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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr.

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Johann Friedrich Reichardt

mal das Glück so recht genießen solle. Reichardt zeichnete in behaglichem
Rückblick seine Jugenderinnerungen auf und veröffentlichte sie in seiner Berliner
musikalischen Zeitung. Mit den jüngern Romantikern Tieck, Arnim und
Brentano stand er im lebhaftesten Verkehr, und das gastfreie Landhaus zu
Giebichenstein verdiente sich den Namen: Die Herberge der Romantik. Nament¬
lich an der berühmten Volksliedersammlung, des Knaben Wunderhorn, nahm er
den regsten Anteil, steuerte alte Texte und Weisen bei, und so finden wir in
der ältesten Ausgabe die beiden Namen Goethe und Reichardt ehrenvoll ver¬
einigt. Dem großen Dichter, dessen höchste lyrische Meisterwerke nur verklärte
Volkslieder sind, wird die Sammlung gewidmet, und an Reichardt richtet
Arnim ein gemütvolles Nachwort, worin er auf seine Verdienste um das
deutsche Volkslied rühmend hinweist. Wiederholt war 1805 Arnim in dem
trauten Familienkreise, im blütenvollen Mai, wo dann wohl in lauen Nächten
im herrlichen Garten zum Nachtigallenschlage die schönen Töchter Reichardts,
von Waldhörnern begleitet, die alten trauten Volkslieder anstimmten, und zu
Weihnachten, wo er unter dem Lichterbaume sinnig beschenkt wurde. Auch
der ritterliche Prinz Louis Ferdinand, von demselben Haß gegen Napoleon
beseelt, erschien oft von seinem nahen Landgute Wettin, wie die vaterländisch
gesinnten Professoren Schleiermacher und Steffens, Reichardts Schwiegersohn.

Als dann im Oktober 1305 die Abrechnung mit Napoleon vor der Tür
zu stehn schien, druckte Reichardt in der Berliner Musikzeitung ein altes
Kriegslicd von Zinkgref mit seiner neuen Weise ab und pries den guten
Kampf, der beginnen sollte. In dieser kriegerischen Stimmung ließ er auch
die derbe politische Satire anonym in die Welt flattern, die offnen Briefe des
Freiherrn Arminius von der Eiche und seines Leibjügers Hans Heidekraut
während ihres Leid- und Freudelebens zu Frankreich. Es ist ein persiflierender
Nachklang seiner Pariser Reise, in dem der alte Freidenker seinen Gesinnungs¬
wandel schildert. Der für französische Freiheit und Gleichheit begeisterte
deutsche Freiherr wallfahrtet nach Paris und erlebt im Lande seiner Träume
eine Enttäuschung nach der andern. Die Marseillaise ist aus der Mode ge¬
kommen, lächerlich geworden und wird schändlich parodiert. Nach manchem
ähnlichen Abenteuer sucht sich der Junker bei der großen Parade auf dem
Marsfelde in die Nähe seines Idols Bonaparte zu drängen, wird aber infolge
einer unwillkürlichen Bewegung seines Prunksäbels eines Mordanfalls ver¬
dächtig und in den Bicetre gesperrt. Da bahnt sich der alte S. (Schlnbern-
dorf) einen Weg zu dem Gefangnen, gießt Trost in sein tief verwundetes
Herz und klärt ihn über das Trugbild der französischen Freiheit und den
Wert der preußischen Staatseinrichtungen auf. So schildert Reichardt seine
eigne Bekehrung durch den Grafen Schlaberndorf. Auch diese Schrift sollte
gegen den tyrannischen Napoleon Stimmung machen und den notwendigen
Kampf vorbereiten.

Der Tag von Jena kam. Reichardt wußte, was ihm von Napoleon
drohte. Er floh aus Halle und begab sich nach Königsberg, wo er als
Protokollführer des Kommandanten von Kalkreuth tütig war und daneben die
trüben Stunden der edeln Königin Luise mit seinen Liedern erheiterte. Eine


Johann Friedrich Reichardt

mal das Glück so recht genießen solle. Reichardt zeichnete in behaglichem
Rückblick seine Jugenderinnerungen auf und veröffentlichte sie in seiner Berliner
musikalischen Zeitung. Mit den jüngern Romantikern Tieck, Arnim und
Brentano stand er im lebhaftesten Verkehr, und das gastfreie Landhaus zu
Giebichenstein verdiente sich den Namen: Die Herberge der Romantik. Nament¬
lich an der berühmten Volksliedersammlung, des Knaben Wunderhorn, nahm er
den regsten Anteil, steuerte alte Texte und Weisen bei, und so finden wir in
der ältesten Ausgabe die beiden Namen Goethe und Reichardt ehrenvoll ver¬
einigt. Dem großen Dichter, dessen höchste lyrische Meisterwerke nur verklärte
Volkslieder sind, wird die Sammlung gewidmet, und an Reichardt richtet
Arnim ein gemütvolles Nachwort, worin er auf seine Verdienste um das
deutsche Volkslied rühmend hinweist. Wiederholt war 1805 Arnim in dem
trauten Familienkreise, im blütenvollen Mai, wo dann wohl in lauen Nächten
im herrlichen Garten zum Nachtigallenschlage die schönen Töchter Reichardts,
von Waldhörnern begleitet, die alten trauten Volkslieder anstimmten, und zu
Weihnachten, wo er unter dem Lichterbaume sinnig beschenkt wurde. Auch
der ritterliche Prinz Louis Ferdinand, von demselben Haß gegen Napoleon
beseelt, erschien oft von seinem nahen Landgute Wettin, wie die vaterländisch
gesinnten Professoren Schleiermacher und Steffens, Reichardts Schwiegersohn.

Als dann im Oktober 1305 die Abrechnung mit Napoleon vor der Tür
zu stehn schien, druckte Reichardt in der Berliner Musikzeitung ein altes
Kriegslicd von Zinkgref mit seiner neuen Weise ab und pries den guten
Kampf, der beginnen sollte. In dieser kriegerischen Stimmung ließ er auch
die derbe politische Satire anonym in die Welt flattern, die offnen Briefe des
Freiherrn Arminius von der Eiche und seines Leibjügers Hans Heidekraut
während ihres Leid- und Freudelebens zu Frankreich. Es ist ein persiflierender
Nachklang seiner Pariser Reise, in dem der alte Freidenker seinen Gesinnungs¬
wandel schildert. Der für französische Freiheit und Gleichheit begeisterte
deutsche Freiherr wallfahrtet nach Paris und erlebt im Lande seiner Träume
eine Enttäuschung nach der andern. Die Marseillaise ist aus der Mode ge¬
kommen, lächerlich geworden und wird schändlich parodiert. Nach manchem
ähnlichen Abenteuer sucht sich der Junker bei der großen Parade auf dem
Marsfelde in die Nähe seines Idols Bonaparte zu drängen, wird aber infolge
einer unwillkürlichen Bewegung seines Prunksäbels eines Mordanfalls ver¬
dächtig und in den Bicetre gesperrt. Da bahnt sich der alte S. (Schlnbern-
dorf) einen Weg zu dem Gefangnen, gießt Trost in sein tief verwundetes
Herz und klärt ihn über das Trugbild der französischen Freiheit und den
Wert der preußischen Staatseinrichtungen auf. So schildert Reichardt seine
eigne Bekehrung durch den Grafen Schlaberndorf. Auch diese Schrift sollte
gegen den tyrannischen Napoleon Stimmung machen und den notwendigen
Kampf vorbereiten.

Der Tag von Jena kam. Reichardt wußte, was ihm von Napoleon
drohte. Er floh aus Halle und begab sich nach Königsberg, wo er als
Protokollführer des Kommandanten von Kalkreuth tütig war und daneben die
trüben Stunden der edeln Königin Luise mit seinen Liedern erheiterte. Eine


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_293618/108>, abgerufen am 05.07.2024.