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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr.

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Der Mönch von ZVeinfelden

Dafür beherbergte tels Dorf jetzt einen andern Gast, der sich Hans Störzner
von Trippstadt nannte und unter dem Vorwande, in der Nachbarschaft Pferde
kaufen zu wollen, seit etlichen Wochen in einer Kammer bei Theis Knep wohnte.
Der Roßhandel schien sich immer wieder zu zerschlagen, denn der Fremde kehrte,
wenn er sich einmal aus dem Dorfe entfernt hatte, was selten genug geschah, jedes¬
mal unverrichteter Sache zurück. Es war ein hochgewachsener Mann mit finsterm
Antlitz und straffem schwarzem Haar. Er mochte etwa vierzig Jahre alt sein und
würde, wenn seine groben Züge nicht den Bauern verraten hatten, eher einem
Junker als einem Roßkamm geglichen haben. Denn er trug eine Schande von
feinem Tuch, rings am Saume und Iltispelz besetzt, dazu eine seltsam zerschlitzte
Hose, wie man sie in Weinfelder zuvor noch nie gesehen hatte.

Herr Gyllis betrachtete den Mann mit Argwohn und wurde darin durch den
alten Niklas bestärkt, der ihm erzählte, der Fremde pflege allabendlich etliche der
Hofesleute in Theisens Hause zu versammeln und mit Wein zu bewirten, woraus
zu schließen sei, daß er entweder ein gutes Geschäft gemacht habe oder zu machen
gedenke. Der Burgherr, dem das Treiben immer verdächtiger wurde, beschloß, sich
Klarheit zu verschaffen, und sandte eines Abends den Vogt mit einem Auftrage zu
Theis. Niklas wurde von dem polnlierenden Kollegium kühl empfangen und erst
auf seine Frage, ob die Bauern so vornehme Herren geworden seien, daß sie mit
einem herrschaftlichen Knechte nichts mehr zu schaffen haben möchten, zum Bleiben
und Trinken eingeladen. Zugleich bemerkte der Fremde, wer Knecht sei, der sei es
durch eigne Schuld, und es stehe in jedes Menschen freiem Willen, die Knechtschaft
von sich zu werfen und selber ein Herr zu sein. Er wollte noch weiter reden, aber
Theis und ein paar der andern gaben ihm durch Zeichen zu verstehn, daß dem
Alten gegenüber Vorsicht am Platze sei. Da begann dann die Unterhaltung zu
stocken. Der Fremde schwieg, und seine Kumpane besprachen gleichgiltige Dinge.

Ans dem wenigen, was der Vogt dem Burgherrn berichten konnte, erkannte
dieser das wahre Wesen Hans Störzners und den Zweck seines Aufenthalts im
Dorfe. Es war einer der Apostel der Bauernbefreiung, wie sie damals das Land
durchzogen und die Saat der Empörung auszustreuen versuchten. Herr Gyllis über¬
legte, ob es geraten sei, deu unruhigen Gast aus Weinfelder auszuweisen, aber er
kam zu der Überzeugung, daß es einer solchen Maßregel nicht bedürfe. Denn er
war sich keiner ungebührlichen und unchristlichen Bedrückung seiner Leute bewußt,
hatte sich vielmehr vom ersten Tage seiner Herrschaft an der größten Milde be¬
fleißigt und glaubte auf die alterprobte Anhänglichkeit seiner Bauern, die sich bisher
allen Neuerungen abgeneigt gezeigt hatten, vertrauen zu können. Ja, er versprach
sich von der Anwesenheit des Fremden sogar einen heilsamen Einfluß, weil ihm
bekannt geworden war, daß die Bewegung hauptsächlich der Ausbreitung des reinen
Evangeliums galt und sich zunächst gegen die mächtigen geistlichen Herren, die ge¬
meinsamen Feinde des Landvolks und des Adels, richtete.

Aber er sollte bald genug eines Bessern belehrt werden. Hans Störzner
mochte gemerkt haben, daß bei den Weinfeldern mit Lamentieren über die römische
Schalkheit des Ablaßhandels, über die Wandlung bei der Messe als eine pfäffische
Erfindung und über den Dienst der Heiligen nichts auszurichten sei, und daß sie
vom Erzbischof als dem heimlichen Feinde ihres Herrn ohnehin nicht viel hielten,
und er beschränkte sich deshalb darauf, feinen Zuhörern die Dinge ins rechte Licht
zu rücken, die ihrem Verständnis am nächsten lagen: ihre Abhängigkeit von der
Willkür eines Herrn, ihre Verpflichtung zu Abgaben und Fromm und das vor¬
gebliche Recht ihres Bedrückers, Wildbahn und Wasser für sich allein in Anspruch
zu nehmen. Obgleich auch diese Lehren anfangs keinen besondern Eindruck machten,
so erreichte er durch ihre unermüdliche Wiederholung endlich doch, daß die Wein¬
felder ihren elenden und gar erbärmlichen Zustand zu fühlen und seinen Rat¬
schlägen, sich ihres Jammers zu entledigen, Gehör zu schenken begannen.

Herr Gyllis erkannte den Umschwung ihrer Gesinnung an der lässigen Art,


Der Mönch von ZVeinfelden

Dafür beherbergte tels Dorf jetzt einen andern Gast, der sich Hans Störzner
von Trippstadt nannte und unter dem Vorwande, in der Nachbarschaft Pferde
kaufen zu wollen, seit etlichen Wochen in einer Kammer bei Theis Knep wohnte.
Der Roßhandel schien sich immer wieder zu zerschlagen, denn der Fremde kehrte,
wenn er sich einmal aus dem Dorfe entfernt hatte, was selten genug geschah, jedes¬
mal unverrichteter Sache zurück. Es war ein hochgewachsener Mann mit finsterm
Antlitz und straffem schwarzem Haar. Er mochte etwa vierzig Jahre alt sein und
würde, wenn seine groben Züge nicht den Bauern verraten hatten, eher einem
Junker als einem Roßkamm geglichen haben. Denn er trug eine Schande von
feinem Tuch, rings am Saume und Iltispelz besetzt, dazu eine seltsam zerschlitzte
Hose, wie man sie in Weinfelder zuvor noch nie gesehen hatte.

Herr Gyllis betrachtete den Mann mit Argwohn und wurde darin durch den
alten Niklas bestärkt, der ihm erzählte, der Fremde pflege allabendlich etliche der
Hofesleute in Theisens Hause zu versammeln und mit Wein zu bewirten, woraus
zu schließen sei, daß er entweder ein gutes Geschäft gemacht habe oder zu machen
gedenke. Der Burgherr, dem das Treiben immer verdächtiger wurde, beschloß, sich
Klarheit zu verschaffen, und sandte eines Abends den Vogt mit einem Auftrage zu
Theis. Niklas wurde von dem polnlierenden Kollegium kühl empfangen und erst
auf seine Frage, ob die Bauern so vornehme Herren geworden seien, daß sie mit
einem herrschaftlichen Knechte nichts mehr zu schaffen haben möchten, zum Bleiben
und Trinken eingeladen. Zugleich bemerkte der Fremde, wer Knecht sei, der sei es
durch eigne Schuld, und es stehe in jedes Menschen freiem Willen, die Knechtschaft
von sich zu werfen und selber ein Herr zu sein. Er wollte noch weiter reden, aber
Theis und ein paar der andern gaben ihm durch Zeichen zu verstehn, daß dem
Alten gegenüber Vorsicht am Platze sei. Da begann dann die Unterhaltung zu
stocken. Der Fremde schwieg, und seine Kumpane besprachen gleichgiltige Dinge.

Ans dem wenigen, was der Vogt dem Burgherrn berichten konnte, erkannte
dieser das wahre Wesen Hans Störzners und den Zweck seines Aufenthalts im
Dorfe. Es war einer der Apostel der Bauernbefreiung, wie sie damals das Land
durchzogen und die Saat der Empörung auszustreuen versuchten. Herr Gyllis über¬
legte, ob es geraten sei, deu unruhigen Gast aus Weinfelder auszuweisen, aber er
kam zu der Überzeugung, daß es einer solchen Maßregel nicht bedürfe. Denn er
war sich keiner ungebührlichen und unchristlichen Bedrückung seiner Leute bewußt,
hatte sich vielmehr vom ersten Tage seiner Herrschaft an der größten Milde be¬
fleißigt und glaubte auf die alterprobte Anhänglichkeit seiner Bauern, die sich bisher
allen Neuerungen abgeneigt gezeigt hatten, vertrauen zu können. Ja, er versprach
sich von der Anwesenheit des Fremden sogar einen heilsamen Einfluß, weil ihm
bekannt geworden war, daß die Bewegung hauptsächlich der Ausbreitung des reinen
Evangeliums galt und sich zunächst gegen die mächtigen geistlichen Herren, die ge¬
meinsamen Feinde des Landvolks und des Adels, richtete.

Aber er sollte bald genug eines Bessern belehrt werden. Hans Störzner
mochte gemerkt haben, daß bei den Weinfeldern mit Lamentieren über die römische
Schalkheit des Ablaßhandels, über die Wandlung bei der Messe als eine pfäffische
Erfindung und über den Dienst der Heiligen nichts auszurichten sei, und daß sie
vom Erzbischof als dem heimlichen Feinde ihres Herrn ohnehin nicht viel hielten,
und er beschränkte sich deshalb darauf, feinen Zuhörern die Dinge ins rechte Licht
zu rücken, die ihrem Verständnis am nächsten lagen: ihre Abhängigkeit von der
Willkür eines Herrn, ihre Verpflichtung zu Abgaben und Fromm und das vor¬
gebliche Recht ihres Bedrückers, Wildbahn und Wasser für sich allein in Anspruch
zu nehmen. Obgleich auch diese Lehren anfangs keinen besondern Eindruck machten,
so erreichte er durch ihre unermüdliche Wiederholung endlich doch, daß die Wein¬
felder ihren elenden und gar erbärmlichen Zustand zu fühlen und seinen Rat¬
schlägen, sich ihres Jammers zu entledigen, Gehör zu schenken begannen.

Herr Gyllis erkannte den Umschwung ihrer Gesinnung an der lässigen Art,


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[0360] Der Mönch von ZVeinfelden Dafür beherbergte tels Dorf jetzt einen andern Gast, der sich Hans Störzner von Trippstadt nannte und unter dem Vorwande, in der Nachbarschaft Pferde kaufen zu wollen, seit etlichen Wochen in einer Kammer bei Theis Knep wohnte. Der Roßhandel schien sich immer wieder zu zerschlagen, denn der Fremde kehrte, wenn er sich einmal aus dem Dorfe entfernt hatte, was selten genug geschah, jedes¬ mal unverrichteter Sache zurück. Es war ein hochgewachsener Mann mit finsterm Antlitz und straffem schwarzem Haar. Er mochte etwa vierzig Jahre alt sein und würde, wenn seine groben Züge nicht den Bauern verraten hatten, eher einem Junker als einem Roßkamm geglichen haben. Denn er trug eine Schande von feinem Tuch, rings am Saume und Iltispelz besetzt, dazu eine seltsam zerschlitzte Hose, wie man sie in Weinfelder zuvor noch nie gesehen hatte. Herr Gyllis betrachtete den Mann mit Argwohn und wurde darin durch den alten Niklas bestärkt, der ihm erzählte, der Fremde pflege allabendlich etliche der Hofesleute in Theisens Hause zu versammeln und mit Wein zu bewirten, woraus zu schließen sei, daß er entweder ein gutes Geschäft gemacht habe oder zu machen gedenke. Der Burgherr, dem das Treiben immer verdächtiger wurde, beschloß, sich Klarheit zu verschaffen, und sandte eines Abends den Vogt mit einem Auftrage zu Theis. Niklas wurde von dem polnlierenden Kollegium kühl empfangen und erst auf seine Frage, ob die Bauern so vornehme Herren geworden seien, daß sie mit einem herrschaftlichen Knechte nichts mehr zu schaffen haben möchten, zum Bleiben und Trinken eingeladen. Zugleich bemerkte der Fremde, wer Knecht sei, der sei es durch eigne Schuld, und es stehe in jedes Menschen freiem Willen, die Knechtschaft von sich zu werfen und selber ein Herr zu sein. Er wollte noch weiter reden, aber Theis und ein paar der andern gaben ihm durch Zeichen zu verstehn, daß dem Alten gegenüber Vorsicht am Platze sei. Da begann dann die Unterhaltung zu stocken. Der Fremde schwieg, und seine Kumpane besprachen gleichgiltige Dinge. Ans dem wenigen, was der Vogt dem Burgherrn berichten konnte, erkannte dieser das wahre Wesen Hans Störzners und den Zweck seines Aufenthalts im Dorfe. Es war einer der Apostel der Bauernbefreiung, wie sie damals das Land durchzogen und die Saat der Empörung auszustreuen versuchten. Herr Gyllis über¬ legte, ob es geraten sei, deu unruhigen Gast aus Weinfelder auszuweisen, aber er kam zu der Überzeugung, daß es einer solchen Maßregel nicht bedürfe. Denn er war sich keiner ungebührlichen und unchristlichen Bedrückung seiner Leute bewußt, hatte sich vielmehr vom ersten Tage seiner Herrschaft an der größten Milde be¬ fleißigt und glaubte auf die alterprobte Anhänglichkeit seiner Bauern, die sich bisher allen Neuerungen abgeneigt gezeigt hatten, vertrauen zu können. Ja, er versprach sich von der Anwesenheit des Fremden sogar einen heilsamen Einfluß, weil ihm bekannt geworden war, daß die Bewegung hauptsächlich der Ausbreitung des reinen Evangeliums galt und sich zunächst gegen die mächtigen geistlichen Herren, die ge¬ meinsamen Feinde des Landvolks und des Adels, richtete. Aber er sollte bald genug eines Bessern belehrt werden. Hans Störzner mochte gemerkt haben, daß bei den Weinfeldern mit Lamentieren über die römische Schalkheit des Ablaßhandels, über die Wandlung bei der Messe als eine pfäffische Erfindung und über den Dienst der Heiligen nichts auszurichten sei, und daß sie vom Erzbischof als dem heimlichen Feinde ihres Herrn ohnehin nicht viel hielten, und er beschränkte sich deshalb darauf, feinen Zuhörern die Dinge ins rechte Licht zu rücken, die ihrem Verständnis am nächsten lagen: ihre Abhängigkeit von der Willkür eines Herrn, ihre Verpflichtung zu Abgaben und Fromm und das vor¬ gebliche Recht ihres Bedrückers, Wildbahn und Wasser für sich allein in Anspruch zu nehmen. Obgleich auch diese Lehren anfangs keinen besondern Eindruck machten, so erreichte er durch ihre unermüdliche Wiederholung endlich doch, daß die Wein¬ felder ihren elenden und gar erbärmlichen Zustand zu fühlen und seinen Rat¬ schlägen, sich ihres Jammers zu entledigen, Gehör zu schenken begannen. Herr Gyllis erkannte den Umschwung ihrer Gesinnung an der lässigen Art,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_293618/360>, abgerufen am 25.07.2024.