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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr.

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Aus dem Leben des württembergischen Generals Karl von Mariens

ab, weidete mich von einer Altane aus an dem Anblick der großen schönen
Stadt und setzte mich dann auf das Pferd, um ins Lager zurückzukehren.
Unterwegs hielt ich bei einem Keller, aus dem die Soldaten den Wein in
Bouteillen dutzendweise hinausschleppten, ließ durch meinen Bedienten auf zwei¬
mal dreizehn Bouteillen herausbringen, die wir nebst einem Schinken, den er
in einem andern Hause bekam, in das Lager brachten und meinem Onkel und
Bruder anstellten. Gräßlich war das Trinkgelage der Gardisten, die bis an
die Knöchel in Wein wateten. Als am 16. September alles die Erlaubnis zur
Plünderung Moskaus bekam, fehlte es nicht an Zwistigkeiten, Schlägereien und
selbst Mordtaten, viele wurden von den brennenden Häusern erschlagen, neun
Zehntel der Stadt brannten ab."

Bei dem furchtbaren Rückzug aus Rußland kam Mariens am 28. November,
dem "gräßlichsten Tag im ganzen Feldzug," auf der Brücke über die Beresina
nach langem Warten und größter Lebensgefahr endlich glücklich hinüber und
erreichte am 8. Dezember nach den entsetzlichsten Strapazen Wilna. Bei der
grimmigen Kälte erfroren ihm jedoch bald darauf beim Weitermarsch beide Füße,
und nur der glückliche Umstand, daß ihm sein Onkel, der General von Scheler,
einen Schlitten samt Pferd verschaffen konnte, rettete ihm das Leben. Leider
verlor er unterwegs sein wertvolles Tagebuch vom ganzen Feldzug, seine
Ordenspatente -- er war unterwegs mit den: französischen Militärverdienstorden
geschmückt worden-- und seine gute Karte von Rußland. Am 18. Dezember
kam er in Königsberg an; die ganz erfrornen Füße waren schwarz und brandig
geworden. Er mußte sich in Thorn einer schmerzhaften Operation unterwerfen,
lag wochenlang zwischen Leben und Tod danieder, wurde aber doch gerettet
und kam nach einer Abwesenheit von 348 Tagen am 7. März 1813 glücklich
in Stuttgart wieder an. Sein Bruder Christian war schon am 27. Januar
dort angekommen. Noch konnte er zwar den rechten Fuß nicht wieder gebrauchen,
aber gleich seinem Bruder hatte auch er das Recht, mit Schiller in seinem
Siegesfest voll innigen Dankes gegen Gott auszurufen:

In Stuttgart mußte er zuerst noch seine Genesung abwarten. Beim Aus¬
bruch des Befreiungskriegs, bei Preußens Erhebung im März 1813 waren die
Nheinbundstciaten noch mit eisernen Ketten an Napoleon gebunden. König
Friedrich beeilte sich, als kiävls aUiö Napoleons, dem französischen Imperator,
dessen Genie und drakonische Strenge in dieser kritischen Lage mit unglaublicher
Schnelligkeit Armeen aus dem Boden stampften, wieder ein Kontingent zur
Verfügung zu stellen. Schon am 19. April brach das Gros der württem¬
bergischen Division unter dem Oberbefehl des Generalleutnants von Franquemont
in einer Stärke von 7300 Mann mit 1400 Pferden von Mergentheim auf und
marschierte nach Sachsen. Einen Monat später folgte die zweite Kolonne,
4000 Mann und 1300 Pferde, unter den Generalen von Normann und von Koch-
Die württembergische Division wurde wieder als 25. Division der großen Armee


Aus dem Leben des württembergischen Generals Karl von Mariens

ab, weidete mich von einer Altane aus an dem Anblick der großen schönen
Stadt und setzte mich dann auf das Pferd, um ins Lager zurückzukehren.
Unterwegs hielt ich bei einem Keller, aus dem die Soldaten den Wein in
Bouteillen dutzendweise hinausschleppten, ließ durch meinen Bedienten auf zwei¬
mal dreizehn Bouteillen herausbringen, die wir nebst einem Schinken, den er
in einem andern Hause bekam, in das Lager brachten und meinem Onkel und
Bruder anstellten. Gräßlich war das Trinkgelage der Gardisten, die bis an
die Knöchel in Wein wateten. Als am 16. September alles die Erlaubnis zur
Plünderung Moskaus bekam, fehlte es nicht an Zwistigkeiten, Schlägereien und
selbst Mordtaten, viele wurden von den brennenden Häusern erschlagen, neun
Zehntel der Stadt brannten ab."

Bei dem furchtbaren Rückzug aus Rußland kam Mariens am 28. November,
dem „gräßlichsten Tag im ganzen Feldzug," auf der Brücke über die Beresina
nach langem Warten und größter Lebensgefahr endlich glücklich hinüber und
erreichte am 8. Dezember nach den entsetzlichsten Strapazen Wilna. Bei der
grimmigen Kälte erfroren ihm jedoch bald darauf beim Weitermarsch beide Füße,
und nur der glückliche Umstand, daß ihm sein Onkel, der General von Scheler,
einen Schlitten samt Pferd verschaffen konnte, rettete ihm das Leben. Leider
verlor er unterwegs sein wertvolles Tagebuch vom ganzen Feldzug, seine
Ordenspatente — er war unterwegs mit den: französischen Militärverdienstorden
geschmückt worden— und seine gute Karte von Rußland. Am 18. Dezember
kam er in Königsberg an; die ganz erfrornen Füße waren schwarz und brandig
geworden. Er mußte sich in Thorn einer schmerzhaften Operation unterwerfen,
lag wochenlang zwischen Leben und Tod danieder, wurde aber doch gerettet
und kam nach einer Abwesenheit von 348 Tagen am 7. März 1813 glücklich
in Stuttgart wieder an. Sein Bruder Christian war schon am 27. Januar
dort angekommen. Noch konnte er zwar den rechten Fuß nicht wieder gebrauchen,
aber gleich seinem Bruder hatte auch er das Recht, mit Schiller in seinem
Siegesfest voll innigen Dankes gegen Gott auszurufen:

In Stuttgart mußte er zuerst noch seine Genesung abwarten. Beim Aus¬
bruch des Befreiungskriegs, bei Preußens Erhebung im März 1813 waren die
Nheinbundstciaten noch mit eisernen Ketten an Napoleon gebunden. König
Friedrich beeilte sich, als kiävls aUiö Napoleons, dem französischen Imperator,
dessen Genie und drakonische Strenge in dieser kritischen Lage mit unglaublicher
Schnelligkeit Armeen aus dem Boden stampften, wieder ein Kontingent zur
Verfügung zu stellen. Schon am 19. April brach das Gros der württem¬
bergischen Division unter dem Oberbefehl des Generalleutnants von Franquemont
in einer Stärke von 7300 Mann mit 1400 Pferden von Mergentheim auf und
marschierte nach Sachsen. Einen Monat später folgte die zweite Kolonne,
4000 Mann und 1300 Pferde, unter den Generalen von Normann und von Koch-
Die württembergische Division wurde wieder als 25. Division der großen Armee


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_292796/524>, abgerufen am 22.07.2024.