,. Im Frühjahr 1876 hatte mich mein Chef, der Oberpräsident Graf Botho zu Eulenburg, ohne daß ich es wußte, für die Stelle eines Vortragenden Rats im Staatsministerium vorgeschlagen. Zu dieser Stelle war aber von dem Fürsten Bismarck schon der Landrat Tiedemann berufen. Dann hatte mich der Ober- Präsident gefragt, ob ich bereit sei, eine Oberregierungsratsstelle, insbesondre auch die bei der ersten Abteilung der Negierung in Düsseldorf, anzunehmen. Ich sagte ihm, daß ich überall hingehn würde, wohin ich berufen werden würde. Das ent¬ sprach auch ganz meiner Lebensauffassung. Ich hatte eine förmliche Scheu davor, mir irgend eine Lebensstellung selbst auszusuchen und mir den Weg dazu -- sei es auch mit ganz unaustvßigen Mitteln -- selbst zurecht zu machen. Ich sah in der bisherigen Führung meines Lebens überall die freundlichen, unverdient glücklichen Fügungen Gottes, der mir ein über Bitten und Verstehn günstiges Los zugeteilt hatte. Die Stelle in dem Kirchenliede von Bogatzky
Ich will mich nicht mehr selber führen, Der Vater soll das Kind regieren --
War der Kanon, der als unverbrüchliche Lebensregel immer wieder durch mein Gemüt tönte. Das entsprach der wesentlich religiösen Stimmung, die dnrch meine bisherigen Lebensführungen in mir entstanden war. Überdies war meine Natur¬ anlage von Haus aus ziemlich leichtlebig und optimistisch. Genug, ich hatte mich unbedenklich bereit erklärt, als Oberregierungsrat, falls ich dazu ernannt würde, nach Düsseldorf zu gehn. Hinterher freilich kamen mir doch einige Bedenken. Ich erkundigte mich nachträglich in unverfänglicher Weise genauer nach den Düsseldorfer Verhältnissen. Da erfuhr ich, daß das Leben in Düsseldorf zwar sehr gesellig, geistig und künstlerisch angeregt, aber auch sehr teuer sei, viel teurer als in Hannover. Namentlich wurde über die kolossal hohe Kommunalsteuer in Düsseldorf geklagt. Sie sollte 500 bis 600 Prozent der staatlichen Einkommensteuer be¬ tragen. Da die Ernennung zum Oberregierungsrnt keine Erhöhung im Gehalt mit sich brachte, die Oberregierungsräte vielmehr das ihnen nach ihrem Dienst¬ alter zustehende Regierungsrntsgehalt und daneben nur eine Fuuktionszulage von 300 Talern bezogen, so ließ sich leicht berechnen, daß allein das in Düsseldorf zu zahlende Mehr an Kommunalfteuern diese Funktionszulage ganz oder zum größten Teile verschlingen würde. Ich mußte mir sagen, daß die Stellung als Dirigent einer Negierungsabteilnng auch bei der bescheidensten Lebenshaltung ein gewisses Maß von gesellschaftlichen Aufwand unvermeidlich machen, und daß es unmöglich sein würde, in dieser Beziehung uns noch mehr einzuschränken, als es in Hannover
Lrinnermigen
,. Im Frühjahr 1876 hatte mich mein Chef, der Oberpräsident Graf Botho zu Eulenburg, ohne daß ich es wußte, für die Stelle eines Vortragenden Rats im Staatsministerium vorgeschlagen. Zu dieser Stelle war aber von dem Fürsten Bismarck schon der Landrat Tiedemann berufen. Dann hatte mich der Ober- Präsident gefragt, ob ich bereit sei, eine Oberregierungsratsstelle, insbesondre auch die bei der ersten Abteilung der Negierung in Düsseldorf, anzunehmen. Ich sagte ihm, daß ich überall hingehn würde, wohin ich berufen werden würde. Das ent¬ sprach auch ganz meiner Lebensauffassung. Ich hatte eine förmliche Scheu davor, mir irgend eine Lebensstellung selbst auszusuchen und mir den Weg dazu — sei es auch mit ganz unaustvßigen Mitteln — selbst zurecht zu machen. Ich sah in der bisherigen Führung meines Lebens überall die freundlichen, unverdient glücklichen Fügungen Gottes, der mir ein über Bitten und Verstehn günstiges Los zugeteilt hatte. Die Stelle in dem Kirchenliede von Bogatzky
Ich will mich nicht mehr selber führen, Der Vater soll das Kind regieren —
War der Kanon, der als unverbrüchliche Lebensregel immer wieder durch mein Gemüt tönte. Das entsprach der wesentlich religiösen Stimmung, die dnrch meine bisherigen Lebensführungen in mir entstanden war. Überdies war meine Natur¬ anlage von Haus aus ziemlich leichtlebig und optimistisch. Genug, ich hatte mich unbedenklich bereit erklärt, als Oberregierungsrat, falls ich dazu ernannt würde, nach Düsseldorf zu gehn. Hinterher freilich kamen mir doch einige Bedenken. Ich erkundigte mich nachträglich in unverfänglicher Weise genauer nach den Düsseldorfer Verhältnissen. Da erfuhr ich, daß das Leben in Düsseldorf zwar sehr gesellig, geistig und künstlerisch angeregt, aber auch sehr teuer sei, viel teurer als in Hannover. Namentlich wurde über die kolossal hohe Kommunalsteuer in Düsseldorf geklagt. Sie sollte 500 bis 600 Prozent der staatlichen Einkommensteuer be¬ tragen. Da die Ernennung zum Oberregierungsrnt keine Erhöhung im Gehalt mit sich brachte, die Oberregierungsräte vielmehr das ihnen nach ihrem Dienst¬ alter zustehende Regierungsrntsgehalt und daneben nur eine Fuuktionszulage von 300 Talern bezogen, so ließ sich leicht berechnen, daß allein das in Düsseldorf zu zahlende Mehr an Kommunalfteuern diese Funktionszulage ganz oder zum größten Teile verschlingen würde. Ich mußte mir sagen, daß die Stellung als Dirigent einer Negierungsabteilnng auch bei der bescheidensten Lebenshaltung ein gewisses Maß von gesellschaftlichen Aufwand unvermeidlich machen, und daß es unmöglich sein würde, in dieser Beziehung uns noch mehr einzuschränken, als es in Hannover
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Lrinnermigen
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Im Frühjahr 1876 hatte mich mein Chef, der Oberpräsident Graf Botho zu
Eulenburg, ohne daß ich es wußte, für die Stelle eines Vortragenden Rats im
Staatsministerium vorgeschlagen. Zu dieser Stelle war aber von dem Fürsten
Bismarck schon der Landrat Tiedemann berufen. Dann hatte mich der Ober-
Präsident gefragt, ob ich bereit sei, eine Oberregierungsratsstelle, insbesondre auch
die bei der ersten Abteilung der Negierung in Düsseldorf, anzunehmen. Ich sagte
ihm, daß ich überall hingehn würde, wohin ich berufen werden würde. Das ent¬
sprach auch ganz meiner Lebensauffassung. Ich hatte eine förmliche Scheu davor,
mir irgend eine Lebensstellung selbst auszusuchen und mir den Weg dazu — sei
es auch mit ganz unaustvßigen Mitteln — selbst zurecht zu machen. Ich sah in
der bisherigen Führung meines Lebens überall die freundlichen, unverdient
glücklichen Fügungen Gottes, der mir ein über Bitten und Verstehn günstiges Los
zugeteilt hatte. Die Stelle in dem Kirchenliede von Bogatzky
Ich will mich nicht mehr selber führen,
Der Vater soll das Kind regieren —
War der Kanon, der als unverbrüchliche Lebensregel immer wieder durch mein
Gemüt tönte. Das entsprach der wesentlich religiösen Stimmung, die dnrch meine
bisherigen Lebensführungen in mir entstanden war. Überdies war meine Natur¬
anlage von Haus aus ziemlich leichtlebig und optimistisch. Genug, ich hatte mich
unbedenklich bereit erklärt, als Oberregierungsrat, falls ich dazu ernannt würde,
nach Düsseldorf zu gehn. Hinterher freilich kamen mir doch einige Bedenken. Ich
erkundigte mich nachträglich in unverfänglicher Weise genauer nach den Düsseldorfer
Verhältnissen. Da erfuhr ich, daß das Leben in Düsseldorf zwar sehr gesellig,
geistig und künstlerisch angeregt, aber auch sehr teuer sei, viel teurer als in
Hannover. Namentlich wurde über die kolossal hohe Kommunalsteuer in Düsseldorf
geklagt. Sie sollte 500 bis 600 Prozent der staatlichen Einkommensteuer be¬
tragen. Da die Ernennung zum Oberregierungsrnt keine Erhöhung im Gehalt
mit sich brachte, die Oberregierungsräte vielmehr das ihnen nach ihrem Dienst¬
alter zustehende Regierungsrntsgehalt und daneben nur eine Fuuktionszulage von
300 Talern bezogen, so ließ sich leicht berechnen, daß allein das in Düsseldorf zu
zahlende Mehr an Kommunalfteuern diese Funktionszulage ganz oder zum größten
Teile verschlingen würde. Ich mußte mir sagen, daß die Stellung als Dirigent
einer Negierungsabteilnng auch bei der bescheidensten Lebenshaltung ein gewisses
Maß von gesellschaftlichen Aufwand unvermeidlich machen, und daß es unmöglich
sein würde, in dieser Beziehung uns noch mehr einzuschränken, als es in Hannover
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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_293618/37>, abgerufen am 05.02.2025.
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