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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr.

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Sie Alabunkerstraße

Asta schüttelte den Kopf.

Gewiß nicht! Es ist nur die Hitze hier! Sie sind sehr freundlich!

Dann nahm sie sich mit einem Ruck zusammen.

Fünfmalhunderttausend Mark! murmelte sie.

Is es nich großartig? Mehr, als mau in die Lotterie gewinnen kann! Wer
hätt das von den langweiligen Herrn Müller gedacht, wo er doch immer so un¬
freundlich war und nix ausgab und mit keinen Menschen schmackte? Wahr aber is
es. Was mein Louis is, der hat selbst mit den Rechtsnuwalt gesprochen, weil der
doch nix von den kleinen Jungen bei Frau Wolffenradt wußte und sie parens be¬
suche" wollt. Und darum is mein Louis, was mein Sohn is, er is Kunstmaler,
Madana, auch mit bei die Beerdigung gewesen, und Pastor Behrmann hat herrlich
geredet. Wie er das immer tut und es nich anders kann. -- Und furchbar viele
Leute aus die Klabuukerstraße, die sich sonst nix aus Herrn Müller machen, sind
bei die Beerdigung gewesen, und ich hab auch ein Kranz geschickt und --

Die Tür ging auf, und Jetta erschien auf der Schwelle.

Onkel Louis ist gar nicht in seinem Zimmer, Tante Heinemann! sagte sie
vorwurfsvoll.

Ach, mein klein Süße, ich hatt ja vergessen, daß er mit Onkel Müller sein
Sarg is, sei man nich bös, klein Deern!

Jetta war nicht böse. Sie fuhr sich über ihre blonden Haare, und als in
diesem Augenblick ein Dienstmädchen in den Laden trat, ging sie ihr mit einem
Knicks entgegen.

Guten Tag, Fräulein? Was ist gefällig? Darf ich Ihnen bedienen?

Kann sie es nich prachtvoll? flüsterte Madame Heinemann entzückt. Ganzen
wie geboren for den Laden! Bloß daß sie es nu nich nötig hat. Denn un wird
Frau Wolffeuradt wieder ne Baronin, und klein Jetta is ein Baronesse. Ach
Gott ja, freuen tu ich mir; abersteu wenn ich denk, daß die süßen Klübers nu
auch weg kommen -- Frau Heinemaun wischte sich die Augen. Allens, wie Gott
will, Madana, und Herr Müller hat es natürlicherweise gut gemeint! Jawoll,
Fräulein, ich hab die echten englischen Strumpfbänders, warten Sie man ein
Momang!

Die letzten Worte richtete Frau Heiuemann an das Dienstmädchen, während
sie zugleich die Arbeit an Astas Rock beendet hatte.

Mit freundlichem Is gern geschehen! lehnte sie jede Belohnung ab; als die
Stiftsdame jedoch ein Markstück auf den Ladentisch legte, nahm sie es ohne Ziererei.
Asta handelte ganz mechanisch. Sie stand jetzt auf der Klabunkerstraße und suchte
ihre Gedanken zu sammeln, und dann machte sie unwillkürlich wieder einen Schritt
dem eben verlassenen Laden zu, wo ein Sprößling des freiherrlichen Geschlechts
der Wolffenradt vor einem Dienstmädchen knickste und "ach ihren Befehlen fragte.
Asta hatte selten an Wolfs Kinder gedacht. Seit sie auf dem Kloster lebte, kam
sie höchstens einmal mit Tagelöhnerkiuderu in Berührung, und auch das nur selten.
Wenn sie an Wolfs Heirat dachte, dann war es die Frau, deren Geschick sie be¬
schäftigte, daß auch blauäugige blonde Kinder dazu gehörten, war ihr entfallen. Und
eben noch war ein Knabe geboren worden, ein kleiner Wolffenradt -- ihres Bruders
Sohn und ihr leiblicher Neffe.

Aber Asta wandte sich nach kurzem Zögern zum Weitergehn und stand gleich
darauf vor dem Torweg, an den mit verwaschnen Buchstaben Paulineuterrasse ge¬
schrieben war. Noch einige Schritte, und sie sah vor sich ein düstres, langes viel-
fenstriges Haus. Kleine Haustüren mit schmalen, in die obern Stockwerke führenden
Treppen, ansgetretne Stufen, blinde Fensterscheiben, abgefallner Putz und all¬
gemeine Verwahrlosung. Auf dem Hofe spielten Kinder; Frauen zankten sich, und
von allen Seiten kamen Essensgeruch und Kohlenqualm.

Asta Wolffenradt hatte noch niemals eine Proletarierwohnung in der Großstadt
gesehen, nun stand sie vor ihr und betrachtete sie mit Schauder. Also hier hatten
Wolfs Kinder gelebt, hier war sein Sohn geboren worden. Und wie das Menschen-


Sie Alabunkerstraße

Asta schüttelte den Kopf.

Gewiß nicht! Es ist nur die Hitze hier! Sie sind sehr freundlich!

Dann nahm sie sich mit einem Ruck zusammen.

Fünfmalhunderttausend Mark! murmelte sie.

Is es nich großartig? Mehr, als mau in die Lotterie gewinnen kann! Wer
hätt das von den langweiligen Herrn Müller gedacht, wo er doch immer so un¬
freundlich war und nix ausgab und mit keinen Menschen schmackte? Wahr aber is
es. Was mein Louis is, der hat selbst mit den Rechtsnuwalt gesprochen, weil der
doch nix von den kleinen Jungen bei Frau Wolffenradt wußte und sie parens be¬
suche» wollt. Und darum is mein Louis, was mein Sohn is, er is Kunstmaler,
Madana, auch mit bei die Beerdigung gewesen, und Pastor Behrmann hat herrlich
geredet. Wie er das immer tut und es nich anders kann. — Und furchbar viele
Leute aus die Klabuukerstraße, die sich sonst nix aus Herrn Müller machen, sind
bei die Beerdigung gewesen, und ich hab auch ein Kranz geschickt und —

Die Tür ging auf, und Jetta erschien auf der Schwelle.

Onkel Louis ist gar nicht in seinem Zimmer, Tante Heinemann! sagte sie
vorwurfsvoll.

Ach, mein klein Süße, ich hatt ja vergessen, daß er mit Onkel Müller sein
Sarg is, sei man nich bös, klein Deern!

Jetta war nicht böse. Sie fuhr sich über ihre blonden Haare, und als in
diesem Augenblick ein Dienstmädchen in den Laden trat, ging sie ihr mit einem
Knicks entgegen.

Guten Tag, Fräulein? Was ist gefällig? Darf ich Ihnen bedienen?

Kann sie es nich prachtvoll? flüsterte Madame Heinemann entzückt. Ganzen
wie geboren for den Laden! Bloß daß sie es nu nich nötig hat. Denn un wird
Frau Wolffeuradt wieder ne Baronin, und klein Jetta is ein Baronesse. Ach
Gott ja, freuen tu ich mir; abersteu wenn ich denk, daß die süßen Klübers nu
auch weg kommen — Frau Heinemaun wischte sich die Augen. Allens, wie Gott
will, Madana, und Herr Müller hat es natürlicherweise gut gemeint! Jawoll,
Fräulein, ich hab die echten englischen Strumpfbänders, warten Sie man ein
Momang!

Die letzten Worte richtete Frau Heiuemann an das Dienstmädchen, während
sie zugleich die Arbeit an Astas Rock beendet hatte.

Mit freundlichem Is gern geschehen! lehnte sie jede Belohnung ab; als die
Stiftsdame jedoch ein Markstück auf den Ladentisch legte, nahm sie es ohne Ziererei.
Asta handelte ganz mechanisch. Sie stand jetzt auf der Klabunkerstraße und suchte
ihre Gedanken zu sammeln, und dann machte sie unwillkürlich wieder einen Schritt
dem eben verlassenen Laden zu, wo ein Sprößling des freiherrlichen Geschlechts
der Wolffenradt vor einem Dienstmädchen knickste und »ach ihren Befehlen fragte.
Asta hatte selten an Wolfs Kinder gedacht. Seit sie auf dem Kloster lebte, kam
sie höchstens einmal mit Tagelöhnerkiuderu in Berührung, und auch das nur selten.
Wenn sie an Wolfs Heirat dachte, dann war es die Frau, deren Geschick sie be¬
schäftigte, daß auch blauäugige blonde Kinder dazu gehörten, war ihr entfallen. Und
eben noch war ein Knabe geboren worden, ein kleiner Wolffenradt — ihres Bruders
Sohn und ihr leiblicher Neffe.

Aber Asta wandte sich nach kurzem Zögern zum Weitergehn und stand gleich
darauf vor dem Torweg, an den mit verwaschnen Buchstaben Paulineuterrasse ge¬
schrieben war. Noch einige Schritte, und sie sah vor sich ein düstres, langes viel-
fenstriges Haus. Kleine Haustüren mit schmalen, in die obern Stockwerke führenden
Treppen, ansgetretne Stufen, blinde Fensterscheiben, abgefallner Putz und all¬
gemeine Verwahrlosung. Auf dem Hofe spielten Kinder; Frauen zankten sich, und
von allen Seiten kamen Essensgeruch und Kohlenqualm.

Asta Wolffenradt hatte noch niemals eine Proletarierwohnung in der Großstadt
gesehen, nun stand sie vor ihr und betrachtete sie mit Schauder. Also hier hatten
Wolfs Kinder gelebt, hier war sein Sohn geboren worden. Und wie das Menschen-


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[0378] Sie Alabunkerstraße Asta schüttelte den Kopf. Gewiß nicht! Es ist nur die Hitze hier! Sie sind sehr freundlich! Dann nahm sie sich mit einem Ruck zusammen. Fünfmalhunderttausend Mark! murmelte sie. Is es nich großartig? Mehr, als mau in die Lotterie gewinnen kann! Wer hätt das von den langweiligen Herrn Müller gedacht, wo er doch immer so un¬ freundlich war und nix ausgab und mit keinen Menschen schmackte? Wahr aber is es. Was mein Louis is, der hat selbst mit den Rechtsnuwalt gesprochen, weil der doch nix von den kleinen Jungen bei Frau Wolffenradt wußte und sie parens be¬ suche» wollt. Und darum is mein Louis, was mein Sohn is, er is Kunstmaler, Madana, auch mit bei die Beerdigung gewesen, und Pastor Behrmann hat herrlich geredet. Wie er das immer tut und es nich anders kann. — Und furchbar viele Leute aus die Klabuukerstraße, die sich sonst nix aus Herrn Müller machen, sind bei die Beerdigung gewesen, und ich hab auch ein Kranz geschickt und — Die Tür ging auf, und Jetta erschien auf der Schwelle. Onkel Louis ist gar nicht in seinem Zimmer, Tante Heinemann! sagte sie vorwurfsvoll. Ach, mein klein Süße, ich hatt ja vergessen, daß er mit Onkel Müller sein Sarg is, sei man nich bös, klein Deern! Jetta war nicht böse. Sie fuhr sich über ihre blonden Haare, und als in diesem Augenblick ein Dienstmädchen in den Laden trat, ging sie ihr mit einem Knicks entgegen. Guten Tag, Fräulein? Was ist gefällig? Darf ich Ihnen bedienen? Kann sie es nich prachtvoll? flüsterte Madame Heinemann entzückt. Ganzen wie geboren for den Laden! Bloß daß sie es nu nich nötig hat. Denn un wird Frau Wolffeuradt wieder ne Baronin, und klein Jetta is ein Baronesse. Ach Gott ja, freuen tu ich mir; abersteu wenn ich denk, daß die süßen Klübers nu auch weg kommen — Frau Heinemaun wischte sich die Augen. Allens, wie Gott will, Madana, und Herr Müller hat es natürlicherweise gut gemeint! Jawoll, Fräulein, ich hab die echten englischen Strumpfbänders, warten Sie man ein Momang! Die letzten Worte richtete Frau Heiuemann an das Dienstmädchen, während sie zugleich die Arbeit an Astas Rock beendet hatte. Mit freundlichem Is gern geschehen! lehnte sie jede Belohnung ab; als die Stiftsdame jedoch ein Markstück auf den Ladentisch legte, nahm sie es ohne Ziererei. Asta handelte ganz mechanisch. Sie stand jetzt auf der Klabunkerstraße und suchte ihre Gedanken zu sammeln, und dann machte sie unwillkürlich wieder einen Schritt dem eben verlassenen Laden zu, wo ein Sprößling des freiherrlichen Geschlechts der Wolffenradt vor einem Dienstmädchen knickste und »ach ihren Befehlen fragte. Asta hatte selten an Wolfs Kinder gedacht. Seit sie auf dem Kloster lebte, kam sie höchstens einmal mit Tagelöhnerkiuderu in Berührung, und auch das nur selten. Wenn sie an Wolfs Heirat dachte, dann war es die Frau, deren Geschick sie be¬ schäftigte, daß auch blauäugige blonde Kinder dazu gehörten, war ihr entfallen. Und eben noch war ein Knabe geboren worden, ein kleiner Wolffenradt — ihres Bruders Sohn und ihr leiblicher Neffe. Aber Asta wandte sich nach kurzem Zögern zum Weitergehn und stand gleich darauf vor dem Torweg, an den mit verwaschnen Buchstaben Paulineuterrasse ge¬ schrieben war. Noch einige Schritte, und sie sah vor sich ein düstres, langes viel- fenstriges Haus. Kleine Haustüren mit schmalen, in die obern Stockwerke führenden Treppen, ansgetretne Stufen, blinde Fensterscheiben, abgefallner Putz und all¬ gemeine Verwahrlosung. Auf dem Hofe spielten Kinder; Frauen zankten sich, und von allen Seiten kamen Essensgeruch und Kohlenqualm. Asta Wolffenradt hatte noch niemals eine Proletarierwohnung in der Großstadt gesehen, nun stand sie vor ihr und betrachtete sie mit Schauder. Also hier hatten Wolfs Kinder gelebt, hier war sein Sohn geboren worden. Und wie das Menschen-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_292796/378>, abgerufen am 25.08.2024.