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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr.

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als die beste anerkannt wurde. Die ungarische Regierung schickte den strebsamen
Autodidakten auf deutsche Universitäten, aber die akademische Laufbahn mochte er
nach seiner Rückkehr in die Heimat nicht einschlagen, weil er voraussah, daß ihn
seine Ansicht vom Staate in Konflikte verwickeln würde. Er nahm nur eine
Bibliothekarstelle an und gab auch diese samt seinen Pensionsansprüchen auf, als
ihm zugemutet wurde, auf die schriftstellerische Verbreitung seiner Ideen zu ver¬
zichten. Sein Eintreten für die gedrückten ungarischen Landarbeiter zog ihm
mehrere Prozesse zu, in denen er jedoch freigesprochen wurde.

In einem Buche, dessen bedeutenden Gedankengehalt und schöne Form wir im
12. Hefte des Jahrgangs 1902 der Grenzboten gelobt haben, sucht er die Dogmen¬
bildung der patriotischen Zeit als das Ergebnis eines Kompromisses der christlichen
Priesterschaft mit der Staatsgewalt zu erklären, der einen Abfall vom echten
Christentum eingeschlossen habe; bet einer andern Gelegenheit haben wir erwähnt,
daß er die Gnostiker als die echten Jünger Jesu, als die Bewahrer und Fort¬
bildner seiner Lehre preist und von der Wiedererweckung ihrer Ideen eine höhere,
reinere und edlere Kultur erhofft. Den Beweis für diese Ansicht glaubt er in
seinem neuesten Buche erbracht zu haben: "Die Gnosis, Grundlagen der Welt¬
anschauung einer edlern Kultur. 1. Band: Die Gnosis des Altertums." Darin
feiert er zunächst Jesus (dessen im ersten Buche hervorgchobne Proletarierrolle er
hier zurücktreten läßt) als den Vollender einer in den indischen Philosophien, in
der Zendlehre, in den Büchern Weisheit und Sirach, von Plato und dem Juden
Philo verkündeten Mystik, zeigt, wie die Gnostiker diese Mystik ausgebaut und ver¬
tieft haben, und entdeckt in ihren Schriften sogar die neuere und die neuste Physik
und Biologie. Von dem göttlichen All und Nichts, dem Pleroma der Gnostiker,
das alle Möglichkeiten und alle Gestalten in sich schließt, gehen Wellcnströme aus;
die feinsten Wellen erzeugen das Geistesleben, die gröbern die sinnlichen Vor¬
stellungen, die gröbsten die Sinnendinge. Im mathematischen Denken und in der
Erkenntnis der Gattungsidee zuerst kommt der vom Pleroma weit entfernte Tier¬
mensch zu sich und vermag sich durch fortschreitende Läuterung zur beseligenden
Anschauung der göttlichen Lebensfülle durchzuringen. Die Kircheuhistoriker mögen
prüfen, wieviel von dem, was Schmitt aus den Gnostikern herausliest, von ihm
hinein interpretiert worden ist. Uns will scheinen, daß wir die meisten dieser vor¬
geblich gnostischen Lehren schon recht oft von christlichen Philosophen, Mystikern,
Dichtern und Predigern vernommen haben, auch von solchen, die, wie Bonaventura,
Dante, Meister Eckhart, Angelus Silesius von der Kirche, dieser organisierten
Tiermcnschhcit, keineswegs als Ketzer verurteilt worden sind. Daß die gewöhnlichen
Gläubigen, die nur in Sinnenbildern denken können, sich nach des Verfassers An¬
sicht Gott als rachsüchtigen Gewaltherrn vorstellen, und deren Hierarchie sich mit
der Weltmacht, mit dem Fürsten dieser Welt, also dem Teufel, zur Übung von
Gewalttat verbündet hat, während Jesus (der Tolstoiische Jesus!) der ohne äußer¬
liche Gewalt wirkende Logos ist, von dem die reinen allbezwingenden Licht- und
Liebeswellen ausgehen, daß also die gewöhnlichen Christen und -- auch die un¬
gläubigen Materialisten etwa zweihundertmal Tiermenschen genannt werden, halten
wir weder für notwendig, noch für geschmackvoll, noch für christlich. Gnostisch ist
es allerdings, da die Pneumatiker mit grenzenlosem Hochmut auf die Psychiker und
die Hyliker herabgesehen haben. Es ist uns nicht ganz klar geworden, ob Schmitt
in die Kategorie der Tiermenschen auch die Psychiker einschließt. In diesem Falle
gehören wir selbst dazu, denn wir müssen bekennen, daß wir der beseligenden An¬
schauung bis jetzt noch nicht teilhaft geworden und darauf angewiesen sind, vom
Göttlichen entweder mit dein gewöhnlichen Menschenverstande zu räsonieren oder
es uns in Bildern zu versinnlichen. Schmitt sollte aber die Tiermenschcn, für die
er ja übrigens opferwillig eingetreten ist, nicht gar so sehr verachten, denn wenn
die alle Pneumatiker würden, so hätte das aus lauter Pnenmatikeru bestehende
"dritte Reich" nichts zu essen, nichts zum Heizen, weder Kleidung noch Wohnung,
und auf dieser Erde wenigstens würde der Lichtstoff des Pleromas kaum fortfahren


als die beste anerkannt wurde. Die ungarische Regierung schickte den strebsamen
Autodidakten auf deutsche Universitäten, aber die akademische Laufbahn mochte er
nach seiner Rückkehr in die Heimat nicht einschlagen, weil er voraussah, daß ihn
seine Ansicht vom Staate in Konflikte verwickeln würde. Er nahm nur eine
Bibliothekarstelle an und gab auch diese samt seinen Pensionsansprüchen auf, als
ihm zugemutet wurde, auf die schriftstellerische Verbreitung seiner Ideen zu ver¬
zichten. Sein Eintreten für die gedrückten ungarischen Landarbeiter zog ihm
mehrere Prozesse zu, in denen er jedoch freigesprochen wurde.

In einem Buche, dessen bedeutenden Gedankengehalt und schöne Form wir im
12. Hefte des Jahrgangs 1902 der Grenzboten gelobt haben, sucht er die Dogmen¬
bildung der patriotischen Zeit als das Ergebnis eines Kompromisses der christlichen
Priesterschaft mit der Staatsgewalt zu erklären, der einen Abfall vom echten
Christentum eingeschlossen habe; bet einer andern Gelegenheit haben wir erwähnt,
daß er die Gnostiker als die echten Jünger Jesu, als die Bewahrer und Fort¬
bildner seiner Lehre preist und von der Wiedererweckung ihrer Ideen eine höhere,
reinere und edlere Kultur erhofft. Den Beweis für diese Ansicht glaubt er in
seinem neuesten Buche erbracht zu haben: „Die Gnosis, Grundlagen der Welt¬
anschauung einer edlern Kultur. 1. Band: Die Gnosis des Altertums." Darin
feiert er zunächst Jesus (dessen im ersten Buche hervorgchobne Proletarierrolle er
hier zurücktreten läßt) als den Vollender einer in den indischen Philosophien, in
der Zendlehre, in den Büchern Weisheit und Sirach, von Plato und dem Juden
Philo verkündeten Mystik, zeigt, wie die Gnostiker diese Mystik ausgebaut und ver¬
tieft haben, und entdeckt in ihren Schriften sogar die neuere und die neuste Physik
und Biologie. Von dem göttlichen All und Nichts, dem Pleroma der Gnostiker,
das alle Möglichkeiten und alle Gestalten in sich schließt, gehen Wellcnströme aus;
die feinsten Wellen erzeugen das Geistesleben, die gröbern die sinnlichen Vor¬
stellungen, die gröbsten die Sinnendinge. Im mathematischen Denken und in der
Erkenntnis der Gattungsidee zuerst kommt der vom Pleroma weit entfernte Tier¬
mensch zu sich und vermag sich durch fortschreitende Läuterung zur beseligenden
Anschauung der göttlichen Lebensfülle durchzuringen. Die Kircheuhistoriker mögen
prüfen, wieviel von dem, was Schmitt aus den Gnostikern herausliest, von ihm
hinein interpretiert worden ist. Uns will scheinen, daß wir die meisten dieser vor¬
geblich gnostischen Lehren schon recht oft von christlichen Philosophen, Mystikern,
Dichtern und Predigern vernommen haben, auch von solchen, die, wie Bonaventura,
Dante, Meister Eckhart, Angelus Silesius von der Kirche, dieser organisierten
Tiermcnschhcit, keineswegs als Ketzer verurteilt worden sind. Daß die gewöhnlichen
Gläubigen, die nur in Sinnenbildern denken können, sich nach des Verfassers An¬
sicht Gott als rachsüchtigen Gewaltherrn vorstellen, und deren Hierarchie sich mit
der Weltmacht, mit dem Fürsten dieser Welt, also dem Teufel, zur Übung von
Gewalttat verbündet hat, während Jesus (der Tolstoiische Jesus!) der ohne äußer¬
liche Gewalt wirkende Logos ist, von dem die reinen allbezwingenden Licht- und
Liebeswellen ausgehen, daß also die gewöhnlichen Christen und — auch die un¬
gläubigen Materialisten etwa zweihundertmal Tiermenschen genannt werden, halten
wir weder für notwendig, noch für geschmackvoll, noch für christlich. Gnostisch ist
es allerdings, da die Pneumatiker mit grenzenlosem Hochmut auf die Psychiker und
die Hyliker herabgesehen haben. Es ist uns nicht ganz klar geworden, ob Schmitt
in die Kategorie der Tiermenschen auch die Psychiker einschließt. In diesem Falle
gehören wir selbst dazu, denn wir müssen bekennen, daß wir der beseligenden An¬
schauung bis jetzt noch nicht teilhaft geworden und darauf angewiesen sind, vom
Göttlichen entweder mit dein gewöhnlichen Menschenverstande zu räsonieren oder
es uns in Bildern zu versinnlichen. Schmitt sollte aber die Tiermenschcn, für die
er ja übrigens opferwillig eingetreten ist, nicht gar so sehr verachten, denn wenn
die alle Pneumatiker würden, so hätte das aus lauter Pnenmatikeru bestehende
„dritte Reich" nichts zu essen, nichts zum Heizen, weder Kleidung noch Wohnung,
und auf dieser Erde wenigstens würde der Lichtstoff des Pleromas kaum fortfahren


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[0258] als die beste anerkannt wurde. Die ungarische Regierung schickte den strebsamen Autodidakten auf deutsche Universitäten, aber die akademische Laufbahn mochte er nach seiner Rückkehr in die Heimat nicht einschlagen, weil er voraussah, daß ihn seine Ansicht vom Staate in Konflikte verwickeln würde. Er nahm nur eine Bibliothekarstelle an und gab auch diese samt seinen Pensionsansprüchen auf, als ihm zugemutet wurde, auf die schriftstellerische Verbreitung seiner Ideen zu ver¬ zichten. Sein Eintreten für die gedrückten ungarischen Landarbeiter zog ihm mehrere Prozesse zu, in denen er jedoch freigesprochen wurde. In einem Buche, dessen bedeutenden Gedankengehalt und schöne Form wir im 12. Hefte des Jahrgangs 1902 der Grenzboten gelobt haben, sucht er die Dogmen¬ bildung der patriotischen Zeit als das Ergebnis eines Kompromisses der christlichen Priesterschaft mit der Staatsgewalt zu erklären, der einen Abfall vom echten Christentum eingeschlossen habe; bet einer andern Gelegenheit haben wir erwähnt, daß er die Gnostiker als die echten Jünger Jesu, als die Bewahrer und Fort¬ bildner seiner Lehre preist und von der Wiedererweckung ihrer Ideen eine höhere, reinere und edlere Kultur erhofft. Den Beweis für diese Ansicht glaubt er in seinem neuesten Buche erbracht zu haben: „Die Gnosis, Grundlagen der Welt¬ anschauung einer edlern Kultur. 1. Band: Die Gnosis des Altertums." Darin feiert er zunächst Jesus (dessen im ersten Buche hervorgchobne Proletarierrolle er hier zurücktreten läßt) als den Vollender einer in den indischen Philosophien, in der Zendlehre, in den Büchern Weisheit und Sirach, von Plato und dem Juden Philo verkündeten Mystik, zeigt, wie die Gnostiker diese Mystik ausgebaut und ver¬ tieft haben, und entdeckt in ihren Schriften sogar die neuere und die neuste Physik und Biologie. Von dem göttlichen All und Nichts, dem Pleroma der Gnostiker, das alle Möglichkeiten und alle Gestalten in sich schließt, gehen Wellcnströme aus; die feinsten Wellen erzeugen das Geistesleben, die gröbern die sinnlichen Vor¬ stellungen, die gröbsten die Sinnendinge. Im mathematischen Denken und in der Erkenntnis der Gattungsidee zuerst kommt der vom Pleroma weit entfernte Tier¬ mensch zu sich und vermag sich durch fortschreitende Läuterung zur beseligenden Anschauung der göttlichen Lebensfülle durchzuringen. Die Kircheuhistoriker mögen prüfen, wieviel von dem, was Schmitt aus den Gnostikern herausliest, von ihm hinein interpretiert worden ist. Uns will scheinen, daß wir die meisten dieser vor¬ geblich gnostischen Lehren schon recht oft von christlichen Philosophen, Mystikern, Dichtern und Predigern vernommen haben, auch von solchen, die, wie Bonaventura, Dante, Meister Eckhart, Angelus Silesius von der Kirche, dieser organisierten Tiermcnschhcit, keineswegs als Ketzer verurteilt worden sind. Daß die gewöhnlichen Gläubigen, die nur in Sinnenbildern denken können, sich nach des Verfassers An¬ sicht Gott als rachsüchtigen Gewaltherrn vorstellen, und deren Hierarchie sich mit der Weltmacht, mit dem Fürsten dieser Welt, also dem Teufel, zur Übung von Gewalttat verbündet hat, während Jesus (der Tolstoiische Jesus!) der ohne äußer¬ liche Gewalt wirkende Logos ist, von dem die reinen allbezwingenden Licht- und Liebeswellen ausgehen, daß also die gewöhnlichen Christen und — auch die un¬ gläubigen Materialisten etwa zweihundertmal Tiermenschen genannt werden, halten wir weder für notwendig, noch für geschmackvoll, noch für christlich. Gnostisch ist es allerdings, da die Pneumatiker mit grenzenlosem Hochmut auf die Psychiker und die Hyliker herabgesehen haben. Es ist uns nicht ganz klar geworden, ob Schmitt in die Kategorie der Tiermenschen auch die Psychiker einschließt. In diesem Falle gehören wir selbst dazu, denn wir müssen bekennen, daß wir der beseligenden An¬ schauung bis jetzt noch nicht teilhaft geworden und darauf angewiesen sind, vom Göttlichen entweder mit dein gewöhnlichen Menschenverstande zu räsonieren oder es uns in Bildern zu versinnlichen. Schmitt sollte aber die Tiermenschcn, für die er ja übrigens opferwillig eingetreten ist, nicht gar so sehr verachten, denn wenn die alle Pneumatiker würden, so hätte das aus lauter Pnenmatikeru bestehende „dritte Reich" nichts zu essen, nichts zum Heizen, weder Kleidung noch Wohnung, und auf dieser Erde wenigstens würde der Lichtstoff des Pleromas kaum fortfahren

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_292796/258>, abgerufen am 03.07.2024.