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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr.

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Die sozialdemokratische Tagespresse im Deutschen Reiche

n den ersten Tagen jedes Quartals erscheint im "Vorwärts" ein
Verzeichnis der "sozialistischen Presse Deutschlands," worin die
sozialdemokratischen Tagesblätter, die Revuen, die Witz- und die
Unterhaltungsblätter der Partei und die gewerkschaftlichen Zeit¬
schriften aufgezählt werde", die im sozialdemokratischen Fahrwasser
schwimmen. Das Verzeichnis nahm in der letzten Zeit eine volle halbe Seite
des "Vorwärts" ein. Der hauptsächliche Zweck dieser Veröffentlichung ist
natürlich der, agitatorisch zu wirken; man will den Massen sagen: Seht her,
über eine wie stattliche Presse wir verfügen! Sämtliche übrigen sozialdemo¬
kratischen Tngesblätter und leider auch zahlreiche bürgerliche, gut national ge¬
sinnte Zeitungen halten sich für verpflichtet, an der Hand dieser Verzeichnisse
ihren Lesern vorzurechnen, um wie viele neue Unternehmungen die sozialistische
Presse Deutschlands im jeweils abgelaufnen Quartale gewachsen ist. Auf
svzialdemokratischer wie auf bürgerlicher Seite faßt man dabei immer nur die
sozialistische Presse allein ins Auge; wie stark die bürgerliche Presse ist, wie
groß ihr Wachstum war, das läßt man ganz außer acht. Aber gerade danach
muß man fragen, wenn man die numerische Stärke der sozialistischen Presse
Deutschlands richtig erkennen, richtig schätzen will. Die numerische Stärke
der sozialistischen Presse Deutschlands wird fast in allen Schichten der Be¬
völkerung, am meisten aber in den Reihen der Sozialdemokratie, überschützt.
Hierfür nur ein Beispiel: PH. Scheidemann, der frühere Redakteur der in
Gießen erscheinenden sozialdemokratischen "Mitteldeutschen Sonntagszeitung,"
sagt in einem in der letzten Neujahrsuummer dieses Blattes veröffentlichten Ar¬
tikel über die Entwicklungsgeschichte des genannten Organs: "Die Mitteldeutsche
Sonntagszeitung war ein gar zartes Pflänzchen im mächtig rauschenden
Blütterwalde der sozialdemokratischen Partei (sie), als sie mir im
Jahre 1895 anvertraut wurde." Auf solche, die sozialdemokratische Presse in
jeder Beziehung weit überschützende Äußerungen stößt man allenthalben. In
Wirklichkeit stellt die gesamte sozialistische Presse Deutschlands im deutschen
Vlätterwalde nur ein dürftiges Büumchcn dar. Das gilt von der sozialdemo-
krntischen Tagespresse in demselben Maße wie von der im sozialdemokratischen
Fahrwasser schwimmenden Gewerkschaftspresse, in noch viel höherm Maße aber
den sozialdemokratischen Revuen, den sozialdemokratischen Witz- und Nnter-
hnltnugsblütterii.

Wir betrachten im nachstehenden die sozialdemokratische Tagespresse (ihr
Leserkreis deckt sich annähernd mit dem Leserkreis der übrigen sozialistischen
Presse) und fassen dabei zugleich die bürgerliche Presse ins Auge. Unsre Aus¬
führungen stützen sich auf das Kürschuerische "Handbuch der Presse" (Berlin,


Grenzboten II 1904 27


Die sozialdemokratische Tagespresse im Deutschen Reiche

n den ersten Tagen jedes Quartals erscheint im „Vorwärts" ein
Verzeichnis der „sozialistischen Presse Deutschlands," worin die
sozialdemokratischen Tagesblätter, die Revuen, die Witz- und die
Unterhaltungsblätter der Partei und die gewerkschaftlichen Zeit¬
schriften aufgezählt werde«, die im sozialdemokratischen Fahrwasser
schwimmen. Das Verzeichnis nahm in der letzten Zeit eine volle halbe Seite
des „Vorwärts" ein. Der hauptsächliche Zweck dieser Veröffentlichung ist
natürlich der, agitatorisch zu wirken; man will den Massen sagen: Seht her,
über eine wie stattliche Presse wir verfügen! Sämtliche übrigen sozialdemo¬
kratischen Tngesblätter und leider auch zahlreiche bürgerliche, gut national ge¬
sinnte Zeitungen halten sich für verpflichtet, an der Hand dieser Verzeichnisse
ihren Lesern vorzurechnen, um wie viele neue Unternehmungen die sozialistische
Presse Deutschlands im jeweils abgelaufnen Quartale gewachsen ist. Auf
svzialdemokratischer wie auf bürgerlicher Seite faßt man dabei immer nur die
sozialistische Presse allein ins Auge; wie stark die bürgerliche Presse ist, wie
groß ihr Wachstum war, das läßt man ganz außer acht. Aber gerade danach
muß man fragen, wenn man die numerische Stärke der sozialistischen Presse
Deutschlands richtig erkennen, richtig schätzen will. Die numerische Stärke
der sozialistischen Presse Deutschlands wird fast in allen Schichten der Be¬
völkerung, am meisten aber in den Reihen der Sozialdemokratie, überschützt.
Hierfür nur ein Beispiel: PH. Scheidemann, der frühere Redakteur der in
Gießen erscheinenden sozialdemokratischen „Mitteldeutschen Sonntagszeitung,"
sagt in einem in der letzten Neujahrsuummer dieses Blattes veröffentlichten Ar¬
tikel über die Entwicklungsgeschichte des genannten Organs: „Die Mitteldeutsche
Sonntagszeitung war ein gar zartes Pflänzchen im mächtig rauschenden
Blütterwalde der sozialdemokratischen Partei (sie), als sie mir im
Jahre 1895 anvertraut wurde." Auf solche, die sozialdemokratische Presse in
jeder Beziehung weit überschützende Äußerungen stößt man allenthalben. In
Wirklichkeit stellt die gesamte sozialistische Presse Deutschlands im deutschen
Vlätterwalde nur ein dürftiges Büumchcn dar. Das gilt von der sozialdemo-
krntischen Tagespresse in demselben Maße wie von der im sozialdemokratischen
Fahrwasser schwimmenden Gewerkschaftspresse, in noch viel höherm Maße aber
den sozialdemokratischen Revuen, den sozialdemokratischen Witz- und Nnter-
hnltnugsblütterii.

Wir betrachten im nachstehenden die sozialdemokratische Tagespresse (ihr
Leserkreis deckt sich annähernd mit dem Leserkreis der übrigen sozialistischen
Presse) und fassen dabei zugleich die bürgerliche Presse ins Auge. Unsre Aus¬
führungen stützen sich auf das Kürschuerische „Handbuch der Presse" (Berlin,


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[0206] [Abbildung] Die sozialdemokratische Tagespresse im Deutschen Reiche n den ersten Tagen jedes Quartals erscheint im „Vorwärts" ein Verzeichnis der „sozialistischen Presse Deutschlands," worin die sozialdemokratischen Tagesblätter, die Revuen, die Witz- und die Unterhaltungsblätter der Partei und die gewerkschaftlichen Zeit¬ schriften aufgezählt werde«, die im sozialdemokratischen Fahrwasser schwimmen. Das Verzeichnis nahm in der letzten Zeit eine volle halbe Seite des „Vorwärts" ein. Der hauptsächliche Zweck dieser Veröffentlichung ist natürlich der, agitatorisch zu wirken; man will den Massen sagen: Seht her, über eine wie stattliche Presse wir verfügen! Sämtliche übrigen sozialdemo¬ kratischen Tngesblätter und leider auch zahlreiche bürgerliche, gut national ge¬ sinnte Zeitungen halten sich für verpflichtet, an der Hand dieser Verzeichnisse ihren Lesern vorzurechnen, um wie viele neue Unternehmungen die sozialistische Presse Deutschlands im jeweils abgelaufnen Quartale gewachsen ist. Auf svzialdemokratischer wie auf bürgerlicher Seite faßt man dabei immer nur die sozialistische Presse allein ins Auge; wie stark die bürgerliche Presse ist, wie groß ihr Wachstum war, das läßt man ganz außer acht. Aber gerade danach muß man fragen, wenn man die numerische Stärke der sozialistischen Presse Deutschlands richtig erkennen, richtig schätzen will. Die numerische Stärke der sozialistischen Presse Deutschlands wird fast in allen Schichten der Be¬ völkerung, am meisten aber in den Reihen der Sozialdemokratie, überschützt. Hierfür nur ein Beispiel: PH. Scheidemann, der frühere Redakteur der in Gießen erscheinenden sozialdemokratischen „Mitteldeutschen Sonntagszeitung," sagt in einem in der letzten Neujahrsuummer dieses Blattes veröffentlichten Ar¬ tikel über die Entwicklungsgeschichte des genannten Organs: „Die Mitteldeutsche Sonntagszeitung war ein gar zartes Pflänzchen im mächtig rauschenden Blütterwalde der sozialdemokratischen Partei (sie), als sie mir im Jahre 1895 anvertraut wurde." Auf solche, die sozialdemokratische Presse in jeder Beziehung weit überschützende Äußerungen stößt man allenthalben. In Wirklichkeit stellt die gesamte sozialistische Presse Deutschlands im deutschen Vlätterwalde nur ein dürftiges Büumchcn dar. Das gilt von der sozialdemo- krntischen Tagespresse in demselben Maße wie von der im sozialdemokratischen Fahrwasser schwimmenden Gewerkschaftspresse, in noch viel höherm Maße aber den sozialdemokratischen Revuen, den sozialdemokratischen Witz- und Nnter- hnltnugsblütterii. Wir betrachten im nachstehenden die sozialdemokratische Tagespresse (ihr Leserkreis deckt sich annähernd mit dem Leserkreis der übrigen sozialistischen Presse) und fassen dabei zugleich die bürgerliche Presse ins Auge. Unsre Aus¬ führungen stützen sich auf das Kürschuerische „Handbuch der Presse" (Berlin, Grenzboten II 1904 27

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_293618/206>, abgerufen am 13.11.2024.