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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr.

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Lrinuerungen aus der Kriegsgefangenschaft in den Jahren ^870 und ^37 ^

Wir uns am 3. Dezember der Stadt Orleans näherten, um so aufgeregter, indem
sie nicht uur ihrer Freude, einmal gefangne I^ussisus zu sehen, eifrig und lebhaft
Ausdruck gab durch Rufe wie: vivs 1^ Iranc-iz, ü> das 1" ?russs! sondern uns auch
mancherlei Spott- oder Schimpfworte zurief, von denen wir jedoch außer den be¬
kannten böte, oocüicm, vlrien nichts verstanden. Einzelne suchten sich auch wohl
laeues an einigen der Gefangnen zu vergreifen, doch muß ich der Wahrheit gemäß
berichten, daß unsre Nationalgardisten wenigstens das verhinderten.

So kam unser Zug, immer mehr umtobt von der aufgeregten Bevölkerung,
nach Orleans. Der Einzug in diese Stadt nun war ganz schlimm und fürchterlich
für uns. Orleans war ja schon einmal für läugre Zeit im Besitz der Deutschen
gewesen, und erst vor wenig Wochen, Mitte November, hatte sich der General
von der Tann genötigt gesehen, diese Stadt wieder zu räumen. Nun wurde
wieder in der Nähe gerade um den Besitz dieser Stadt gekämpft, wieder mußten
die Einwohner aus nicht gar großer Entfernung den Kanonendonner aus den
Schlachten hören, in denen sich auch ihr Schicksal entschied; sie mußten voraus¬
sehen oder wenigstens befürchten, daß die Deutschen noch einmal als Sieger und
als Eroberer einziehn würden. So kann man wohl die ganz furchtbare Auf¬
regung der Bevölkerung erklären, in die wir unglücklichen Kriegsgefangnen nun
hineingeführt wurden. Das, was Wir da sahen nud hörten, spottet einfach aller
Beschreibung, die Eindrücke dieser Stunde lasse" sich gar nicht wiedergeben, sie
sind jedenfalls nächst der Gefangennahme selbst das Entsetzlichste, was ich je
erlebt habe.

Schon in dem letzten, sich lang hinziehenden Dorfe Se. Jean und dann in
dem Faubourg Se. Morceau auf dem linken Ufer der Loire war die Aufregung der
Bevölkerung noch viel größer und der Lärm noch viel stärker, als in den vorher
passierten Ortschaften. Als wir dann die Brücke zwischen einem dichten Spalier
schreiender und lärmender Menschen überschritten hatten und bald nach rechts in
eine breite und lange Straße einbogen, empfing uns ein so gewaltiges Tosen und
Schreien aus vielen Hunderten, ja Tausenden von Kehlen, daß man vor Entsetzen
beinahe zurückprallte. Die Straße war an beiden Seiten dicht gefüllt und alle
Fenster besetzt von Menschen jedes Alters und Geschlechts, die sämtlich schrieen und
tobten, als wären sie von Furien gepeitscht, und ein wüstes Gemisch von Jubel¬
rufen und Schimpfworten umschwirrte uns von allen Seiten. Ich ging im ersten
Gliede der Gefangnen zwischen dem Fähnrich und dem Vizefeldwebel, alle drei
mit dem Helm bedeckt. "Keine Miene verzieh"," raunte ich ihnen zu, und so
schritten wir, ohne nach rechts oder links zu sehen, mit fest aufeinander gelniffnen
Lippen einher und bemühten uus, keinerlei Empfindung zu äußern und durch nichts
zu zeigen, welchen Eindruck dieses Gebaren der Bevölkerung auf uns machte.
Immer in derselben schrecklichen Weise umtobt zogen wir durch mehrere Straßen,
kamen an der Kathedrale und einem Standbilde der Jeanne d'Are vorbei und am
Hotel de Ville vorüber. Auf dem freien Platze vor diesem sahen wir verschiedne
Hansen Bewaffneter, zum Teil in ganz phantastischen Uniformen, also mehrere
Scharen Franktireurs. Einen großen langbärtigen Manu sah ich plötzlich aus einem
dieser Haufen vorspringen und sein Gewehr auf mich anlegen. Ob er die Absicht
hatte, wirklich auf mich zu schießen, oder ob er sich nur deu Spaß macheu wollte,
mir Furcht einzujagen, kann ich natürlich nicht wissen; ich sah nur, wie das Gewehr
von einem andern Manne zurückgeschlagen wurde, und einen Schuß habe ich nicht
gehört. Nachdem wir noch einige Straßen durchschritten hatten und überall in der¬
selben Weise sozusagen Spießruten gelaufen waren, wurden wir drei vor einem
großen Gebäude genötigt, in ein weites Tor einzutreten; wir dankten Gott aus
tiefstem Herzen und atmeten auf, als wir uns zunächst in Ruhe und Sicherheit
sahen. Was aus deu Mannschaften wurde, erfuhren wir nicht; die armen Leute
sind damals nach der Insel Oleron, nahe bei der Mündung der Gironde, geschafft


Lrinuerungen aus der Kriegsgefangenschaft in den Jahren ^870 und ^37 ^

Wir uns am 3. Dezember der Stadt Orleans näherten, um so aufgeregter, indem
sie nicht uur ihrer Freude, einmal gefangne I^ussisus zu sehen, eifrig und lebhaft
Ausdruck gab durch Rufe wie: vivs 1^ Iranc-iz, ü> das 1» ?russs! sondern uns auch
mancherlei Spott- oder Schimpfworte zurief, von denen wir jedoch außer den be¬
kannten böte, oocüicm, vlrien nichts verstanden. Einzelne suchten sich auch wohl
laeues an einigen der Gefangnen zu vergreifen, doch muß ich der Wahrheit gemäß
berichten, daß unsre Nationalgardisten wenigstens das verhinderten.

So kam unser Zug, immer mehr umtobt von der aufgeregten Bevölkerung,
nach Orleans. Der Einzug in diese Stadt nun war ganz schlimm und fürchterlich
für uns. Orleans war ja schon einmal für läugre Zeit im Besitz der Deutschen
gewesen, und erst vor wenig Wochen, Mitte November, hatte sich der General
von der Tann genötigt gesehen, diese Stadt wieder zu räumen. Nun wurde
wieder in der Nähe gerade um den Besitz dieser Stadt gekämpft, wieder mußten
die Einwohner aus nicht gar großer Entfernung den Kanonendonner aus den
Schlachten hören, in denen sich auch ihr Schicksal entschied; sie mußten voraus¬
sehen oder wenigstens befürchten, daß die Deutschen noch einmal als Sieger und
als Eroberer einziehn würden. So kann man wohl die ganz furchtbare Auf¬
regung der Bevölkerung erklären, in die wir unglücklichen Kriegsgefangnen nun
hineingeführt wurden. Das, was Wir da sahen nud hörten, spottet einfach aller
Beschreibung, die Eindrücke dieser Stunde lasse» sich gar nicht wiedergeben, sie
sind jedenfalls nächst der Gefangennahme selbst das Entsetzlichste, was ich je
erlebt habe.

Schon in dem letzten, sich lang hinziehenden Dorfe Se. Jean und dann in
dem Faubourg Se. Morceau auf dem linken Ufer der Loire war die Aufregung der
Bevölkerung noch viel größer und der Lärm noch viel stärker, als in den vorher
passierten Ortschaften. Als wir dann die Brücke zwischen einem dichten Spalier
schreiender und lärmender Menschen überschritten hatten und bald nach rechts in
eine breite und lange Straße einbogen, empfing uns ein so gewaltiges Tosen und
Schreien aus vielen Hunderten, ja Tausenden von Kehlen, daß man vor Entsetzen
beinahe zurückprallte. Die Straße war an beiden Seiten dicht gefüllt und alle
Fenster besetzt von Menschen jedes Alters und Geschlechts, die sämtlich schrieen und
tobten, als wären sie von Furien gepeitscht, und ein wüstes Gemisch von Jubel¬
rufen und Schimpfworten umschwirrte uns von allen Seiten. Ich ging im ersten
Gliede der Gefangnen zwischen dem Fähnrich und dem Vizefeldwebel, alle drei
mit dem Helm bedeckt. „Keine Miene verzieh«," raunte ich ihnen zu, und so
schritten wir, ohne nach rechts oder links zu sehen, mit fest aufeinander gelniffnen
Lippen einher und bemühten uus, keinerlei Empfindung zu äußern und durch nichts
zu zeigen, welchen Eindruck dieses Gebaren der Bevölkerung auf uns machte.
Immer in derselben schrecklichen Weise umtobt zogen wir durch mehrere Straßen,
kamen an der Kathedrale und einem Standbilde der Jeanne d'Are vorbei und am
Hotel de Ville vorüber. Auf dem freien Platze vor diesem sahen wir verschiedne
Hansen Bewaffneter, zum Teil in ganz phantastischen Uniformen, also mehrere
Scharen Franktireurs. Einen großen langbärtigen Manu sah ich plötzlich aus einem
dieser Haufen vorspringen und sein Gewehr auf mich anlegen. Ob er die Absicht
hatte, wirklich auf mich zu schießen, oder ob er sich nur deu Spaß macheu wollte,
mir Furcht einzujagen, kann ich natürlich nicht wissen; ich sah nur, wie das Gewehr
von einem andern Manne zurückgeschlagen wurde, und einen Schuß habe ich nicht
gehört. Nachdem wir noch einige Straßen durchschritten hatten und überall in der¬
selben Weise sozusagen Spießruten gelaufen waren, wurden wir drei vor einem
großen Gebäude genötigt, in ein weites Tor einzutreten; wir dankten Gott aus
tiefstem Herzen und atmeten auf, als wir uns zunächst in Ruhe und Sicherheit
sahen. Was aus deu Mannschaften wurde, erfuhren wir nicht; die armen Leute
sind damals nach der Insel Oleron, nahe bei der Mündung der Gironde, geschafft


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[0734] Lrinuerungen aus der Kriegsgefangenschaft in den Jahren ^870 und ^37 ^ Wir uns am 3. Dezember der Stadt Orleans näherten, um so aufgeregter, indem sie nicht uur ihrer Freude, einmal gefangne I^ussisus zu sehen, eifrig und lebhaft Ausdruck gab durch Rufe wie: vivs 1^ Iranc-iz, ü> das 1» ?russs! sondern uns auch mancherlei Spott- oder Schimpfworte zurief, von denen wir jedoch außer den be¬ kannten böte, oocüicm, vlrien nichts verstanden. Einzelne suchten sich auch wohl laeues an einigen der Gefangnen zu vergreifen, doch muß ich der Wahrheit gemäß berichten, daß unsre Nationalgardisten wenigstens das verhinderten. So kam unser Zug, immer mehr umtobt von der aufgeregten Bevölkerung, nach Orleans. Der Einzug in diese Stadt nun war ganz schlimm und fürchterlich für uns. Orleans war ja schon einmal für läugre Zeit im Besitz der Deutschen gewesen, und erst vor wenig Wochen, Mitte November, hatte sich der General von der Tann genötigt gesehen, diese Stadt wieder zu räumen. Nun wurde wieder in der Nähe gerade um den Besitz dieser Stadt gekämpft, wieder mußten die Einwohner aus nicht gar großer Entfernung den Kanonendonner aus den Schlachten hören, in denen sich auch ihr Schicksal entschied; sie mußten voraus¬ sehen oder wenigstens befürchten, daß die Deutschen noch einmal als Sieger und als Eroberer einziehn würden. So kann man wohl die ganz furchtbare Auf¬ regung der Bevölkerung erklären, in die wir unglücklichen Kriegsgefangnen nun hineingeführt wurden. Das, was Wir da sahen nud hörten, spottet einfach aller Beschreibung, die Eindrücke dieser Stunde lasse» sich gar nicht wiedergeben, sie sind jedenfalls nächst der Gefangennahme selbst das Entsetzlichste, was ich je erlebt habe. Schon in dem letzten, sich lang hinziehenden Dorfe Se. Jean und dann in dem Faubourg Se. Morceau auf dem linken Ufer der Loire war die Aufregung der Bevölkerung noch viel größer und der Lärm noch viel stärker, als in den vorher passierten Ortschaften. Als wir dann die Brücke zwischen einem dichten Spalier schreiender und lärmender Menschen überschritten hatten und bald nach rechts in eine breite und lange Straße einbogen, empfing uns ein so gewaltiges Tosen und Schreien aus vielen Hunderten, ja Tausenden von Kehlen, daß man vor Entsetzen beinahe zurückprallte. Die Straße war an beiden Seiten dicht gefüllt und alle Fenster besetzt von Menschen jedes Alters und Geschlechts, die sämtlich schrieen und tobten, als wären sie von Furien gepeitscht, und ein wüstes Gemisch von Jubel¬ rufen und Schimpfworten umschwirrte uns von allen Seiten. Ich ging im ersten Gliede der Gefangnen zwischen dem Fähnrich und dem Vizefeldwebel, alle drei mit dem Helm bedeckt. „Keine Miene verzieh«," raunte ich ihnen zu, und so schritten wir, ohne nach rechts oder links zu sehen, mit fest aufeinander gelniffnen Lippen einher und bemühten uus, keinerlei Empfindung zu äußern und durch nichts zu zeigen, welchen Eindruck dieses Gebaren der Bevölkerung auf uns machte. Immer in derselben schrecklichen Weise umtobt zogen wir durch mehrere Straßen, kamen an der Kathedrale und einem Standbilde der Jeanne d'Are vorbei und am Hotel de Ville vorüber. Auf dem freien Platze vor diesem sahen wir verschiedne Hansen Bewaffneter, zum Teil in ganz phantastischen Uniformen, also mehrere Scharen Franktireurs. Einen großen langbärtigen Manu sah ich plötzlich aus einem dieser Haufen vorspringen und sein Gewehr auf mich anlegen. Ob er die Absicht hatte, wirklich auf mich zu schießen, oder ob er sich nur deu Spaß macheu wollte, mir Furcht einzujagen, kann ich natürlich nicht wissen; ich sah nur, wie das Gewehr von einem andern Manne zurückgeschlagen wurde, und einen Schuß habe ich nicht gehört. Nachdem wir noch einige Straßen durchschritten hatten und überall in der¬ selben Weise sozusagen Spießruten gelaufen waren, wurden wir drei vor einem großen Gebäude genötigt, in ein weites Tor einzutreten; wir dankten Gott aus tiefstem Herzen und atmeten auf, als wir uns zunächst in Ruhe und Sicherheit sahen. Was aus deu Mannschaften wurde, erfuhren wir nicht; die armen Leute sind damals nach der Insel Oleron, nahe bei der Mündung der Gironde, geschafft

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_292796/734>, abgerufen am 22.07.2024.