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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr.

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Englisch - deutsche Bundesgenossenschaft

Rußland auch einen großen Teil der Truppen aus Spanien heranzuziehn. In¬
folgedessen wurden die Franzosen in Spanien immer mehr zurückgedrängt und
mußten schließlich das Land vollständig räumen.

Der Krieg mit Österreich führte nach den Schlachten von Aspern und
Wagram noch in demselben Jahr (1809) zum Wiener Frieden, worin Öster¬
reich in große Gebietsabtretungen willigen mußte.

Gegen England konnte Napoleon nach dem Verlust seiner Seekampfmittel den
Krieg nur durch Bekämpfung des englischen Handels führen. Zu diesem Zweck
verbot er in allen von ihm unterworfnen Ländern das Landen englischer Schiffe,
und von den übrigen Ländern verlangte er gleichfalls die Durchführung dieser
Maßregel (Kontinentalsperre). Nußland, das die einzige noch ungebrochne Macht
Europas war, kümmerte sich jedoch wenig um die Kontinentalsperre. Hierüber
sowie über die Ausdehnung der Macht Frankreichs an der Nord- und der Ostsee
und die Entthronung des mit dem russischen verwandten Oldenburger Herrscher¬
hauses kam es zu scharfen Auseinandersetzungen und schließlich zum Kriege
zwischen Frankreich und Rußland (1812). Ganz Westeuropa sowie Preußen
und Österreich mußten zu Napoleons Zug nach Rußland Truppen stellen. Aber
Napoleon hatte sich übernommen. Die gewaltigen Entfernungen, die den Nach¬
schub von Verpflegung, Bekleidung und Munition außerordentlich erschwerten,
der Mangel an guten Verkehrslinien und an Unterkunftsorten, die Art der
Kriegführung der Russen, die den Franzosen alles Verpflegungsmaterial durch
Vernichtung entzogen, die Unterkunft in Ortschaften durch deren Verbrennen un¬
möglich machten und dabei die Truppen unablässig mit kleinern und größern
Angriffen belästigten, sowie der ungewöhnlich strenge und gerade in diesem
Jahr sehr früh beginnende Winter verursachten den Untergang von Napoleons
großer Armee.

Während Napoleon bis dahin für unbesiegbar gegolten hatte, und sein
Machtspruch in ganz Europa maßgebend gewesen war, glaubten seine Feinde
jetzt den Zeitpunkt gekommen, das verhaßte Joch abschütteln zu können. Mit
einer bis dahin nie erlebten Begeisterung erhob sich zuerst Preußen gegen ihn
und schloß sich an Rußland an. Nach der Schlacht bei Bautzen traten auch
Österreich und England und nach und nach fast alle andern europäischen Staaten
den Verbündeten bei. Eine Zeit lang vermochte Napoleon noch, sich gegen
seine von Tag zu Tag zahlreicher werdenden Feinde zu behaupten. Da machte
die Völkerschlacht bei 'Leipzig (Mitte Oktober 1813) Napoleons Herrschaft in
Deutschland ein Ende.

Durch den Wiener Kongreß erhielt England Malta und Gibraltar sowie
die Schutzherrschaft über die jonischen Inseln und damit die Herrschaft über das
Mittelmeer. Ferner wurde ihm der Besitz der Frankreich, Holland und Düne¬
mark abgejagten Kolonien bestätigt. Deutschland bekam nicht einmal alle ihm
seit 1792 entrissenen Gebiete zurück. Zugleich wurde es durch die ihm ge¬
gebne Bundesverfassung, die das Land in eine Menge politisch selbständiger,
von Eifersucht und Mißtraun gegeneinander erfüllter Staaten ohne einheitliche
Führung auflöste, zur Machtlosigkeit verdammt.

Und als beim zweiten Pariser Frieden, der nach der Schlacht bei Waterloo


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Rußland auch einen großen Teil der Truppen aus Spanien heranzuziehn. In¬
folgedessen wurden die Franzosen in Spanien immer mehr zurückgedrängt und
mußten schließlich das Land vollständig räumen.

Der Krieg mit Österreich führte nach den Schlachten von Aspern und
Wagram noch in demselben Jahr (1809) zum Wiener Frieden, worin Öster¬
reich in große Gebietsabtretungen willigen mußte.

Gegen England konnte Napoleon nach dem Verlust seiner Seekampfmittel den
Krieg nur durch Bekämpfung des englischen Handels führen. Zu diesem Zweck
verbot er in allen von ihm unterworfnen Ländern das Landen englischer Schiffe,
und von den übrigen Ländern verlangte er gleichfalls die Durchführung dieser
Maßregel (Kontinentalsperre). Nußland, das die einzige noch ungebrochne Macht
Europas war, kümmerte sich jedoch wenig um die Kontinentalsperre. Hierüber
sowie über die Ausdehnung der Macht Frankreichs an der Nord- und der Ostsee
und die Entthronung des mit dem russischen verwandten Oldenburger Herrscher¬
hauses kam es zu scharfen Auseinandersetzungen und schließlich zum Kriege
zwischen Frankreich und Rußland (1812). Ganz Westeuropa sowie Preußen
und Österreich mußten zu Napoleons Zug nach Rußland Truppen stellen. Aber
Napoleon hatte sich übernommen. Die gewaltigen Entfernungen, die den Nach¬
schub von Verpflegung, Bekleidung und Munition außerordentlich erschwerten,
der Mangel an guten Verkehrslinien und an Unterkunftsorten, die Art der
Kriegführung der Russen, die den Franzosen alles Verpflegungsmaterial durch
Vernichtung entzogen, die Unterkunft in Ortschaften durch deren Verbrennen un¬
möglich machten und dabei die Truppen unablässig mit kleinern und größern
Angriffen belästigten, sowie der ungewöhnlich strenge und gerade in diesem
Jahr sehr früh beginnende Winter verursachten den Untergang von Napoleons
großer Armee.

Während Napoleon bis dahin für unbesiegbar gegolten hatte, und sein
Machtspruch in ganz Europa maßgebend gewesen war, glaubten seine Feinde
jetzt den Zeitpunkt gekommen, das verhaßte Joch abschütteln zu können. Mit
einer bis dahin nie erlebten Begeisterung erhob sich zuerst Preußen gegen ihn
und schloß sich an Rußland an. Nach der Schlacht bei Bautzen traten auch
Österreich und England und nach und nach fast alle andern europäischen Staaten
den Verbündeten bei. Eine Zeit lang vermochte Napoleon noch, sich gegen
seine von Tag zu Tag zahlreicher werdenden Feinde zu behaupten. Da machte
die Völkerschlacht bei 'Leipzig (Mitte Oktober 1813) Napoleons Herrschaft in
Deutschland ein Ende.

Durch den Wiener Kongreß erhielt England Malta und Gibraltar sowie
die Schutzherrschaft über die jonischen Inseln und damit die Herrschaft über das
Mittelmeer. Ferner wurde ihm der Besitz der Frankreich, Holland und Düne¬
mark abgejagten Kolonien bestätigt. Deutschland bekam nicht einmal alle ihm
seit 1792 entrissenen Gebiete zurück. Zugleich wurde es durch die ihm ge¬
gebne Bundesverfassung, die das Land in eine Menge politisch selbständiger,
von Eifersucht und Mißtraun gegeneinander erfüllter Staaten ohne einheitliche
Führung auflöste, zur Machtlosigkeit verdammt.

Und als beim zweiten Pariser Frieden, der nach der Schlacht bei Waterloo


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[0134] Englisch - deutsche Bundesgenossenschaft Rußland auch einen großen Teil der Truppen aus Spanien heranzuziehn. In¬ folgedessen wurden die Franzosen in Spanien immer mehr zurückgedrängt und mußten schließlich das Land vollständig räumen. Der Krieg mit Österreich führte nach den Schlachten von Aspern und Wagram noch in demselben Jahr (1809) zum Wiener Frieden, worin Öster¬ reich in große Gebietsabtretungen willigen mußte. Gegen England konnte Napoleon nach dem Verlust seiner Seekampfmittel den Krieg nur durch Bekämpfung des englischen Handels führen. Zu diesem Zweck verbot er in allen von ihm unterworfnen Ländern das Landen englischer Schiffe, und von den übrigen Ländern verlangte er gleichfalls die Durchführung dieser Maßregel (Kontinentalsperre). Nußland, das die einzige noch ungebrochne Macht Europas war, kümmerte sich jedoch wenig um die Kontinentalsperre. Hierüber sowie über die Ausdehnung der Macht Frankreichs an der Nord- und der Ostsee und die Entthronung des mit dem russischen verwandten Oldenburger Herrscher¬ hauses kam es zu scharfen Auseinandersetzungen und schließlich zum Kriege zwischen Frankreich und Rußland (1812). Ganz Westeuropa sowie Preußen und Österreich mußten zu Napoleons Zug nach Rußland Truppen stellen. Aber Napoleon hatte sich übernommen. Die gewaltigen Entfernungen, die den Nach¬ schub von Verpflegung, Bekleidung und Munition außerordentlich erschwerten, der Mangel an guten Verkehrslinien und an Unterkunftsorten, die Art der Kriegführung der Russen, die den Franzosen alles Verpflegungsmaterial durch Vernichtung entzogen, die Unterkunft in Ortschaften durch deren Verbrennen un¬ möglich machten und dabei die Truppen unablässig mit kleinern und größern Angriffen belästigten, sowie der ungewöhnlich strenge und gerade in diesem Jahr sehr früh beginnende Winter verursachten den Untergang von Napoleons großer Armee. Während Napoleon bis dahin für unbesiegbar gegolten hatte, und sein Machtspruch in ganz Europa maßgebend gewesen war, glaubten seine Feinde jetzt den Zeitpunkt gekommen, das verhaßte Joch abschütteln zu können. Mit einer bis dahin nie erlebten Begeisterung erhob sich zuerst Preußen gegen ihn und schloß sich an Rußland an. Nach der Schlacht bei Bautzen traten auch Österreich und England und nach und nach fast alle andern europäischen Staaten den Verbündeten bei. Eine Zeit lang vermochte Napoleon noch, sich gegen seine von Tag zu Tag zahlreicher werdenden Feinde zu behaupten. Da machte die Völkerschlacht bei 'Leipzig (Mitte Oktober 1813) Napoleons Herrschaft in Deutschland ein Ende. Durch den Wiener Kongreß erhielt England Malta und Gibraltar sowie die Schutzherrschaft über die jonischen Inseln und damit die Herrschaft über das Mittelmeer. Ferner wurde ihm der Besitz der Frankreich, Holland und Düne¬ mark abgejagten Kolonien bestätigt. Deutschland bekam nicht einmal alle ihm seit 1792 entrissenen Gebiete zurück. Zugleich wurde es durch die ihm ge¬ gebne Bundesverfassung, die das Land in eine Menge politisch selbständiger, von Eifersucht und Mißtraun gegeneinander erfüllter Staaten ohne einheitliche Führung auflöste, zur Machtlosigkeit verdammt. Und als beim zweiten Pariser Frieden, der nach der Schlacht bei Waterloo

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_293618/134>, abgerufen am 25.07.2024.