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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr.

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Legitimität und Rechtsbruch

n der Reichstagssitzung vom 13. April dieses Jahres ist es zu
eiuer scharfen Auseinandersetzung zwischen dem welfischen Abge¬
ordneten Grafen Bernstorff und dem preußischen Minister des
Innern Freiherr" von Hammerstein gekommen. Dabei hat der
Anhänger der Welsen betont, daß seine, die sogenannte "dentsch-
hannvversche" Partei, an allen Aufgaben des preußischen Staates mitarbeiten
wolle, daß sie sich aber gegen "Treubruch und Vergewaltigung" wende. Der
Minister, selbst Hannoveraner, fand darin begreiflicherweise eine Beziehung
auf die Ereignisse des Jahres 1866, die freilich der Präsident des Reichstags,
Graf Ballestrem, nicht anerkennen wollte, und wies diesen Vorwurf damit
zurück, daß "dieser Rechtsbruch und diese Gewalt uach achtunddreißig Jahren
gewissermaßen schon Recht geworden, und daß der Krieg ein Gottesgericht
sei." Sonderbarerweise nahm wenigstens ein Teil des hohen Hauses diese
Erklärung mit "großer Unruhe" auf. Man fragt verwundert: Was haben sich
denn die Herren dabei gedacht? Wer die durch den Krieg von 1866 ge¬
schaffnen neuen Rechtsgrundlagen nicht als solche anerkennt, der verwirft die
Grundlagen des Deutschen Reichs, und damit, wenn er Reichstagsabgeordneter
ist, auch den Rechtsgrund, auf dem er selbst steht. Ohne 1866 hätte es
niemals ein 1870, ohne Königgrütz niemals Sedan gegeben. Daß darüber
im deutschen Reichstage auch nur der Schatten eines Zweifels auftauchen
konnte, ist jedenfalls im höchsten Grade befremdlich und bedauerlich.

Alle großen Reiche, auch des christlichen Europas, sind doch durch Krieg
"ut Unterwerfung entstanden, niemals durch freiwilligen Zusammenschluß:
England schon im frühen Mittelalter, Frankreich, Spanien und Rußland im
spätern Mittelalter und in den ersten Jahrhunderten der Neuzeit. Auch
Deutschland macht davon keine Ausnahme. Den deutschen Stämmen, die ur¬
sprünglich, schroff geschieden durch Mundart, Sitte und Recht, einzeln neben¬
einander standen, hat erst die fränkische Eroberung die Neichseinheit aufge¬
zwungen. Überall hat also eine Kette von Nechtsbrüchen die Grundlagen der
nationalen Einheit geschaffen, und die kriegerische Eroberung hat, wenn sie
große Bedürfnisse befriedigt, die sonst unbefriedigt geblieben wären, für das
einfache Gefühl eine stärker überzeugende Kraft, als die scharfsinnigste" stcmts-


Gren, boten I I 1904 25>


Legitimität und Rechtsbruch

n der Reichstagssitzung vom 13. April dieses Jahres ist es zu
eiuer scharfen Auseinandersetzung zwischen dem welfischen Abge¬
ordneten Grafen Bernstorff und dem preußischen Minister des
Innern Freiherr» von Hammerstein gekommen. Dabei hat der
Anhänger der Welsen betont, daß seine, die sogenannte „dentsch-
hannvversche" Partei, an allen Aufgaben des preußischen Staates mitarbeiten
wolle, daß sie sich aber gegen „Treubruch und Vergewaltigung" wende. Der
Minister, selbst Hannoveraner, fand darin begreiflicherweise eine Beziehung
auf die Ereignisse des Jahres 1866, die freilich der Präsident des Reichstags,
Graf Ballestrem, nicht anerkennen wollte, und wies diesen Vorwurf damit
zurück, daß „dieser Rechtsbruch und diese Gewalt uach achtunddreißig Jahren
gewissermaßen schon Recht geworden, und daß der Krieg ein Gottesgericht
sei." Sonderbarerweise nahm wenigstens ein Teil des hohen Hauses diese
Erklärung mit „großer Unruhe" auf. Man fragt verwundert: Was haben sich
denn die Herren dabei gedacht? Wer die durch den Krieg von 1866 ge¬
schaffnen neuen Rechtsgrundlagen nicht als solche anerkennt, der verwirft die
Grundlagen des Deutschen Reichs, und damit, wenn er Reichstagsabgeordneter
ist, auch den Rechtsgrund, auf dem er selbst steht. Ohne 1866 hätte es
niemals ein 1870, ohne Königgrütz niemals Sedan gegeben. Daß darüber
im deutschen Reichstage auch nur der Schatten eines Zweifels auftauchen
konnte, ist jedenfalls im höchsten Grade befremdlich und bedauerlich.

Alle großen Reiche, auch des christlichen Europas, sind doch durch Krieg
"ut Unterwerfung entstanden, niemals durch freiwilligen Zusammenschluß:
England schon im frühen Mittelalter, Frankreich, Spanien und Rußland im
spätern Mittelalter und in den ersten Jahrhunderten der Neuzeit. Auch
Deutschland macht davon keine Ausnahme. Den deutschen Stämmen, die ur¬
sprünglich, schroff geschieden durch Mundart, Sitte und Recht, einzeln neben¬
einander standen, hat erst die fränkische Eroberung die Neichseinheit aufge¬
zwungen. Überall hat also eine Kette von Nechtsbrüchen die Grundlagen der
nationalen Einheit geschaffen, und die kriegerische Eroberung hat, wenn sie
große Bedürfnisse befriedigt, die sonst unbefriedigt geblieben wären, für das
einfache Gefühl eine stärker überzeugende Kraft, als die scharfsinnigste» stcmts-


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[0191] [Abbildung] Legitimität und Rechtsbruch n der Reichstagssitzung vom 13. April dieses Jahres ist es zu eiuer scharfen Auseinandersetzung zwischen dem welfischen Abge¬ ordneten Grafen Bernstorff und dem preußischen Minister des Innern Freiherr» von Hammerstein gekommen. Dabei hat der Anhänger der Welsen betont, daß seine, die sogenannte „dentsch- hannvversche" Partei, an allen Aufgaben des preußischen Staates mitarbeiten wolle, daß sie sich aber gegen „Treubruch und Vergewaltigung" wende. Der Minister, selbst Hannoveraner, fand darin begreiflicherweise eine Beziehung auf die Ereignisse des Jahres 1866, die freilich der Präsident des Reichstags, Graf Ballestrem, nicht anerkennen wollte, und wies diesen Vorwurf damit zurück, daß „dieser Rechtsbruch und diese Gewalt uach achtunddreißig Jahren gewissermaßen schon Recht geworden, und daß der Krieg ein Gottesgericht sei." Sonderbarerweise nahm wenigstens ein Teil des hohen Hauses diese Erklärung mit „großer Unruhe" auf. Man fragt verwundert: Was haben sich denn die Herren dabei gedacht? Wer die durch den Krieg von 1866 ge¬ schaffnen neuen Rechtsgrundlagen nicht als solche anerkennt, der verwirft die Grundlagen des Deutschen Reichs, und damit, wenn er Reichstagsabgeordneter ist, auch den Rechtsgrund, auf dem er selbst steht. Ohne 1866 hätte es niemals ein 1870, ohne Königgrütz niemals Sedan gegeben. Daß darüber im deutschen Reichstage auch nur der Schatten eines Zweifels auftauchen konnte, ist jedenfalls im höchsten Grade befremdlich und bedauerlich. Alle großen Reiche, auch des christlichen Europas, sind doch durch Krieg "ut Unterwerfung entstanden, niemals durch freiwilligen Zusammenschluß: England schon im frühen Mittelalter, Frankreich, Spanien und Rußland im spätern Mittelalter und in den ersten Jahrhunderten der Neuzeit. Auch Deutschland macht davon keine Ausnahme. Den deutschen Stämmen, die ur¬ sprünglich, schroff geschieden durch Mundart, Sitte und Recht, einzeln neben¬ einander standen, hat erst die fränkische Eroberung die Neichseinheit aufge¬ zwungen. Überall hat also eine Kette von Nechtsbrüchen die Grundlagen der nationalen Einheit geschaffen, und die kriegerische Eroberung hat, wenn sie große Bedürfnisse befriedigt, die sonst unbefriedigt geblieben wären, für das einfache Gefühl eine stärker überzeugende Kraft, als die scharfsinnigste» stcmts- Gren, boten I I 1904 25>

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_293618/191>, abgerufen am 13.11.2024.