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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr.

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Alkohol und Idealismus

Es gibt kein schöneres, herzerquickenderes Bild der aus der Sinnlichkeit
quellenden Lebensfreude als jener Rembrandt, wo der Künstler seine Saskici
auf dem Schoße hat und das Glas mit dem perlenden Wein hochhebt. Wer
kann in diese vier lachenden Augen schauen, ohne daß ihm das Herz aufgeht?
Wer denkt bei diesem Anblick daran, daß es ein verderbliches Gift gibt, das
Alkohol heißt? Gewiß kein Mensch, der natürlich empfindet. Die Schönheit
und die Freude, die aus dem Bilde lachen, stammen aus dem Gemüte des
Künstlers, und alle sinnliche!? Dinge, die im Bilde erscheinen, haben Glanz
und Duft aus diesem Gemüte, Sie selber sind für sich gleichgiltig; ihren
einzigen und so unvergleichlich hohen Wert haben sie durch das Geistige, das
die idealistische Lebensanschauung des Künstlers in sie hineingelegt hat.

Hier ist ein einzelner Mensch der Idealist, ein andermal ist es ein ganzes
Volk. Wenn wir Deutsche seit Klopstocks Tagen den Rheinwein preisen, so
ist es der Rhein selber, dem unsre Liebe und unser Rühmen gilt. Leuchtet
der Rheinwein im Römer, dann hören wir den heiligen Strom rauschen
im Mondenlicht, und aus der Blume duftet uus die starke Würze deutschen
Wesens.

Der Idealismus braucht sinnliche Träger für seine heilige Flamme; aber
seine Leuchte ist nicht an bestimmte Träger gebunden, jeden einzelnen kann
er entbehren. Er wühlt sich dann einen andern. Und von jedem einzelnen,
den er gewählt hat, befreit er sich: er überwindet ihn und löst ihn auf in
Glanz und Dufthauch. Er ist wie der Blitzstrahl, der aus der Wolke fährt:
ist keine Pappel da, so zuckt er in die Eiche, und ist keine Eiche da, so
schießt er in den Hausgiebel; aber was er ergreift, das löst er auf in Licht
und Glut.

So ist auch der Alkohol einer von den unzähligen, die die Lebenspoesie
begnadigt, dann und wann ihr Diener zu sein. Die Herrin gibt ihrem Knechte
auch einmal ein Kissen zu tragen, worauf eine Krone ruht, oder ein Kästchen,
das mit Juwelen gefüllt ist. Und wenn er sich artig zu stellen weiß als
hübscher Cherubino, dann kann sie ihn auch einmal herausputzen und mit ihm
tändeln; warum nicht? Aber wenn sie standesgemäßen Besuch bekommt, dann
schickt sie ihn fort. Sie kann ihn auch ganz entbehren, ohne im geringsten
etwas zu vermissen; ist sie doch so reich an Dienern!

Jedoch wenn der Knecht zum Herrn wird, dann richtet er die arme schöne
Königin unfehlbar zugrunde, schmählich und jammervoll.




Alkohol und Idealismus

Es gibt kein schöneres, herzerquickenderes Bild der aus der Sinnlichkeit
quellenden Lebensfreude als jener Rembrandt, wo der Künstler seine Saskici
auf dem Schoße hat und das Glas mit dem perlenden Wein hochhebt. Wer
kann in diese vier lachenden Augen schauen, ohne daß ihm das Herz aufgeht?
Wer denkt bei diesem Anblick daran, daß es ein verderbliches Gift gibt, das
Alkohol heißt? Gewiß kein Mensch, der natürlich empfindet. Die Schönheit
und die Freude, die aus dem Bilde lachen, stammen aus dem Gemüte des
Künstlers, und alle sinnliche!? Dinge, die im Bilde erscheinen, haben Glanz
und Duft aus diesem Gemüte, Sie selber sind für sich gleichgiltig; ihren
einzigen und so unvergleichlich hohen Wert haben sie durch das Geistige, das
die idealistische Lebensanschauung des Künstlers in sie hineingelegt hat.

Hier ist ein einzelner Mensch der Idealist, ein andermal ist es ein ganzes
Volk. Wenn wir Deutsche seit Klopstocks Tagen den Rheinwein preisen, so
ist es der Rhein selber, dem unsre Liebe und unser Rühmen gilt. Leuchtet
der Rheinwein im Römer, dann hören wir den heiligen Strom rauschen
im Mondenlicht, und aus der Blume duftet uus die starke Würze deutschen
Wesens.

Der Idealismus braucht sinnliche Träger für seine heilige Flamme; aber
seine Leuchte ist nicht an bestimmte Träger gebunden, jeden einzelnen kann
er entbehren. Er wühlt sich dann einen andern. Und von jedem einzelnen,
den er gewählt hat, befreit er sich: er überwindet ihn und löst ihn auf in
Glanz und Dufthauch. Er ist wie der Blitzstrahl, der aus der Wolke fährt:
ist keine Pappel da, so zuckt er in die Eiche, und ist keine Eiche da, so
schießt er in den Hausgiebel; aber was er ergreift, das löst er auf in Licht
und Glut.

So ist auch der Alkohol einer von den unzähligen, die die Lebenspoesie
begnadigt, dann und wann ihr Diener zu sein. Die Herrin gibt ihrem Knechte
auch einmal ein Kissen zu tragen, worauf eine Krone ruht, oder ein Kästchen,
das mit Juwelen gefüllt ist. Und wenn er sich artig zu stellen weiß als
hübscher Cherubino, dann kann sie ihn auch einmal herausputzen und mit ihm
tändeln; warum nicht? Aber wenn sie standesgemäßen Besuch bekommt, dann
schickt sie ihn fort. Sie kann ihn auch ganz entbehren, ohne im geringsten
etwas zu vermissen; ist sie doch so reich an Dienern!

Jedoch wenn der Knecht zum Herrn wird, dann richtet er die arme schöne
Königin unfehlbar zugrunde, schmählich und jammervoll.




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[0276] Alkohol und Idealismus Es gibt kein schöneres, herzerquickenderes Bild der aus der Sinnlichkeit quellenden Lebensfreude als jener Rembrandt, wo der Künstler seine Saskici auf dem Schoße hat und das Glas mit dem perlenden Wein hochhebt. Wer kann in diese vier lachenden Augen schauen, ohne daß ihm das Herz aufgeht? Wer denkt bei diesem Anblick daran, daß es ein verderbliches Gift gibt, das Alkohol heißt? Gewiß kein Mensch, der natürlich empfindet. Die Schönheit und die Freude, die aus dem Bilde lachen, stammen aus dem Gemüte des Künstlers, und alle sinnliche!? Dinge, die im Bilde erscheinen, haben Glanz und Duft aus diesem Gemüte, Sie selber sind für sich gleichgiltig; ihren einzigen und so unvergleichlich hohen Wert haben sie durch das Geistige, das die idealistische Lebensanschauung des Künstlers in sie hineingelegt hat. Hier ist ein einzelner Mensch der Idealist, ein andermal ist es ein ganzes Volk. Wenn wir Deutsche seit Klopstocks Tagen den Rheinwein preisen, so ist es der Rhein selber, dem unsre Liebe und unser Rühmen gilt. Leuchtet der Rheinwein im Römer, dann hören wir den heiligen Strom rauschen im Mondenlicht, und aus der Blume duftet uus die starke Würze deutschen Wesens. Der Idealismus braucht sinnliche Träger für seine heilige Flamme; aber seine Leuchte ist nicht an bestimmte Träger gebunden, jeden einzelnen kann er entbehren. Er wühlt sich dann einen andern. Und von jedem einzelnen, den er gewählt hat, befreit er sich: er überwindet ihn und löst ihn auf in Glanz und Dufthauch. Er ist wie der Blitzstrahl, der aus der Wolke fährt: ist keine Pappel da, so zuckt er in die Eiche, und ist keine Eiche da, so schießt er in den Hausgiebel; aber was er ergreift, das löst er auf in Licht und Glut. So ist auch der Alkohol einer von den unzähligen, die die Lebenspoesie begnadigt, dann und wann ihr Diener zu sein. Die Herrin gibt ihrem Knechte auch einmal ein Kissen zu tragen, worauf eine Krone ruht, oder ein Kästchen, das mit Juwelen gefüllt ist. Und wenn er sich artig zu stellen weiß als hübscher Cherubino, dann kann sie ihn auch einmal herausputzen und mit ihm tändeln; warum nicht? Aber wenn sie standesgemäßen Besuch bekommt, dann schickt sie ihn fort. Sie kann ihn auch ganz entbehren, ohne im geringsten etwas zu vermissen; ist sie doch so reich an Dienern! Jedoch wenn der Knecht zum Herrn wird, dann richtet er die arme schöne Königin unfehlbar zugrunde, schmählich und jammervoll.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_292796/276>, abgerufen am 03.07.2024.