallte an einem goldnen Etui in seiner Tasche ab. „Kann mich denn keine
verwünschte Kugel treffen?" rief er aus; und nach der Schlacht schrieb er dem
Minister Finkenstein: „Es ist ein grausamer Schlag, ich werde ihn nicht über¬
leben. ... Ich glaube alles verloren. Ich werde den Untergang meines Vater¬
landes nicht überleben. Adieu für immer." Der König hat sich aber auch in
dieser verzweifelten Lage wieder aufgerichtet, seine Kampfesmüdigkeit und Todes¬
sehnsucht wieder durch sein Pflichtgefühl überwunden zu weiteren Ausharren.
Der alte Kabinettssekretär Eichel, der die Seelenkämpfe des Königs miterlebt
hat, schreibt einmal bewundernd von der Festigkeit, zu der sich der König immer
wieder durchrang, sie sei „fast übernatürlich, und ohne Schmeichelei gesagt, eben
nur ihm selbst ähnlich und eigen."

Eine gewisse Beruhigung gab dem König in solchen Stunden der Gedanke,
daß der Ausgang aller jener Nöte schon festgestellt sei — ob von einem per¬
sönlichen Gott oder dem blinden Geschick, das erschien ihm dabei zweifelhaft —,
aber doch festgestellt sei. Das verleitet ihn aber nicht zu passivem Zusehen,
sondern im Gegenteil, es treibt ihn dazu, alles zu tun, damit ihn kein Vor¬
wurf treffe.

Die seelischen Aufregungen und Kämpfe, verbunden mit den körperlichen
Strapazen des Krieges, mußten natürlich den König stark mitnehmen. Aus
dem Kriege ging er als Greis hervor, als der „alte Fritz"; darum hat er denn
sein Heldentum selbst als Martyrium beklagt. Und noch eine andre böse Folge
hatte diese harte Zeit, wie Koser ohne Beschönigung hervorhebt. Friedrichs
Sinn wurde verhärtet, sein Wesen schroffer, fast despotisch, Menschenverachtung
bemächtigte sich seiner; er, der an sich die höchsten Anforderungen stellte, ver¬
langte sie auch rücksichtslos von andern, und mehr: er forderte auch von ihm


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[0393] Reinhold Uosers „Friedrich der Große" Glaubt mir, wenn ich Voltaire wär, Ein Menschenkind, wie andre mehr, Sah ich, mit kargen Los zufrieden, Vom flüchtigen Glück mich gern geschieden. . . Doch andrer Stand hat andre Pflicht, , . Voltaire in seiner stillen Klause, Im Land, wo alte Treue noch zuhause, Mag friedsam um den Ruhm des Weisen werben. Nach Platos Muster und Gebot, Ich aber, dem der Schiffbruch droht, Muß mutig, trotzend den, Verderben, Als König denken, leben, sterben. Ja „sterben"! Ein Gedanke, der Friedrich in den verzweifeltsten Lagen mit einem gewissen Trost erfüllte, war, daß er Schande nicht zu überleben brauche, daß er die Tragödie enden könne, wann er wolle. Er war bereit, wenn alles verloren ging, den Tod in der Schlacht zu suchen, und wenn er ihn dort nicht finden könne, sich selbst das Leben zu nehmen. Er trug dazu Gift bei sich. Fast wäre es 1759 zur Ausführung gekommen. Als damals die Schlacht bei Kunersdorf mit so furchtbaren Verlusten für ihn endete, setzte er sein Leben aufs äußerste aufs Spiel. Zwei Pferde wurden ihm unter dein Leibe erschossen. Eine Flintenkugel, die ihm Hütte den Tod bringen müssen, prallte an einem goldnen Etui in seiner Tasche ab. „Kann mich denn keine verwünschte Kugel treffen?" rief er aus; und nach der Schlacht schrieb er dem Minister Finkenstein: „Es ist ein grausamer Schlag, ich werde ihn nicht über¬ leben. ... Ich glaube alles verloren. Ich werde den Untergang meines Vater¬ landes nicht überleben. Adieu für immer." Der König hat sich aber auch in dieser verzweifelten Lage wieder aufgerichtet, seine Kampfesmüdigkeit und Todes¬ sehnsucht wieder durch sein Pflichtgefühl überwunden zu weiteren Ausharren. Der alte Kabinettssekretär Eichel, der die Seelenkämpfe des Königs miterlebt hat, schreibt einmal bewundernd von der Festigkeit, zu der sich der König immer wieder durchrang, sie sei „fast übernatürlich, und ohne Schmeichelei gesagt, eben nur ihm selbst ähnlich und eigen." Eine gewisse Beruhigung gab dem König in solchen Stunden der Gedanke, daß der Ausgang aller jener Nöte schon festgestellt sei — ob von einem per¬ sönlichen Gott oder dem blinden Geschick, das erschien ihm dabei zweifelhaft —, aber doch festgestellt sei. Das verleitet ihn aber nicht zu passivem Zusehen, sondern im Gegenteil, es treibt ihn dazu, alles zu tun, damit ihn kein Vor¬ wurf treffe. Die seelischen Aufregungen und Kämpfe, verbunden mit den körperlichen Strapazen des Krieges, mußten natürlich den König stark mitnehmen. Aus dem Kriege ging er als Greis hervor, als der „alte Fritz"; darum hat er denn sein Heldentum selbst als Martyrium beklagt. Und noch eine andre böse Folge hatte diese harte Zeit, wie Koser ohne Beschönigung hervorhebt. Friedrichs Sinn wurde verhärtet, sein Wesen schroffer, fast despotisch, Menschenverachtung bemächtigte sich seiner; er, der an sich die höchsten Anforderungen stellte, ver¬ langte sie auch rücksichtslos von andern, und mehr: er forderte auch von ihm

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_293618/393>, abgerufen am 25.07.2024.