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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr.

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Erinnerungen aus der Ariegsgefangenschaft in den Jahren ^370 und 1,37^

wie Lesen, Briefschreiben usw., oder Unterhaltung, Kartenspiel, Domino, Klavier
und andern, die Zeit hinbrachte. Um sechs Uhr folgte das gemeinsame älnsr, und
danach wurde der Abend in derselben Weise verlebt, bis man gegen Mitternacht
wieder sein Lager aufsuchte. Einige Besorgungen waren ja gelegentlich zu machen,
sonst aber beobachteten wir zunächst diese Ordnung streug, obgleich wir manchmal,
wie ich eines Tages in mein Tagebuch geschrieben habe, "die Zeit kaum tot zu
kriegen" wußten. Als dann nach anfänglicher Kälte in der Mitte des Dezembers
das Wetter wieder milder wurde, wagten wir es auch, einige etwas größere
Spaziergänge durch die Stadt und die nächste Umgebung zu machen, wobei wir
Neulinge den Mangel eines Zivilanzuges einigermaßen dadurch zu verdecken suchten,
daß wir einen geliehenen Paletot oder einen Regenmantel über die Uniform zogen
und einen Hut aufsetzten. Groß war die Freude, als kurz vor Weihnachten das
gewünschte Geld eintraf, und nun bürgerliche Kleidung gekauft werden konnte. Von
da an machte man, soweit das Wetter es irgend erlaubte, Spaziergänge zu den
verschiedensten Tageszeiten, konnte sich dadurch das Leben abwechslungsreicher ge¬
stalten und mehr der Gesundheit entsprechend leben. Denn nach dem so bewegten
und aufreibenden Leben im Felde bekam das notgedrungen stille Leben und der
Mangel an ausreichender Bewegung den meisten von uns nicht recht, zumal da
die Beköstigung recht gut war. Sie bestand beim Dejeuner aus vier Gängen, zweimal
Fleisch (manchmal in Form von Ragouts, wozu namentlich oft Lapins verwandt
wurden), je einmal Gemüse und xonunss as tsrrs kritss oder rutisL, alles nach
französischer Sitte, an die wir ja längst gewöhnt waren, einzeln serviert. Beim
Diner kam noch eine Suppe und als Nachtisch Obst hinzu. Zu jedem Couvert
gehörte bei beiden Mahlzeiten eine Flasche leichten und einfachen aber ganz trink¬
baren Landweins. Dafür und für das vorher beschriebene Logis bezahlte man täglich
vier Franken, also einen gewiß nicht zu hohen Preis, zumal da gut gekocht und von
allen Speisen reichlich gegeben wurde. Immerhin überstieg schon die Bezahlung
hierfür den monatlichen Sold, der uns mit hundert Franken vom französischen
Gouvernement gezahlt wurde, und man hatte doch das Bedürfnis, zwischen dem
Dejeuner und dem Diner noch einmal etwas zu genießen, wenigstens zu trinken; den
langen Abend konnte man auch nicht immer "trocken sitzen," man war gewohnt zu
rauchen, bekam aber natürlich keine "Liebeszigarren" mehr geliefert: also war mich
für das tägliche Leben noch ein großer Geldzuschuß notwendig.

Die Stadt Le Puy, die alte Hauptstadt der Landschaft Velay, liegt ungefähr
in derselben nördlichen Breite wie Turin und Mailand; sie liegt aber zugleich
schon so weit im Gebirge -- den Ausläufern der Cevennen und dem Quellgebiete
der Loire -- und so hoch (etwa 600 Meter über dem Meeresspiegel), daß es
winterlich kalt war, als wir hinkamen, viel kälter als in der Nähe von Orleans,
wo wir doch mich schon Schnee und Frost erlebt hatten. Nachher trat dann wieder
milderes Wetter ein; aber gegen Weihnachten begann, wie damals ja im ganzen
westlichen und nordwestlichen Europa, eine überaus strenge Kälte; um Neujahr
hatten wir einige Tage 22 Grad Celsius. Im Laufe des Jnnnars wurde es all¬
mählich milder, und der Februar war schon ein reiner Frühlingsmonat. Infolge
der hohen Lage war die Luft im allgemeinen rein und klar, also das Klima recht
gesund. Das mag dazu beigetragen haben, daß ich die große Ermüdung und Ab¬
spannung, mit der ich nach allen Mühsalen und körperlichen Anstrengungen wie
seelischen Aufregungen in Le Puy ankam, bald überwand und nicht merkte, das;
alles das auf meine Gesundheit einen nachhaltig schlechten Einfluß übte.

Der ältere Teil der Stadt, der sich um eine große Kathedrale und eine große
Anzahl daran anstoßender oder damit in Verbindung stehender bischöflicher und
geistlicher Gebäude, Klöster, Schulen usw. gruppiert, liegt ziemlich eng zusammen¬
gedrängt an den Abhängen eines Hügels, dessen Gipfel, den roolisr as Om'QsiUo,
die Kolossalstatue der Mutter Maria, notis as>ins as lsrgnoo, krönt, ans Kanoneu-
nietall gegossen, das bei Sebastopol erbeutet worden war. Dieses neuste Zeichen der


Erinnerungen aus der Ariegsgefangenschaft in den Jahren ^370 und 1,37^

wie Lesen, Briefschreiben usw., oder Unterhaltung, Kartenspiel, Domino, Klavier
und andern, die Zeit hinbrachte. Um sechs Uhr folgte das gemeinsame älnsr, und
danach wurde der Abend in derselben Weise verlebt, bis man gegen Mitternacht
wieder sein Lager aufsuchte. Einige Besorgungen waren ja gelegentlich zu machen,
sonst aber beobachteten wir zunächst diese Ordnung streug, obgleich wir manchmal,
wie ich eines Tages in mein Tagebuch geschrieben habe, „die Zeit kaum tot zu
kriegen" wußten. Als dann nach anfänglicher Kälte in der Mitte des Dezembers
das Wetter wieder milder wurde, wagten wir es auch, einige etwas größere
Spaziergänge durch die Stadt und die nächste Umgebung zu machen, wobei wir
Neulinge den Mangel eines Zivilanzuges einigermaßen dadurch zu verdecken suchten,
daß wir einen geliehenen Paletot oder einen Regenmantel über die Uniform zogen
und einen Hut aufsetzten. Groß war die Freude, als kurz vor Weihnachten das
gewünschte Geld eintraf, und nun bürgerliche Kleidung gekauft werden konnte. Von
da an machte man, soweit das Wetter es irgend erlaubte, Spaziergänge zu den
verschiedensten Tageszeiten, konnte sich dadurch das Leben abwechslungsreicher ge¬
stalten und mehr der Gesundheit entsprechend leben. Denn nach dem so bewegten
und aufreibenden Leben im Felde bekam das notgedrungen stille Leben und der
Mangel an ausreichender Bewegung den meisten von uns nicht recht, zumal da
die Beköstigung recht gut war. Sie bestand beim Dejeuner aus vier Gängen, zweimal
Fleisch (manchmal in Form von Ragouts, wozu namentlich oft Lapins verwandt
wurden), je einmal Gemüse und xonunss as tsrrs kritss oder rutisL, alles nach
französischer Sitte, an die wir ja längst gewöhnt waren, einzeln serviert. Beim
Diner kam noch eine Suppe und als Nachtisch Obst hinzu. Zu jedem Couvert
gehörte bei beiden Mahlzeiten eine Flasche leichten und einfachen aber ganz trink¬
baren Landweins. Dafür und für das vorher beschriebene Logis bezahlte man täglich
vier Franken, also einen gewiß nicht zu hohen Preis, zumal da gut gekocht und von
allen Speisen reichlich gegeben wurde. Immerhin überstieg schon die Bezahlung
hierfür den monatlichen Sold, der uns mit hundert Franken vom französischen
Gouvernement gezahlt wurde, und man hatte doch das Bedürfnis, zwischen dem
Dejeuner und dem Diner noch einmal etwas zu genießen, wenigstens zu trinken; den
langen Abend konnte man auch nicht immer „trocken sitzen," man war gewohnt zu
rauchen, bekam aber natürlich keine „Liebeszigarren" mehr geliefert: also war mich
für das tägliche Leben noch ein großer Geldzuschuß notwendig.

Die Stadt Le Puy, die alte Hauptstadt der Landschaft Velay, liegt ungefähr
in derselben nördlichen Breite wie Turin und Mailand; sie liegt aber zugleich
schon so weit im Gebirge — den Ausläufern der Cevennen und dem Quellgebiete
der Loire — und so hoch (etwa 600 Meter über dem Meeresspiegel), daß es
winterlich kalt war, als wir hinkamen, viel kälter als in der Nähe von Orleans,
wo wir doch mich schon Schnee und Frost erlebt hatten. Nachher trat dann wieder
milderes Wetter ein; aber gegen Weihnachten begann, wie damals ja im ganzen
westlichen und nordwestlichen Europa, eine überaus strenge Kälte; um Neujahr
hatten wir einige Tage 22 Grad Celsius. Im Laufe des Jnnnars wurde es all¬
mählich milder, und der Februar war schon ein reiner Frühlingsmonat. Infolge
der hohen Lage war die Luft im allgemeinen rein und klar, also das Klima recht
gesund. Das mag dazu beigetragen haben, daß ich die große Ermüdung und Ab¬
spannung, mit der ich nach allen Mühsalen und körperlichen Anstrengungen wie
seelischen Aufregungen in Le Puy ankam, bald überwand und nicht merkte, das;
alles das auf meine Gesundheit einen nachhaltig schlechten Einfluß übte.

Der ältere Teil der Stadt, der sich um eine große Kathedrale und eine große
Anzahl daran anstoßender oder damit in Verbindung stehender bischöflicher und
geistlicher Gebäude, Klöster, Schulen usw. gruppiert, liegt ziemlich eng zusammen¬
gedrängt an den Abhängen eines Hügels, dessen Gipfel, den roolisr as Om'QsiUo,
die Kolossalstatue der Mutter Maria, notis as>ins as lsrgnoo, krönt, ans Kanoneu-
nietall gegossen, das bei Sebastopol erbeutet worden war. Dieses neuste Zeichen der


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[0786] Erinnerungen aus der Ariegsgefangenschaft in den Jahren ^370 und 1,37^ wie Lesen, Briefschreiben usw., oder Unterhaltung, Kartenspiel, Domino, Klavier und andern, die Zeit hinbrachte. Um sechs Uhr folgte das gemeinsame älnsr, und danach wurde der Abend in derselben Weise verlebt, bis man gegen Mitternacht wieder sein Lager aufsuchte. Einige Besorgungen waren ja gelegentlich zu machen, sonst aber beobachteten wir zunächst diese Ordnung streug, obgleich wir manchmal, wie ich eines Tages in mein Tagebuch geschrieben habe, „die Zeit kaum tot zu kriegen" wußten. Als dann nach anfänglicher Kälte in der Mitte des Dezembers das Wetter wieder milder wurde, wagten wir es auch, einige etwas größere Spaziergänge durch die Stadt und die nächste Umgebung zu machen, wobei wir Neulinge den Mangel eines Zivilanzuges einigermaßen dadurch zu verdecken suchten, daß wir einen geliehenen Paletot oder einen Regenmantel über die Uniform zogen und einen Hut aufsetzten. Groß war die Freude, als kurz vor Weihnachten das gewünschte Geld eintraf, und nun bürgerliche Kleidung gekauft werden konnte. Von da an machte man, soweit das Wetter es irgend erlaubte, Spaziergänge zu den verschiedensten Tageszeiten, konnte sich dadurch das Leben abwechslungsreicher ge¬ stalten und mehr der Gesundheit entsprechend leben. Denn nach dem so bewegten und aufreibenden Leben im Felde bekam das notgedrungen stille Leben und der Mangel an ausreichender Bewegung den meisten von uns nicht recht, zumal da die Beköstigung recht gut war. Sie bestand beim Dejeuner aus vier Gängen, zweimal Fleisch (manchmal in Form von Ragouts, wozu namentlich oft Lapins verwandt wurden), je einmal Gemüse und xonunss as tsrrs kritss oder rutisL, alles nach französischer Sitte, an die wir ja längst gewöhnt waren, einzeln serviert. Beim Diner kam noch eine Suppe und als Nachtisch Obst hinzu. Zu jedem Couvert gehörte bei beiden Mahlzeiten eine Flasche leichten und einfachen aber ganz trink¬ baren Landweins. Dafür und für das vorher beschriebene Logis bezahlte man täglich vier Franken, also einen gewiß nicht zu hohen Preis, zumal da gut gekocht und von allen Speisen reichlich gegeben wurde. Immerhin überstieg schon die Bezahlung hierfür den monatlichen Sold, der uns mit hundert Franken vom französischen Gouvernement gezahlt wurde, und man hatte doch das Bedürfnis, zwischen dem Dejeuner und dem Diner noch einmal etwas zu genießen, wenigstens zu trinken; den langen Abend konnte man auch nicht immer „trocken sitzen," man war gewohnt zu rauchen, bekam aber natürlich keine „Liebeszigarren" mehr geliefert: also war mich für das tägliche Leben noch ein großer Geldzuschuß notwendig. Die Stadt Le Puy, die alte Hauptstadt der Landschaft Velay, liegt ungefähr in derselben nördlichen Breite wie Turin und Mailand; sie liegt aber zugleich schon so weit im Gebirge — den Ausläufern der Cevennen und dem Quellgebiete der Loire — und so hoch (etwa 600 Meter über dem Meeresspiegel), daß es winterlich kalt war, als wir hinkamen, viel kälter als in der Nähe von Orleans, wo wir doch mich schon Schnee und Frost erlebt hatten. Nachher trat dann wieder milderes Wetter ein; aber gegen Weihnachten begann, wie damals ja im ganzen westlichen und nordwestlichen Europa, eine überaus strenge Kälte; um Neujahr hatten wir einige Tage 22 Grad Celsius. Im Laufe des Jnnnars wurde es all¬ mählich milder, und der Februar war schon ein reiner Frühlingsmonat. Infolge der hohen Lage war die Luft im allgemeinen rein und klar, also das Klima recht gesund. Das mag dazu beigetragen haben, daß ich die große Ermüdung und Ab¬ spannung, mit der ich nach allen Mühsalen und körperlichen Anstrengungen wie seelischen Aufregungen in Le Puy ankam, bald überwand und nicht merkte, das; alles das auf meine Gesundheit einen nachhaltig schlechten Einfluß übte. Der ältere Teil der Stadt, der sich um eine große Kathedrale und eine große Anzahl daran anstoßender oder damit in Verbindung stehender bischöflicher und geistlicher Gebäude, Klöster, Schulen usw. gruppiert, liegt ziemlich eng zusammen¬ gedrängt an den Abhängen eines Hügels, dessen Gipfel, den roolisr as Om'QsiUo, die Kolossalstatue der Mutter Maria, notis as>ins as lsrgnoo, krönt, ans Kanoneu- nietall gegossen, das bei Sebastopol erbeutet worden war. Dieses neuste Zeichen der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_292796/786>, abgerufen am 23.07.2024.