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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr.

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Alkohol und Idealismus

hmlsbackne Philisterhaftigkeit, wird das nicht durch jene paar Tropfen Alkohol¬
giftes überwunden, die der Wein in das Blut flößt? Die Poesie des Weins
ist darum so alt wie die lyrische Dichtung selber. Und besonders ist es die
Geselligkeit, die von jeher in ihrem gemeinsam gesungnen Lied die Poesie des
Weins gepflegt hat, von Pindars Tischgesängen an bis zu dem Kommerslied
unsrer Studenten. Es ist die begreiflichste Sache von der Welt, daß das
Kommersbuch wie von dem fröhlichen Geklirr der Waffen so von dem fest¬
lichen Klingen der Gläser erfüllt ist.

Unser deutsches Volk hat in der langen Geschichte seiner Kultur keine
Geselligkeit erlebt, die geistig bedeutender und zugleich anmutiger gewesen
wäre als die des Weimarischen und Jenaischen Kreises in den Tagen Goethes
und Schillers. In all den Liedern, die aus dem innersten Leben dieser Ge¬
selligkeit entstanden sind, ist bald zarter, bald kräftiger der Hauch des Weins
zu spüren.

Ich erinnere an das wundervolle

ein Lied, dessen Schönheitsfülle man erst als gereifter Mann versteht. Oder
denken wir an das Lied voll entzückender Nichtsnutzigkeit:

Was dem Idealismus zuwider ist, das ist die Philisterhaftigkeit. Er
rechnet die Verse:

zu dem Einfältigsten, was je ein Reimschmied verfertigt hat; dagegen stimmt
er von ganzem Herzen dem alten Horaz bei, der einmal sagt: Ilnlee e-se
clösixere in I000, zu deutsch: Es ist ein gut Ding, auch einmal über die Schnur
zu hauen. Wer nie dazu imstande gewesen ist, mit dem kann der Idealist
zwar vortrefflich zusammenarbeiten, aber Herzenskamerad kann er ihm
nicht sein.

Nun aber wollen wir die Helfersrolle, die der Alkohol bei solchem closi-
pöriz in I000 spielt, etwas genauer betrachten.

Es besteht doch ein ungeheurer Unterschied zwischen der idealistischen Er¬
regung, die aus dem Grunde des Herzens quillt infolge eines gewaltigen
Eindrucks, und der von außen her stammenden mechanisch wirkenden Erregung,
die der Alkohol erzeugt. Dort ist es in Wahrheit ein Aufersteh" der innersten
Kraft des Gemüts, eine Erhebung durch die Schwungkraft der eignen Flügel
über die Bindungen und Klammern der Wirklichkeit empor, hier dagegen ist


Alkohol und Idealismus

hmlsbackne Philisterhaftigkeit, wird das nicht durch jene paar Tropfen Alkohol¬
giftes überwunden, die der Wein in das Blut flößt? Die Poesie des Weins
ist darum so alt wie die lyrische Dichtung selber. Und besonders ist es die
Geselligkeit, die von jeher in ihrem gemeinsam gesungnen Lied die Poesie des
Weins gepflegt hat, von Pindars Tischgesängen an bis zu dem Kommerslied
unsrer Studenten. Es ist die begreiflichste Sache von der Welt, daß das
Kommersbuch wie von dem fröhlichen Geklirr der Waffen so von dem fest¬
lichen Klingen der Gläser erfüllt ist.

Unser deutsches Volk hat in der langen Geschichte seiner Kultur keine
Geselligkeit erlebt, die geistig bedeutender und zugleich anmutiger gewesen
wäre als die des Weimarischen und Jenaischen Kreises in den Tagen Goethes
und Schillers. In all den Liedern, die aus dem innersten Leben dieser Ge¬
selligkeit entstanden sind, ist bald zarter, bald kräftiger der Hauch des Weins
zu spüren.

Ich erinnere an das wundervolle

ein Lied, dessen Schönheitsfülle man erst als gereifter Mann versteht. Oder
denken wir an das Lied voll entzückender Nichtsnutzigkeit:

Was dem Idealismus zuwider ist, das ist die Philisterhaftigkeit. Er
rechnet die Verse:

zu dem Einfältigsten, was je ein Reimschmied verfertigt hat; dagegen stimmt
er von ganzem Herzen dem alten Horaz bei, der einmal sagt: Ilnlee e-se
clösixere in I000, zu deutsch: Es ist ein gut Ding, auch einmal über die Schnur
zu hauen. Wer nie dazu imstande gewesen ist, mit dem kann der Idealist
zwar vortrefflich zusammenarbeiten, aber Herzenskamerad kann er ihm
nicht sein.

Nun aber wollen wir die Helfersrolle, die der Alkohol bei solchem closi-
pöriz in I000 spielt, etwas genauer betrachten.

Es besteht doch ein ungeheurer Unterschied zwischen der idealistischen Er¬
regung, die aus dem Grunde des Herzens quillt infolge eines gewaltigen
Eindrucks, und der von außen her stammenden mechanisch wirkenden Erregung,
die der Alkohol erzeugt. Dort ist es in Wahrheit ein Aufersteh« der innersten
Kraft des Gemüts, eine Erhebung durch die Schwungkraft der eignen Flügel
über die Bindungen und Klammern der Wirklichkeit empor, hier dagegen ist


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[0271] Alkohol und Idealismus hmlsbackne Philisterhaftigkeit, wird das nicht durch jene paar Tropfen Alkohol¬ giftes überwunden, die der Wein in das Blut flößt? Die Poesie des Weins ist darum so alt wie die lyrische Dichtung selber. Und besonders ist es die Geselligkeit, die von jeher in ihrem gemeinsam gesungnen Lied die Poesie des Weins gepflegt hat, von Pindars Tischgesängen an bis zu dem Kommerslied unsrer Studenten. Es ist die begreiflichste Sache von der Welt, daß das Kommersbuch wie von dem fröhlichen Geklirr der Waffen so von dem fest¬ lichen Klingen der Gläser erfüllt ist. Unser deutsches Volk hat in der langen Geschichte seiner Kultur keine Geselligkeit erlebt, die geistig bedeutender und zugleich anmutiger gewesen wäre als die des Weimarischen und Jenaischen Kreises in den Tagen Goethes und Schillers. In all den Liedern, die aus dem innersten Leben dieser Ge¬ selligkeit entstanden sind, ist bald zarter, bald kräftiger der Hauch des Weins zu spüren. Ich erinnere an das wundervolle ein Lied, dessen Schönheitsfülle man erst als gereifter Mann versteht. Oder denken wir an das Lied voll entzückender Nichtsnutzigkeit: Was dem Idealismus zuwider ist, das ist die Philisterhaftigkeit. Er rechnet die Verse: zu dem Einfältigsten, was je ein Reimschmied verfertigt hat; dagegen stimmt er von ganzem Herzen dem alten Horaz bei, der einmal sagt: Ilnlee e-se clösixere in I000, zu deutsch: Es ist ein gut Ding, auch einmal über die Schnur zu hauen. Wer nie dazu imstande gewesen ist, mit dem kann der Idealist zwar vortrefflich zusammenarbeiten, aber Herzenskamerad kann er ihm nicht sein. Nun aber wollen wir die Helfersrolle, die der Alkohol bei solchem closi- pöriz in I000 spielt, etwas genauer betrachten. Es besteht doch ein ungeheurer Unterschied zwischen der idealistischen Er¬ regung, die aus dem Grunde des Herzens quillt infolge eines gewaltigen Eindrucks, und der von außen her stammenden mechanisch wirkenden Erregung, die der Alkohol erzeugt. Dort ist es in Wahrheit ein Aufersteh« der innersten Kraft des Gemüts, eine Erhebung durch die Schwungkraft der eignen Flügel über die Bindungen und Klammern der Wirklichkeit empor, hier dagegen ist

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_292796/271>, abgerufen am 25.08.2024.