Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches Maßgebliches und Unmaßgebliches Reichsspiegel Der hervorragende Soldat, der soeben aus dem Leben geschieden ist, Feldmarschall Aber seit einigen Tagen scheint in die englisch-französische Suppe ein Haar Maßgebliches und Unmaßgebliches Maßgebliches und Unmaßgebliches Reichsspiegel Der hervorragende Soldat, der soeben aus dem Leben geschieden ist, Feldmarschall Aber seit einigen Tagen scheint in die englisch-französische Suppe ein Haar <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0618" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/293415"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> </div> </div> <div n="1"> <head> Maßgebliches und Unmaßgebliches</head><lb/> <div n="2"> <head> Reichsspiegel</head><lb/> <p xml:id="ID_3571"> Der hervorragende Soldat, der soeben aus dem Leben geschieden ist, Feldmarschall<lb/> Graf Waldersee, hat seit seiner Rückkehr aus China in engerm Kreise immer<lb/> wieder auf die Unvermeidlichkeit der Entwicklung in Ostasien, der wir jetzt bei¬<lb/> wohnen, und insbesondre auf das zu gewärtigende Hervortreten Amerikas hinge¬<lb/> wiesen. Auch die Sorge um unsre deutschen Zukunftsinteressen sprach dabei mit.<lb/> Amerikas Stellung zu Japan erklärt sich einerseits ans seinen Handelsinteressen,<lb/> die es mit Japan und der Mandschurei verknüpfen, andrerseits ans seinem Anspruch<lb/> ans die Hegemonie auf dem Großen Ozean. Will Amerika diesen Anspruch be¬<lb/> haupten, so muß es mit Japan Freund oder Feind sein. Einstweilen fordern seine<lb/> Interessen ein freundschaftliches Verhältnis, wobei die noch unzureichende Stärke der<lb/> amerikanischen Flotte und das englisch-japanische Bündnis entscheidend in das Gewicht<lb/> fallen. Vorläufig wird dieses Bündnis wenigstens auf der asiatischen Seite des<lb/> Ozeans der amerikanischen Hegemonie noch einen festen Riegel vorschieben. Ein<lb/> englisch-amerikanisch-japanischer Dreibund im Osten wäre vielleicht nicht unmöglich,<lb/> aber England ist nicht gewöhnt, in einem solchen Bunde der Zweite zu sein, und<lb/> daun — gegen wen soll ein solches Bündnis sich richten? Gegen Rußland oder<lb/> gegen ein mit Rußland verbündetes China? China kaun heute den Russen als<lb/> Gegner unbequem werden, als Verbündeter käme es, auch Japan gegenüber, wenig<lb/> in Betracht. Oder gegen eine Beleidigung der russisch-französischen Interessenge¬<lb/> meinschaft in Ostasien? Anfänglich hat man sich ja in Paris nicht genug gegen<lb/> den Gedanken wehren können, daß Frankreich dein ^mi se ^.Als auch in Ostasien<lb/> verpflichtet sei. Noch vor kurzem konnte man in einer angesehenen Pariser Revue<lb/> lesen, daß der russisch-französische Notenaustausch — der Gegenzug gegen das<lb/> englisch-japanische Bündnis — inhaltlos und folglich iuntilo gewesen sei. Mit<lb/> Wohlgefallen sonnte man sich in der Idee einer englisch-französischen Intimität.<lb/> Den ^wi in Nöten gab „Marianne" leichten Herzens auf und spann den Flirt mit<lb/> dem Nachbar am Kanal; ein englisches Blatt erklärte verbindlich: Frankreich muß bei<lb/> England finden, was es von Rußland vergeblich erhofft hat — Elsaß-Lothringen.</p><lb/> <p xml:id="ID_3572" next="#ID_3573"> Aber seit einigen Tagen scheint in die englisch-französische Suppe ein Haar<lb/> gefallen zu sein. Die Pariser politischen Kreise zeigen sich besorgt um Jndo-China,<lb/> „die Reiskammer des Ostens/' und die Kammer schilt deu Marineminister, daß er<lb/> nicht genug für die Verteidigung dieser Kolonie vorgesorgt habe. Mit Stirn¬<lb/> runzeln verzeichnen Pariser Blätter, daß ein englischer Admiral das Vorgehn der<lb/> japanischen Torpedoflotte ohne Kriegserklärung gegen Port Arthur sowie deu An¬<lb/> griff auf die russischen Schiffe bei Tschemulpo für vollkommen korrekt erklärt habe.<lb/> Im heutigen Seekriege könne man nicht anders vorgehn, heute sei der Krieg<lb/> zugleich die Kriegserklärung. Die Pariser Publizistik beginnt zu prüfen, wie<lb/> solchen Anschauungen gegenüber die Situation der französischen Häfen beschaffen sei,<lb/> und Balfours Äußerung, daß wenn die kontinentalen Staaten einen Angriff Eng¬<lb/> lands abwarten wollten, sie ruhig ihre Flotten abschaffen könnten, hat in Frank¬<lb/> reich einen ganz entgegengesetzten Eindruck gemacht, zumal da bald darauf die Ver¬<lb/> sicherung folgte, daß die englische Flotte immer stärker als die russisch-französische<lb/> sein werde. Um das Maß voll zu machen, graben englische Blätter die „Schlacht<lb/> bei Dorking" wieder aus oder erfinden eine neue, die auf der Voraussetzung<lb/> beruht, „eine andre feindliche Flotte" habe die englische geschlagen, und Deutsch¬<lb/> land schicke nun von den ostfriesischen Häfen aus, wo alles seit langer Hand sorgfältig<lb/> vorbereitet sei, eine Landungsflotte nach England hinüber. Mit Maßnahmen zur<lb/> Küstenverteidigung gegen einen deutschen Angriff hat man sich drüben ohnehin seit<lb/> längerer Zeit beschäftigt. Abgesehen von dem Hafen am Firth of Fife, der sich<lb/> direkt gegen Wilhelmshaven richtet, werden schwere Batterien an bestimmten Küsten-<lb/> Punkten gebaut und armiert. Dieses Doppelspiel in der englischen Presse, gleich-</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0618]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
Maßgebliches und Unmaßgebliches
Reichsspiegel
Der hervorragende Soldat, der soeben aus dem Leben geschieden ist, Feldmarschall
Graf Waldersee, hat seit seiner Rückkehr aus China in engerm Kreise immer
wieder auf die Unvermeidlichkeit der Entwicklung in Ostasien, der wir jetzt bei¬
wohnen, und insbesondre auf das zu gewärtigende Hervortreten Amerikas hinge¬
wiesen. Auch die Sorge um unsre deutschen Zukunftsinteressen sprach dabei mit.
Amerikas Stellung zu Japan erklärt sich einerseits ans seinen Handelsinteressen,
die es mit Japan und der Mandschurei verknüpfen, andrerseits ans seinem Anspruch
ans die Hegemonie auf dem Großen Ozean. Will Amerika diesen Anspruch be¬
haupten, so muß es mit Japan Freund oder Feind sein. Einstweilen fordern seine
Interessen ein freundschaftliches Verhältnis, wobei die noch unzureichende Stärke der
amerikanischen Flotte und das englisch-japanische Bündnis entscheidend in das Gewicht
fallen. Vorläufig wird dieses Bündnis wenigstens auf der asiatischen Seite des
Ozeans der amerikanischen Hegemonie noch einen festen Riegel vorschieben. Ein
englisch-amerikanisch-japanischer Dreibund im Osten wäre vielleicht nicht unmöglich,
aber England ist nicht gewöhnt, in einem solchen Bunde der Zweite zu sein, und
daun — gegen wen soll ein solches Bündnis sich richten? Gegen Rußland oder
gegen ein mit Rußland verbündetes China? China kaun heute den Russen als
Gegner unbequem werden, als Verbündeter käme es, auch Japan gegenüber, wenig
in Betracht. Oder gegen eine Beleidigung der russisch-französischen Interessenge¬
meinschaft in Ostasien? Anfänglich hat man sich ja in Paris nicht genug gegen
den Gedanken wehren können, daß Frankreich dein ^mi se ^.Als auch in Ostasien
verpflichtet sei. Noch vor kurzem konnte man in einer angesehenen Pariser Revue
lesen, daß der russisch-französische Notenaustausch — der Gegenzug gegen das
englisch-japanische Bündnis — inhaltlos und folglich iuntilo gewesen sei. Mit
Wohlgefallen sonnte man sich in der Idee einer englisch-französischen Intimität.
Den ^wi in Nöten gab „Marianne" leichten Herzens auf und spann den Flirt mit
dem Nachbar am Kanal; ein englisches Blatt erklärte verbindlich: Frankreich muß bei
England finden, was es von Rußland vergeblich erhofft hat — Elsaß-Lothringen.
Aber seit einigen Tagen scheint in die englisch-französische Suppe ein Haar
gefallen zu sein. Die Pariser politischen Kreise zeigen sich besorgt um Jndo-China,
„die Reiskammer des Ostens/' und die Kammer schilt deu Marineminister, daß er
nicht genug für die Verteidigung dieser Kolonie vorgesorgt habe. Mit Stirn¬
runzeln verzeichnen Pariser Blätter, daß ein englischer Admiral das Vorgehn der
japanischen Torpedoflotte ohne Kriegserklärung gegen Port Arthur sowie deu An¬
griff auf die russischen Schiffe bei Tschemulpo für vollkommen korrekt erklärt habe.
Im heutigen Seekriege könne man nicht anders vorgehn, heute sei der Krieg
zugleich die Kriegserklärung. Die Pariser Publizistik beginnt zu prüfen, wie
solchen Anschauungen gegenüber die Situation der französischen Häfen beschaffen sei,
und Balfours Äußerung, daß wenn die kontinentalen Staaten einen Angriff Eng¬
lands abwarten wollten, sie ruhig ihre Flotten abschaffen könnten, hat in Frank¬
reich einen ganz entgegengesetzten Eindruck gemacht, zumal da bald darauf die Ver¬
sicherung folgte, daß die englische Flotte immer stärker als die russisch-französische
sein werde. Um das Maß voll zu machen, graben englische Blätter die „Schlacht
bei Dorking" wieder aus oder erfinden eine neue, die auf der Voraussetzung
beruht, „eine andre feindliche Flotte" habe die englische geschlagen, und Deutsch¬
land schicke nun von den ostfriesischen Häfen aus, wo alles seit langer Hand sorgfältig
vorbereitet sei, eine Landungsflotte nach England hinüber. Mit Maßnahmen zur
Küstenverteidigung gegen einen deutschen Angriff hat man sich drüben ohnehin seit
längerer Zeit beschäftigt. Abgesehen von dem Hafen am Firth of Fife, der sich
direkt gegen Wilhelmshaven richtet, werden schwere Batterien an bestimmten Küsten-
Punkten gebaut und armiert. Dieses Doppelspiel in der englischen Presse, gleich-
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