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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr.

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Gine Trojafahrt

Rheinländer romanischer Herkunft nicht verleugnen. Wenn so Dichter der ver¬
schiedensten Art hier und dort immer wieder Heimatklünge gaben, warum dann
ein neues "Schlagwort," gut genug, unfruchtbares Schaffen mit einem freund¬
lichen Mantel zu decken? Und darum freue ich mich, wenn sich wieder einmal
zeigt, daß nicht von einer Seite her das Heil kommt, sondern daß, wie in
Deutschland immer, die Freiheit des Einzelnen, die Individualität über Rich¬
tungen und Schlagbäume hinwegträgt. Wir wollen uns unsre Art und unsern
Geschmack weder von den neuesten Berliner "Geschmäcklerpfaffen" vorschreiben
lassen noch von denen, die überlaut "Los von Berlin!" schreien und dafür im
Thüringer Walde oder sonstwo ein neues literarisches Berlin gründen wollen.

Wilhelm Speck ist Gefängnisgeistlicher. Das evangelische Pfarrhaus, dem
wir so viel verdanken, kann stolz sein, daß es uns auf einen Schlag zwei
Dichter wie Frensfen und Speck beschert hat Heinrich Spiero .




Eine Trojafahrt
R Friedrich Seiler eiseerinnerungen von
(Schluß)
Trojanische Ritte

it den Vorträgen, die Dörpfeld uns hielt, war unser Dienst keines¬
wegs beendigt; denn an den Nachmittagen wurden gemeinsam Ausflüge
gemacht. Dörpfeld beteiligte sich daran nicht, sondern überließ die
Leitung entweder Herrn Berger oder Herrn Thiersch, einem jungen
Archäologen, der soeben die Ausgrabungen in Ägina mitgemacht hatte.
Er trug eine äginetische Kappe und äginetische Schuhe mit großen
roten Quasten an der Spitze und wurde deshalb, wo er auch hinkam, von den
Griechen nur "der Äginet" genannt.

Den ersten Nachmittag machten wir nur einen kleinen Spaziergang zu Fuß,
um die Mauern des hellenistischen Jlions abzuschreiten. Mauern gab es nun zwar
hier nicht zu sehen, nur wenige in den Fels eingeschnittene Gräber. Statt dessen
besuchten wir aber das Dorf Tschiblak, wo die türkische Regierung Tscherkessen
angesiedelt hat, die sowohl bei der griechischen wie bei der türkischen Bevölkerung
als Diebe und Räuber verrufen sind. Das Dorf selbst sah fast wie eine Festung
aus, nur daß es statt von Mauern von einer dicken und hohen Dornenwehr um¬
geben war, über die hinweg man kaum die niedrigen, schilfbedeckten Dächer sah.
Wütende Hunde erhoben schon bei unsrer Annäherung ein rasendes Gebell. Am
Eingang des Dorfes erwarteten uns einige schlank gewachsene hübsche Bursche, und
kleine Mädchen mit mandelförmigen Augen sahen uns neugierig-schmachtend an -- die
Tscherkessen sind ja als ein schöner Menschenschlag berühmt. Die Männer holten
aus Lederbcuteln antike Münzen heraus, und bald entspann sich ein lebhafter
Handelsverkehr. Denn manche von unsrer Gesellschaft sammelten eifrig und mochten
sich diese günstige Gelegenheit nicht entgehen lassen. Was nämlich in dieser welt¬
abgelegnen Gegend angeboten wird, ist alles von den Leuten selbst gefunden und
echt, und man kann manch hübsches Stück für einen verhältnismäßig billigen Preis
erstehen. Einer der Tscherkessen bot eine feingearbeitete, kleine Goldmünze mit einer
prachtvollen Eule an, die einer unsrer Herren gern für das Berliner Museum


Gine Trojafahrt

Rheinländer romanischer Herkunft nicht verleugnen. Wenn so Dichter der ver¬
schiedensten Art hier und dort immer wieder Heimatklünge gaben, warum dann
ein neues „Schlagwort," gut genug, unfruchtbares Schaffen mit einem freund¬
lichen Mantel zu decken? Und darum freue ich mich, wenn sich wieder einmal
zeigt, daß nicht von einer Seite her das Heil kommt, sondern daß, wie in
Deutschland immer, die Freiheit des Einzelnen, die Individualität über Rich¬
tungen und Schlagbäume hinwegträgt. Wir wollen uns unsre Art und unsern
Geschmack weder von den neuesten Berliner „Geschmäcklerpfaffen" vorschreiben
lassen noch von denen, die überlaut „Los von Berlin!" schreien und dafür im
Thüringer Walde oder sonstwo ein neues literarisches Berlin gründen wollen.

Wilhelm Speck ist Gefängnisgeistlicher. Das evangelische Pfarrhaus, dem
wir so viel verdanken, kann stolz sein, daß es uns auf einen Schlag zwei
Dichter wie Frensfen und Speck beschert hat Heinrich Spiero .




Eine Trojafahrt
R Friedrich Seiler eiseerinnerungen von
(Schluß)
Trojanische Ritte

it den Vorträgen, die Dörpfeld uns hielt, war unser Dienst keines¬
wegs beendigt; denn an den Nachmittagen wurden gemeinsam Ausflüge
gemacht. Dörpfeld beteiligte sich daran nicht, sondern überließ die
Leitung entweder Herrn Berger oder Herrn Thiersch, einem jungen
Archäologen, der soeben die Ausgrabungen in Ägina mitgemacht hatte.
Er trug eine äginetische Kappe und äginetische Schuhe mit großen
roten Quasten an der Spitze und wurde deshalb, wo er auch hinkam, von den
Griechen nur „der Äginet" genannt.

Den ersten Nachmittag machten wir nur einen kleinen Spaziergang zu Fuß,
um die Mauern des hellenistischen Jlions abzuschreiten. Mauern gab es nun zwar
hier nicht zu sehen, nur wenige in den Fels eingeschnittene Gräber. Statt dessen
besuchten wir aber das Dorf Tschiblak, wo die türkische Regierung Tscherkessen
angesiedelt hat, die sowohl bei der griechischen wie bei der türkischen Bevölkerung
als Diebe und Räuber verrufen sind. Das Dorf selbst sah fast wie eine Festung
aus, nur daß es statt von Mauern von einer dicken und hohen Dornenwehr um¬
geben war, über die hinweg man kaum die niedrigen, schilfbedeckten Dächer sah.
Wütende Hunde erhoben schon bei unsrer Annäherung ein rasendes Gebell. Am
Eingang des Dorfes erwarteten uns einige schlank gewachsene hübsche Bursche, und
kleine Mädchen mit mandelförmigen Augen sahen uns neugierig-schmachtend an — die
Tscherkessen sind ja als ein schöner Menschenschlag berühmt. Die Männer holten
aus Lederbcuteln antike Münzen heraus, und bald entspann sich ein lebhafter
Handelsverkehr. Denn manche von unsrer Gesellschaft sammelten eifrig und mochten
sich diese günstige Gelegenheit nicht entgehen lassen. Was nämlich in dieser welt¬
abgelegnen Gegend angeboten wird, ist alles von den Leuten selbst gefunden und
echt, und man kann manch hübsches Stück für einen verhältnismäßig billigen Preis
erstehen. Einer der Tscherkessen bot eine feingearbeitete, kleine Goldmünze mit einer
prachtvollen Eule an, die einer unsrer Herren gern für das Berliner Museum


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[0347] Gine Trojafahrt Rheinländer romanischer Herkunft nicht verleugnen. Wenn so Dichter der ver¬ schiedensten Art hier und dort immer wieder Heimatklünge gaben, warum dann ein neues „Schlagwort," gut genug, unfruchtbares Schaffen mit einem freund¬ lichen Mantel zu decken? Und darum freue ich mich, wenn sich wieder einmal zeigt, daß nicht von einer Seite her das Heil kommt, sondern daß, wie in Deutschland immer, die Freiheit des Einzelnen, die Individualität über Rich¬ tungen und Schlagbäume hinwegträgt. Wir wollen uns unsre Art und unsern Geschmack weder von den neuesten Berliner „Geschmäcklerpfaffen" vorschreiben lassen noch von denen, die überlaut „Los von Berlin!" schreien und dafür im Thüringer Walde oder sonstwo ein neues literarisches Berlin gründen wollen. Wilhelm Speck ist Gefängnisgeistlicher. Das evangelische Pfarrhaus, dem wir so viel verdanken, kann stolz sein, daß es uns auf einen Schlag zwei Dichter wie Frensfen und Speck beschert hat Heinrich Spiero . Eine Trojafahrt R Friedrich Seiler eiseerinnerungen von (Schluß) Trojanische Ritte it den Vorträgen, die Dörpfeld uns hielt, war unser Dienst keines¬ wegs beendigt; denn an den Nachmittagen wurden gemeinsam Ausflüge gemacht. Dörpfeld beteiligte sich daran nicht, sondern überließ die Leitung entweder Herrn Berger oder Herrn Thiersch, einem jungen Archäologen, der soeben die Ausgrabungen in Ägina mitgemacht hatte. Er trug eine äginetische Kappe und äginetische Schuhe mit großen roten Quasten an der Spitze und wurde deshalb, wo er auch hinkam, von den Griechen nur „der Äginet" genannt. Den ersten Nachmittag machten wir nur einen kleinen Spaziergang zu Fuß, um die Mauern des hellenistischen Jlions abzuschreiten. Mauern gab es nun zwar hier nicht zu sehen, nur wenige in den Fels eingeschnittene Gräber. Statt dessen besuchten wir aber das Dorf Tschiblak, wo die türkische Regierung Tscherkessen angesiedelt hat, die sowohl bei der griechischen wie bei der türkischen Bevölkerung als Diebe und Räuber verrufen sind. Das Dorf selbst sah fast wie eine Festung aus, nur daß es statt von Mauern von einer dicken und hohen Dornenwehr um¬ geben war, über die hinweg man kaum die niedrigen, schilfbedeckten Dächer sah. Wütende Hunde erhoben schon bei unsrer Annäherung ein rasendes Gebell. Am Eingang des Dorfes erwarteten uns einige schlank gewachsene hübsche Bursche, und kleine Mädchen mit mandelförmigen Augen sahen uns neugierig-schmachtend an — die Tscherkessen sind ja als ein schöner Menschenschlag berühmt. Die Männer holten aus Lederbcuteln antike Münzen heraus, und bald entspann sich ein lebhafter Handelsverkehr. Denn manche von unsrer Gesellschaft sammelten eifrig und mochten sich diese günstige Gelegenheit nicht entgehen lassen. Was nämlich in dieser welt¬ abgelegnen Gegend angeboten wird, ist alles von den Leuten selbst gefunden und echt, und man kann manch hübsches Stück für einen verhältnismäßig billigen Preis erstehen. Einer der Tscherkessen bot eine feingearbeitete, kleine Goldmünze mit einer prachtvollen Eule an, die einer unsrer Herren gern für das Berliner Museum

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_293618/347>, abgerufen am 25.07.2024.