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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr.

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Deutschtum und Stacitsverfcissung in (Österreich

nicht erfüllen, deren Gewnhruug sich das Volk nur durch die Vorstellung, daß
eine parlamentarische Abstimmung seinen Willen zum Ausdruck bringe, begreiflich
machen läßt.

Die Polen haben also entschieden ein Interesse an der Wiederherstellung
der Arbeitsfähigkeit des Abgeordnetenhauses, an der Erhaltung des Parlaments
und konstitutioneller Formen im Sinne der sogenannten Repräsentativverfassung.
Dasselbe Interesse haben der Feudaladel wie die Tschechen lind die Südslawen,
indem sie zusammen danach streben, die Machtstellung der Deutschen und die
der Krone einzuschränken. Sollte angesichts dessen der demokratische Irrglaube
unter den Deutschen wirklich noch so stark sein, daß sie nicht zu erkennen ver¬
mögen, daß ihr Interesse ihnen gebietet, der Krone die Hand zu reichen, die
doch mit dem Deutschtum in Österreich dieselben Interessen hat? Die Krone
kann nicht wünschen, daß sie zum Spielball einiger tschechischer und polnischer
Magnatenfamilien werde, und die Deutschen haben auch alle Ursache, eine solche
Entwicklung zu verhindern; die Deutschen müssen eine slawische Parlaments¬
herrschaft zu verhindern suchen, ebenso muß es aber auch die Krone, weil ein
Reich wie Österreich die Garantien seines Bestandes nur in der ausgleichenden
Gerechtigkeit des Herrschers finden kann, durch eine keine Gerechtigkeit kennende
parlamentarische Majoritütsherrschaft aber der Vernichtung preisgegeben werden
muß. Die politische Aufgabe der Deutschen kann es deshalb nicht sein, eine
Verfassung zu erhalten, die den polnischen Schnorrer und den deutschen In¬
dustriellen, den masurischen Bauern und den deutschen Akademiker gleich hoch
einschätzt; ihre Aufgabe kann es nicht sein, vielleicht noch mit Opfern obendrein,
ein Parlament wieder in Gang zu bringen, worin sie der Willkür einer ihnen
feindlichen Majorität wehrlos ausgeliefert sind; ihr Vorteil weist sie vielmehr
darauf hin, alles zu tun, diese für sie und für den Staat unbrauchbar gewordne
Institution gänzlich zum Verdorren zu bringen und im Gegensatze hierzu die
Staatsverwaltung und die Macht der Krone zu stärken. Es gibt keine parla¬
mentarische Koalition, die den Deutschen in Österreich auch "ur entfernt die
Vorteile bieten könnte wie ein Bündnis mit der Krone, und darum wären sie
Toren, wenn sie, noch in demokratischen Vorurteilen befangen, sich dazu bereit
finden ließen, das Parlament flott zu macheu und dadurch die Klinke der
Gesetzgebung ihren bittersten Feinden in die Hand zu drücken. Österreich bedarf
nicht eines Parlaments, um zu leben, sondern einer starken Verwaltung. Diese
schaffen heißt den Staat erhalten und bedeutet für die Deutschen die Erfüllung
ihrer historischen Mission an der Donau. sind sie ihr nicht gewachsen, er¬
kennen sie uicht, daß ihr Interesse und das des Staats eine andre als die
sogenannte Repräsentativverfassung nötig hat, dann geben sie die Partie gegen¬
über den Slawen Österreichs verloren, und es bleibt ihnen nur noch übrig, die
armen Neffen des reichen deutschen Onkels zu spielen, eine Rolle, die ebenso
entwürdigend fiir sie selbst wie gefährlich für das Deutsche Reich wäre.




Deutschtum und Stacitsverfcissung in (Österreich

nicht erfüllen, deren Gewnhruug sich das Volk nur durch die Vorstellung, daß
eine parlamentarische Abstimmung seinen Willen zum Ausdruck bringe, begreiflich
machen läßt.

Die Polen haben also entschieden ein Interesse an der Wiederherstellung
der Arbeitsfähigkeit des Abgeordnetenhauses, an der Erhaltung des Parlaments
und konstitutioneller Formen im Sinne der sogenannten Repräsentativverfassung.
Dasselbe Interesse haben der Feudaladel wie die Tschechen lind die Südslawen,
indem sie zusammen danach streben, die Machtstellung der Deutschen und die
der Krone einzuschränken. Sollte angesichts dessen der demokratische Irrglaube
unter den Deutschen wirklich noch so stark sein, daß sie nicht zu erkennen ver¬
mögen, daß ihr Interesse ihnen gebietet, der Krone die Hand zu reichen, die
doch mit dem Deutschtum in Österreich dieselben Interessen hat? Die Krone
kann nicht wünschen, daß sie zum Spielball einiger tschechischer und polnischer
Magnatenfamilien werde, und die Deutschen haben auch alle Ursache, eine solche
Entwicklung zu verhindern; die Deutschen müssen eine slawische Parlaments¬
herrschaft zu verhindern suchen, ebenso muß es aber auch die Krone, weil ein
Reich wie Österreich die Garantien seines Bestandes nur in der ausgleichenden
Gerechtigkeit des Herrschers finden kann, durch eine keine Gerechtigkeit kennende
parlamentarische Majoritütsherrschaft aber der Vernichtung preisgegeben werden
muß. Die politische Aufgabe der Deutschen kann es deshalb nicht sein, eine
Verfassung zu erhalten, die den polnischen Schnorrer und den deutschen In¬
dustriellen, den masurischen Bauern und den deutschen Akademiker gleich hoch
einschätzt; ihre Aufgabe kann es nicht sein, vielleicht noch mit Opfern obendrein,
ein Parlament wieder in Gang zu bringen, worin sie der Willkür einer ihnen
feindlichen Majorität wehrlos ausgeliefert sind; ihr Vorteil weist sie vielmehr
darauf hin, alles zu tun, diese für sie und für den Staat unbrauchbar gewordne
Institution gänzlich zum Verdorren zu bringen und im Gegensatze hierzu die
Staatsverwaltung und die Macht der Krone zu stärken. Es gibt keine parla¬
mentarische Koalition, die den Deutschen in Österreich auch »ur entfernt die
Vorteile bieten könnte wie ein Bündnis mit der Krone, und darum wären sie
Toren, wenn sie, noch in demokratischen Vorurteilen befangen, sich dazu bereit
finden ließen, das Parlament flott zu macheu und dadurch die Klinke der
Gesetzgebung ihren bittersten Feinden in die Hand zu drücken. Österreich bedarf
nicht eines Parlaments, um zu leben, sondern einer starken Verwaltung. Diese
schaffen heißt den Staat erhalten und bedeutet für die Deutschen die Erfüllung
ihrer historischen Mission an der Donau. sind sie ihr nicht gewachsen, er¬
kennen sie uicht, daß ihr Interesse und das des Staats eine andre als die
sogenannte Repräsentativverfassung nötig hat, dann geben sie die Partie gegen¬
über den Slawen Österreichs verloren, und es bleibt ihnen nur noch übrig, die
armen Neffen des reichen deutschen Onkels zu spielen, eine Rolle, die ebenso
entwürdigend fiir sie selbst wie gefährlich für das Deutsche Reich wäre.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_293618/327>, abgerufen am 25.07.2024.