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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr.

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Kleist und Molare

Eine Stelle aus Kleists Briefen an seine Braut erläutert die Szene. Kleist
schreibt: "Was Du für dieses Erdenleben tun sollst, das kannst Du begreifen,
was Du für die Ewigkeit tun sollst, nicht; und so kann denn auch keine Gott,
heit mehr von Dir verlangen als die Erfüllung Deiner Bestimmung auf dieser
Erde. Schränke Dich also ganz für diese kurze Zeit ein. Kümmere Dich nicht
um Deine Bestimmung nach dem Tode, weil Du darüber leicht Deine Be¬
stimmung ans dieser Erde vernachlässigen könntest." Was Kleist also verlangt
und in seiner Alkmene darstellt, ist eine ganze, ungebrochne Natur, die unbe¬
irrt von Grübeleien und Zweifeln in ihrem Gefühl den sichern Leitstern findet,
und die gerade in solchem Vertrauen ans ihr eignes Innere das Göttliche offen¬
bart, das in ihre Seele gelegt ist. Für das Weib ist nach Kleists Anschauungs¬
weise dieses Gefühl schrankenlose Hingebung an den Mann. So läßt er denn
auch Jupiter des Dichters eignes Entzücken aussprechen:


Mein süßes, angebetetes Geschöpf!
In dem so selig ich mich, selig preise!
So urgemttß dem göttlichen Gedanken,
In Form und Maß und sein' und Klang,
Wies meiner Hand Äonen nicht entschlüpft!

Kleists Alkmene kann nicht wie die Molieres von der Szene verschwinden.
Da der Knoten in ihrem Innern geschürzt ist, muß sie ihn selber lösen. Vor
versammeltem Volk muß sie über die ihr cmgetane Schmach verhandeln hören,
und die Entscheidung wird in ihre Hand gelegt. Nach einigem Zögern ent¬
scheidet sie -- falsch! sie schmäht den Gatten, schilt ihn einen Betrüger! Steht
das im Widerspruch mit dem, was sie einst von der Sicherheit ihres Gefühls
rühmend sagte? ^. ,>>''


Nimm mir
Das Aug', so hör ich ihn; das Ohr, ich fühl ihn;
Mir das Gefühl hinweg, ich alm' ihn noch;
Nimm Aug' und Ohr, Gefühl mir und Geruch,
Mir alle Sinn' und gönne mir das Herz:
So luß'se du mir die Glocke, die ich brauche,
Aus einer Welt noch find ich ihn heraus.

Ich glaube nicht, daß hier ein Widerspruch vorliegt. Wiirde Alkmene jetzt
richtig wählen, so könnte dadurch nur die Vollkommenheit der Täuschung zweifel¬
haft erscheinen. Man würde sich fragen, wie es möglich gewesen sei, daß sich
Alkmene vorher geirrt hat. Es entspricht aber nicht nur der tiefern Absicht, es
ist auch das Natürliche, daß ihre Wahl auf Jupiter füllt. Wir haben uns die
Erscheinung des Gottes der Amphitryons ganz ähnlich zu denken, aber doch
nur so weit, wie sich Ideal und Wirklichkeit entsprechen. Nun sieht die Liebe
das Geliebte immer in einem verklärenden Schein. Tritt, wie hier, beides.
Tdenl und Wirklichkeit vor sie, wird sie notwendig jenes für das wahre, in ihr
lebende Urbild erkennen. Dazu kommt, daß Alkmene durch das stärkste Band
Jupiter gefesselt ist, daß sie von seiner Hand gehalten, von seinen gütigen
Worten aufgerichtet wird. Muß sie nicht in ihm den Ruhepunkt sehen, den
ihre irrende Seele sucht? Der andre, der vor ihr tobt und an ihr zerrt, kann
ihr doch nur als der Störenfried erscheinen. Aber kaum hat sie sich entschieden,


Grenzboten II 1904 67
Kleist und Molare

Eine Stelle aus Kleists Briefen an seine Braut erläutert die Szene. Kleist
schreibt: „Was Du für dieses Erdenleben tun sollst, das kannst Du begreifen,
was Du für die Ewigkeit tun sollst, nicht; und so kann denn auch keine Gott,
heit mehr von Dir verlangen als die Erfüllung Deiner Bestimmung auf dieser
Erde. Schränke Dich also ganz für diese kurze Zeit ein. Kümmere Dich nicht
um Deine Bestimmung nach dem Tode, weil Du darüber leicht Deine Be¬
stimmung ans dieser Erde vernachlässigen könntest." Was Kleist also verlangt
und in seiner Alkmene darstellt, ist eine ganze, ungebrochne Natur, die unbe¬
irrt von Grübeleien und Zweifeln in ihrem Gefühl den sichern Leitstern findet,
und die gerade in solchem Vertrauen ans ihr eignes Innere das Göttliche offen¬
bart, das in ihre Seele gelegt ist. Für das Weib ist nach Kleists Anschauungs¬
weise dieses Gefühl schrankenlose Hingebung an den Mann. So läßt er denn
auch Jupiter des Dichters eignes Entzücken aussprechen:


Mein süßes, angebetetes Geschöpf!
In dem so selig ich mich, selig preise!
So urgemttß dem göttlichen Gedanken,
In Form und Maß und sein' und Klang,
Wies meiner Hand Äonen nicht entschlüpft!

Kleists Alkmene kann nicht wie die Molieres von der Szene verschwinden.
Da der Knoten in ihrem Innern geschürzt ist, muß sie ihn selber lösen. Vor
versammeltem Volk muß sie über die ihr cmgetane Schmach verhandeln hören,
und die Entscheidung wird in ihre Hand gelegt. Nach einigem Zögern ent¬
scheidet sie — falsch! sie schmäht den Gatten, schilt ihn einen Betrüger! Steht
das im Widerspruch mit dem, was sie einst von der Sicherheit ihres Gefühls
rühmend sagte? ^. ,>>''


Nimm mir
Das Aug', so hör ich ihn; das Ohr, ich fühl ihn;
Mir das Gefühl hinweg, ich alm' ihn noch;
Nimm Aug' und Ohr, Gefühl mir und Geruch,
Mir alle Sinn' und gönne mir das Herz:
So luß'se du mir die Glocke, die ich brauche,
Aus einer Welt noch find ich ihn heraus.

Ich glaube nicht, daß hier ein Widerspruch vorliegt. Wiirde Alkmene jetzt
richtig wählen, so könnte dadurch nur die Vollkommenheit der Täuschung zweifel¬
haft erscheinen. Man würde sich fragen, wie es möglich gewesen sei, daß sich
Alkmene vorher geirrt hat. Es entspricht aber nicht nur der tiefern Absicht, es
ist auch das Natürliche, daß ihre Wahl auf Jupiter füllt. Wir haben uns die
Erscheinung des Gottes der Amphitryons ganz ähnlich zu denken, aber doch
nur so weit, wie sich Ideal und Wirklichkeit entsprechen. Nun sieht die Liebe
das Geliebte immer in einem verklärenden Schein. Tritt, wie hier, beides.
Tdenl und Wirklichkeit vor sie, wird sie notwendig jenes für das wahre, in ihr
lebende Urbild erkennen. Dazu kommt, daß Alkmene durch das stärkste Band
Jupiter gefesselt ist, daß sie von seiner Hand gehalten, von seinen gütigen
Worten aufgerichtet wird. Muß sie nicht in ihm den Ruhepunkt sehen, den
ihre irrende Seele sucht? Der andre, der vor ihr tobt und an ihr zerrt, kann
ihr doch nur als der Störenfried erscheinen. Aber kaum hat sie sich entschieden,


Grenzboten II 1904 67
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[0283] Kleist und Molare Eine Stelle aus Kleists Briefen an seine Braut erläutert die Szene. Kleist schreibt: „Was Du für dieses Erdenleben tun sollst, das kannst Du begreifen, was Du für die Ewigkeit tun sollst, nicht; und so kann denn auch keine Gott, heit mehr von Dir verlangen als die Erfüllung Deiner Bestimmung auf dieser Erde. Schränke Dich also ganz für diese kurze Zeit ein. Kümmere Dich nicht um Deine Bestimmung nach dem Tode, weil Du darüber leicht Deine Be¬ stimmung ans dieser Erde vernachlässigen könntest." Was Kleist also verlangt und in seiner Alkmene darstellt, ist eine ganze, ungebrochne Natur, die unbe¬ irrt von Grübeleien und Zweifeln in ihrem Gefühl den sichern Leitstern findet, und die gerade in solchem Vertrauen ans ihr eignes Innere das Göttliche offen¬ bart, das in ihre Seele gelegt ist. Für das Weib ist nach Kleists Anschauungs¬ weise dieses Gefühl schrankenlose Hingebung an den Mann. So läßt er denn auch Jupiter des Dichters eignes Entzücken aussprechen: Mein süßes, angebetetes Geschöpf! In dem so selig ich mich, selig preise! So urgemttß dem göttlichen Gedanken, In Form und Maß und sein' und Klang, Wies meiner Hand Äonen nicht entschlüpft! Kleists Alkmene kann nicht wie die Molieres von der Szene verschwinden. Da der Knoten in ihrem Innern geschürzt ist, muß sie ihn selber lösen. Vor versammeltem Volk muß sie über die ihr cmgetane Schmach verhandeln hören, und die Entscheidung wird in ihre Hand gelegt. Nach einigem Zögern ent¬ scheidet sie — falsch! sie schmäht den Gatten, schilt ihn einen Betrüger! Steht das im Widerspruch mit dem, was sie einst von der Sicherheit ihres Gefühls rühmend sagte? ^. ,>>'' Nimm mir Das Aug', so hör ich ihn; das Ohr, ich fühl ihn; Mir das Gefühl hinweg, ich alm' ihn noch; Nimm Aug' und Ohr, Gefühl mir und Geruch, Mir alle Sinn' und gönne mir das Herz: So luß'se du mir die Glocke, die ich brauche, Aus einer Welt noch find ich ihn heraus. Ich glaube nicht, daß hier ein Widerspruch vorliegt. Wiirde Alkmene jetzt richtig wählen, so könnte dadurch nur die Vollkommenheit der Täuschung zweifel¬ haft erscheinen. Man würde sich fragen, wie es möglich gewesen sei, daß sich Alkmene vorher geirrt hat. Es entspricht aber nicht nur der tiefern Absicht, es ist auch das Natürliche, daß ihre Wahl auf Jupiter füllt. Wir haben uns die Erscheinung des Gottes der Amphitryons ganz ähnlich zu denken, aber doch nur so weit, wie sich Ideal und Wirklichkeit entsprechen. Nun sieht die Liebe das Geliebte immer in einem verklärenden Schein. Tritt, wie hier, beides. Tdenl und Wirklichkeit vor sie, wird sie notwendig jenes für das wahre, in ihr lebende Urbild erkennen. Dazu kommt, daß Alkmene durch das stärkste Band Jupiter gefesselt ist, daß sie von seiner Hand gehalten, von seinen gütigen Worten aufgerichtet wird. Muß sie nicht in ihm den Ruhepunkt sehen, den ihre irrende Seele sucht? Der andre, der vor ihr tobt und an ihr zerrt, kann ihr doch nur als der Störenfried erscheinen. Aber kaum hat sie sich entschieden, Grenzboten II 1904 67

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_293618/283>, abgerufen am 04.07.2024.