Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches es auch die jetzigen Manöver tun. Daß die großen technischen Veränderungen bei Die genannte Schrift "Weder Jena noch Sedan" kommt auch auf den Ge¬ Nun will der Verfasser allerdings die Abrüstung auch nicht durch eine Ver- Daß die Beziehungen der Staaten in Enropa zueinander, die Staaten¬ Das schließt aber nicht aus, daß wir unser Heer in andern Erdteilen brauchen. Maßgebliches und Unmaßgebliches es auch die jetzigen Manöver tun. Daß die großen technischen Veränderungen bei Die genannte Schrift „Weder Jena noch Sedan" kommt auch auf den Ge¬ Nun will der Verfasser allerdings die Abrüstung auch nicht durch eine Ver- Daß die Beziehungen der Staaten in Enropa zueinander, die Staaten¬ Das schließt aber nicht aus, daß wir unser Heer in andern Erdteilen brauchen. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0756" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/293555"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_4414" prev="#ID_4413"> es auch die jetzigen Manöver tun. Daß die großen technischen Veränderungen bei<lb/> unsern Manövern nicht berücksichtigt werden, ist unrichtig. Denn Automobile, Fahr¬<lb/> räder, Maschinengewehre, Telegraphie, Telephonie und alle möglichen Signalarten<lb/> werden in unsern Manövern reichlich verwandt. Daß unsre Manöver nicht als<lb/> bloße Schauspiele angesehen werden, beweist schon der Umstand, daß alle Großstaaten,<lb/> namentlich aber England und Frankreich, immer höhere Offiziere ihrer Armeen zu<lb/> diesen Manövern befehlen.</p><lb/> <p xml:id="ID_4415"> Die genannte Schrift „Weder Jena noch Sedan" kommt auch auf den Ge¬<lb/> danken der Abrüstung, glaubt aber und gewiß mit Recht, daß es schwer sein<lb/> würde, alle Staaten zu einer gleichzeitigen Abrüstung zu bewegen, und ist der<lb/> Ansicht, daß die Abrüstung eines einzelnen Staates ein Unding sei. Es ist merk¬<lb/> würdig, daß der Begriff unsers auf der allgemeinen Wehrpflicht beruhenden<lb/> Heeres immer noch nicht in die weitesten Kreise gedrungen ist. Wie ich in meinem<lb/> Aufsatze in den Grenzboten von 1898 „Zur Abrüstungsfrage" schon betont habe,<lb/> kann bei den auf allgemeiner Wehrpflicht beruhenden Heeren von einer Abrüstung<lb/> überhaupt nicht die Rede sein. Unser Heer ist kein Söldnerheer, das man durch<lb/> Anwerbung jeden Tag vergrößern, durch Entlassung jeden Tag verkleinern kann.<lb/> Unser Heer ist eine Schule des Volkes zur Erziehung des Charakters, der Ent¬<lb/> schlußfähigkeit und zur Ausbildung des Körpers. Neben unsrer allgemeinen Wehr¬<lb/> pflicht steht, wie ich auch schon mehrfach erwähnt habe, die allgemeine Schulpflicht,<lb/> überhaupt unsre systematische geistige Ausbildung.</p><lb/> <p xml:id="ID_4416"> Nun will der Verfasser allerdings die Abrüstung auch nicht durch eine Ver-<lb/> mindrung der Heere bewirken, sondern durch eine völlige Reform der Heeres-<lb/> orgcmisation. Er will mir ein Verteidigungsheer haben und kommt schließlich<lb/> auf Miliz. Die Miliz soll „das Offizierkorps vollständig regenerieren und ihm trotz<lb/> der mangelnden Kriege die Berufsfreudigkeit geben." Ja, aber unsre allgemeine<lb/> Wehrpflicht stellt ja doch nur auch ein Milizheer auf, selbstverständlich aber ein<lb/> solches, das eine Dienstzeit verlangt, die zur völligen Ausbildung genügt. Von<lb/> einer Dienstzeit von einigen Wochen, die der Verfasser als genügend für die Miliz<lb/> bezeichnet, um ein Verteidigungsheer auszubilden, kann keine Rede sein. Was Miliz¬<lb/> heere leisten, reicht weder für Verteidigungs- und noch viel weniger für Angriffs¬<lb/> kriege aus. Das zeigt uns der Burenkrieg in Transvaal und zeigen uns die<lb/> Mvbilgardenheere Gambetws im letzten französischen Kriege. Und diese Mobtl-<lb/> gardisten hatten die wenigen Wochen ihrer Ausbildung sogar in kriegsmäßigem<lb/> Zustande durchgemacht. Und dann vergißt der Verfasser, daß eine wirksame Ver¬<lb/> teidigung ohne energischen Angriff überhaupt nicht geführt werden kann; also mit<lb/> einem nur für die Verteidigung ausgebildeten Heere ist niemand geholfen.</p><lb/> <p xml:id="ID_4417"> Daß die Beziehungen der Staaten in Enropa zueinander, die Staaten¬<lb/> symbiose, das Zusammenleben der Staaten, wie der Verfasser sagt, Kriege seltner<lb/> macht, ist richtig. Die Symbiose ist eine Folge von Eisenbahnen, Telegraphen usw.,<lb/> wodurch die Entfernungen gekürzt und die Völker näher aneinander gebracht werden,<lb/> wodurch auch ihre Interessen mehr und mehr dieselben sind. Wenn früher ein Ritter<lb/> gegen den Besitzer seiner Nachbarburg, eine Stadt gegen die andre Fehde führte,<lb/> so berührte das die auf wenig Stunden entfernten andern Burgen und Städte<lb/> nicht. Jetzt ist das anders. Der Krieg in Transvaal übte seinen Einfluß auf<lb/> Handelsbeziehungen auch in Europa aus, und schon der Anfang des Krieges zwischen<lb/> Rußland und Japan macht sich an unsrer Börse bemerkbar. Wenn also bet den<lb/> heutigen Kriegen Freund und Feind und sogar Unbeteiligte Not leiden, so wird<lb/> man Kriege immer nichr zu vermeiden suchen und zwischen europäischen Staaten<lb/> in Europa selbst so wenig wie möglich führen.</p><lb/> <p xml:id="ID_4418" next="#ID_4419"> Das schließt aber nicht aus, daß wir unser Heer in andern Erdteilen brauchen.<lb/> Die Unrichtigkeit der Annahme, daß gerade unser Heer, wie man aus den „Jena<lb/> und Sedan "-Schriften schließen könnte, nicht mehr auf der Höhe wäre, beweist die<lb/> Expedition nach China unter Generalfeldmarschall Graf Waldersee, wo in unglaublich<lb/> kurzer Zeit eine ganze Division aus lauter Freiwilligen zusammengestellt und mit</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0756]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
es auch die jetzigen Manöver tun. Daß die großen technischen Veränderungen bei
unsern Manövern nicht berücksichtigt werden, ist unrichtig. Denn Automobile, Fahr¬
räder, Maschinengewehre, Telegraphie, Telephonie und alle möglichen Signalarten
werden in unsern Manövern reichlich verwandt. Daß unsre Manöver nicht als
bloße Schauspiele angesehen werden, beweist schon der Umstand, daß alle Großstaaten,
namentlich aber England und Frankreich, immer höhere Offiziere ihrer Armeen zu
diesen Manövern befehlen.
Die genannte Schrift „Weder Jena noch Sedan" kommt auch auf den Ge¬
danken der Abrüstung, glaubt aber und gewiß mit Recht, daß es schwer sein
würde, alle Staaten zu einer gleichzeitigen Abrüstung zu bewegen, und ist der
Ansicht, daß die Abrüstung eines einzelnen Staates ein Unding sei. Es ist merk¬
würdig, daß der Begriff unsers auf der allgemeinen Wehrpflicht beruhenden
Heeres immer noch nicht in die weitesten Kreise gedrungen ist. Wie ich in meinem
Aufsatze in den Grenzboten von 1898 „Zur Abrüstungsfrage" schon betont habe,
kann bei den auf allgemeiner Wehrpflicht beruhenden Heeren von einer Abrüstung
überhaupt nicht die Rede sein. Unser Heer ist kein Söldnerheer, das man durch
Anwerbung jeden Tag vergrößern, durch Entlassung jeden Tag verkleinern kann.
Unser Heer ist eine Schule des Volkes zur Erziehung des Charakters, der Ent¬
schlußfähigkeit und zur Ausbildung des Körpers. Neben unsrer allgemeinen Wehr¬
pflicht steht, wie ich auch schon mehrfach erwähnt habe, die allgemeine Schulpflicht,
überhaupt unsre systematische geistige Ausbildung.
Nun will der Verfasser allerdings die Abrüstung auch nicht durch eine Ver-
mindrung der Heere bewirken, sondern durch eine völlige Reform der Heeres-
orgcmisation. Er will mir ein Verteidigungsheer haben und kommt schließlich
auf Miliz. Die Miliz soll „das Offizierkorps vollständig regenerieren und ihm trotz
der mangelnden Kriege die Berufsfreudigkeit geben." Ja, aber unsre allgemeine
Wehrpflicht stellt ja doch nur auch ein Milizheer auf, selbstverständlich aber ein
solches, das eine Dienstzeit verlangt, die zur völligen Ausbildung genügt. Von
einer Dienstzeit von einigen Wochen, die der Verfasser als genügend für die Miliz
bezeichnet, um ein Verteidigungsheer auszubilden, kann keine Rede sein. Was Miliz¬
heere leisten, reicht weder für Verteidigungs- und noch viel weniger für Angriffs¬
kriege aus. Das zeigt uns der Burenkrieg in Transvaal und zeigen uns die
Mvbilgardenheere Gambetws im letzten französischen Kriege. Und diese Mobtl-
gardisten hatten die wenigen Wochen ihrer Ausbildung sogar in kriegsmäßigem
Zustande durchgemacht. Und dann vergißt der Verfasser, daß eine wirksame Ver¬
teidigung ohne energischen Angriff überhaupt nicht geführt werden kann; also mit
einem nur für die Verteidigung ausgebildeten Heere ist niemand geholfen.
Daß die Beziehungen der Staaten in Enropa zueinander, die Staaten¬
symbiose, das Zusammenleben der Staaten, wie der Verfasser sagt, Kriege seltner
macht, ist richtig. Die Symbiose ist eine Folge von Eisenbahnen, Telegraphen usw.,
wodurch die Entfernungen gekürzt und die Völker näher aneinander gebracht werden,
wodurch auch ihre Interessen mehr und mehr dieselben sind. Wenn früher ein Ritter
gegen den Besitzer seiner Nachbarburg, eine Stadt gegen die andre Fehde führte,
so berührte das die auf wenig Stunden entfernten andern Burgen und Städte
nicht. Jetzt ist das anders. Der Krieg in Transvaal übte seinen Einfluß auf
Handelsbeziehungen auch in Europa aus, und schon der Anfang des Krieges zwischen
Rußland und Japan macht sich an unsrer Börse bemerkbar. Wenn also bet den
heutigen Kriegen Freund und Feind und sogar Unbeteiligte Not leiden, so wird
man Kriege immer nichr zu vermeiden suchen und zwischen europäischen Staaten
in Europa selbst so wenig wie möglich führen.
Das schließt aber nicht aus, daß wir unser Heer in andern Erdteilen brauchen.
Die Unrichtigkeit der Annahme, daß gerade unser Heer, wie man aus den „Jena
und Sedan "-Schriften schließen könnte, nicht mehr auf der Höhe wäre, beweist die
Expedition nach China unter Generalfeldmarschall Graf Waldersee, wo in unglaublich
kurzer Zeit eine ganze Division aus lauter Freiwilligen zusammengestellt und mit
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