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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr.

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über die Bucht, gerade auf die Stadt der Dardanellen los. Bald hielten wir auf
der Reede, und die türkischen Regierungsbeamten kamen zur Revision des Schiffes
an Bord. Dörpfeld hatte einem Griechen namens Diamandis die Ausbootung unsrer
Gesellschaft samt Gepäck übertragen. Dieser Mann erwartete uns schon mit einer
ganzen Flottille, aber auch andre Schiffer wollten sich die gute Gelegenheit eines
ExtraVerdienstes nicht entgehn lassen und drängten sich unter Rufen und Schreien
heran, und kaum war von den Beamten die Erlaubnis erteilt, da enterte die ganze
Bande an Bord. Sehnige, sonnengebrännte Gestalten packten unsre Gepäckstücke
und suchten jeden Einzelnen mit sich fortzuziehen. Mir wurde in diesem Getümmel,
während ich aus meiner Kabine mein letztes Gepackstück herausholte, ein funkelnagel¬
neuer, eben erst in Athen gekaufter Schirm vom Deck weggestohlen, jedenfalls
brüstet sich jetzt irgend ein Aufwärter oder Schiffsjunge damit. Dann schleppte ein
Kerl, der nicht zu des Diamandis Schar gehörte, mein Gepäck in sein Boot und
schickte sich an, damit abzufahren. Zum Glück sprang auf mein Geschrei Dörpfeld,
der schon unter in einem der Diamandisschen Kähne stand, in das fremde Boot und
warf eigenhändig meine Gepäckstücke in das seinige. Unter Höllenlärm kam endlich
die Einbootuug unsrer Gesellschaft zustande. Dann fuhr die ganze Flotte ab, indem
Diamandis, gleich einem zweiten Odysseus, auf der Bank des einen Bootes stehend
mit lautem Kvmmandogeschrei die Bewegungen seiner Leute dirigierte.

Schon aus der Ferne sahen wir den Strand und seine Kaffeehäuser mit dichten
Menschenmassen besetzt. Wir fuhren direkt an das Zollhaus, einen niedrigen, mäßig
großen Schuppen, den ein starkes Eisengitter von der Hasengasse trennte. Zwei
oder drei türkische Beamte empfingen uns auf der Landungstreppe mit dem un¬
zerstörbaren Gleichmut und der ruhigen Würde, die so gewichtigen Persönlichkeiten
zukommt. Als wir aufgestiegen waren und uns in dem schmalen Raume drängten,
forderte uns Dörpfeld auf, zunächst einmal unser großes Gepäck an der einen
Schmalwand des Schuppeus zu deponieren, es könne bis zu unsrer Rückkehr hier
bleiben. Auf die schüchterne Frage eines der Herren, ob es denn unter der Obhut
der Türken auch sicher sein werde, erwiderte er ärgerlich: Das weiß ich doch nicht,
das müssen Sie wissen.

Da wir es nun doch auch nicht wußten, so zauberten wir, aber unsre drei
Amerikanerinnen gingen uns mit gutem Beispiel voran, und sie mußten es wohl,
denn ihre Koffer waren viel zu groß, als daß sie von Pferden hätten getragen
werden können. Unsre schweren Gepäckstücke wurden also an der Wand aufgetürmt
so, wie es gerade kam, die leichtern Sachen dagegen, die Taschen und gerollten
Decken, in der Mitte des Raumes aufeinander geworfen.

Nach diesem Haufen schauten durch das dicke Eisengitter die draußen sich
drängenden Lastträger und Pferdetreiber, gleich einer heißhungriger Meute nach
Beute spähend. Sie mußten sich jedoch noch gedulden. Denn jetzt forderte uns
einer der Beamten erst mit all der Gravität, die dem Türken auch bei der geringsten
Negierungshandluug eigen ist, unsre Pässe ab, die bis zu unsrer Rückkehr zu näherer
Prüfung in seinen Händen bleiben sollten. Dann sprach Dörpfeld mit lauter Stimme!
Meine Herren, unsre Sachen werden jetzt revidiert werden, trat an den andern,
schon in wartender Haltung dastehenden Türken heran und händigte ihm unter
ehrfurchtsvollem Schweigen der Menge zwei Medjidje (das sind acht türkische
Franken -- sieben Mark) ein. Darauf sagte er wiederum mit lauter Stimme: Meine
Herren, unsre Sachen sind jetzt revidiert -- eine Szene von grotesker Komik, die
aber doch zugleich eine recht tragische Seite hat.

Unmittelbar darauf öffnete sich die Tür des Eisengitters, und die draußen
Stehenden stürzten sich Ivie die Wilden auf uns und unser Gepäck. Ich, der ich
ahnungslos in der Nähe der Tür stand, erhielt einen so furchtbaren Stoß, daß
ich rücklings auf den Gepäckhaufen stürzte, während der Türke, der mit mir
karamboliert hatte, zurücktaumelte und dnrch einen zweiten Stoß ebenfalls ans den
Erdboden befördert wurde. In Handumdrehen entwickelte sich nun unter wilden,
Geschrei und Gefluch eine grimmige Kellerei. Die türkischen Beamten schienen diese


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über die Bucht, gerade auf die Stadt der Dardanellen los. Bald hielten wir auf
der Reede, und die türkischen Regierungsbeamten kamen zur Revision des Schiffes
an Bord. Dörpfeld hatte einem Griechen namens Diamandis die Ausbootung unsrer
Gesellschaft samt Gepäck übertragen. Dieser Mann erwartete uns schon mit einer
ganzen Flottille, aber auch andre Schiffer wollten sich die gute Gelegenheit eines
ExtraVerdienstes nicht entgehn lassen und drängten sich unter Rufen und Schreien
heran, und kaum war von den Beamten die Erlaubnis erteilt, da enterte die ganze
Bande an Bord. Sehnige, sonnengebrännte Gestalten packten unsre Gepäckstücke
und suchten jeden Einzelnen mit sich fortzuziehen. Mir wurde in diesem Getümmel,
während ich aus meiner Kabine mein letztes Gepackstück herausholte, ein funkelnagel¬
neuer, eben erst in Athen gekaufter Schirm vom Deck weggestohlen, jedenfalls
brüstet sich jetzt irgend ein Aufwärter oder Schiffsjunge damit. Dann schleppte ein
Kerl, der nicht zu des Diamandis Schar gehörte, mein Gepäck in sein Boot und
schickte sich an, damit abzufahren. Zum Glück sprang auf mein Geschrei Dörpfeld,
der schon unter in einem der Diamandisschen Kähne stand, in das fremde Boot und
warf eigenhändig meine Gepäckstücke in das seinige. Unter Höllenlärm kam endlich
die Einbootuug unsrer Gesellschaft zustande. Dann fuhr die ganze Flotte ab, indem
Diamandis, gleich einem zweiten Odysseus, auf der Bank des einen Bootes stehend
mit lautem Kvmmandogeschrei die Bewegungen seiner Leute dirigierte.

Schon aus der Ferne sahen wir den Strand und seine Kaffeehäuser mit dichten
Menschenmassen besetzt. Wir fuhren direkt an das Zollhaus, einen niedrigen, mäßig
großen Schuppen, den ein starkes Eisengitter von der Hasengasse trennte. Zwei
oder drei türkische Beamte empfingen uns auf der Landungstreppe mit dem un¬
zerstörbaren Gleichmut und der ruhigen Würde, die so gewichtigen Persönlichkeiten
zukommt. Als wir aufgestiegen waren und uns in dem schmalen Raume drängten,
forderte uns Dörpfeld auf, zunächst einmal unser großes Gepäck an der einen
Schmalwand des Schuppeus zu deponieren, es könne bis zu unsrer Rückkehr hier
bleiben. Auf die schüchterne Frage eines der Herren, ob es denn unter der Obhut
der Türken auch sicher sein werde, erwiderte er ärgerlich: Das weiß ich doch nicht,
das müssen Sie wissen.

Da wir es nun doch auch nicht wußten, so zauberten wir, aber unsre drei
Amerikanerinnen gingen uns mit gutem Beispiel voran, und sie mußten es wohl,
denn ihre Koffer waren viel zu groß, als daß sie von Pferden hätten getragen
werden können. Unsre schweren Gepäckstücke wurden also an der Wand aufgetürmt
so, wie es gerade kam, die leichtern Sachen dagegen, die Taschen und gerollten
Decken, in der Mitte des Raumes aufeinander geworfen.

Nach diesem Haufen schauten durch das dicke Eisengitter die draußen sich
drängenden Lastträger und Pferdetreiber, gleich einer heißhungriger Meute nach
Beute spähend. Sie mußten sich jedoch noch gedulden. Denn jetzt forderte uns
einer der Beamten erst mit all der Gravität, die dem Türken auch bei der geringsten
Negierungshandluug eigen ist, unsre Pässe ab, die bis zu unsrer Rückkehr zu näherer
Prüfung in seinen Händen bleiben sollten. Dann sprach Dörpfeld mit lauter Stimme!
Meine Herren, unsre Sachen werden jetzt revidiert werden, trat an den andern,
schon in wartender Haltung dastehenden Türken heran und händigte ihm unter
ehrfurchtsvollem Schweigen der Menge zwei Medjidje (das sind acht türkische
Franken — sieben Mark) ein. Darauf sagte er wiederum mit lauter Stimme: Meine
Herren, unsre Sachen sind jetzt revidiert — eine Szene von grotesker Komik, die
aber doch zugleich eine recht tragische Seite hat.

Unmittelbar darauf öffnete sich die Tür des Eisengitters, und die draußen
Stehenden stürzten sich Ivie die Wilden auf uns und unser Gepäck. Ich, der ich
ahnungslos in der Nähe der Tür stand, erhielt einen so furchtbaren Stoß, daß
ich rücklings auf den Gepäckhaufen stürzte, während der Türke, der mit mir
karamboliert hatte, zurücktaumelte und dnrch einen zweiten Stoß ebenfalls ans den
Erdboden befördert wurde. In Handumdrehen entwickelte sich nun unter wilden,
Geschrei und Gefluch eine grimmige Kellerei. Die türkischen Beamten schienen diese


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[0114] Line Trojdfahrt über die Bucht, gerade auf die Stadt der Dardanellen los. Bald hielten wir auf der Reede, und die türkischen Regierungsbeamten kamen zur Revision des Schiffes an Bord. Dörpfeld hatte einem Griechen namens Diamandis die Ausbootung unsrer Gesellschaft samt Gepäck übertragen. Dieser Mann erwartete uns schon mit einer ganzen Flottille, aber auch andre Schiffer wollten sich die gute Gelegenheit eines ExtraVerdienstes nicht entgehn lassen und drängten sich unter Rufen und Schreien heran, und kaum war von den Beamten die Erlaubnis erteilt, da enterte die ganze Bande an Bord. Sehnige, sonnengebrännte Gestalten packten unsre Gepäckstücke und suchten jeden Einzelnen mit sich fortzuziehen. Mir wurde in diesem Getümmel, während ich aus meiner Kabine mein letztes Gepackstück herausholte, ein funkelnagel¬ neuer, eben erst in Athen gekaufter Schirm vom Deck weggestohlen, jedenfalls brüstet sich jetzt irgend ein Aufwärter oder Schiffsjunge damit. Dann schleppte ein Kerl, der nicht zu des Diamandis Schar gehörte, mein Gepäck in sein Boot und schickte sich an, damit abzufahren. Zum Glück sprang auf mein Geschrei Dörpfeld, der schon unter in einem der Diamandisschen Kähne stand, in das fremde Boot und warf eigenhändig meine Gepäckstücke in das seinige. Unter Höllenlärm kam endlich die Einbootuug unsrer Gesellschaft zustande. Dann fuhr die ganze Flotte ab, indem Diamandis, gleich einem zweiten Odysseus, auf der Bank des einen Bootes stehend mit lautem Kvmmandogeschrei die Bewegungen seiner Leute dirigierte. Schon aus der Ferne sahen wir den Strand und seine Kaffeehäuser mit dichten Menschenmassen besetzt. Wir fuhren direkt an das Zollhaus, einen niedrigen, mäßig großen Schuppen, den ein starkes Eisengitter von der Hasengasse trennte. Zwei oder drei türkische Beamte empfingen uns auf der Landungstreppe mit dem un¬ zerstörbaren Gleichmut und der ruhigen Würde, die so gewichtigen Persönlichkeiten zukommt. Als wir aufgestiegen waren und uns in dem schmalen Raume drängten, forderte uns Dörpfeld auf, zunächst einmal unser großes Gepäck an der einen Schmalwand des Schuppeus zu deponieren, es könne bis zu unsrer Rückkehr hier bleiben. Auf die schüchterne Frage eines der Herren, ob es denn unter der Obhut der Türken auch sicher sein werde, erwiderte er ärgerlich: Das weiß ich doch nicht, das müssen Sie wissen. Da wir es nun doch auch nicht wußten, so zauberten wir, aber unsre drei Amerikanerinnen gingen uns mit gutem Beispiel voran, und sie mußten es wohl, denn ihre Koffer waren viel zu groß, als daß sie von Pferden hätten getragen werden können. Unsre schweren Gepäckstücke wurden also an der Wand aufgetürmt so, wie es gerade kam, die leichtern Sachen dagegen, die Taschen und gerollten Decken, in der Mitte des Raumes aufeinander geworfen. Nach diesem Haufen schauten durch das dicke Eisengitter die draußen sich drängenden Lastträger und Pferdetreiber, gleich einer heißhungriger Meute nach Beute spähend. Sie mußten sich jedoch noch gedulden. Denn jetzt forderte uns einer der Beamten erst mit all der Gravität, die dem Türken auch bei der geringsten Negierungshandluug eigen ist, unsre Pässe ab, die bis zu unsrer Rückkehr zu näherer Prüfung in seinen Händen bleiben sollten. Dann sprach Dörpfeld mit lauter Stimme! Meine Herren, unsre Sachen werden jetzt revidiert werden, trat an den andern, schon in wartender Haltung dastehenden Türken heran und händigte ihm unter ehrfurchtsvollem Schweigen der Menge zwei Medjidje (das sind acht türkische Franken — sieben Mark) ein. Darauf sagte er wiederum mit lauter Stimme: Meine Herren, unsre Sachen sind jetzt revidiert — eine Szene von grotesker Komik, die aber doch zugleich eine recht tragische Seite hat. Unmittelbar darauf öffnete sich die Tür des Eisengitters, und die draußen Stehenden stürzten sich Ivie die Wilden auf uns und unser Gepäck. Ich, der ich ahnungslos in der Nähe der Tür stand, erhielt einen so furchtbaren Stoß, daß ich rücklings auf den Gepäckhaufen stürzte, während der Türke, der mit mir karamboliert hatte, zurücktaumelte und dnrch einen zweiten Stoß ebenfalls ans den Erdboden befördert wurde. In Handumdrehen entwickelte sich nun unter wilden, Geschrei und Gefluch eine grimmige Kellerei. Die türkischen Beamten schienen diese

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Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_293618/114>, abgerufen am 05.07.2024.