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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr.

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Die Ulabunkerstraßc

des Schwanzes blieb im Schnabel der Storchenmutter, der er nicht zu munden
schien, und der Kater hatte den ganzen Tag zu tun, an seinem Schwanzstummel
zu lecken.

Es war eine böse Nacht. Elsie, die sonst ihre zehn Stunden schlief, saß auf¬
recht im Bett, horchte auf das Fauchen des Windes und dachte daran, ob Herr
Heinemann sie wohl noch erkennen würde.

Sie sah ihn deutlich vor sich mit seinem jungen, lustigen Gesicht. Denn ihn
hatte sie von allen Menschen auf dem Dovenhof am wenigsten vergessen. Schon
deswegen, weil sie auf einer Ausstellung ein Bild von ihm gefunden hatte. Es
war ein Stückchen wildeu Gartens gewesen, das er hingemalt hatte, und Elsie
stand mit einem wunderlichen Gefühl davor. Aber ihre Freundinnen zogen sie
weiter, und das Gefühl verschwand. Heute aber kam es wieder; und dann eilten
ihre Gedanken weiter. Zu der Tante, die sie lieb gehabt hatte, zu der guten,
freundlichen Rosalie, zu deu Cousinen und dem kleinen Vetter. -- Konnte man alle
Menschen vergessen und sich dann plötzlich ihrer entsinnen? -- Elsie horchte auf
den Sturm und empfand Sehnsucht uach dem, was gewesen war.

Auch die Äbtissin konnte nicht schlafen; das aber war nichts Ungewöhnliches
bei ihr. Manche Nacht ging sie ruhelos in ihrem Zimmer auf und ab. In leichten
Schuhen und so, daß niemand sie hörte.

Auch heute mußte sie an Betty Eberstein denken. Die Gräfin war niemals
ins Kloster zurückgekehrt. Seit fünf Jahren stand ihre Wohnung leer, und sie ließ
sich ihre Einnahme durch den Rcndnnten bald hier- bald dorthin schicken. Sie
sollte mit einer Dame aus fürstlichem Hause befreundet geworden und mit ihr viel
auf Reisen sein. Die andern Stiftsdamen sprachen oft von ihr und wunderten sich
über ihr Ausbleiben. Gelegentlich sagte auch eine Konventualin, Gräfin Eberstein
könnte doch wiederkehren. Was will sie in der Welt? Ja, was wollte sie?

Äbtissin Asta zog die Vorhänge vom Fenster und sah zum sturmgepeitschten
Himmel empor. Es war kein Junihimmel, wie ihn die Dichter besingen; etwas
Drohendes lag in seinem matten Grau, seinen gelb umrandeten Wolken. Und Asta
wandte sich von ihm und kroch müde auf ihr Lager.

Und noch ein Menschenkind horchte auf den Sturm und sah in den düstern
Himmel; das war Elisabeth Wolsfenradt aus ihrem Hofe Moorheide. Sanft und
füß schliefen ihre beiden Töchter neben ihrem Bett; im anstoßenden Zimmer atmete
Rüdeger Wolsfenradt, und als sie zu ihm trat, ballte er im Schlaf die Hände und
rief: Laß sie nur kommen, ich schlage alle tot! Denn er war ein kriegerischer Junge
und so groß und stark geworden, daß der alte Schlüter, der manchmal nach Moor¬
heide kam, ihm sagte, er sollte sich in Hamburg für Geld sehen lassen. Nun warf
er sich auf die andre Seite, und das brennende Licht in Elisabeths Hand warf
einen Schein auf sein schlafendes Gesicht. Dann zog ein lustiger Traum an ihm
vorüber, denn er lachte und zeigte seine Zähne. Gerade wie sein Vater es zu tun
pflegte, als er noch jung war, fröhlich und leichten Herzens, als er und Elisabeth
sich liebten.

Geräuschlos glitt Elisabeth wieder aus dem Zimmer. Sie mußte zufrieden
mit dem Leben sein, das sie sich geschaffen hatte. Es war einsam, voll von Mühe
und Arbeit, und die bittern Stunden blieben nicht aus. Nachdem sie den Dovenhof
verlassen hatte, war ihre Gesundheit schwankend gewesen, und was sie tat und an¬
ordnete, war rein mechanisch geschehen; allmählich war es dann besser geworden.
Mit leisem Schauder dachte sie noch heute an ihren Einzug auf Moorheide, ihren:
Besitztum. Sie hatte den Hof öde und traurig gefunden; und wenn Frau Fuchsins
nicht gewesen wäre, würde die Verzagtheit über sie gekommen sein. Frau Fuchsius
aber nahm die neue Arbeit und Verantwortlichkeit mit Freuden auf sich, und durch
sie erhielt Elisabeth neue Spannkraft. Dann war anch Rosalie ein Trost. Immer
milde, sanft und hilfsbereit. Es war selbstverständlich, daß sie bei Elisabeth blieb
und nicht mehr daran dachte, in die Klabunkerstraße zurückzukehren. Nur zuerst


Die Ulabunkerstraßc

des Schwanzes blieb im Schnabel der Storchenmutter, der er nicht zu munden
schien, und der Kater hatte den ganzen Tag zu tun, an seinem Schwanzstummel
zu lecken.

Es war eine böse Nacht. Elsie, die sonst ihre zehn Stunden schlief, saß auf¬
recht im Bett, horchte auf das Fauchen des Windes und dachte daran, ob Herr
Heinemann sie wohl noch erkennen würde.

Sie sah ihn deutlich vor sich mit seinem jungen, lustigen Gesicht. Denn ihn
hatte sie von allen Menschen auf dem Dovenhof am wenigsten vergessen. Schon
deswegen, weil sie auf einer Ausstellung ein Bild von ihm gefunden hatte. Es
war ein Stückchen wildeu Gartens gewesen, das er hingemalt hatte, und Elsie
stand mit einem wunderlichen Gefühl davor. Aber ihre Freundinnen zogen sie
weiter, und das Gefühl verschwand. Heute aber kam es wieder; und dann eilten
ihre Gedanken weiter. Zu der Tante, die sie lieb gehabt hatte, zu der guten,
freundlichen Rosalie, zu deu Cousinen und dem kleinen Vetter. — Konnte man alle
Menschen vergessen und sich dann plötzlich ihrer entsinnen? — Elsie horchte auf
den Sturm und empfand Sehnsucht uach dem, was gewesen war.

Auch die Äbtissin konnte nicht schlafen; das aber war nichts Ungewöhnliches
bei ihr. Manche Nacht ging sie ruhelos in ihrem Zimmer auf und ab. In leichten
Schuhen und so, daß niemand sie hörte.

Auch heute mußte sie an Betty Eberstein denken. Die Gräfin war niemals
ins Kloster zurückgekehrt. Seit fünf Jahren stand ihre Wohnung leer, und sie ließ
sich ihre Einnahme durch den Rcndnnten bald hier- bald dorthin schicken. Sie
sollte mit einer Dame aus fürstlichem Hause befreundet geworden und mit ihr viel
auf Reisen sein. Die andern Stiftsdamen sprachen oft von ihr und wunderten sich
über ihr Ausbleiben. Gelegentlich sagte auch eine Konventualin, Gräfin Eberstein
könnte doch wiederkehren. Was will sie in der Welt? Ja, was wollte sie?

Äbtissin Asta zog die Vorhänge vom Fenster und sah zum sturmgepeitschten
Himmel empor. Es war kein Junihimmel, wie ihn die Dichter besingen; etwas
Drohendes lag in seinem matten Grau, seinen gelb umrandeten Wolken. Und Asta
wandte sich von ihm und kroch müde auf ihr Lager.

Und noch ein Menschenkind horchte auf den Sturm und sah in den düstern
Himmel; das war Elisabeth Wolsfenradt aus ihrem Hofe Moorheide. Sanft und
füß schliefen ihre beiden Töchter neben ihrem Bett; im anstoßenden Zimmer atmete
Rüdeger Wolsfenradt, und als sie zu ihm trat, ballte er im Schlaf die Hände und
rief: Laß sie nur kommen, ich schlage alle tot! Denn er war ein kriegerischer Junge
und so groß und stark geworden, daß der alte Schlüter, der manchmal nach Moor¬
heide kam, ihm sagte, er sollte sich in Hamburg für Geld sehen lassen. Nun warf
er sich auf die andre Seite, und das brennende Licht in Elisabeths Hand warf
einen Schein auf sein schlafendes Gesicht. Dann zog ein lustiger Traum an ihm
vorüber, denn er lachte und zeigte seine Zähne. Gerade wie sein Vater es zu tun
pflegte, als er noch jung war, fröhlich und leichten Herzens, als er und Elisabeth
sich liebten.

Geräuschlos glitt Elisabeth wieder aus dem Zimmer. Sie mußte zufrieden
mit dem Leben sein, das sie sich geschaffen hatte. Es war einsam, voll von Mühe
und Arbeit, und die bittern Stunden blieben nicht aus. Nachdem sie den Dovenhof
verlassen hatte, war ihre Gesundheit schwankend gewesen, und was sie tat und an¬
ordnete, war rein mechanisch geschehen; allmählich war es dann besser geworden.
Mit leisem Schauder dachte sie noch heute an ihren Einzug auf Moorheide, ihren:
Besitztum. Sie hatte den Hof öde und traurig gefunden; und wenn Frau Fuchsins
nicht gewesen wäre, würde die Verzagtheit über sie gekommen sein. Frau Fuchsius
aber nahm die neue Arbeit und Verantwortlichkeit mit Freuden auf sich, und durch
sie erhielt Elisabeth neue Spannkraft. Dann war anch Rosalie ein Trost. Immer
milde, sanft und hilfsbereit. Es war selbstverständlich, daß sie bei Elisabeth blieb
und nicht mehr daran dachte, in die Klabunkerstraße zurückzukehren. Nur zuerst


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[0610] Die Ulabunkerstraßc des Schwanzes blieb im Schnabel der Storchenmutter, der er nicht zu munden schien, und der Kater hatte den ganzen Tag zu tun, an seinem Schwanzstummel zu lecken. Es war eine böse Nacht. Elsie, die sonst ihre zehn Stunden schlief, saß auf¬ recht im Bett, horchte auf das Fauchen des Windes und dachte daran, ob Herr Heinemann sie wohl noch erkennen würde. Sie sah ihn deutlich vor sich mit seinem jungen, lustigen Gesicht. Denn ihn hatte sie von allen Menschen auf dem Dovenhof am wenigsten vergessen. Schon deswegen, weil sie auf einer Ausstellung ein Bild von ihm gefunden hatte. Es war ein Stückchen wildeu Gartens gewesen, das er hingemalt hatte, und Elsie stand mit einem wunderlichen Gefühl davor. Aber ihre Freundinnen zogen sie weiter, und das Gefühl verschwand. Heute aber kam es wieder; und dann eilten ihre Gedanken weiter. Zu der Tante, die sie lieb gehabt hatte, zu der guten, freundlichen Rosalie, zu deu Cousinen und dem kleinen Vetter. — Konnte man alle Menschen vergessen und sich dann plötzlich ihrer entsinnen? — Elsie horchte auf den Sturm und empfand Sehnsucht uach dem, was gewesen war. Auch die Äbtissin konnte nicht schlafen; das aber war nichts Ungewöhnliches bei ihr. Manche Nacht ging sie ruhelos in ihrem Zimmer auf und ab. In leichten Schuhen und so, daß niemand sie hörte. Auch heute mußte sie an Betty Eberstein denken. Die Gräfin war niemals ins Kloster zurückgekehrt. Seit fünf Jahren stand ihre Wohnung leer, und sie ließ sich ihre Einnahme durch den Rcndnnten bald hier- bald dorthin schicken. Sie sollte mit einer Dame aus fürstlichem Hause befreundet geworden und mit ihr viel auf Reisen sein. Die andern Stiftsdamen sprachen oft von ihr und wunderten sich über ihr Ausbleiben. Gelegentlich sagte auch eine Konventualin, Gräfin Eberstein könnte doch wiederkehren. Was will sie in der Welt? Ja, was wollte sie? Äbtissin Asta zog die Vorhänge vom Fenster und sah zum sturmgepeitschten Himmel empor. Es war kein Junihimmel, wie ihn die Dichter besingen; etwas Drohendes lag in seinem matten Grau, seinen gelb umrandeten Wolken. Und Asta wandte sich von ihm und kroch müde auf ihr Lager. Und noch ein Menschenkind horchte auf den Sturm und sah in den düstern Himmel; das war Elisabeth Wolsfenradt aus ihrem Hofe Moorheide. Sanft und füß schliefen ihre beiden Töchter neben ihrem Bett; im anstoßenden Zimmer atmete Rüdeger Wolsfenradt, und als sie zu ihm trat, ballte er im Schlaf die Hände und rief: Laß sie nur kommen, ich schlage alle tot! Denn er war ein kriegerischer Junge und so groß und stark geworden, daß der alte Schlüter, der manchmal nach Moor¬ heide kam, ihm sagte, er sollte sich in Hamburg für Geld sehen lassen. Nun warf er sich auf die andre Seite, und das brennende Licht in Elisabeths Hand warf einen Schein auf sein schlafendes Gesicht. Dann zog ein lustiger Traum an ihm vorüber, denn er lachte und zeigte seine Zähne. Gerade wie sein Vater es zu tun pflegte, als er noch jung war, fröhlich und leichten Herzens, als er und Elisabeth sich liebten. Geräuschlos glitt Elisabeth wieder aus dem Zimmer. Sie mußte zufrieden mit dem Leben sein, das sie sich geschaffen hatte. Es war einsam, voll von Mühe und Arbeit, und die bittern Stunden blieben nicht aus. Nachdem sie den Dovenhof verlassen hatte, war ihre Gesundheit schwankend gewesen, und was sie tat und an¬ ordnete, war rein mechanisch geschehen; allmählich war es dann besser geworden. Mit leisem Schauder dachte sie noch heute an ihren Einzug auf Moorheide, ihren: Besitztum. Sie hatte den Hof öde und traurig gefunden; und wenn Frau Fuchsins nicht gewesen wäre, würde die Verzagtheit über sie gekommen sein. Frau Fuchsius aber nahm die neue Arbeit und Verantwortlichkeit mit Freuden auf sich, und durch sie erhielt Elisabeth neue Spannkraft. Dann war anch Rosalie ein Trost. Immer milde, sanft und hilfsbereit. Es war selbstverständlich, daß sie bei Elisabeth blieb und nicht mehr daran dachte, in die Klabunkerstraße zurückzukehren. Nur zuerst

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_292796/610>, abgerufen am 23.07.2024.