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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr.

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Alkohol und Idealismus

es auch, daß die Aufforderung zur positiven Arbeit an einer so großen Auf¬
gabe gerade in unsrer Zeit der Zerklüftung und Unlust an und für sich freudig
zu begrüßen ist.

Am 21. Januar 1904 ist der Verein ins Leben getreten. Herzog Ernst
Günther von Schleswig-Holstein ist zum Präsidenten gewühlt worden, Mit¬
glieder des deutschen Reichstags und der Parlamente Österreichs und Ungarns,
führende Männer der Industrie und des Handels sind dem Ausschuß beige¬
treten. Eine günstige Aufnahme ihrer Bestrebungen in der Schweiz, in den
Niederlanden und in Belgien, auch in Italien ist zu erwarten; hoffen wir, daß
diese Länder praktisch mitarbeiten. Das nächste Ziel ist ja ein wirtschaft¬
liches, aber wenn sich auf dein Wege, den man beschritten hat, kein unvorher-
gesehenes Hindernis erhebt, können wir uns keine Vereinigung denken, die der
allgemeinen Wohlfahrt der Völker und auch dem Frieden unter den Stämmen
und Staaten Europas dienlicher fein könnte als der mitteleuropäische Wirt¬
schaftsverein.




Alkohol und Idealismus
von Adolf Schmitthenner

lkohol und Idealismus? Warum denn nicht Schwefelsäure und
Idealismus? Warum denn nicht Alkohol und Realismus? -
Diese Fragen sind berechtigt; die Überschrift bedarf einer Er¬
läuterung.

Daß hier mit dem Worte Alkohol nicht das Ding gemeint
ist, das mit der chemischen Formel ^H^O bezeichnet wird, sondern daß
darunter die berauschenden Getränke der Kulturvölker verstanden sind, recht¬
fertigt der heutige Sprachgebrauch. So hat auch jeder Leser dieses Wort
aufgefaßt. Was aber ist unter Idealismus gemeint?

Idealismus im strengen Sinn ist der Name für jede Weltanschauung, die
den geistigen Inhalt des Lebens für den hauptsächlich oder allein wertvollen
erklärt und deshalb annimmt, daß das Wesen der Dinge in einem geistigen
Sein bestehe. Den Gegensatz bildet auf der einen Seite der Realismus, der
von der gegebnen Wirklichkeit ausgeht und in seiner Weltanschauung allen
Erscheinungen der Wirklichkeit gerecht zu werden versucht, auf der andern Seite
der Materialismus, der den sinnlich wahrnehmbaren Stoff für den einzigen
Grund aller Wirklichkeit ansieht.

Faßt man das Wort Idealismus in diesem seinem eigentlichen Sinne, so
spricht unser Thema einen Unsinn aus. Ein aristophanischer Witzbold könnte
den Alkohol und eine philosophische Weltanschauung zusammenschirren; die
Gedankenfahrt mit diesem sonderbaren Gespann wäre grotesk genug: aber zu
einer so halsbrechenden Reise sind die Leser nicht eingeladen worden.

Wir sind in der Bestimmung des philosophischen Idealismus dem Begriffe
des Wertes begegnet. Der Idealismus erklärt den geistigen Inhalt des
Lebens für den wertvollen. Der Wert der Lebensinhalte ist von vornherein
für die Gestaltung seiner Weltanschauung maßgebend. Es kommt ihm nicht


Alkohol und Idealismus

es auch, daß die Aufforderung zur positiven Arbeit an einer so großen Auf¬
gabe gerade in unsrer Zeit der Zerklüftung und Unlust an und für sich freudig
zu begrüßen ist.

Am 21. Januar 1904 ist der Verein ins Leben getreten. Herzog Ernst
Günther von Schleswig-Holstein ist zum Präsidenten gewühlt worden, Mit¬
glieder des deutschen Reichstags und der Parlamente Österreichs und Ungarns,
führende Männer der Industrie und des Handels sind dem Ausschuß beige¬
treten. Eine günstige Aufnahme ihrer Bestrebungen in der Schweiz, in den
Niederlanden und in Belgien, auch in Italien ist zu erwarten; hoffen wir, daß
diese Länder praktisch mitarbeiten. Das nächste Ziel ist ja ein wirtschaft¬
liches, aber wenn sich auf dein Wege, den man beschritten hat, kein unvorher-
gesehenes Hindernis erhebt, können wir uns keine Vereinigung denken, die der
allgemeinen Wohlfahrt der Völker und auch dem Frieden unter den Stämmen
und Staaten Europas dienlicher fein könnte als der mitteleuropäische Wirt¬
schaftsverein.




Alkohol und Idealismus
von Adolf Schmitthenner

lkohol und Idealismus? Warum denn nicht Schwefelsäure und
Idealismus? Warum denn nicht Alkohol und Realismus? -
Diese Fragen sind berechtigt; die Überschrift bedarf einer Er¬
läuterung.

Daß hier mit dem Worte Alkohol nicht das Ding gemeint
ist, das mit der chemischen Formel ^H^O bezeichnet wird, sondern daß
darunter die berauschenden Getränke der Kulturvölker verstanden sind, recht¬
fertigt der heutige Sprachgebrauch. So hat auch jeder Leser dieses Wort
aufgefaßt. Was aber ist unter Idealismus gemeint?

Idealismus im strengen Sinn ist der Name für jede Weltanschauung, die
den geistigen Inhalt des Lebens für den hauptsächlich oder allein wertvollen
erklärt und deshalb annimmt, daß das Wesen der Dinge in einem geistigen
Sein bestehe. Den Gegensatz bildet auf der einen Seite der Realismus, der
von der gegebnen Wirklichkeit ausgeht und in seiner Weltanschauung allen
Erscheinungen der Wirklichkeit gerecht zu werden versucht, auf der andern Seite
der Materialismus, der den sinnlich wahrnehmbaren Stoff für den einzigen
Grund aller Wirklichkeit ansieht.

Faßt man das Wort Idealismus in diesem seinem eigentlichen Sinne, so
spricht unser Thema einen Unsinn aus. Ein aristophanischer Witzbold könnte
den Alkohol und eine philosophische Weltanschauung zusammenschirren; die
Gedankenfahrt mit diesem sonderbaren Gespann wäre grotesk genug: aber zu
einer so halsbrechenden Reise sind die Leser nicht eingeladen worden.

Wir sind in der Bestimmung des philosophischen Idealismus dem Begriffe
des Wertes begegnet. Der Idealismus erklärt den geistigen Inhalt des
Lebens für den wertvollen. Der Wert der Lebensinhalte ist von vornherein
für die Gestaltung seiner Weltanschauung maßgebend. Es kommt ihm nicht


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[0267] Alkohol und Idealismus es auch, daß die Aufforderung zur positiven Arbeit an einer so großen Auf¬ gabe gerade in unsrer Zeit der Zerklüftung und Unlust an und für sich freudig zu begrüßen ist. Am 21. Januar 1904 ist der Verein ins Leben getreten. Herzog Ernst Günther von Schleswig-Holstein ist zum Präsidenten gewühlt worden, Mit¬ glieder des deutschen Reichstags und der Parlamente Österreichs und Ungarns, führende Männer der Industrie und des Handels sind dem Ausschuß beige¬ treten. Eine günstige Aufnahme ihrer Bestrebungen in der Schweiz, in den Niederlanden und in Belgien, auch in Italien ist zu erwarten; hoffen wir, daß diese Länder praktisch mitarbeiten. Das nächste Ziel ist ja ein wirtschaft¬ liches, aber wenn sich auf dein Wege, den man beschritten hat, kein unvorher- gesehenes Hindernis erhebt, können wir uns keine Vereinigung denken, die der allgemeinen Wohlfahrt der Völker und auch dem Frieden unter den Stämmen und Staaten Europas dienlicher fein könnte als der mitteleuropäische Wirt¬ schaftsverein. Alkohol und Idealismus von Adolf Schmitthenner lkohol und Idealismus? Warum denn nicht Schwefelsäure und Idealismus? Warum denn nicht Alkohol und Realismus? - Diese Fragen sind berechtigt; die Überschrift bedarf einer Er¬ läuterung. Daß hier mit dem Worte Alkohol nicht das Ding gemeint ist, das mit der chemischen Formel ^H^O bezeichnet wird, sondern daß darunter die berauschenden Getränke der Kulturvölker verstanden sind, recht¬ fertigt der heutige Sprachgebrauch. So hat auch jeder Leser dieses Wort aufgefaßt. Was aber ist unter Idealismus gemeint? Idealismus im strengen Sinn ist der Name für jede Weltanschauung, die den geistigen Inhalt des Lebens für den hauptsächlich oder allein wertvollen erklärt und deshalb annimmt, daß das Wesen der Dinge in einem geistigen Sein bestehe. Den Gegensatz bildet auf der einen Seite der Realismus, der von der gegebnen Wirklichkeit ausgeht und in seiner Weltanschauung allen Erscheinungen der Wirklichkeit gerecht zu werden versucht, auf der andern Seite der Materialismus, der den sinnlich wahrnehmbaren Stoff für den einzigen Grund aller Wirklichkeit ansieht. Faßt man das Wort Idealismus in diesem seinem eigentlichen Sinne, so spricht unser Thema einen Unsinn aus. Ein aristophanischer Witzbold könnte den Alkohol und eine philosophische Weltanschauung zusammenschirren; die Gedankenfahrt mit diesem sonderbaren Gespann wäre grotesk genug: aber zu einer so halsbrechenden Reise sind die Leser nicht eingeladen worden. Wir sind in der Bestimmung des philosophischen Idealismus dem Begriffe des Wertes begegnet. Der Idealismus erklärt den geistigen Inhalt des Lebens für den wertvollen. Der Wert der Lebensinhalte ist von vornherein für die Gestaltung seiner Weltanschauung maßgebend. Es kommt ihm nicht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_292796/267>, abgerufen am 24.08.2024.