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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr.

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Die Rlabunkerstraße

ausgestatteten Läden, auf denen der Poetische Hauch des kommenden Festes ruhte,
bis zu dem verfrorenen Straßenjungen, der Hampelmänner perkaufte; von deu
lebhaften und freundlichen Gesichtern einer Gesellschaft älterer Herren, die eifrig
miteinander sprachen und In ihrer ganzen Erscheinung deu Eindruck der verkörperten
Intelligenz machten, bis zu dem mit Paketen beladueu Boten eines großen Geschäfts¬
hauses. Hier pulsierten Gedanken und Pläne; hier regierten eiserner Fleiß, weit¬
schauende Voraussicht, und wie Asta jetzt durch Geschäftsstraßen ging, blieb sie
manchmal stehn und sah um sich. Sie war in der Anschauung erzogen, daß der
Kaufmannsstand etwas Untergeordnetes sei; hier beschlich sie die Ahnung, daß es
leichter sein mochte, auf ererbten Besitz zu Hansen und ererbte Vorteile ohne An¬
strengung zu genießen, als ein Kaufmannsfürst zu werden und seine Gedanken in
die entferntesten Länder zu senden, immer zu wagen, hier zu gewinnen, dort zu ver¬
lieren, immer weiter zu streben, zu versuchen und zu arbeiten.

Arbeiten -- Asta wiederholte das Wort, wahrend gerade eine Dampfpfeife nach
der andern ihren schrillen Laut ertönen ließ, als die Straße plötzlich voll wurde
von Arbeitern jeder Art, von berußten und unberußten, von riesigen Schauerleuten
und leicht gebeugten Kohlenträgern, von halbwüchsigen Knaben mit dem Arbeits¬
kittel und alten Männern, die dieselbe Kleidung trugen.

Asta hatte sich im Gewirr der Straßen verwirrt; obgleich sie deu Namen
Elisabeths im Adreßbuch gefunden und ein majestätischer Oberkellner ihr mit Er¬
staunen auf dem Stadtplan die Lage der Klabunkerstraße erklärt hatte, so war sie
nun doch gerade um zwölf Uhr in die Nähe des Hafens gekommen. Sie bereute es
uicht. An einen eisernen Pfahl der elektrischen Bahn gelehnt, sah sie in das Gewühl
vor sich und dachte dann an die stille Behaglichkeit ihres eignen Lebens. Und es
war ihr, als käme auch über sie wieder die Kraft, fleißig und mutig zu sein. Sie
wollte schon mit der Frau, die ihren Bruder bestrickt hatte, fertig werden.

Bald darauf war sie in der Klabunkerstraße. Hier waren nicht so viel Arbeiter
wie am Hafen; aber hier und dort kam einer mit schweren Schritten und fröhlichem
Gesicht die Straße herab; Kinder liefen ihm entgegen, oder er blieb stehn und sah
einem Verkäufer zu, der vor seinen Augen ein Spielzeug tanzen oder laufen ließ.

Asta achtete nicht auf die spitzgiebligeu Häuser, auf den Rest von altväter¬
licher Behaglichkeit, der über dieser Gegend ruhte, sie sah nach den Hausnummern
und suchte nach der Paulinenterrasse. Dann aber blieb sie mit einem Gefühl des
Unbehagens stehn; um sie herum war es lebhaft geworden. Auf den Beischlägen
hockten Kinder und Frauen, und auf der Fahrstraße drängte sich eine Anzahl von
Menschen um einen Leichenzug. Ein schwarzer Wagen mit schwankenden Feder¬
büschen und schwarzbehängter Pferden kam ihr entgegen, und voran eine Anzahl
jener altfränkisch gekleideten Männer mit Degen und schneeweißen Kragen, die in
Hamburg reitende Diener genannt werden und bei keiner feierlichen Beerdigung
fehlen dürfen. Asta wurde von eiuer Anzahl von Kindern gegen ein Haus gedrückt;
sie traten auf ihr Kleid, rissen ein Loch hinein und liefen ohne Entschuldigung weiter.
Der Wagen aber schwankte vorüber, und die zuschauenden Frauen und Kinder
verschwanden allmählich.

Gott, Madana, wahr Loch in Ihr Kleid! sagte eine freundliche Stimme zu
Asta. Kommen Sie man ein büschen ein in mein Laden, ich nah es Sie gleich
wieder. Ja, was die Klübers sind, die sind ümmer außer Rand und Band, wenn ein
Leichenwagen zu sehen kommt. Als passierte das nich alle Tage, und als wär das nich
auch unser letzter Wagen. Kommen Sie man ein, Madana; ich kurier den Schaden
in ein Momang. Wofor bin ich denn Madana Heinemann von die Klabunkerstraße
und hab den holländschen Warenladen. -- Nu, klein Jetta, mach ein büschen Platz!

Die letzten Worte waren an ein kleines Mädchen gerichtet, das auf dem einzigen
Stuhl in Madame Heinemanns Laden saß und mit strahlenden Augen die Ein¬
tretenden betrachtete.

Das war aber fein, Tante Heinemann, sagte sie. Oh, was füm feiner Sarg!


Die Rlabunkerstraße

ausgestatteten Läden, auf denen der Poetische Hauch des kommenden Festes ruhte,
bis zu dem verfrorenen Straßenjungen, der Hampelmänner perkaufte; von deu
lebhaften und freundlichen Gesichtern einer Gesellschaft älterer Herren, die eifrig
miteinander sprachen und In ihrer ganzen Erscheinung deu Eindruck der verkörperten
Intelligenz machten, bis zu dem mit Paketen beladueu Boten eines großen Geschäfts¬
hauses. Hier pulsierten Gedanken und Pläne; hier regierten eiserner Fleiß, weit¬
schauende Voraussicht, und wie Asta jetzt durch Geschäftsstraßen ging, blieb sie
manchmal stehn und sah um sich. Sie war in der Anschauung erzogen, daß der
Kaufmannsstand etwas Untergeordnetes sei; hier beschlich sie die Ahnung, daß es
leichter sein mochte, auf ererbten Besitz zu Hansen und ererbte Vorteile ohne An¬
strengung zu genießen, als ein Kaufmannsfürst zu werden und seine Gedanken in
die entferntesten Länder zu senden, immer zu wagen, hier zu gewinnen, dort zu ver¬
lieren, immer weiter zu streben, zu versuchen und zu arbeiten.

Arbeiten — Asta wiederholte das Wort, wahrend gerade eine Dampfpfeife nach
der andern ihren schrillen Laut ertönen ließ, als die Straße plötzlich voll wurde
von Arbeitern jeder Art, von berußten und unberußten, von riesigen Schauerleuten
und leicht gebeugten Kohlenträgern, von halbwüchsigen Knaben mit dem Arbeits¬
kittel und alten Männern, die dieselbe Kleidung trugen.

Asta hatte sich im Gewirr der Straßen verwirrt; obgleich sie deu Namen
Elisabeths im Adreßbuch gefunden und ein majestätischer Oberkellner ihr mit Er¬
staunen auf dem Stadtplan die Lage der Klabunkerstraße erklärt hatte, so war sie
nun doch gerade um zwölf Uhr in die Nähe des Hafens gekommen. Sie bereute es
uicht. An einen eisernen Pfahl der elektrischen Bahn gelehnt, sah sie in das Gewühl
vor sich und dachte dann an die stille Behaglichkeit ihres eignen Lebens. Und es
war ihr, als käme auch über sie wieder die Kraft, fleißig und mutig zu sein. Sie
wollte schon mit der Frau, die ihren Bruder bestrickt hatte, fertig werden.

Bald darauf war sie in der Klabunkerstraße. Hier waren nicht so viel Arbeiter
wie am Hafen; aber hier und dort kam einer mit schweren Schritten und fröhlichem
Gesicht die Straße herab; Kinder liefen ihm entgegen, oder er blieb stehn und sah
einem Verkäufer zu, der vor seinen Augen ein Spielzeug tanzen oder laufen ließ.

Asta achtete nicht auf die spitzgiebligeu Häuser, auf den Rest von altväter¬
licher Behaglichkeit, der über dieser Gegend ruhte, sie sah nach den Hausnummern
und suchte nach der Paulinenterrasse. Dann aber blieb sie mit einem Gefühl des
Unbehagens stehn; um sie herum war es lebhaft geworden. Auf den Beischlägen
hockten Kinder und Frauen, und auf der Fahrstraße drängte sich eine Anzahl von
Menschen um einen Leichenzug. Ein schwarzer Wagen mit schwankenden Feder¬
büschen und schwarzbehängter Pferden kam ihr entgegen, und voran eine Anzahl
jener altfränkisch gekleideten Männer mit Degen und schneeweißen Kragen, die in
Hamburg reitende Diener genannt werden und bei keiner feierlichen Beerdigung
fehlen dürfen. Asta wurde von eiuer Anzahl von Kindern gegen ein Haus gedrückt;
sie traten auf ihr Kleid, rissen ein Loch hinein und liefen ohne Entschuldigung weiter.
Der Wagen aber schwankte vorüber, und die zuschauenden Frauen und Kinder
verschwanden allmählich.

Gott, Madana, wahr Loch in Ihr Kleid! sagte eine freundliche Stimme zu
Asta. Kommen Sie man ein büschen ein in mein Laden, ich nah es Sie gleich
wieder. Ja, was die Klübers sind, die sind ümmer außer Rand und Band, wenn ein
Leichenwagen zu sehen kommt. Als passierte das nich alle Tage, und als wär das nich
auch unser letzter Wagen. Kommen Sie man ein, Madana; ich kurier den Schaden
in ein Momang. Wofor bin ich denn Madana Heinemann von die Klabunkerstraße
und hab den holländschen Warenladen. — Nu, klein Jetta, mach ein büschen Platz!

Die letzten Worte waren an ein kleines Mädchen gerichtet, das auf dem einzigen
Stuhl in Madame Heinemanns Laden saß und mit strahlenden Augen die Ein¬
tretenden betrachtete.

Das war aber fein, Tante Heinemann, sagte sie. Oh, was füm feiner Sarg!


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[0376] Die Rlabunkerstraße ausgestatteten Läden, auf denen der Poetische Hauch des kommenden Festes ruhte, bis zu dem verfrorenen Straßenjungen, der Hampelmänner perkaufte; von deu lebhaften und freundlichen Gesichtern einer Gesellschaft älterer Herren, die eifrig miteinander sprachen und In ihrer ganzen Erscheinung deu Eindruck der verkörperten Intelligenz machten, bis zu dem mit Paketen beladueu Boten eines großen Geschäfts¬ hauses. Hier pulsierten Gedanken und Pläne; hier regierten eiserner Fleiß, weit¬ schauende Voraussicht, und wie Asta jetzt durch Geschäftsstraßen ging, blieb sie manchmal stehn und sah um sich. Sie war in der Anschauung erzogen, daß der Kaufmannsstand etwas Untergeordnetes sei; hier beschlich sie die Ahnung, daß es leichter sein mochte, auf ererbten Besitz zu Hansen und ererbte Vorteile ohne An¬ strengung zu genießen, als ein Kaufmannsfürst zu werden und seine Gedanken in die entferntesten Länder zu senden, immer zu wagen, hier zu gewinnen, dort zu ver¬ lieren, immer weiter zu streben, zu versuchen und zu arbeiten. Arbeiten — Asta wiederholte das Wort, wahrend gerade eine Dampfpfeife nach der andern ihren schrillen Laut ertönen ließ, als die Straße plötzlich voll wurde von Arbeitern jeder Art, von berußten und unberußten, von riesigen Schauerleuten und leicht gebeugten Kohlenträgern, von halbwüchsigen Knaben mit dem Arbeits¬ kittel und alten Männern, die dieselbe Kleidung trugen. Asta hatte sich im Gewirr der Straßen verwirrt; obgleich sie deu Namen Elisabeths im Adreßbuch gefunden und ein majestätischer Oberkellner ihr mit Er¬ staunen auf dem Stadtplan die Lage der Klabunkerstraße erklärt hatte, so war sie nun doch gerade um zwölf Uhr in die Nähe des Hafens gekommen. Sie bereute es uicht. An einen eisernen Pfahl der elektrischen Bahn gelehnt, sah sie in das Gewühl vor sich und dachte dann an die stille Behaglichkeit ihres eignen Lebens. Und es war ihr, als käme auch über sie wieder die Kraft, fleißig und mutig zu sein. Sie wollte schon mit der Frau, die ihren Bruder bestrickt hatte, fertig werden. Bald darauf war sie in der Klabunkerstraße. Hier waren nicht so viel Arbeiter wie am Hafen; aber hier und dort kam einer mit schweren Schritten und fröhlichem Gesicht die Straße herab; Kinder liefen ihm entgegen, oder er blieb stehn und sah einem Verkäufer zu, der vor seinen Augen ein Spielzeug tanzen oder laufen ließ. Asta achtete nicht auf die spitzgiebligeu Häuser, auf den Rest von altväter¬ licher Behaglichkeit, der über dieser Gegend ruhte, sie sah nach den Hausnummern und suchte nach der Paulinenterrasse. Dann aber blieb sie mit einem Gefühl des Unbehagens stehn; um sie herum war es lebhaft geworden. Auf den Beischlägen hockten Kinder und Frauen, und auf der Fahrstraße drängte sich eine Anzahl von Menschen um einen Leichenzug. Ein schwarzer Wagen mit schwankenden Feder¬ büschen und schwarzbehängter Pferden kam ihr entgegen, und voran eine Anzahl jener altfränkisch gekleideten Männer mit Degen und schneeweißen Kragen, die in Hamburg reitende Diener genannt werden und bei keiner feierlichen Beerdigung fehlen dürfen. Asta wurde von eiuer Anzahl von Kindern gegen ein Haus gedrückt; sie traten auf ihr Kleid, rissen ein Loch hinein und liefen ohne Entschuldigung weiter. Der Wagen aber schwankte vorüber, und die zuschauenden Frauen und Kinder verschwanden allmählich. Gott, Madana, wahr Loch in Ihr Kleid! sagte eine freundliche Stimme zu Asta. Kommen Sie man ein büschen ein in mein Laden, ich nah es Sie gleich wieder. Ja, was die Klübers sind, die sind ümmer außer Rand und Band, wenn ein Leichenwagen zu sehen kommt. Als passierte das nich alle Tage, und als wär das nich auch unser letzter Wagen. Kommen Sie man ein, Madana; ich kurier den Schaden in ein Momang. Wofor bin ich denn Madana Heinemann von die Klabunkerstraße und hab den holländschen Warenladen. — Nu, klein Jetta, mach ein büschen Platz! Die letzten Worte waren an ein kleines Mädchen gerichtet, das auf dem einzigen Stuhl in Madame Heinemanns Laden saß und mit strahlenden Augen die Ein¬ tretenden betrachtete. Das war aber fein, Tante Heinemann, sagte sie. Oh, was füm feiner Sarg!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_292796/376>, abgerufen am 25.08.2024.