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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr.

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Erinnerungen aus der Kriegsgefangenschaft in den Jahren ^370 und 1^37 ^

habe ich wohl halblaute Worte des Ingrimms gehört, habe gesehen, wie dieser ohne
jener davon betroffne alte Mann die Faust ballte, aber von irgend einem energischen
Protest dagegen oder einem ernstlichen Versuch, seine Aufhebung zu bewirken, las
und erfuhr man gar nichts. Auch damals ließ man sich, wie sonst ja so oft, von einem
energischen und rücksichtslosen Mann einfach vergewaltigen.

Unser Briefverkehr mit der Heimat war angeblich gut geregelt und geordnet.
Wir waren angewiesen, unsre Briefe offen in einen bestimmten Briefkasten im
Hotel de Ville zu stecken, und es war uns geraten, möglichst in französischer Sprache
zu korrespondieren, damit die Briefe rascher gelesen und expediert werden könnten.
Aber mit der Schnelligkeit des Expedierens war es im allgemeinen sehr schlecht
bestellt, jedenfalls wurden die Briefe höchst unregelmäßig befördert. Mein erster
Brief an meine Eltern vom fünften Dezember, worin ich um schleunigste Anweisung
von Geld bat, war zwar schon am elften Dezember in ihren Händen, sodaß ich am
neunzehnten Dezember im Besitz des Geldes war, das dnrch einen deutschen Bankier
und durch Vermittlung eines Genfer Bankhauses auf ein Bankgeschäft in Le Puy
angewiesen war. Dagegen kam mein erster Brief an meine Braut erst Weihnachten
an: die Briefe wurde" auf einem Militärburean gelesen -- auf einzelnen steht vu
S, 1a subciiviLim!, auf andern vn K I-r ZMllMmsus --, und da hat man offenbar
die Bitte um Geld für viel eiliger gehalten als deu Brief an die Braut. Die
weitern Briefe bis Anfang Januar 1871 haben in der Regel acht Tage Zeit ge¬
braucht, an ihre Adresse zu gelangen; dann wurde bestimmt, sie sollten zunächst nach
Bordeaux gesandt werden, und dort haben sie in der Regel wochenlang gelegen,
ehe sie, mit dem Stempel Ninistörs Ass Knanoss oder Direktion KÄiSrslo ävs ?o"est
versehen, weiter geschickt wurden. So haben die Meinen, obwohl ich regelmäßig
jede Woche schrieb, von Anfang Januar an lange Zeit überhaupt keine Nachricht
von mir erhalten, und mehrere meiner Briefe sind erst im März oder April, als
ich längst aus der Gefangenschaft entlassen war und wieder bei meinem Regimente
stand, in Deutschland deu Meinen übergeben worden. Umgekehrt war es natürlich
ebenso, ich blieb auch lange Zeiten ohne jede Nachricht, und verschiedne aus der
Heimat an mich gerichtete Briefe siud ganz verloren gegangen.

Eine damit in Zusammenhang stehende Episode mag hier noch erwähnt werden.
Am 4. Februar ließ mich plötzlich der Bankier, dnrch dessen Vermittlung ich mein
Geld bekommen hatte, zu sich bitten und zeigte mir einen Brief meines Vaters vom
27. Januar, worin dieser den Herrn, dessen Namen er aus der Quittung kennen
gelernt hatte, um eine Mitteilung bat, wie ich mich befände, ob ich noch in Le
Puh sei usw.; fast vier Wochen hatten meine Eltern keine Zeile von mir gesehen.
Der alte, freundliche Herr begann mir ernste Vorstellungen zu machen, daß ich ein
so schlechter Sohn sei, meine armen Eltern so lange Zeit in Sorge und Unruhe
um mich sitzen zu lassen; doch schenkte er bald meiner Versicherung Glauben, daß
ich regelmäßig jede Woche geschrieben und keine Schuld hätte, wenn meine Briefe
nicht zu den Meinen gekommen seien. Er ließ mich auf seinem Zimmer einen Brief
schreiben, deu er sofort zu befördern versprach, und der auch von einigen Zeilen
seiner Hand begleitet so rasch, wie es bei den damaligen Zeitläuften überhaupt
möglich war, in die Hände meiner Eltern gelangte.

War dies ein Beweis besondrer Liebenswürdigkeit von einem der Franzosen,
so muß ich auch im übrigen der Bevölkerung, unter der wir zu leben hatten, das
Zeugnis geben, daß ihr Verhalten uns gegenüber uur wenig Anlaß zu Klagen gab.
Wir hatten es in dieser Hinsicht viel besser als andre gefangne deutsche Offiziere,
die nach Montpellier gebracht und dort in der Zitadelle interniert wurden, nicht um
bewacht und am Entweichen verhindert, sondern um vor Insulten durch die aufgeregte
Bevölkerung gesichert zu werden, und die sich kaum auf der Straße bilden sehen
lassen können, ohne gröblichst beschimpft, ja laeues angegriffen zu werdeu. Die Bewohner
von Le Puy und der Umgegend sind im ganzen ruhige und gutmütige Menschen;
so waren nicht nur alle, die von uns Deutschen verdienen konnten, Schneider und


Erinnerungen aus der Kriegsgefangenschaft in den Jahren ^370 und 1^37 ^

habe ich wohl halblaute Worte des Ingrimms gehört, habe gesehen, wie dieser ohne
jener davon betroffne alte Mann die Faust ballte, aber von irgend einem energischen
Protest dagegen oder einem ernstlichen Versuch, seine Aufhebung zu bewirken, las
und erfuhr man gar nichts. Auch damals ließ man sich, wie sonst ja so oft, von einem
energischen und rücksichtslosen Mann einfach vergewaltigen.

Unser Briefverkehr mit der Heimat war angeblich gut geregelt und geordnet.
Wir waren angewiesen, unsre Briefe offen in einen bestimmten Briefkasten im
Hotel de Ville zu stecken, und es war uns geraten, möglichst in französischer Sprache
zu korrespondieren, damit die Briefe rascher gelesen und expediert werden könnten.
Aber mit der Schnelligkeit des Expedierens war es im allgemeinen sehr schlecht
bestellt, jedenfalls wurden die Briefe höchst unregelmäßig befördert. Mein erster
Brief an meine Eltern vom fünften Dezember, worin ich um schleunigste Anweisung
von Geld bat, war zwar schon am elften Dezember in ihren Händen, sodaß ich am
neunzehnten Dezember im Besitz des Geldes war, das dnrch einen deutschen Bankier
und durch Vermittlung eines Genfer Bankhauses auf ein Bankgeschäft in Le Puy
angewiesen war. Dagegen kam mein erster Brief an meine Braut erst Weihnachten
an: die Briefe wurde» auf einem Militärburean gelesen — auf einzelnen steht vu
S, 1a subciiviLim!, auf andern vn K I-r ZMllMmsus —, und da hat man offenbar
die Bitte um Geld für viel eiliger gehalten als deu Brief an die Braut. Die
weitern Briefe bis Anfang Januar 1871 haben in der Regel acht Tage Zeit ge¬
braucht, an ihre Adresse zu gelangen; dann wurde bestimmt, sie sollten zunächst nach
Bordeaux gesandt werden, und dort haben sie in der Regel wochenlang gelegen,
ehe sie, mit dem Stempel Ninistörs Ass Knanoss oder Direktion KÄiSrslo ävs ?o»est
versehen, weiter geschickt wurden. So haben die Meinen, obwohl ich regelmäßig
jede Woche schrieb, von Anfang Januar an lange Zeit überhaupt keine Nachricht
von mir erhalten, und mehrere meiner Briefe sind erst im März oder April, als
ich längst aus der Gefangenschaft entlassen war und wieder bei meinem Regimente
stand, in Deutschland deu Meinen übergeben worden. Umgekehrt war es natürlich
ebenso, ich blieb auch lange Zeiten ohne jede Nachricht, und verschiedne aus der
Heimat an mich gerichtete Briefe siud ganz verloren gegangen.

Eine damit in Zusammenhang stehende Episode mag hier noch erwähnt werden.
Am 4. Februar ließ mich plötzlich der Bankier, dnrch dessen Vermittlung ich mein
Geld bekommen hatte, zu sich bitten und zeigte mir einen Brief meines Vaters vom
27. Januar, worin dieser den Herrn, dessen Namen er aus der Quittung kennen
gelernt hatte, um eine Mitteilung bat, wie ich mich befände, ob ich noch in Le
Puh sei usw.; fast vier Wochen hatten meine Eltern keine Zeile von mir gesehen.
Der alte, freundliche Herr begann mir ernste Vorstellungen zu machen, daß ich ein
so schlechter Sohn sei, meine armen Eltern so lange Zeit in Sorge und Unruhe
um mich sitzen zu lassen; doch schenkte er bald meiner Versicherung Glauben, daß
ich regelmäßig jede Woche geschrieben und keine Schuld hätte, wenn meine Briefe
nicht zu den Meinen gekommen seien. Er ließ mich auf seinem Zimmer einen Brief
schreiben, deu er sofort zu befördern versprach, und der auch von einigen Zeilen
seiner Hand begleitet so rasch, wie es bei den damaligen Zeitläuften überhaupt
möglich war, in die Hände meiner Eltern gelangte.

War dies ein Beweis besondrer Liebenswürdigkeit von einem der Franzosen,
so muß ich auch im übrigen der Bevölkerung, unter der wir zu leben hatten, das
Zeugnis geben, daß ihr Verhalten uns gegenüber uur wenig Anlaß zu Klagen gab.
Wir hatten es in dieser Hinsicht viel besser als andre gefangne deutsche Offiziere,
die nach Montpellier gebracht und dort in der Zitadelle interniert wurden, nicht um
bewacht und am Entweichen verhindert, sondern um vor Insulten durch die aufgeregte
Bevölkerung gesichert zu werden, und die sich kaum auf der Straße bilden sehen
lassen können, ohne gröblichst beschimpft, ja laeues angegriffen zu werdeu. Die Bewohner
von Le Puy und der Umgegend sind im ganzen ruhige und gutmütige Menschen;
so waren nicht nur alle, die von uns Deutschen verdienen konnten, Schneider und


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[0790] Erinnerungen aus der Kriegsgefangenschaft in den Jahren ^370 und 1^37 ^ habe ich wohl halblaute Worte des Ingrimms gehört, habe gesehen, wie dieser ohne jener davon betroffne alte Mann die Faust ballte, aber von irgend einem energischen Protest dagegen oder einem ernstlichen Versuch, seine Aufhebung zu bewirken, las und erfuhr man gar nichts. Auch damals ließ man sich, wie sonst ja so oft, von einem energischen und rücksichtslosen Mann einfach vergewaltigen. Unser Briefverkehr mit der Heimat war angeblich gut geregelt und geordnet. Wir waren angewiesen, unsre Briefe offen in einen bestimmten Briefkasten im Hotel de Ville zu stecken, und es war uns geraten, möglichst in französischer Sprache zu korrespondieren, damit die Briefe rascher gelesen und expediert werden könnten. Aber mit der Schnelligkeit des Expedierens war es im allgemeinen sehr schlecht bestellt, jedenfalls wurden die Briefe höchst unregelmäßig befördert. Mein erster Brief an meine Eltern vom fünften Dezember, worin ich um schleunigste Anweisung von Geld bat, war zwar schon am elften Dezember in ihren Händen, sodaß ich am neunzehnten Dezember im Besitz des Geldes war, das dnrch einen deutschen Bankier und durch Vermittlung eines Genfer Bankhauses auf ein Bankgeschäft in Le Puy angewiesen war. Dagegen kam mein erster Brief an meine Braut erst Weihnachten an: die Briefe wurde» auf einem Militärburean gelesen — auf einzelnen steht vu S, 1a subciiviLim!, auf andern vn K I-r ZMllMmsus —, und da hat man offenbar die Bitte um Geld für viel eiliger gehalten als deu Brief an die Braut. Die weitern Briefe bis Anfang Januar 1871 haben in der Regel acht Tage Zeit ge¬ braucht, an ihre Adresse zu gelangen; dann wurde bestimmt, sie sollten zunächst nach Bordeaux gesandt werden, und dort haben sie in der Regel wochenlang gelegen, ehe sie, mit dem Stempel Ninistörs Ass Knanoss oder Direktion KÄiSrslo ävs ?o»est versehen, weiter geschickt wurden. So haben die Meinen, obwohl ich regelmäßig jede Woche schrieb, von Anfang Januar an lange Zeit überhaupt keine Nachricht von mir erhalten, und mehrere meiner Briefe sind erst im März oder April, als ich längst aus der Gefangenschaft entlassen war und wieder bei meinem Regimente stand, in Deutschland deu Meinen übergeben worden. Umgekehrt war es natürlich ebenso, ich blieb auch lange Zeiten ohne jede Nachricht, und verschiedne aus der Heimat an mich gerichtete Briefe siud ganz verloren gegangen. Eine damit in Zusammenhang stehende Episode mag hier noch erwähnt werden. Am 4. Februar ließ mich plötzlich der Bankier, dnrch dessen Vermittlung ich mein Geld bekommen hatte, zu sich bitten und zeigte mir einen Brief meines Vaters vom 27. Januar, worin dieser den Herrn, dessen Namen er aus der Quittung kennen gelernt hatte, um eine Mitteilung bat, wie ich mich befände, ob ich noch in Le Puh sei usw.; fast vier Wochen hatten meine Eltern keine Zeile von mir gesehen. Der alte, freundliche Herr begann mir ernste Vorstellungen zu machen, daß ich ein so schlechter Sohn sei, meine armen Eltern so lange Zeit in Sorge und Unruhe um mich sitzen zu lassen; doch schenkte er bald meiner Versicherung Glauben, daß ich regelmäßig jede Woche geschrieben und keine Schuld hätte, wenn meine Briefe nicht zu den Meinen gekommen seien. Er ließ mich auf seinem Zimmer einen Brief schreiben, deu er sofort zu befördern versprach, und der auch von einigen Zeilen seiner Hand begleitet so rasch, wie es bei den damaligen Zeitläuften überhaupt möglich war, in die Hände meiner Eltern gelangte. War dies ein Beweis besondrer Liebenswürdigkeit von einem der Franzosen, so muß ich auch im übrigen der Bevölkerung, unter der wir zu leben hatten, das Zeugnis geben, daß ihr Verhalten uns gegenüber uur wenig Anlaß zu Klagen gab. Wir hatten es in dieser Hinsicht viel besser als andre gefangne deutsche Offiziere, die nach Montpellier gebracht und dort in der Zitadelle interniert wurden, nicht um bewacht und am Entweichen verhindert, sondern um vor Insulten durch die aufgeregte Bevölkerung gesichert zu werden, und die sich kaum auf der Straße bilden sehen lassen können, ohne gröblichst beschimpft, ja laeues angegriffen zu werdeu. Die Bewohner von Le Puy und der Umgegend sind im ganzen ruhige und gutmütige Menschen; so waren nicht nur alle, die von uns Deutschen verdienen konnten, Schneider und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_292796/790>, abgerufen am 22.07.2024.