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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr.

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Uindersparkasse

jetzige Gesetzesvorlage bietet zu solcher Hilfe die Hand, wenn sie auch gerade
hierfür das nicht ersetzen kann, was der Mittellandkanal in Aussicht ge¬
stellt hatte.




Kindersparkasse
Anna Uedinck von

obald auf einen augenblicklichen Notstand der arbeitenden Be¬
völkerung die Rede kommt, kann man sich darauf verlassen, daß
von irgend einer Seite die Bemerkung füllt: Was ist da zu
machen? Die Leute haben eben kein Sparen gelernt! Diese
Redensart scheint uns aber wenig angebracht; denn woher sollen
die Leute sparen gelernt haben, wenn niemand da war, der es sie lehrte?
Der ehrenwerte Arbeiter ist mit dem Bewußtsein groß geworden, mit dem
Bewußtsein in die Ehe getreten, daß der Mann für den Unterhalt der Familie
auszukommen habe. Diese Pflicht sucht er nach Möglichkeit zu erfüllen. Bei
knappen Verdienst gibt es vielleicht gesalznes, schmales, trocknes Brot Und
sonst Butter und gar Aufschnitt dazu. Gewiß, es Ware sehr brav und sehr
vernünftig von ihm, wenn er in den fetten Jahren vorsorglich an die vielleicht
wiederkehrenden magern Zeiten dächte, aber -- er ist eben keine Hamsternatur.
Lehr- und Moralpredigt wird ihn auch nur selten dazu machen; und tönt das
Mcihuwvrt gar zu aufdringlich oder von dort her, wo man an den vollen
Tafeln des Lebens sitzt, so mag die Erwiderung störrisch genug lauten: Unsereins
kann keine Kapitalien sammeln! oder: Eine Mark macht den Kohl nicht fett!

Die Ansicht, daß der wirtschaftliche oder der Sparsinn von Jugend auf
geweckt und gefördert werden müsse, stößt nirgends mehr auf Widerspruch.
Man hat, um diesen Zweck zu erreichen, bekanntlich an manchen Orten Schul¬
sparkassen ins Leben gerufen und auf deren Einfluß große Erwartungen gesetzt.
Gegen die Schulsparkassen aber machen sich gerade aus dem Kreise der Lehrer
manche Bedenken geltend. Die Lehrer seien am Schluß der Schulstunden zu
angestrengt und zu übermüdet, als daß sie mit der nötigen Frische und Freudig¬
keit eines Amtes walten könnten, bei den: sie mit dem freien Willen des kleinen
Volkes rechnen müßten. Die Kinder kommen, solange der Reiz der Neuheit
vorhält. Sie wollen Anregung und Veränderung haben, die ihnen natürlich
in andern Räumen, durch ferner stehende Personen mit andern Umgangsformen
weit mehr und nachhaltiger gegeben wird als in der allbekannten Schulstube
durch den Lehrer oder die Lehrerin, deren Wort ihnen immer im Ohr tönt.

Es kann ja sein, daß die Urteile in dieser Beziehung voneinander ab¬
weichen. Immerhin aber glauben wir, daß eine jetzt seit beinahe neun Jahren
bestehende Kindersparkasse schon deshalb, weil sie sich wesentlich von den vor¬
genannten unterscheidet, eine Besprechung rechtfertigen dürste.

Es war im Jahre 1895, als der verdiente und allverehrte Diözesanpräses


Uindersparkasse

jetzige Gesetzesvorlage bietet zu solcher Hilfe die Hand, wenn sie auch gerade
hierfür das nicht ersetzen kann, was der Mittellandkanal in Aussicht ge¬
stellt hatte.




Kindersparkasse
Anna Uedinck von

obald auf einen augenblicklichen Notstand der arbeitenden Be¬
völkerung die Rede kommt, kann man sich darauf verlassen, daß
von irgend einer Seite die Bemerkung füllt: Was ist da zu
machen? Die Leute haben eben kein Sparen gelernt! Diese
Redensart scheint uns aber wenig angebracht; denn woher sollen
die Leute sparen gelernt haben, wenn niemand da war, der es sie lehrte?
Der ehrenwerte Arbeiter ist mit dem Bewußtsein groß geworden, mit dem
Bewußtsein in die Ehe getreten, daß der Mann für den Unterhalt der Familie
auszukommen habe. Diese Pflicht sucht er nach Möglichkeit zu erfüllen. Bei
knappen Verdienst gibt es vielleicht gesalznes, schmales, trocknes Brot Und
sonst Butter und gar Aufschnitt dazu. Gewiß, es Ware sehr brav und sehr
vernünftig von ihm, wenn er in den fetten Jahren vorsorglich an die vielleicht
wiederkehrenden magern Zeiten dächte, aber — er ist eben keine Hamsternatur.
Lehr- und Moralpredigt wird ihn auch nur selten dazu machen; und tönt das
Mcihuwvrt gar zu aufdringlich oder von dort her, wo man an den vollen
Tafeln des Lebens sitzt, so mag die Erwiderung störrisch genug lauten: Unsereins
kann keine Kapitalien sammeln! oder: Eine Mark macht den Kohl nicht fett!

Die Ansicht, daß der wirtschaftliche oder der Sparsinn von Jugend auf
geweckt und gefördert werden müsse, stößt nirgends mehr auf Widerspruch.
Man hat, um diesen Zweck zu erreichen, bekanntlich an manchen Orten Schul¬
sparkassen ins Leben gerufen und auf deren Einfluß große Erwartungen gesetzt.
Gegen die Schulsparkassen aber machen sich gerade aus dem Kreise der Lehrer
manche Bedenken geltend. Die Lehrer seien am Schluß der Schulstunden zu
angestrengt und zu übermüdet, als daß sie mit der nötigen Frische und Freudig¬
keit eines Amtes walten könnten, bei den: sie mit dem freien Willen des kleinen
Volkes rechnen müßten. Die Kinder kommen, solange der Reiz der Neuheit
vorhält. Sie wollen Anregung und Veränderung haben, die ihnen natürlich
in andern Räumen, durch ferner stehende Personen mit andern Umgangsformen
weit mehr und nachhaltiger gegeben wird als in der allbekannten Schulstube
durch den Lehrer oder die Lehrerin, deren Wort ihnen immer im Ohr tönt.

Es kann ja sein, daß die Urteile in dieser Beziehung voneinander ab¬
weichen. Immerhin aber glauben wir, daß eine jetzt seit beinahe neun Jahren
bestehende Kindersparkasse schon deshalb, weil sie sich wesentlich von den vor¬
genannten unterscheidet, eine Besprechung rechtfertigen dürste.

Es war im Jahre 1895, als der verdiente und allverehrte Diözesanpräses


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_293618/383>, abgerufen am 13.11.2024.