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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr.

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Die sozialdemokratische Tagespresse im Deutschen Reiche

Die Periode von 1878 bis 1890 bedarf noch einiger erläuternder Worte.
In den ersten Jahren nach Erlaß des Sozialistengesetzes (und zwar 1878,
1879 und 1880) wurden keine sozialdemokratischen Zeitungen gegründet; der
Erlaß des Gesetzes wirkte wie ein Schuß unter Krähen: die Schar zerstob.
"Erst seit 1881 wurde es von neuem lebendig in den Reihen der Sozial¬
demokratie, als die "Fachvereine" der Arbeiter polizeilich wieder gestattet
wurden; denn diese gaben vorzügliche Sammelpunkte und Werbebureaus für
die aktive Armee der Sozialdemokratie ab, wiewohl in ihren Versammlungen
kaum je Parteipolitik getrieben wurde" (Adler im Handwörterbuch der Staats¬
wissenschaften, 2. Auflage, Band VI, S. 795). Mit dem Jahre 1881 beginnen
auch die sozialdemokratischen Zeitungsgründuugen wieder, und zwar wurden
vom Jahre 1881 an bis 1889 einschließlich 17 sozialdemokratische Zeitungen
ins Leben gerufen, im Jahre 1890, dem Jahre der Aufhebung des Gesetzes,
aber 16. Das ist eine Anzahl von Gründungen, die die Partei niemals
auch nur annähernd erreicht hat. Diese 16 Gründungen sind zwar noch im
Jahre 1890, höchstwahrscheinlich aber dennoch nach Aufhebung des Sozialisten¬
gesetzes erfolgt. Ist dem so, was sich aus dem uns vorliegenden Quellen¬
material nicht ergibt, dann zeigt diese Zahl recht klar, daß trotz der lebhaften
Zeitungsgründungstütigkeit der sozialdemokratischen Partei unter dem Sozia-
listeugcsetz dieses Gesetz recht schwer ans der Partei gelastet hat. Das Be¬
dürfnis für diese 16 Blätter ist auf alle Fälle noch während des Bestehens
des Ausnahmegesetzes erzeugt worden; aus diesem Grunde haben wir diese
16 Blätter als unter dem Ausnahmegesetz entstanden angesehen. Wie schon
gesagt, sind in den Jahren 1878 bis 1880 keine sozialdemokratischen Zei¬
tungen, wohl aber 150 bürgerliche Blätter ins Leben gerufen worden. Läßt
man nun die Tabelle erst mit dem Jahre 1881 beginnen, so zeigt diese
folgendes Bild:

Es wurdenbürgerlichesozialdemokratischeauf je 100 bürgerliche
gegründetBlätterBlätterGründungen kommen
1881--1890544336,0 sozialdemokratische
1891--1895257124.7
1396--190131972.2
ohne Angabe103913

Die letzte Spalte dieser Tabelle zeigt, daß nach der Aufhebung des
Sozialistcngesetzes die Zeitungsgründungstütigkeit der sozialdemokratischen Partei
mehr und mehr erlahmte. Die Aufnahmefähigkeit des deutscheu Volks für die
bürgerlichen Blätter ist seit der Gründung des Deutschen Reichs immer mehr
gewachsen; die Aufnahmefähigkeit des deutschen Volks aber für die sozial-
demokratischen Blätter, die bis zum Jahre 1890 einschließlich rascher wuchs
als die für die bürgerliche" Blätter, wächst seit diesem Jahre in einem für
die Partei immer ungünstiger werdenden Verhältnis, trotzdem daß die Partei seit
der Aufhebung des gegen die Sozialdemokratie gerichteten Ausnahmegesetzes
immer mehr Zeit, Kräfte und Geld für die Agitation aufgewandt hat. Die
Verbreitung der politischen Presse ist der alleinige und einzig richtige Maßstab
für die politische Gesinnung des Volks; politische Presse und politische Ge-


Die sozialdemokratische Tagespresse im Deutschen Reiche

Die Periode von 1878 bis 1890 bedarf noch einiger erläuternder Worte.
In den ersten Jahren nach Erlaß des Sozialistengesetzes (und zwar 1878,
1879 und 1880) wurden keine sozialdemokratischen Zeitungen gegründet; der
Erlaß des Gesetzes wirkte wie ein Schuß unter Krähen: die Schar zerstob.
„Erst seit 1881 wurde es von neuem lebendig in den Reihen der Sozial¬
demokratie, als die »Fachvereine« der Arbeiter polizeilich wieder gestattet
wurden; denn diese gaben vorzügliche Sammelpunkte und Werbebureaus für
die aktive Armee der Sozialdemokratie ab, wiewohl in ihren Versammlungen
kaum je Parteipolitik getrieben wurde" (Adler im Handwörterbuch der Staats¬
wissenschaften, 2. Auflage, Band VI, S. 795). Mit dem Jahre 1881 beginnen
auch die sozialdemokratischen Zeitungsgründuugen wieder, und zwar wurden
vom Jahre 1881 an bis 1889 einschließlich 17 sozialdemokratische Zeitungen
ins Leben gerufen, im Jahre 1890, dem Jahre der Aufhebung des Gesetzes,
aber 16. Das ist eine Anzahl von Gründungen, die die Partei niemals
auch nur annähernd erreicht hat. Diese 16 Gründungen sind zwar noch im
Jahre 1890, höchstwahrscheinlich aber dennoch nach Aufhebung des Sozialisten¬
gesetzes erfolgt. Ist dem so, was sich aus dem uns vorliegenden Quellen¬
material nicht ergibt, dann zeigt diese Zahl recht klar, daß trotz der lebhaften
Zeitungsgründungstütigkeit der sozialdemokratischen Partei unter dem Sozia-
listeugcsetz dieses Gesetz recht schwer ans der Partei gelastet hat. Das Be¬
dürfnis für diese 16 Blätter ist auf alle Fälle noch während des Bestehens
des Ausnahmegesetzes erzeugt worden; aus diesem Grunde haben wir diese
16 Blätter als unter dem Ausnahmegesetz entstanden angesehen. Wie schon
gesagt, sind in den Jahren 1878 bis 1880 keine sozialdemokratischen Zei¬
tungen, wohl aber 150 bürgerliche Blätter ins Leben gerufen worden. Läßt
man nun die Tabelle erst mit dem Jahre 1881 beginnen, so zeigt diese
folgendes Bild:

Es wurdenbürgerlichesozialdemokratischeauf je 100 bürgerliche
gegründetBlätterBlätterGründungen kommen
1881—1890544336,0 sozialdemokratische
1891—1895257124.7
1396—190131972.2
ohne Angabe103913

Die letzte Spalte dieser Tabelle zeigt, daß nach der Aufhebung des
Sozialistcngesetzes die Zeitungsgründungstütigkeit der sozialdemokratischen Partei
mehr und mehr erlahmte. Die Aufnahmefähigkeit des deutscheu Volks für die
bürgerlichen Blätter ist seit der Gründung des Deutschen Reichs immer mehr
gewachsen; die Aufnahmefähigkeit des deutschen Volks aber für die sozial-
demokratischen Blätter, die bis zum Jahre 1890 einschließlich rascher wuchs
als die für die bürgerliche» Blätter, wächst seit diesem Jahre in einem für
die Partei immer ungünstiger werdenden Verhältnis, trotzdem daß die Partei seit
der Aufhebung des gegen die Sozialdemokratie gerichteten Ausnahmegesetzes
immer mehr Zeit, Kräfte und Geld für die Agitation aufgewandt hat. Die
Verbreitung der politischen Presse ist der alleinige und einzig richtige Maßstab
für die politische Gesinnung des Volks; politische Presse und politische Ge-


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[0209] Die sozialdemokratische Tagespresse im Deutschen Reiche Die Periode von 1878 bis 1890 bedarf noch einiger erläuternder Worte. In den ersten Jahren nach Erlaß des Sozialistengesetzes (und zwar 1878, 1879 und 1880) wurden keine sozialdemokratischen Zeitungen gegründet; der Erlaß des Gesetzes wirkte wie ein Schuß unter Krähen: die Schar zerstob. „Erst seit 1881 wurde es von neuem lebendig in den Reihen der Sozial¬ demokratie, als die »Fachvereine« der Arbeiter polizeilich wieder gestattet wurden; denn diese gaben vorzügliche Sammelpunkte und Werbebureaus für die aktive Armee der Sozialdemokratie ab, wiewohl in ihren Versammlungen kaum je Parteipolitik getrieben wurde" (Adler im Handwörterbuch der Staats¬ wissenschaften, 2. Auflage, Band VI, S. 795). Mit dem Jahre 1881 beginnen auch die sozialdemokratischen Zeitungsgründuugen wieder, und zwar wurden vom Jahre 1881 an bis 1889 einschließlich 17 sozialdemokratische Zeitungen ins Leben gerufen, im Jahre 1890, dem Jahre der Aufhebung des Gesetzes, aber 16. Das ist eine Anzahl von Gründungen, die die Partei niemals auch nur annähernd erreicht hat. Diese 16 Gründungen sind zwar noch im Jahre 1890, höchstwahrscheinlich aber dennoch nach Aufhebung des Sozialisten¬ gesetzes erfolgt. Ist dem so, was sich aus dem uns vorliegenden Quellen¬ material nicht ergibt, dann zeigt diese Zahl recht klar, daß trotz der lebhaften Zeitungsgründungstütigkeit der sozialdemokratischen Partei unter dem Sozia- listeugcsetz dieses Gesetz recht schwer ans der Partei gelastet hat. Das Be¬ dürfnis für diese 16 Blätter ist auf alle Fälle noch während des Bestehens des Ausnahmegesetzes erzeugt worden; aus diesem Grunde haben wir diese 16 Blätter als unter dem Ausnahmegesetz entstanden angesehen. Wie schon gesagt, sind in den Jahren 1878 bis 1880 keine sozialdemokratischen Zei¬ tungen, wohl aber 150 bürgerliche Blätter ins Leben gerufen worden. Läßt man nun die Tabelle erst mit dem Jahre 1881 beginnen, so zeigt diese folgendes Bild: Es wurdenbürgerlichesozialdemokratischeauf je 100 bürgerliche gegründetBlätterBlätterGründungen kommen 1881—1890544336,0 sozialdemokratische 1891—1895257124.7 1396—190131972.2 ohne Angabe103913 Die letzte Spalte dieser Tabelle zeigt, daß nach der Aufhebung des Sozialistcngesetzes die Zeitungsgründungstütigkeit der sozialdemokratischen Partei mehr und mehr erlahmte. Die Aufnahmefähigkeit des deutscheu Volks für die bürgerlichen Blätter ist seit der Gründung des Deutschen Reichs immer mehr gewachsen; die Aufnahmefähigkeit des deutschen Volks aber für die sozial- demokratischen Blätter, die bis zum Jahre 1890 einschließlich rascher wuchs als die für die bürgerliche» Blätter, wächst seit diesem Jahre in einem für die Partei immer ungünstiger werdenden Verhältnis, trotzdem daß die Partei seit der Aufhebung des gegen die Sozialdemokratie gerichteten Ausnahmegesetzes immer mehr Zeit, Kräfte und Geld für die Agitation aufgewandt hat. Die Verbreitung der politischen Presse ist der alleinige und einzig richtige Maßstab für die politische Gesinnung des Volks; politische Presse und politische Ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_293618/209>, abgerufen am 25.07.2024.