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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr.

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und dessen Geschicke blieben nicht ohne Einwirkung, Der Aufschwung der
tschechischen Sprache während der Hussitenzeit und der seit jenen Tagen hervor¬
tretende Widerstand gegen die deutsche Sprache machten sich auch hier geltend,
und namentlich trat der Adel sehr für das Tschechische ein. Die größte
Schwächung aber erlitt das Deutschtum durch die harten Maßregeln gegen
die Protestanten während der Gegenreformation, nachdem das Herzogtum
Teschen als erledigtes Lehen der böhmischen Krone 1653 definitiv an das
Haus Habsburg gekommen war. Übrigens wurden die zahlreichen polnisch
sprechenden Protestanten in Ostschlesien davon wohl eben so schwer betroffen,
und es scheint, daß die damaligen gemeinsamen Leiden Deutsche und Polen
einander unser gebracht und das noch in der Gegenwart bestehende freund¬
schaftliche Verhältnis zwischen Deutschen und Polen in Österreichisch-Schlesien
begründet, oder wenn es schon bestand, befestigt haben. Die weitern politischen
Ereignisse nach dem Dreißigjährigen Kriege haben das Kronland Schlesien an
den Schicksalen der Habsburgischen Monarchie teilnehmen lassen, die nicht ge¬
eignet waren, weder an die längst verjährten und vergessenen polnischen Be¬
ziehungen noch an das spätere Verhältnis zur böhmischen Krone belebend
und auffrischend zu erinnern. Nachträglich bemerkt zu werden verdient nur
noch das Schicksal der einst auch den schlesischen Piaster gehörenden Herzog¬
tümer Auschwitz und Zator. Zu der Zeit der Minderjährigkeit des Ladislaus
PostHumus fielen beide Herzogtümer an Polen zurück, indem Wenzel von
Zator und Johann von Auschwitz zuerst die böhmische Lehusherrschaft mit der
polnischen vertauschten und nachmals ihre Gebiete auch an die Krone Polen
verkauften. Trotzdem behaupteten beide Herzogtümer später noch eine be¬
sondre Stellung, und sie gehörten anch bis zur Auflösung des Deutschen
Bundes 1866 zum Deutschen Reich. Erst danach sind sie mit Galizien voll¬
kommen vereinigt worden.

In Anbetracht dieser geschichtlichen Entwicklung müßte es wundernehmen,
wenn in den ehemaligen Piastenländern, insbesondre in dem Herzogtum Teschen,
irgend welche polnischen Überlieferungen vorhanden sein sollten. Seit genau
740 Jahren von dem politischen Zusammenhang mit Polen getrennt und vor
schon 600 Jahren in ein dauerndes Lehnsverhültnis zu Böhmen getreten,
konnte das Land doch kaum eine polnische Entwicklung nehmen. Aber auch
von dem eigentlichen Herrschaftslande Böhmen lag es zu weit entfernt, als
daß es in besondrer Weise zum Tschechentum hinübergezogen worden wäre. Alle
Kultur kam von den Deutschen, und während der letzten Jahrhunderte von
einer vorwiegend deutschen Beamtenschaft. Es war unter diesen Umständen
nur natürlich, daß die Bevölkerung weder polnisch noch tschechisch sein wollte,
dagegen den Deutschen gegenüber willig und freundschaftlich gesinnt war, ja
es entwickelte sich in ihnen sogar ein gewisser Grenzzorn, der sich namentlich
gegen das schon damals verarmte Galizien richtete, die Benennung "Polak"
wurde als schwere Beleidigung ausgegeben und empfunden, und heute noch
will der einen polnischen Dialekt redende Schlesier nur Schlesier, um keinen
Preis ein Pole sein -- von einigen, meist eingewanderten, Agitatoren ab¬
gesehen. Mit dem polnischen Dialekt der Ostschlesier hat es nun auch eine


Teschen

und dessen Geschicke blieben nicht ohne Einwirkung, Der Aufschwung der
tschechischen Sprache während der Hussitenzeit und der seit jenen Tagen hervor¬
tretende Widerstand gegen die deutsche Sprache machten sich auch hier geltend,
und namentlich trat der Adel sehr für das Tschechische ein. Die größte
Schwächung aber erlitt das Deutschtum durch die harten Maßregeln gegen
die Protestanten während der Gegenreformation, nachdem das Herzogtum
Teschen als erledigtes Lehen der böhmischen Krone 1653 definitiv an das
Haus Habsburg gekommen war. Übrigens wurden die zahlreichen polnisch
sprechenden Protestanten in Ostschlesien davon wohl eben so schwer betroffen,
und es scheint, daß die damaligen gemeinsamen Leiden Deutsche und Polen
einander unser gebracht und das noch in der Gegenwart bestehende freund¬
schaftliche Verhältnis zwischen Deutschen und Polen in Österreichisch-Schlesien
begründet, oder wenn es schon bestand, befestigt haben. Die weitern politischen
Ereignisse nach dem Dreißigjährigen Kriege haben das Kronland Schlesien an
den Schicksalen der Habsburgischen Monarchie teilnehmen lassen, die nicht ge¬
eignet waren, weder an die längst verjährten und vergessenen polnischen Be¬
ziehungen noch an das spätere Verhältnis zur böhmischen Krone belebend
und auffrischend zu erinnern. Nachträglich bemerkt zu werden verdient nur
noch das Schicksal der einst auch den schlesischen Piaster gehörenden Herzog¬
tümer Auschwitz und Zator. Zu der Zeit der Minderjährigkeit des Ladislaus
PostHumus fielen beide Herzogtümer an Polen zurück, indem Wenzel von
Zator und Johann von Auschwitz zuerst die böhmische Lehusherrschaft mit der
polnischen vertauschten und nachmals ihre Gebiete auch an die Krone Polen
verkauften. Trotzdem behaupteten beide Herzogtümer später noch eine be¬
sondre Stellung, und sie gehörten anch bis zur Auflösung des Deutschen
Bundes 1866 zum Deutschen Reich. Erst danach sind sie mit Galizien voll¬
kommen vereinigt worden.

In Anbetracht dieser geschichtlichen Entwicklung müßte es wundernehmen,
wenn in den ehemaligen Piastenländern, insbesondre in dem Herzogtum Teschen,
irgend welche polnischen Überlieferungen vorhanden sein sollten. Seit genau
740 Jahren von dem politischen Zusammenhang mit Polen getrennt und vor
schon 600 Jahren in ein dauerndes Lehnsverhültnis zu Böhmen getreten,
konnte das Land doch kaum eine polnische Entwicklung nehmen. Aber auch
von dem eigentlichen Herrschaftslande Böhmen lag es zu weit entfernt, als
daß es in besondrer Weise zum Tschechentum hinübergezogen worden wäre. Alle
Kultur kam von den Deutschen, und während der letzten Jahrhunderte von
einer vorwiegend deutschen Beamtenschaft. Es war unter diesen Umständen
nur natürlich, daß die Bevölkerung weder polnisch noch tschechisch sein wollte,
dagegen den Deutschen gegenüber willig und freundschaftlich gesinnt war, ja
es entwickelte sich in ihnen sogar ein gewisser Grenzzorn, der sich namentlich
gegen das schon damals verarmte Galizien richtete, die Benennung „Polak"
wurde als schwere Beleidigung ausgegeben und empfunden, und heute noch
will der einen polnischen Dialekt redende Schlesier nur Schlesier, um keinen
Preis ein Pole sein — von einigen, meist eingewanderten, Agitatoren ab¬
gesehen. Mit dem polnischen Dialekt der Ostschlesier hat es nun auch eine


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[0398] Teschen und dessen Geschicke blieben nicht ohne Einwirkung, Der Aufschwung der tschechischen Sprache während der Hussitenzeit und der seit jenen Tagen hervor¬ tretende Widerstand gegen die deutsche Sprache machten sich auch hier geltend, und namentlich trat der Adel sehr für das Tschechische ein. Die größte Schwächung aber erlitt das Deutschtum durch die harten Maßregeln gegen die Protestanten während der Gegenreformation, nachdem das Herzogtum Teschen als erledigtes Lehen der böhmischen Krone 1653 definitiv an das Haus Habsburg gekommen war. Übrigens wurden die zahlreichen polnisch sprechenden Protestanten in Ostschlesien davon wohl eben so schwer betroffen, und es scheint, daß die damaligen gemeinsamen Leiden Deutsche und Polen einander unser gebracht und das noch in der Gegenwart bestehende freund¬ schaftliche Verhältnis zwischen Deutschen und Polen in Österreichisch-Schlesien begründet, oder wenn es schon bestand, befestigt haben. Die weitern politischen Ereignisse nach dem Dreißigjährigen Kriege haben das Kronland Schlesien an den Schicksalen der Habsburgischen Monarchie teilnehmen lassen, die nicht ge¬ eignet waren, weder an die längst verjährten und vergessenen polnischen Be¬ ziehungen noch an das spätere Verhältnis zur böhmischen Krone belebend und auffrischend zu erinnern. Nachträglich bemerkt zu werden verdient nur noch das Schicksal der einst auch den schlesischen Piaster gehörenden Herzog¬ tümer Auschwitz und Zator. Zu der Zeit der Minderjährigkeit des Ladislaus PostHumus fielen beide Herzogtümer an Polen zurück, indem Wenzel von Zator und Johann von Auschwitz zuerst die böhmische Lehusherrschaft mit der polnischen vertauschten und nachmals ihre Gebiete auch an die Krone Polen verkauften. Trotzdem behaupteten beide Herzogtümer später noch eine be¬ sondre Stellung, und sie gehörten anch bis zur Auflösung des Deutschen Bundes 1866 zum Deutschen Reich. Erst danach sind sie mit Galizien voll¬ kommen vereinigt worden. In Anbetracht dieser geschichtlichen Entwicklung müßte es wundernehmen, wenn in den ehemaligen Piastenländern, insbesondre in dem Herzogtum Teschen, irgend welche polnischen Überlieferungen vorhanden sein sollten. Seit genau 740 Jahren von dem politischen Zusammenhang mit Polen getrennt und vor schon 600 Jahren in ein dauerndes Lehnsverhültnis zu Böhmen getreten, konnte das Land doch kaum eine polnische Entwicklung nehmen. Aber auch von dem eigentlichen Herrschaftslande Böhmen lag es zu weit entfernt, als daß es in besondrer Weise zum Tschechentum hinübergezogen worden wäre. Alle Kultur kam von den Deutschen, und während der letzten Jahrhunderte von einer vorwiegend deutschen Beamtenschaft. Es war unter diesen Umständen nur natürlich, daß die Bevölkerung weder polnisch noch tschechisch sein wollte, dagegen den Deutschen gegenüber willig und freundschaftlich gesinnt war, ja es entwickelte sich in ihnen sogar ein gewisser Grenzzorn, der sich namentlich gegen das schon damals verarmte Galizien richtete, die Benennung „Polak" wurde als schwere Beleidigung ausgegeben und empfunden, und heute noch will der einen polnischen Dialekt redende Schlesier nur Schlesier, um keinen Preis ein Pole sein — von einigen, meist eingewanderten, Agitatoren ab¬ gesehen. Mit dem polnischen Dialekt der Ostschlesier hat es nun auch eine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_292796/398>, abgerufen am 23.07.2024.