wärtigen Lage ein Ende machte, das heißt bis zur letzten Stufe des Elends und der Verlassenheit hinabsinken." Klingt nicht der Nachhall eigner Bitterkeit, eignen Wehs aus dieser ergreifend geschilderten Lage? Noch aHute die Schreiberin dieser Zeilen nicht, daß die dumpfe Atmosphäre der Metropole Lorbeeren für sie reifen, daß sie dnrch IiMxmg. mit einem Schlage berühmt werden sollte. In der Glut des geistigen Brennspiegels Frankreichs erwachte bisweilen das Verlangen nach dem ländlichen Zauber ihrer Heimat, nach der vornehmen Abgeschlossenheit des Familienlebens.
Die erotischen Träume, die der Hauptinhalt ihrer ersten Romane sind, trübt der leidenschaftliche Kampf gegen unmoralische Ehen, ein neuer Beweis, daß mitten in den frischen Erlebnissen die Erinnerung an die Vergangenheit wachblieb. Ganz unmerkbar aber rückt die Lebenserfahrung um einen wichtigen Schritt weiter. An der Seite der in der Ehe geistig unterdrückten Roman¬ heldinnen taucht der wortbrüchige Verführer in wechselnder Gestalt auf. Don Juan hat George Sands Gedanken oft in Anspruch genommen; ihre persön¬ lichen Erlebnisse boten ihr reichlich Gelegenheit, in dieser Richtung Studien nach dem Leben zu machen. In I^Ua, reihte die französische Romantiker" mit der ihr eigentümlichen Weitschweifigkeit Stenios Neneausbrüche in einem aus¬ führlichen Kapital gleichsam an einen einzigen Faden, um das Sündenregister Don Juans einmal mit einer scharfen Frauenlupe zu prüfen. George Sand ist wohl die erste Frau -- und zwar nicht bloß in Frankreich --, die Don Juans Seelenzustand einen: förmlichen Examen unterwirft. Bei dem grimmigen Verhör, das sie mit ihm anstellt, erhält sein von Moliöre fixiertes Porträt ganz neue, der üblichen Vorstellung widersprechende Züge. Diese in stürmische Frageform gekleidete Analyse verrät, daß George Sand in der Periode unge¬ zügelter Leidenschaft Veranlassung fand, gefährliche Angriffswaffen gegen an¬ gebliche männliche Überlegenheit zu schmieden und mit großem Spürsinn nicht nur weibliche Charakterblößen aufzudecken. Nie in ihrem Leben bequemte sie sich zur Rolle der trauernden, insbesondre der verlassenen Donna Elvira. Molieres Don Juan erlaubt nur mit Vorbehalt eine Parallele zu George Sands subjektiver, aus persönlicher Erfahrung hervorquellender, wenn auch kritischer Anklage. Die impulsive Sprache der gekränkten Frau steht in einem seltsamen Gegensatz zu der stellenweise an die Farce streifenden Verspottung, die weniger dem Dichter als dem bedrängten Schauspieldirektor in die Feder floß, als seine durch das Tartüffeverbot geschädigte Truppe dringend nach einem Kassenerfolge begehrte. Wer kennt nicht die wirkungsvolle Szene, in der Moliere Don Juans ritterlichen Mut so nachdrücklich hervorhebt? George Sand hat einen höhern Begriff von echter Ritterlichkeit. Im Namen der Frauenwelt schleudert sie dem gewissenlosen Verführer das Schimpfwort "Feigling" ins Gesicht. "Du gestandest niemand das Recht zu zu sagen: Don Juan ist ein Feigling, denn er treibt Mißbrauch mit der Schwäche, er verrät wehrlose Frauen. Nein, du schenkest nie vor der Gefahr zurück. Wenn ein Rücher seinen Arm für die Opfer deiner Ausschweifung waffnete, kam es dir auf eine Leiche mehr oder weniger nicht an. Du fürchtetest nicht zu straucheln, wenn du den Fuß auf seine im Tode erstarrten Glieder setztest."
George Sand
wärtigen Lage ein Ende machte, das heißt bis zur letzten Stufe des Elends und der Verlassenheit hinabsinken." Klingt nicht der Nachhall eigner Bitterkeit, eignen Wehs aus dieser ergreifend geschilderten Lage? Noch aHute die Schreiberin dieser Zeilen nicht, daß die dumpfe Atmosphäre der Metropole Lorbeeren für sie reifen, daß sie dnrch IiMxmg. mit einem Schlage berühmt werden sollte. In der Glut des geistigen Brennspiegels Frankreichs erwachte bisweilen das Verlangen nach dem ländlichen Zauber ihrer Heimat, nach der vornehmen Abgeschlossenheit des Familienlebens.
Die erotischen Träume, die der Hauptinhalt ihrer ersten Romane sind, trübt der leidenschaftliche Kampf gegen unmoralische Ehen, ein neuer Beweis, daß mitten in den frischen Erlebnissen die Erinnerung an die Vergangenheit wachblieb. Ganz unmerkbar aber rückt die Lebenserfahrung um einen wichtigen Schritt weiter. An der Seite der in der Ehe geistig unterdrückten Roman¬ heldinnen taucht der wortbrüchige Verführer in wechselnder Gestalt auf. Don Juan hat George Sands Gedanken oft in Anspruch genommen; ihre persön¬ lichen Erlebnisse boten ihr reichlich Gelegenheit, in dieser Richtung Studien nach dem Leben zu machen. In I^Ua, reihte die französische Romantiker» mit der ihr eigentümlichen Weitschweifigkeit Stenios Neneausbrüche in einem aus¬ führlichen Kapital gleichsam an einen einzigen Faden, um das Sündenregister Don Juans einmal mit einer scharfen Frauenlupe zu prüfen. George Sand ist wohl die erste Frau — und zwar nicht bloß in Frankreich —, die Don Juans Seelenzustand einen: förmlichen Examen unterwirft. Bei dem grimmigen Verhör, das sie mit ihm anstellt, erhält sein von Moliöre fixiertes Porträt ganz neue, der üblichen Vorstellung widersprechende Züge. Diese in stürmische Frageform gekleidete Analyse verrät, daß George Sand in der Periode unge¬ zügelter Leidenschaft Veranlassung fand, gefährliche Angriffswaffen gegen an¬ gebliche männliche Überlegenheit zu schmieden und mit großem Spürsinn nicht nur weibliche Charakterblößen aufzudecken. Nie in ihrem Leben bequemte sie sich zur Rolle der trauernden, insbesondre der verlassenen Donna Elvira. Molieres Don Juan erlaubt nur mit Vorbehalt eine Parallele zu George Sands subjektiver, aus persönlicher Erfahrung hervorquellender, wenn auch kritischer Anklage. Die impulsive Sprache der gekränkten Frau steht in einem seltsamen Gegensatz zu der stellenweise an die Farce streifenden Verspottung, die weniger dem Dichter als dem bedrängten Schauspieldirektor in die Feder floß, als seine durch das Tartüffeverbot geschädigte Truppe dringend nach einem Kassenerfolge begehrte. Wer kennt nicht die wirkungsvolle Szene, in der Moliere Don Juans ritterlichen Mut so nachdrücklich hervorhebt? George Sand hat einen höhern Begriff von echter Ritterlichkeit. Im Namen der Frauenwelt schleudert sie dem gewissenlosen Verführer das Schimpfwort „Feigling" ins Gesicht. „Du gestandest niemand das Recht zu zu sagen: Don Juan ist ein Feigling, denn er treibt Mißbrauch mit der Schwäche, er verrät wehrlose Frauen. Nein, du schenkest nie vor der Gefahr zurück. Wenn ein Rücher seinen Arm für die Opfer deiner Ausschweifung waffnete, kam es dir auf eine Leiche mehr oder weniger nicht an. Du fürchtetest nicht zu straucheln, wenn du den Fuß auf seine im Tode erstarrten Glieder setztest."
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[0484]
George Sand
wärtigen Lage ein Ende machte, das heißt bis zur letzten Stufe des Elends
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eignen Wehs aus dieser ergreifend geschilderten Lage? Noch aHute die
Schreiberin dieser Zeilen nicht, daß die dumpfe Atmosphäre der Metropole
Lorbeeren für sie reifen, daß sie dnrch IiMxmg. mit einem Schlage berühmt
werden sollte. In der Glut des geistigen Brennspiegels Frankreichs erwachte
bisweilen das Verlangen nach dem ländlichen Zauber ihrer Heimat, nach der
vornehmen Abgeschlossenheit des Familienlebens.
Die erotischen Träume, die der Hauptinhalt ihrer ersten Romane sind,
trübt der leidenschaftliche Kampf gegen unmoralische Ehen, ein neuer Beweis,
daß mitten in den frischen Erlebnissen die Erinnerung an die Vergangenheit
wachblieb. Ganz unmerkbar aber rückt die Lebenserfahrung um einen wichtigen
Schritt weiter. An der Seite der in der Ehe geistig unterdrückten Roman¬
heldinnen taucht der wortbrüchige Verführer in wechselnder Gestalt auf. Don
Juan hat George Sands Gedanken oft in Anspruch genommen; ihre persön¬
lichen Erlebnisse boten ihr reichlich Gelegenheit, in dieser Richtung Studien
nach dem Leben zu machen. In I^Ua, reihte die französische Romantiker» mit
der ihr eigentümlichen Weitschweifigkeit Stenios Neneausbrüche in einem aus¬
führlichen Kapital gleichsam an einen einzigen Faden, um das Sündenregister
Don Juans einmal mit einer scharfen Frauenlupe zu prüfen. George Sand
ist wohl die erste Frau — und zwar nicht bloß in Frankreich —, die Don
Juans Seelenzustand einen: förmlichen Examen unterwirft. Bei dem grimmigen
Verhör, das sie mit ihm anstellt, erhält sein von Moliöre fixiertes Porträt
ganz neue, der üblichen Vorstellung widersprechende Züge. Diese in stürmische
Frageform gekleidete Analyse verrät, daß George Sand in der Periode unge¬
zügelter Leidenschaft Veranlassung fand, gefährliche Angriffswaffen gegen an¬
gebliche männliche Überlegenheit zu schmieden und mit großem Spürsinn nicht
nur weibliche Charakterblößen aufzudecken. Nie in ihrem Leben bequemte sie
sich zur Rolle der trauernden, insbesondre der verlassenen Donna Elvira.
Molieres Don Juan erlaubt nur mit Vorbehalt eine Parallele zu George
Sands subjektiver, aus persönlicher Erfahrung hervorquellender, wenn auch
kritischer Anklage. Die impulsive Sprache der gekränkten Frau steht in einem
seltsamen Gegensatz zu der stellenweise an die Farce streifenden Verspottung, die
weniger dem Dichter als dem bedrängten Schauspieldirektor in die Feder floß,
als seine durch das Tartüffeverbot geschädigte Truppe dringend nach einem
Kassenerfolge begehrte. Wer kennt nicht die wirkungsvolle Szene, in der Moliere
Don Juans ritterlichen Mut so nachdrücklich hervorhebt? George Sand hat
einen höhern Begriff von echter Ritterlichkeit. Im Namen der Frauenwelt
schleudert sie dem gewissenlosen Verführer das Schimpfwort „Feigling" ins
Gesicht. „Du gestandest niemand das Recht zu zu sagen: Don Juan ist ein
Feigling, denn er treibt Mißbrauch mit der Schwäche, er verrät wehrlose Frauen.
Nein, du schenkest nie vor der Gefahr zurück. Wenn ein Rücher seinen Arm
für die Opfer deiner Ausschweifung waffnete, kam es dir auf eine Leiche mehr
oder weniger nicht an. Du fürchtetest nicht zu straucheln, wenn du den Fuß
auf seine im Tode erstarrten Glieder setztest."
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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_292796/484>, abgerufen am 22.07.2024.
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