Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Erinnerungen aus der Rriegsgefangenschaft in den Jahren 1.870 und ^87^

Schuster, Kaufleute und Händler, Hotelwtrt und Restaurateure, zuvorkommend und
höflich, sondern auch die übrigen Leute ließen sich selten zu Ungehörigkeiten hinreißen.
Wir konnten doch im allgemeinen ganz ruhig und unbehelligt unsrer Wege gehn, bei
Tage wie am Abend, konnten im Restaurant speisen, im Cafü Billard- oder Karten¬
spiel treiben und Zeitungen lesen, ohne darin gestört zu werdeu. Nur Menschen
der niedersten Klasse machten sich wohl, namentlich Abends, wenn man ihnen begegnete,
auf uns aufmerksam; da hörte man Äußerungen wie voM ass ^rnWicins, ein zweiter
rief etwa WZ oocznMs oder <ZW bSws; it taut, Iss xsnärs, it taut los tnsr meinte
etwa ein dritter, machte auch wohl eine bezeichnende Geste an seinen: Halse --
doch übersahen wir das natürlich, und so blieben die freundlichen Menschen bei
ihren guten Wünschen und beruhigten sich. Auch kam es Abends, wenn man zum
Diner ging oder von dort heimkehrte, wohl vor, daß ein Franzose einem mit solchen
Äußerungen folgte und, wenn man dann rascher ging, sich das kindliche Vergnügen
nicht versagte, ebenfalls rascher zu folgen; aber mehr und schlimmeres tat er uns
nicht. Ein Kamerad freilich, der infolge der ertragnen Strapaze" und erlittnen
Mißhandlungen sehr nervös war, kam manchmal Abends zum Diner ganz außer
Atem, weil ihm einige Nowdies gefolgt waren, sodaß er beinahe geprügelt worden
wäre; aber das geschah immer nur "beinahe," in Wirklichkeit waren ihm nie Tät¬
lichkeiten widerfahren. Überhaupt kam es, so weit ich mich erinnern kann, nur ein
einziges mal vor, daß ein Steuermann Abends mit einigen Franzosen in einen
Streit geriet, der in eine Schlägerei ausartete und ihm eine gehörige Menge
Schläge einbrachte; wer die Veranlassung dazu gegeben hatte, konnte nicht festgestellt
werden, aber es war sicher, daß unser Steuermann nicht ganz nüchtern gewesen war.

Auch über die französischen Behörden und Offiziere durften wir im allgemeinen
nicht klagen. Namentlich war der Kapitän der Gendarmerie, der uns zu überwachen
hatte, in jeder Hinsicht höflich und artig. Nur einmal waren wir nicht ganz mit
ihm einverstanden, als er uns an einem Wochentage zu einem besondern Appell
zusammenberief. Einer der jüngsten Gefangnen hatte gegen die getroffne Anordnung
einen Brief nach Deutschland geschlossen in einen öffentlichen Briefkasten gesteckt.
Das war höchst töricht, denn es mußte ja entdeckt werden, es war auch gewiß
nicht in der Ordnung, doch vermochten wir andern alle die Sache nicht so schlimm
aufzufassen, wie unser Kapitän, der jedenfalls sehr entrüstet tat und uns eine
längere Strafrede hielt, sich dann aber durch eine angemessene Entschuldigung des
Offiziers auch leicht wieder beruhigen ließ. Bald nachher erregte ein andrer Vor¬
gang größere und nachhaltigere Mißstimmung unter uns Gefangnen. Einige
Kameraden hatten eines Abends, ich weiß nicht mehr, aus welcher Veranlassung,
länger und mehr, als üblich und nötig war, zusammen gezecht und schließlich sogar
noch gesungen. Darüber hatten sich einige Citoyens beklagt, und so berief uns in
Abwesenheit des Kapitäns dessen nächster Vorgesetzter, der ooming,u<Zank, as l"
AMä-iiMA-is, zu einem besondern Appell und hielt uns eine sehr heftige Rede über
das Ungeziemende eines solchen Benehmens, wo der grausame Krieg noch onde,
Frankreich in Trauer sei usw. Dabei bediente er sich so starker und grober Aus¬
drücke, daß wir alle, wenngleich viele von uns ihm sachlich Recht gaben, sehr ent¬
rüstet waren und sofort einige aus unsrer Mitte beauftragten, in einer Eingabe an
den Divisionsgencrnl in Se. Etienne Beschwerde über den Kommandanten zu erheben.
Das ist denn auch geschehen, und dieser Kommandant hat sich seitdem nie wieder
um uns gekümmert; im übrigen hat die höhere Instanz auf unsre Beschwerdeschrift
gar nicht geantwortet.

Wie uns sämtlich jede Woche die Appelle zusammenführten, so vereinigten uns
auch freudige und traurige Veranlassungen mehrfach. Der heilige Weihnachtsabend
wurde in verschiednen Gruppen gemeinsam verlebt und gefeiert. Uns Gästen des
Hotel du Nord war es gelungen, einen schönen, großen Tannenbaum zu kaufen,
"ut uun beschäftigten wir uus, wie wir es von der Heimat her gewohut waren,
eifrig damit, aus bunten Papier Ketten, Blumen, Fähnchen, Sterne und dergleichen


Grenzboten I 1904 102
Erinnerungen aus der Rriegsgefangenschaft in den Jahren 1.870 und ^87^

Schuster, Kaufleute und Händler, Hotelwtrt und Restaurateure, zuvorkommend und
höflich, sondern auch die übrigen Leute ließen sich selten zu Ungehörigkeiten hinreißen.
Wir konnten doch im allgemeinen ganz ruhig und unbehelligt unsrer Wege gehn, bei
Tage wie am Abend, konnten im Restaurant speisen, im Cafü Billard- oder Karten¬
spiel treiben und Zeitungen lesen, ohne darin gestört zu werdeu. Nur Menschen
der niedersten Klasse machten sich wohl, namentlich Abends, wenn man ihnen begegnete,
auf uns aufmerksam; da hörte man Äußerungen wie voM ass ^rnWicins, ein zweiter
rief etwa WZ oocznMs oder <ZW bSws; it taut, Iss xsnärs, it taut los tnsr meinte
etwa ein dritter, machte auch wohl eine bezeichnende Geste an seinen: Halse —
doch übersahen wir das natürlich, und so blieben die freundlichen Menschen bei
ihren guten Wünschen und beruhigten sich. Auch kam es Abends, wenn man zum
Diner ging oder von dort heimkehrte, wohl vor, daß ein Franzose einem mit solchen
Äußerungen folgte und, wenn man dann rascher ging, sich das kindliche Vergnügen
nicht versagte, ebenfalls rascher zu folgen; aber mehr und schlimmeres tat er uns
nicht. Ein Kamerad freilich, der infolge der ertragnen Strapaze» und erlittnen
Mißhandlungen sehr nervös war, kam manchmal Abends zum Diner ganz außer
Atem, weil ihm einige Nowdies gefolgt waren, sodaß er beinahe geprügelt worden
wäre; aber das geschah immer nur „beinahe," in Wirklichkeit waren ihm nie Tät¬
lichkeiten widerfahren. Überhaupt kam es, so weit ich mich erinnern kann, nur ein
einziges mal vor, daß ein Steuermann Abends mit einigen Franzosen in einen
Streit geriet, der in eine Schlägerei ausartete und ihm eine gehörige Menge
Schläge einbrachte; wer die Veranlassung dazu gegeben hatte, konnte nicht festgestellt
werden, aber es war sicher, daß unser Steuermann nicht ganz nüchtern gewesen war.

Auch über die französischen Behörden und Offiziere durften wir im allgemeinen
nicht klagen. Namentlich war der Kapitän der Gendarmerie, der uns zu überwachen
hatte, in jeder Hinsicht höflich und artig. Nur einmal waren wir nicht ganz mit
ihm einverstanden, als er uns an einem Wochentage zu einem besondern Appell
zusammenberief. Einer der jüngsten Gefangnen hatte gegen die getroffne Anordnung
einen Brief nach Deutschland geschlossen in einen öffentlichen Briefkasten gesteckt.
Das war höchst töricht, denn es mußte ja entdeckt werden, es war auch gewiß
nicht in der Ordnung, doch vermochten wir andern alle die Sache nicht so schlimm
aufzufassen, wie unser Kapitän, der jedenfalls sehr entrüstet tat und uns eine
längere Strafrede hielt, sich dann aber durch eine angemessene Entschuldigung des
Offiziers auch leicht wieder beruhigen ließ. Bald nachher erregte ein andrer Vor¬
gang größere und nachhaltigere Mißstimmung unter uns Gefangnen. Einige
Kameraden hatten eines Abends, ich weiß nicht mehr, aus welcher Veranlassung,
länger und mehr, als üblich und nötig war, zusammen gezecht und schließlich sogar
noch gesungen. Darüber hatten sich einige Citoyens beklagt, und so berief uns in
Abwesenheit des Kapitäns dessen nächster Vorgesetzter, der ooming,u<Zank, as l»
AMä-iiMA-is, zu einem besondern Appell und hielt uns eine sehr heftige Rede über
das Ungeziemende eines solchen Benehmens, wo der grausame Krieg noch onde,
Frankreich in Trauer sei usw. Dabei bediente er sich so starker und grober Aus¬
drücke, daß wir alle, wenngleich viele von uns ihm sachlich Recht gaben, sehr ent¬
rüstet waren und sofort einige aus unsrer Mitte beauftragten, in einer Eingabe an
den Divisionsgencrnl in Se. Etienne Beschwerde über den Kommandanten zu erheben.
Das ist denn auch geschehen, und dieser Kommandant hat sich seitdem nie wieder
um uns gekümmert; im übrigen hat die höhere Instanz auf unsre Beschwerdeschrift
gar nicht geantwortet.

Wie uns sämtlich jede Woche die Appelle zusammenführten, so vereinigten uns
auch freudige und traurige Veranlassungen mehrfach. Der heilige Weihnachtsabend
wurde in verschiednen Gruppen gemeinsam verlebt und gefeiert. Uns Gästen des
Hotel du Nord war es gelungen, einen schönen, großen Tannenbaum zu kaufen,
«ut uun beschäftigten wir uus, wie wir es von der Heimat her gewohut waren,
eifrig damit, aus bunten Papier Ketten, Blumen, Fähnchen, Sterne und dergleichen


Grenzboten I 1904 102
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0791" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/293590"/>
          <fw type="header" place="top"> Erinnerungen aus der Rriegsgefangenschaft in den Jahren 1.870 und ^87^</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_4515" prev="#ID_4514"> Schuster, Kaufleute und Händler, Hotelwtrt und Restaurateure, zuvorkommend und<lb/>
höflich, sondern auch die übrigen Leute ließen sich selten zu Ungehörigkeiten hinreißen.<lb/>
Wir konnten doch im allgemeinen ganz ruhig und unbehelligt unsrer Wege gehn, bei<lb/>
Tage wie am Abend, konnten im Restaurant speisen, im Cafü Billard- oder Karten¬<lb/>
spiel treiben und Zeitungen lesen, ohne darin gestört zu werdeu. Nur Menschen<lb/>
der niedersten Klasse machten sich wohl, namentlich Abends, wenn man ihnen begegnete,<lb/>
auf uns aufmerksam; da hörte man Äußerungen wie voM ass ^rnWicins, ein zweiter<lb/>
rief etwa WZ oocznMs oder &lt;ZW bSws; it taut, Iss xsnärs, it taut los tnsr meinte<lb/>
etwa ein dritter, machte auch wohl eine bezeichnende Geste an seinen: Halse &#x2014;<lb/>
doch übersahen wir das natürlich, und so blieben die freundlichen Menschen bei<lb/>
ihren guten Wünschen und beruhigten sich. Auch kam es Abends, wenn man zum<lb/>
Diner ging oder von dort heimkehrte, wohl vor, daß ein Franzose einem mit solchen<lb/>
Äußerungen folgte und, wenn man dann rascher ging, sich das kindliche Vergnügen<lb/>
nicht versagte, ebenfalls rascher zu folgen; aber mehr und schlimmeres tat er uns<lb/>
nicht. Ein Kamerad freilich, der infolge der ertragnen Strapaze» und erlittnen<lb/>
Mißhandlungen sehr nervös war, kam manchmal Abends zum Diner ganz außer<lb/>
Atem, weil ihm einige Nowdies gefolgt waren, sodaß er beinahe geprügelt worden<lb/>
wäre; aber das geschah immer nur &#x201E;beinahe," in Wirklichkeit waren ihm nie Tät¬<lb/>
lichkeiten widerfahren. Überhaupt kam es, so weit ich mich erinnern kann, nur ein<lb/>
einziges mal vor, daß ein Steuermann Abends mit einigen Franzosen in einen<lb/>
Streit geriet, der in eine Schlägerei ausartete und ihm eine gehörige Menge<lb/>
Schläge einbrachte; wer die Veranlassung dazu gegeben hatte, konnte nicht festgestellt<lb/>
werden, aber es war sicher, daß unser Steuermann nicht ganz nüchtern gewesen war.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_4516"> Auch über die französischen Behörden und Offiziere durften wir im allgemeinen<lb/>
nicht klagen. Namentlich war der Kapitän der Gendarmerie, der uns zu überwachen<lb/>
hatte, in jeder Hinsicht höflich und artig. Nur einmal waren wir nicht ganz mit<lb/>
ihm einverstanden, als er uns an einem Wochentage zu einem besondern Appell<lb/>
zusammenberief. Einer der jüngsten Gefangnen hatte gegen die getroffne Anordnung<lb/>
einen Brief nach Deutschland geschlossen in einen öffentlichen Briefkasten gesteckt.<lb/>
Das war höchst töricht, denn es mußte ja entdeckt werden, es war auch gewiß<lb/>
nicht in der Ordnung, doch vermochten wir andern alle die Sache nicht so schlimm<lb/>
aufzufassen, wie unser Kapitän, der jedenfalls sehr entrüstet tat und uns eine<lb/>
längere Strafrede hielt, sich dann aber durch eine angemessene Entschuldigung des<lb/>
Offiziers auch leicht wieder beruhigen ließ. Bald nachher erregte ein andrer Vor¬<lb/>
gang größere und nachhaltigere Mißstimmung unter uns Gefangnen. Einige<lb/>
Kameraden hatten eines Abends, ich weiß nicht mehr, aus welcher Veranlassung,<lb/>
länger und mehr, als üblich und nötig war, zusammen gezecht und schließlich sogar<lb/>
noch gesungen. Darüber hatten sich einige Citoyens beklagt, und so berief uns in<lb/>
Abwesenheit des Kapitäns dessen nächster Vorgesetzter, der ooming,u&lt;Zank, as l»<lb/>
AMä-iiMA-is, zu einem besondern Appell und hielt uns eine sehr heftige Rede über<lb/>
das Ungeziemende eines solchen Benehmens, wo der grausame Krieg noch onde,<lb/>
Frankreich in Trauer sei usw. Dabei bediente er sich so starker und grober Aus¬<lb/>
drücke, daß wir alle, wenngleich viele von uns ihm sachlich Recht gaben, sehr ent¬<lb/>
rüstet waren und sofort einige aus unsrer Mitte beauftragten, in einer Eingabe an<lb/>
den Divisionsgencrnl in Se. Etienne Beschwerde über den Kommandanten zu erheben.<lb/>
Das ist denn auch geschehen, und dieser Kommandant hat sich seitdem nie wieder<lb/>
um uns gekümmert; im übrigen hat die höhere Instanz auf unsre Beschwerdeschrift<lb/>
gar nicht geantwortet.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_4517" next="#ID_4518"> Wie uns sämtlich jede Woche die Appelle zusammenführten, so vereinigten uns<lb/>
auch freudige und traurige Veranlassungen mehrfach. Der heilige Weihnachtsabend<lb/>
wurde in verschiednen Gruppen gemeinsam verlebt und gefeiert. Uns Gästen des<lb/>
Hotel du Nord war es gelungen, einen schönen, großen Tannenbaum zu kaufen,<lb/>
«ut uun beschäftigten wir uus, wie wir es von der Heimat her gewohut waren,<lb/>
eifrig damit, aus bunten Papier Ketten, Blumen, Fähnchen, Sterne und dergleichen</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten I 1904 102</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0791] Erinnerungen aus der Rriegsgefangenschaft in den Jahren 1.870 und ^87^ Schuster, Kaufleute und Händler, Hotelwtrt und Restaurateure, zuvorkommend und höflich, sondern auch die übrigen Leute ließen sich selten zu Ungehörigkeiten hinreißen. Wir konnten doch im allgemeinen ganz ruhig und unbehelligt unsrer Wege gehn, bei Tage wie am Abend, konnten im Restaurant speisen, im Cafü Billard- oder Karten¬ spiel treiben und Zeitungen lesen, ohne darin gestört zu werdeu. Nur Menschen der niedersten Klasse machten sich wohl, namentlich Abends, wenn man ihnen begegnete, auf uns aufmerksam; da hörte man Äußerungen wie voM ass ^rnWicins, ein zweiter rief etwa WZ oocznMs oder <ZW bSws; it taut, Iss xsnärs, it taut los tnsr meinte etwa ein dritter, machte auch wohl eine bezeichnende Geste an seinen: Halse — doch übersahen wir das natürlich, und so blieben die freundlichen Menschen bei ihren guten Wünschen und beruhigten sich. Auch kam es Abends, wenn man zum Diner ging oder von dort heimkehrte, wohl vor, daß ein Franzose einem mit solchen Äußerungen folgte und, wenn man dann rascher ging, sich das kindliche Vergnügen nicht versagte, ebenfalls rascher zu folgen; aber mehr und schlimmeres tat er uns nicht. Ein Kamerad freilich, der infolge der ertragnen Strapaze» und erlittnen Mißhandlungen sehr nervös war, kam manchmal Abends zum Diner ganz außer Atem, weil ihm einige Nowdies gefolgt waren, sodaß er beinahe geprügelt worden wäre; aber das geschah immer nur „beinahe," in Wirklichkeit waren ihm nie Tät¬ lichkeiten widerfahren. Überhaupt kam es, so weit ich mich erinnern kann, nur ein einziges mal vor, daß ein Steuermann Abends mit einigen Franzosen in einen Streit geriet, der in eine Schlägerei ausartete und ihm eine gehörige Menge Schläge einbrachte; wer die Veranlassung dazu gegeben hatte, konnte nicht festgestellt werden, aber es war sicher, daß unser Steuermann nicht ganz nüchtern gewesen war. Auch über die französischen Behörden und Offiziere durften wir im allgemeinen nicht klagen. Namentlich war der Kapitän der Gendarmerie, der uns zu überwachen hatte, in jeder Hinsicht höflich und artig. Nur einmal waren wir nicht ganz mit ihm einverstanden, als er uns an einem Wochentage zu einem besondern Appell zusammenberief. Einer der jüngsten Gefangnen hatte gegen die getroffne Anordnung einen Brief nach Deutschland geschlossen in einen öffentlichen Briefkasten gesteckt. Das war höchst töricht, denn es mußte ja entdeckt werden, es war auch gewiß nicht in der Ordnung, doch vermochten wir andern alle die Sache nicht so schlimm aufzufassen, wie unser Kapitän, der jedenfalls sehr entrüstet tat und uns eine längere Strafrede hielt, sich dann aber durch eine angemessene Entschuldigung des Offiziers auch leicht wieder beruhigen ließ. Bald nachher erregte ein andrer Vor¬ gang größere und nachhaltigere Mißstimmung unter uns Gefangnen. Einige Kameraden hatten eines Abends, ich weiß nicht mehr, aus welcher Veranlassung, länger und mehr, als üblich und nötig war, zusammen gezecht und schließlich sogar noch gesungen. Darüber hatten sich einige Citoyens beklagt, und so berief uns in Abwesenheit des Kapitäns dessen nächster Vorgesetzter, der ooming,u<Zank, as l» AMä-iiMA-is, zu einem besondern Appell und hielt uns eine sehr heftige Rede über das Ungeziemende eines solchen Benehmens, wo der grausame Krieg noch onde, Frankreich in Trauer sei usw. Dabei bediente er sich so starker und grober Aus¬ drücke, daß wir alle, wenngleich viele von uns ihm sachlich Recht gaben, sehr ent¬ rüstet waren und sofort einige aus unsrer Mitte beauftragten, in einer Eingabe an den Divisionsgencrnl in Se. Etienne Beschwerde über den Kommandanten zu erheben. Das ist denn auch geschehen, und dieser Kommandant hat sich seitdem nie wieder um uns gekümmert; im übrigen hat die höhere Instanz auf unsre Beschwerdeschrift gar nicht geantwortet. Wie uns sämtlich jede Woche die Appelle zusammenführten, so vereinigten uns auch freudige und traurige Veranlassungen mehrfach. Der heilige Weihnachtsabend wurde in verschiednen Gruppen gemeinsam verlebt und gefeiert. Uns Gästen des Hotel du Nord war es gelungen, einen schönen, großen Tannenbaum zu kaufen, «ut uun beschäftigten wir uus, wie wir es von der Heimat her gewohut waren, eifrig damit, aus bunten Papier Ketten, Blumen, Fähnchen, Sterne und dergleichen Grenzboten I 1904 102

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_292796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_292796/791
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_292796/791>, abgerufen am 22.07.2024.