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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Die Reichstagssitznng vom 3. Mai gibt sodann noch zu einer andern Be¬
trachtung Anlaß, die das entgegengesetzte Lager berührt. Der Abgeordnete
Gothein motivierte die Stellungnahme seiner Partei in der Frage der Zuschu߬
anleihe wie folgt: "Meine politischen Freunde werden für den Kommissionsbeschluß
stimmen aus dem einfachen Grunde, weil wir uns sagen, die Reichsverfassung
ist dazu da, ausgeführt zu werden, und nicht dazu, in den Schrank ge¬
stellt zu werden, wenn innen einmal etwas nicht ganz paßt." So der
stenographische Bericht. Aber wenn es sich um freisinnige Postulate wie z. B.
Diäten für den Reichstag handelt, dann ist der Artikel 32 nicht dazu da, aus¬
geführt zu werden, sondern dann kommt er in den Schrank, richtiger: in den
Papierkorb! Freisinnige Logik!

Auch aus der Sitzung vom 7. Mai müssen einige interessante Einzelheiten
verzeichnet werden. Der Abgeordnete Sattler brachte urplötzlich den "Reichsfinanz¬
minister" in die Debatte. Herr Sattler hält sich für den politischen Erben
Bcnnigsens und demgemäß auch für den noch nicht vorhandnen Posten des Reichs¬
finanzministers prädestiniert. Aber weder dürften die deutschen Fürsten zu einer
solchen Abänderung der Verfassung geneigt sein, noch ist der "Verantwortliche
Reichsfinanzminister" neben dem Reichskanzler überhaupt denkbar. Der Reichs-
fiuanzminister würde ein Reichsministerium zur unabweisbaren Voraussetzung haben,
nur innerhalb eines solchen könnte sein Platz sein. Ein verständiger Reichs¬
tag, der die Regelung des Reichsfinanzwesens nicht von Parteiinteressen abhängig
macht, ist uns aber tausendmal notwendiger als ein Reichsfinanzminister, der ohne
einen solchen Reichstag auch nichts ausrichten könnte. Mit einem solchen genügt
der Schatzsekretär durchaus. Bemerkenswert erscheint, daß der Abgeordnete Groeber
im Namen des Zentrums den Reichsfinanzminister nur im Einheitsstaat für mög¬
lich erklärte, was nicht ganz richtig ist, denn er würde auch nach der Reichsver¬
fassung von 1849, nicht aber nach der von 1871 möglich sein, und als darob der
Abgeordnete Sattler den Rückzug antrat, fuhr Herr Singer sein grobes Geschütz
auf. es sei doch hoffentlich noch nicht verboten, im Reichstage zentralistische An¬
schauungen zu vertreten. Herr Sattler würde also die Stimmen der Sozial¬
"z^ demokraten für den künftigen Reichsfinanzminister sofort haben.




Huttrachten während der letzten hundert Jahre.

Wir feiern in unsrer
Zeit so viele Jubiläen und haben doch ein Jubiläum zu feiern vergessen. Das ist
das Jubiläum des Zylinderhutes. Schon im vorigen Jahre, 1903, waren
hundert Jahre verflossen, seit diese Kopfbedeckung, wie man auf Seite 221 der
Memoiren der Baronesse Cecile de Courtot lesen kann, von dem Hutmacher Thierry
in Paris erfunden wurde. Die Baronesse Courtot vergleicht diesen neuen Hut mit
einem Schornstein und erzählt, Hutmacher Thierry habe gewettet, er wolle das
verrückteste, das man sich denken könne, an Hüten erfinden und dennoch in die
Mode bringen. Die Memoiren der Baronesse Courtot, die 1898 erschienen, sind
zwar in ihrer Echtheit vielfach angezweifelt worden; aber es liegt kein Grund vor,
an der Echtheit der Jahresangabe über die Erfindung des Zylinderhutes zu zweifeln.
Und der Erfinder dieses "Ungetüms," wie die Baronesse den Zylinderhut bezeichnet,
hat Recht behalten. Er kam in die Mode und ist auch heute noch in der Mode.
Heute noch hört man scherzweise den schönen Vers: "Schön ist ein Zylinderhut,
wenn man ihn besitzen tut." Bei allen feierlichen Gelegenheiten geht es ohne
Zylinderhut nicht ab. Allerdings hat sich seine Gestalt im Lause der Zeit öfters
verändert. Bald ist er nach oben etwas spitz geworden, dann wieder oben breiter
als unten, dann wieder genan zylinderförmig usw. Auch Breite und Schwingung
des Randes haben gewechselt, aber die röhrenförmige Gestalt ist im ganzen ge¬
blieben, und da er, der Feierlichkeit des Aktes wegen, von Examinanden getragen
werden muß, so führt er auch deu Namen "Angströhre." Die Fortschritte unsrer
Mechanik haben es dahin gebracht, daß man den Zylinderhut zum Zusammenklappen


Maßgebliches und Unmaßgebliches

Die Reichstagssitznng vom 3. Mai gibt sodann noch zu einer andern Be¬
trachtung Anlaß, die das entgegengesetzte Lager berührt. Der Abgeordnete
Gothein motivierte die Stellungnahme seiner Partei in der Frage der Zuschu߬
anleihe wie folgt: „Meine politischen Freunde werden für den Kommissionsbeschluß
stimmen aus dem einfachen Grunde, weil wir uns sagen, die Reichsverfassung
ist dazu da, ausgeführt zu werden, und nicht dazu, in den Schrank ge¬
stellt zu werden, wenn innen einmal etwas nicht ganz paßt." So der
stenographische Bericht. Aber wenn es sich um freisinnige Postulate wie z. B.
Diäten für den Reichstag handelt, dann ist der Artikel 32 nicht dazu da, aus¬
geführt zu werden, sondern dann kommt er in den Schrank, richtiger: in den
Papierkorb! Freisinnige Logik!

Auch aus der Sitzung vom 7. Mai müssen einige interessante Einzelheiten
verzeichnet werden. Der Abgeordnete Sattler brachte urplötzlich den „Reichsfinanz¬
minister" in die Debatte. Herr Sattler hält sich für den politischen Erben
Bcnnigsens und demgemäß auch für den noch nicht vorhandnen Posten des Reichs¬
finanzministers prädestiniert. Aber weder dürften die deutschen Fürsten zu einer
solchen Abänderung der Verfassung geneigt sein, noch ist der „Verantwortliche
Reichsfinanzminister" neben dem Reichskanzler überhaupt denkbar. Der Reichs-
fiuanzminister würde ein Reichsministerium zur unabweisbaren Voraussetzung haben,
nur innerhalb eines solchen könnte sein Platz sein. Ein verständiger Reichs¬
tag, der die Regelung des Reichsfinanzwesens nicht von Parteiinteressen abhängig
macht, ist uns aber tausendmal notwendiger als ein Reichsfinanzminister, der ohne
einen solchen Reichstag auch nichts ausrichten könnte. Mit einem solchen genügt
der Schatzsekretär durchaus. Bemerkenswert erscheint, daß der Abgeordnete Groeber
im Namen des Zentrums den Reichsfinanzminister nur im Einheitsstaat für mög¬
lich erklärte, was nicht ganz richtig ist, denn er würde auch nach der Reichsver¬
fassung von 1849, nicht aber nach der von 1871 möglich sein, und als darob der
Abgeordnete Sattler den Rückzug antrat, fuhr Herr Singer sein grobes Geschütz
auf. es sei doch hoffentlich noch nicht verboten, im Reichstage zentralistische An¬
schauungen zu vertreten. Herr Sattler würde also die Stimmen der Sozial¬
»z^ demokraten für den künftigen Reichsfinanzminister sofort haben.




Huttrachten während der letzten hundert Jahre.

Wir feiern in unsrer
Zeit so viele Jubiläen und haben doch ein Jubiläum zu feiern vergessen. Das ist
das Jubiläum des Zylinderhutes. Schon im vorigen Jahre, 1903, waren
hundert Jahre verflossen, seit diese Kopfbedeckung, wie man auf Seite 221 der
Memoiren der Baronesse Cecile de Courtot lesen kann, von dem Hutmacher Thierry
in Paris erfunden wurde. Die Baronesse Courtot vergleicht diesen neuen Hut mit
einem Schornstein und erzählt, Hutmacher Thierry habe gewettet, er wolle das
verrückteste, das man sich denken könne, an Hüten erfinden und dennoch in die
Mode bringen. Die Memoiren der Baronesse Courtot, die 1898 erschienen, sind
zwar in ihrer Echtheit vielfach angezweifelt worden; aber es liegt kein Grund vor,
an der Echtheit der Jahresangabe über die Erfindung des Zylinderhutes zu zweifeln.
Und der Erfinder dieses „Ungetüms," wie die Baronesse den Zylinderhut bezeichnet,
hat Recht behalten. Er kam in die Mode und ist auch heute noch in der Mode.
Heute noch hört man scherzweise den schönen Vers: „Schön ist ein Zylinderhut,
wenn man ihn besitzen tut." Bei allen feierlichen Gelegenheiten geht es ohne
Zylinderhut nicht ab. Allerdings hat sich seine Gestalt im Lause der Zeit öfters
verändert. Bald ist er nach oben etwas spitz geworden, dann wieder oben breiter
als unten, dann wieder genan zylinderförmig usw. Auch Breite und Schwingung
des Randes haben gewechselt, aber die röhrenförmige Gestalt ist im ganzen ge¬
blieben, und da er, der Feierlichkeit des Aktes wegen, von Examinanden getragen
werden muß, so führt er auch deu Namen „Angströhre." Die Fortschritte unsrer
Mechanik haben es dahin gebracht, daß man den Zylinderhut zum Zusammenklappen


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[0371] Maßgebliches und Unmaßgebliches Die Reichstagssitznng vom 3. Mai gibt sodann noch zu einer andern Be¬ trachtung Anlaß, die das entgegengesetzte Lager berührt. Der Abgeordnete Gothein motivierte die Stellungnahme seiner Partei in der Frage der Zuschu߬ anleihe wie folgt: „Meine politischen Freunde werden für den Kommissionsbeschluß stimmen aus dem einfachen Grunde, weil wir uns sagen, die Reichsverfassung ist dazu da, ausgeführt zu werden, und nicht dazu, in den Schrank ge¬ stellt zu werden, wenn innen einmal etwas nicht ganz paßt." So der stenographische Bericht. Aber wenn es sich um freisinnige Postulate wie z. B. Diäten für den Reichstag handelt, dann ist der Artikel 32 nicht dazu da, aus¬ geführt zu werden, sondern dann kommt er in den Schrank, richtiger: in den Papierkorb! Freisinnige Logik! Auch aus der Sitzung vom 7. Mai müssen einige interessante Einzelheiten verzeichnet werden. Der Abgeordnete Sattler brachte urplötzlich den „Reichsfinanz¬ minister" in die Debatte. Herr Sattler hält sich für den politischen Erben Bcnnigsens und demgemäß auch für den noch nicht vorhandnen Posten des Reichs¬ finanzministers prädestiniert. Aber weder dürften die deutschen Fürsten zu einer solchen Abänderung der Verfassung geneigt sein, noch ist der „Verantwortliche Reichsfinanzminister" neben dem Reichskanzler überhaupt denkbar. Der Reichs- fiuanzminister würde ein Reichsministerium zur unabweisbaren Voraussetzung haben, nur innerhalb eines solchen könnte sein Platz sein. Ein verständiger Reichs¬ tag, der die Regelung des Reichsfinanzwesens nicht von Parteiinteressen abhängig macht, ist uns aber tausendmal notwendiger als ein Reichsfinanzminister, der ohne einen solchen Reichstag auch nichts ausrichten könnte. Mit einem solchen genügt der Schatzsekretär durchaus. Bemerkenswert erscheint, daß der Abgeordnete Groeber im Namen des Zentrums den Reichsfinanzminister nur im Einheitsstaat für mög¬ lich erklärte, was nicht ganz richtig ist, denn er würde auch nach der Reichsver¬ fassung von 1849, nicht aber nach der von 1871 möglich sein, und als darob der Abgeordnete Sattler den Rückzug antrat, fuhr Herr Singer sein grobes Geschütz auf. es sei doch hoffentlich noch nicht verboten, im Reichstage zentralistische An¬ schauungen zu vertreten. Herr Sattler würde also die Stimmen der Sozial¬ »z^ demokraten für den künftigen Reichsfinanzminister sofort haben. Huttrachten während der letzten hundert Jahre. Wir feiern in unsrer Zeit so viele Jubiläen und haben doch ein Jubiläum zu feiern vergessen. Das ist das Jubiläum des Zylinderhutes. Schon im vorigen Jahre, 1903, waren hundert Jahre verflossen, seit diese Kopfbedeckung, wie man auf Seite 221 der Memoiren der Baronesse Cecile de Courtot lesen kann, von dem Hutmacher Thierry in Paris erfunden wurde. Die Baronesse Courtot vergleicht diesen neuen Hut mit einem Schornstein und erzählt, Hutmacher Thierry habe gewettet, er wolle das verrückteste, das man sich denken könne, an Hüten erfinden und dennoch in die Mode bringen. Die Memoiren der Baronesse Courtot, die 1898 erschienen, sind zwar in ihrer Echtheit vielfach angezweifelt worden; aber es liegt kein Grund vor, an der Echtheit der Jahresangabe über die Erfindung des Zylinderhutes zu zweifeln. Und der Erfinder dieses „Ungetüms," wie die Baronesse den Zylinderhut bezeichnet, hat Recht behalten. Er kam in die Mode und ist auch heute noch in der Mode. Heute noch hört man scherzweise den schönen Vers: „Schön ist ein Zylinderhut, wenn man ihn besitzen tut." Bei allen feierlichen Gelegenheiten geht es ohne Zylinderhut nicht ab. Allerdings hat sich seine Gestalt im Lause der Zeit öfters verändert. Bald ist er nach oben etwas spitz geworden, dann wieder oben breiter als unten, dann wieder genan zylinderförmig usw. Auch Breite und Schwingung des Randes haben gewechselt, aber die röhrenförmige Gestalt ist im ganzen ge¬ blieben, und da er, der Feierlichkeit des Aktes wegen, von Examinanden getragen werden muß, so führt er auch deu Namen „Angströhre." Die Fortschritte unsrer Mechanik haben es dahin gebracht, daß man den Zylinderhut zum Zusammenklappen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_293618/371>, abgerufen am 13.11.2024.