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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr.

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Das Königreich Italien und das Papsttum

Pia verflossen sind, haben diese Frage, solltet! wir meinen, hundertfach be¬
jaht und das Papsttum auf eine Höhe der geistlichen Macht und des An¬
sehens erhoben, von der noch vor fünfzig Jahren niemand auch nur zu
träumen wagte.

Trotzdem sind auch denkende patriotische Italiener vollkommen davon über¬
zeugt, daß die Art der 1870 vollzoguen Lösung der römischen Frage in
diesem Augenblick zwar unvermeidlich, aber ein Unglück war, weil sie die Aus¬
söhnung zwischen dem Staat und dem Papsttum aufs äußerste erschwert und
bis jetzt verhindert hat. In Cavours Sinne war diese gewaltsame Lösung
gar uicht, und es wäre wohl denkbar, daß seine feste Hand sie 1870 ver¬
hindert hätte, nachdem die Franzosen Rom geräumt hatten, und die nationale
Schmach einer fremden Besatzung auf italienischem Boden getilgt war. Auch
später uoch haben hervorragende Männer wie der Mailänder Gaetano Negri,
der 1902 als Senator des Königreichs starb, diesen sehr unpopuläre" Stand-
punkt offen und nachdrücklich vertreten. "Der Papst-König, sagte er einmal,
der jeder Idee des Fortschritts und der Zivilisation feindselig war, der
notwendigerweise in die Politik und die Verwaltung den Absolutismus der
dogmatischen Unfehlbarkeit übertrug, war in der Bewegung der Welt eine
isolierte Gestalt, gegen die sich alle lebendigen Kräfte der menschlichen Seele
erhoben. -- Die Gewalttat an der Porta Pia verwandelte ihn in ein Opfer
und gab ihm mit dem Glorienschein der Verfolgung eine Anziehungskraft,
die er völlig verloren hatte. Mit seinen Generalen und Schergen war er
ein lächerlicher Feind; bewacht und geschützt vom nationalen Heere, spielt er
die Rolle des Gefangnen und ist ein furchtbarer Feind." Deshalb sprach
sich Negri noch am 17. Juli 1895 im Senat gegen den Gesetzentwurf aus,
den 20. September zum Nationnlfesttage zu erheben: "Die Pfeile, die wir
gegen das Papsttum schleudern, fallen auf uus selbst zurück. . . . Ein reli¬
giöses Problem wird nicht durch Kanonenschüsse und Gesetzparagraphen (wört¬
lich: g, volpi all eaimoiKZ o g, eolxi all IkM) gelöst, sondern durch innere
Kräfte, durch die die religiöse Macht (it xotsio reliZioso, nämlich die
Kirche) einer Umwandlung zugeführt wird." An eine Versöhnung in abseh¬
barer Zeit glaubte er nicht; die absolute UnVersöhnlichkeit sei für das Papst¬
tum die vorteilhafteste Position, denn sie gebe ihm die Möglichkeit, "vor der
Welt das Edelste, das Sympathischste, was es gibt, zu vertreten, die sieg¬
reiche Schwäche.""')

Auch I. Mayer erwartet erst von einer fernern Zukunft die Lösung der
römischen Frage, und er ist geneigt, sie als eine für das Papsttum ziemlich unter¬
geordnete zu betrachten, räumlich und zeitlich: "Das heutige Verhältnis zu Italien
spielt im Leben einer zweitausendjährigen Einrichtung eine sehr kleine Rolle."
Mag sein, aber auch Papsttum und Kirche leben zunächst in der Gegenwart und
haben mit der Gegenwart zu rechnen, und so ganz gleichgiltig kann auch der
Kurie das Schicksal eines großen Volkes nicht sein, in dessen Mitte sie selbst



M. Scherillo, "Äswno Nvgi'i, in der I^aovÄ L.ilwIoM 1902, 16, November, S, 305.
Das Königreich Italien und das Papsttum

Pia verflossen sind, haben diese Frage, solltet! wir meinen, hundertfach be¬
jaht und das Papsttum auf eine Höhe der geistlichen Macht und des An¬
sehens erhoben, von der noch vor fünfzig Jahren niemand auch nur zu
träumen wagte.

Trotzdem sind auch denkende patriotische Italiener vollkommen davon über¬
zeugt, daß die Art der 1870 vollzoguen Lösung der römischen Frage in
diesem Augenblick zwar unvermeidlich, aber ein Unglück war, weil sie die Aus¬
söhnung zwischen dem Staat und dem Papsttum aufs äußerste erschwert und
bis jetzt verhindert hat. In Cavours Sinne war diese gewaltsame Lösung
gar uicht, und es wäre wohl denkbar, daß seine feste Hand sie 1870 ver¬
hindert hätte, nachdem die Franzosen Rom geräumt hatten, und die nationale
Schmach einer fremden Besatzung auf italienischem Boden getilgt war. Auch
später uoch haben hervorragende Männer wie der Mailänder Gaetano Negri,
der 1902 als Senator des Königreichs starb, diesen sehr unpopuläre» Stand-
punkt offen und nachdrücklich vertreten. „Der Papst-König, sagte er einmal,
der jeder Idee des Fortschritts und der Zivilisation feindselig war, der
notwendigerweise in die Politik und die Verwaltung den Absolutismus der
dogmatischen Unfehlbarkeit übertrug, war in der Bewegung der Welt eine
isolierte Gestalt, gegen die sich alle lebendigen Kräfte der menschlichen Seele
erhoben. — Die Gewalttat an der Porta Pia verwandelte ihn in ein Opfer
und gab ihm mit dem Glorienschein der Verfolgung eine Anziehungskraft,
die er völlig verloren hatte. Mit seinen Generalen und Schergen war er
ein lächerlicher Feind; bewacht und geschützt vom nationalen Heere, spielt er
die Rolle des Gefangnen und ist ein furchtbarer Feind." Deshalb sprach
sich Negri noch am 17. Juli 1895 im Senat gegen den Gesetzentwurf aus,
den 20. September zum Nationnlfesttage zu erheben: „Die Pfeile, die wir
gegen das Papsttum schleudern, fallen auf uus selbst zurück. . . . Ein reli¬
giöses Problem wird nicht durch Kanonenschüsse und Gesetzparagraphen (wört¬
lich: g, volpi all eaimoiKZ o g, eolxi all IkM) gelöst, sondern durch innere
Kräfte, durch die die religiöse Macht (it xotsio reliZioso, nämlich die
Kirche) einer Umwandlung zugeführt wird." An eine Versöhnung in abseh¬
barer Zeit glaubte er nicht; die absolute UnVersöhnlichkeit sei für das Papst¬
tum die vorteilhafteste Position, denn sie gebe ihm die Möglichkeit, „vor der
Welt das Edelste, das Sympathischste, was es gibt, zu vertreten, die sieg¬
reiche Schwäche.""')

Auch I. Mayer erwartet erst von einer fernern Zukunft die Lösung der
römischen Frage, und er ist geneigt, sie als eine für das Papsttum ziemlich unter¬
geordnete zu betrachten, räumlich und zeitlich: „Das heutige Verhältnis zu Italien
spielt im Leben einer zweitausendjährigen Einrichtung eine sehr kleine Rolle."
Mag sein, aber auch Papsttum und Kirche leben zunächst in der Gegenwart und
haben mit der Gegenwart zu rechnen, und so ganz gleichgiltig kann auch der
Kurie das Schicksal eines großen Volkes nicht sein, in dessen Mitte sie selbst



M. Scherillo, «Äswno Nvgi'i, in der I^aovÄ L.ilwIoM 1902, 16, November, S, 305.
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[0761] Das Königreich Italien und das Papsttum Pia verflossen sind, haben diese Frage, solltet! wir meinen, hundertfach be¬ jaht und das Papsttum auf eine Höhe der geistlichen Macht und des An¬ sehens erhoben, von der noch vor fünfzig Jahren niemand auch nur zu träumen wagte. Trotzdem sind auch denkende patriotische Italiener vollkommen davon über¬ zeugt, daß die Art der 1870 vollzoguen Lösung der römischen Frage in diesem Augenblick zwar unvermeidlich, aber ein Unglück war, weil sie die Aus¬ söhnung zwischen dem Staat und dem Papsttum aufs äußerste erschwert und bis jetzt verhindert hat. In Cavours Sinne war diese gewaltsame Lösung gar uicht, und es wäre wohl denkbar, daß seine feste Hand sie 1870 ver¬ hindert hätte, nachdem die Franzosen Rom geräumt hatten, und die nationale Schmach einer fremden Besatzung auf italienischem Boden getilgt war. Auch später uoch haben hervorragende Männer wie der Mailänder Gaetano Negri, der 1902 als Senator des Königreichs starb, diesen sehr unpopuläre» Stand- punkt offen und nachdrücklich vertreten. „Der Papst-König, sagte er einmal, der jeder Idee des Fortschritts und der Zivilisation feindselig war, der notwendigerweise in die Politik und die Verwaltung den Absolutismus der dogmatischen Unfehlbarkeit übertrug, war in der Bewegung der Welt eine isolierte Gestalt, gegen die sich alle lebendigen Kräfte der menschlichen Seele erhoben. — Die Gewalttat an der Porta Pia verwandelte ihn in ein Opfer und gab ihm mit dem Glorienschein der Verfolgung eine Anziehungskraft, die er völlig verloren hatte. Mit seinen Generalen und Schergen war er ein lächerlicher Feind; bewacht und geschützt vom nationalen Heere, spielt er die Rolle des Gefangnen und ist ein furchtbarer Feind." Deshalb sprach sich Negri noch am 17. Juli 1895 im Senat gegen den Gesetzentwurf aus, den 20. September zum Nationnlfesttage zu erheben: „Die Pfeile, die wir gegen das Papsttum schleudern, fallen auf uus selbst zurück. . . . Ein reli¬ giöses Problem wird nicht durch Kanonenschüsse und Gesetzparagraphen (wört¬ lich: g, volpi all eaimoiKZ o g, eolxi all IkM) gelöst, sondern durch innere Kräfte, durch die die religiöse Macht (it xotsio reliZioso, nämlich die Kirche) einer Umwandlung zugeführt wird." An eine Versöhnung in abseh¬ barer Zeit glaubte er nicht; die absolute UnVersöhnlichkeit sei für das Papst¬ tum die vorteilhafteste Position, denn sie gebe ihm die Möglichkeit, „vor der Welt das Edelste, das Sympathischste, was es gibt, zu vertreten, die sieg¬ reiche Schwäche.""') Auch I. Mayer erwartet erst von einer fernern Zukunft die Lösung der römischen Frage, und er ist geneigt, sie als eine für das Papsttum ziemlich unter¬ geordnete zu betrachten, räumlich und zeitlich: „Das heutige Verhältnis zu Italien spielt im Leben einer zweitausendjährigen Einrichtung eine sehr kleine Rolle." Mag sein, aber auch Papsttum und Kirche leben zunächst in der Gegenwart und haben mit der Gegenwart zu rechnen, und so ganz gleichgiltig kann auch der Kurie das Schicksal eines großen Volkes nicht sein, in dessen Mitte sie selbst M. Scherillo, «Äswno Nvgi'i, in der I^aovÄ L.ilwIoM 1902, 16, November, S, 305.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_292796/761>, abgerufen am 22.07.2024.