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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr.

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Die Klabunkerstraße
Lharlotte Niese Roman von(Schluß)
22

^ ^L^*ier Jahre lang war Elisabeth gesund gewesen; jetzt lag sie in ihrem
kleinen Wohnzimmer auf dem Ruhebett und wünschte sich den Tod.
Ein leises Einschlummern nach Kampf und Arbeit, einen tiefen Schlaf
nach allen Schmerzen der Sehnsucht und der Neue.

-^^^Von draußen her legte sich die Dämmerung über die Welt, und
im Nebenzimmer sangen die Kinder. Die armen Kleinen, die so lange
mit der Krankheit gekämpft hatten und sich nur langsam erholten. Rüdeger war
uoch immer nicht ganz gesund und leicht gereizt und weinerlich, wie man es sonst
nicht an ihm kannte.

Bei seiner Pflege hatte sich Elisabeth überanstrengt, besonders da auch Rosnlie
krank geworden war und ihr nicht hatte helfen können. Nun kämpfte sie mit einem
Zusammenbruch ihrer Nerven und war nur froh, wenn sie ganz still liegen konnte
und nicht nötig hatte zu denken. Aber die Gedanken kamen ungerufen, und die
große Sehnsucht in ihrem Herzen erhob ihr Haupt und nahm ihr die Ruhe. Sie
hatte so wenig Geduld mit Wolf gehabt. Sie war im Zorn von ihm gegangen
und hatte ihn vergessen wollen. Sie hatte ihren verletzten Stolz reden lassen und
nicht ihr Herz. Nun war sie einsam, und das Leben lag dunkel vor ihr.

Im Nebenzimmer sang Jetta:

Das Verschen hatte sie von Rosalie gelernt und eine Melodie dazu ersonnen.
Jetzt fiel auch Irmgard ein:

Dünn klangen die Kinderstimmen und müde dazu, aber Elisabeth richtete sich
auf und stützte den Kopf in die Hand. Wenn sie davonging: was wurde aus deu
Kindern?

Ich bin vergnügt, sang Irmgard, und ihre Mutter legte sich in die Kissen.
Wolf würde kommen und seine Kinder holen. Er hatte ein Recht auf sie, und
Elisabeth hatte sich schon lange heimlich gewundert, daß er dieses Recht nicht
geltend machte. Sie hatte ihm zwar den weitaus größten Teil ihrer Erbschaft
unter der Bedingung überlassen, daß die Kinder ihr verbleiben sollten; aber der
Rechtsanwalt hatte ihr damals gleich gesagt, daß der Vater immer Ansprüche auf
seinen Sohn hätte. Wolf hatte auch niemals seine Einwilligung zu diesem Vor¬
schlag gegeben. Er hatte Elisabeth ziehn und sich von ihr scheiden lassen; derselbe
Rechtsanwalt aber hatte ihr mitgeteilt, daß bei ihm alljährlich vom Baron Wolffen-
radt eine bedeutende Summe auf den Namen seiner Kinder hinterlegt würde.
Also Wolf dachte an seine Kinder, und Elisabeth ahnte, daß er sich mehr mit dem
Gedanken an sie beschäftigte, als er jemals eingestehn würde. Er war so stolz auf




Die Klabunkerstraße
Lharlotte Niese Roman von(Schluß)
22

^ ^L^*ier Jahre lang war Elisabeth gesund gewesen; jetzt lag sie in ihrem
kleinen Wohnzimmer auf dem Ruhebett und wünschte sich den Tod.
Ein leises Einschlummern nach Kampf und Arbeit, einen tiefen Schlaf
nach allen Schmerzen der Sehnsucht und der Neue.

-^^^Von draußen her legte sich die Dämmerung über die Welt, und
im Nebenzimmer sangen die Kinder. Die armen Kleinen, die so lange
mit der Krankheit gekämpft hatten und sich nur langsam erholten. Rüdeger war
uoch immer nicht ganz gesund und leicht gereizt und weinerlich, wie man es sonst
nicht an ihm kannte.

Bei seiner Pflege hatte sich Elisabeth überanstrengt, besonders da auch Rosnlie
krank geworden war und ihr nicht hatte helfen können. Nun kämpfte sie mit einem
Zusammenbruch ihrer Nerven und war nur froh, wenn sie ganz still liegen konnte
und nicht nötig hatte zu denken. Aber die Gedanken kamen ungerufen, und die
große Sehnsucht in ihrem Herzen erhob ihr Haupt und nahm ihr die Ruhe. Sie
hatte so wenig Geduld mit Wolf gehabt. Sie war im Zorn von ihm gegangen
und hatte ihn vergessen wollen. Sie hatte ihren verletzten Stolz reden lassen und
nicht ihr Herz. Nun war sie einsam, und das Leben lag dunkel vor ihr.

Im Nebenzimmer sang Jetta:

Das Verschen hatte sie von Rosalie gelernt und eine Melodie dazu ersonnen.
Jetzt fiel auch Irmgard ein:

Dünn klangen die Kinderstimmen und müde dazu, aber Elisabeth richtete sich
auf und stützte den Kopf in die Hand. Wenn sie davonging: was wurde aus deu
Kindern?

Ich bin vergnügt, sang Irmgard, und ihre Mutter legte sich in die Kissen.
Wolf würde kommen und seine Kinder holen. Er hatte ein Recht auf sie, und
Elisabeth hatte sich schon lange heimlich gewundert, daß er dieses Recht nicht
geltend machte. Sie hatte ihm zwar den weitaus größten Teil ihrer Erbschaft
unter der Bedingung überlassen, daß die Kinder ihr verbleiben sollten; aber der
Rechtsanwalt hatte ihr damals gleich gesagt, daß der Vater immer Ansprüche auf
seinen Sohn hätte. Wolf hatte auch niemals seine Einwilligung zu diesem Vor¬
schlag gegeben. Er hatte Elisabeth ziehn und sich von ihr scheiden lassen; derselbe
Rechtsanwalt aber hatte ihr mitgeteilt, daß bei ihm alljährlich vom Baron Wolffen-
radt eine bedeutende Summe auf den Namen seiner Kinder hinterlegt würde.
Also Wolf dachte an seine Kinder, und Elisabeth ahnte, daß er sich mehr mit dem
Gedanken an sie beschäftigte, als er jemals eingestehn würde. Er war so stolz auf


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[0794] [Abbildung] Die Klabunkerstraße Lharlotte Niese Roman von(Schluß) 22 ^ ^L^*ier Jahre lang war Elisabeth gesund gewesen; jetzt lag sie in ihrem kleinen Wohnzimmer auf dem Ruhebett und wünschte sich den Tod. Ein leises Einschlummern nach Kampf und Arbeit, einen tiefen Schlaf nach allen Schmerzen der Sehnsucht und der Neue. -^^^Von draußen her legte sich die Dämmerung über die Welt, und im Nebenzimmer sangen die Kinder. Die armen Kleinen, die so lange mit der Krankheit gekämpft hatten und sich nur langsam erholten. Rüdeger war uoch immer nicht ganz gesund und leicht gereizt und weinerlich, wie man es sonst nicht an ihm kannte. Bei seiner Pflege hatte sich Elisabeth überanstrengt, besonders da auch Rosnlie krank geworden war und ihr nicht hatte helfen können. Nun kämpfte sie mit einem Zusammenbruch ihrer Nerven und war nur froh, wenn sie ganz still liegen konnte und nicht nötig hatte zu denken. Aber die Gedanken kamen ungerufen, und die große Sehnsucht in ihrem Herzen erhob ihr Haupt und nahm ihr die Ruhe. Sie hatte so wenig Geduld mit Wolf gehabt. Sie war im Zorn von ihm gegangen und hatte ihn vergessen wollen. Sie hatte ihren verletzten Stolz reden lassen und nicht ihr Herz. Nun war sie einsam, und das Leben lag dunkel vor ihr. Im Nebenzimmer sang Jetta: Das Verschen hatte sie von Rosalie gelernt und eine Melodie dazu ersonnen. Jetzt fiel auch Irmgard ein: Dünn klangen die Kinderstimmen und müde dazu, aber Elisabeth richtete sich auf und stützte den Kopf in die Hand. Wenn sie davonging: was wurde aus deu Kindern? Ich bin vergnügt, sang Irmgard, und ihre Mutter legte sich in die Kissen. Wolf würde kommen und seine Kinder holen. Er hatte ein Recht auf sie, und Elisabeth hatte sich schon lange heimlich gewundert, daß er dieses Recht nicht geltend machte. Sie hatte ihm zwar den weitaus größten Teil ihrer Erbschaft unter der Bedingung überlassen, daß die Kinder ihr verbleiben sollten; aber der Rechtsanwalt hatte ihr damals gleich gesagt, daß der Vater immer Ansprüche auf seinen Sohn hätte. Wolf hatte auch niemals seine Einwilligung zu diesem Vor¬ schlag gegeben. Er hatte Elisabeth ziehn und sich von ihr scheiden lassen; derselbe Rechtsanwalt aber hatte ihr mitgeteilt, daß bei ihm alljährlich vom Baron Wolffen- radt eine bedeutende Summe auf den Namen seiner Kinder hinterlegt würde. Also Wolf dachte an seine Kinder, und Elisabeth ahnte, daß er sich mehr mit dem Gedanken an sie beschäftigte, als er jemals eingestehn würde. Er war so stolz auf

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_292796/794>, abgerufen am 22.07.2024.