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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr.

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Aus dein Spreewalde

der sanften Herrlichkeit der Szenerie so ergriffen, daß jeder übermütige Scherz
verstummt war und sie uns mir durch Winter und geflüsterte Rede zur Mitfahrt
aufforderten. Wir konnten leider der Lockung nicht folgen, da wir des Schlafes
bedürfte". Und so sahen wir den geräuschlos dahinziehenden Kähnen noch lange
sehnsüchtig nach, bis das Ruder des letzten noch einmal silbern aufleuchtend unter
der "Bank" verschwunden war.

Unsre wohlverdiente Nachtruhe fanden wir im Landhause eines Fuhrwerks¬
besitzers in einem Zimmer mit so blütenweißen Betten und so sorgfältiger, blitz¬
saubrer Ausstaffierung, daß wir uns förmlich bemühten, die Harmonie des Ganzen
durch unsern Aufenthalt möglichst wenig zu stören. Dieses Haus steht im Ver¬
hältnis einer Dependame zum "Schwarzen Adler," dem besten und stimmungs¬
vollsten Spreewaldgasthofe, den ich kennen gelernt habe. Er leistet sein Höchstes
in dem berühmten Abendessen: Hecht mit Spreewaldsauce -- aber auch das Kaffee¬
stündchen in dem anmutigen Garten war sehr behaglich. Der Hauptreiz eines
Sonntagmorgens in Burg besteht in der Beobachtung des Kirchgangs der Spree¬
wälderinnen -- die Männer haben leider die Volkstracht abgelegt --, bei dem die
bunteste" Geheimnisse der Truhen und Schränke, aber auch viel natürliche Anmut
und Lieblichkeit zur Entfaltung kommen. Lange vor Beginn des Gottesdienstes
stellen sich die ankommenden Frauen und Mädchen, die teilweise einen zwei¬
stündigen Weg zurückzulegen haben, auf dem geräumigen Platze vor und neben der
Kirche auf.

Es ist bekannt, wie sich ihre weitgespreizte, aber im ganze" doch nicht un¬
schöne Tracht, die den- Gange etwas sanft Wiegendes verleiht, nach Alter, Stellung
und Besitz unterscheidet. Gemeinsam ist alle" eine gesunde Farbenfreudigkeit, die
sich an gelben und roten, grünen und blauen Lichtern nicht genug tun kann.

Am auffallendsten ist das Abzeichen der Braut und der Brautjungfer: die
breite, steife, vielfältige weiße Halskrause, auf der der sauber gezopfte, weißhäubige
Kopf zu schwimmen scheint. Während sich die weniger bunt gekleideten Mütter
besonders auf dem Vorplatze der Kirche ihr Stelldichein gaben, sammelten sich die
buntem Scharen der Mädchen links von der Kirche vor einem kleinen Kramladen.
Sie wissen wohl, daß sie der Mittelpunkt des Interesses der Hunderte von Fremden
sind, und tragen meist ein selbstbewußtes, aber sehr zurückhaltendes Wesen zur
Schau. Endlich ziehen sich die Scharen der Kirchgänger in das Gotteshaus hinein.
Die Neigung der Wenden zu buntem Flitterstaat überträgt sich sogar auf dieses;
wir fanden es mit auffallend geschulteren Guirlanden aus buntem Papier nach allen
Richtungen hin durchzogen. Die Kirche ist bis auf den letzten Platz gefüllt, das
ganze Schiff ist voll Frauen und Mädchen, und wenn sie sich nun andächtig über
das Gesangbuch beugen, so sieht man von ihnen nichts als lange Reihen weißer
Hauben, ein sonderbarer und doch feierlicher Anblick.

Unterdessen hatte unser schon tags zuvor gedungner Fährmann, ein älterer
Wirtschaftsbesitzer aus Burg, das Boot zur Wasserfahrt gerüstet. Wir wollten das
verschlungne Geäder der Spreearme gründlich kennen lernen und deshalb auf
großen Umwegen mitten durch die einsamsten Partien des Waldes nach Lübbenau
vordringen. Die Boote, die dazu verwandt werden, sind sehr flach, weil die
Seitenkanäle oft recht seicht sind. Man sitzt aber doch auf der lose über die Boots¬
ränder gestellten zweisitzigen Bank leidlich bequem, während der Fährmann im
hintern Teile des Kahnes aufrecht stehend ihn mit einem leichten Ruder bewegt
und lenkt. Die schöne Körperhaltung der Spreewälder soll eine Folge dieser
Gewohnheit sein. Die fünf- bis sechsstündige Fahrt bringt uns an interessante
Einzelsiedlungen der Gemeinde Burg und später der Kauperkolonie (Kaupe -- eine
Erderhöhung, auf der ein Gehöft gebaut ist); statt der Straße führt ein Wasser¬
arm auf den Hof, nahe bei der Haustür, oft auch unter der übers Wasser gebauten
Scheuer liegen die Kähne -- hier und da stehn kleine Mädchen in Spreewälder¬
tracht am Ufer, Teichrosen in der Hand, die sie auf einen ermunternden Zuruf


Aus dein Spreewalde

der sanften Herrlichkeit der Szenerie so ergriffen, daß jeder übermütige Scherz
verstummt war und sie uns mir durch Winter und geflüsterte Rede zur Mitfahrt
aufforderten. Wir konnten leider der Lockung nicht folgen, da wir des Schlafes
bedürfte». Und so sahen wir den geräuschlos dahinziehenden Kähnen noch lange
sehnsüchtig nach, bis das Ruder des letzten noch einmal silbern aufleuchtend unter
der „Bank" verschwunden war.

Unsre wohlverdiente Nachtruhe fanden wir im Landhause eines Fuhrwerks¬
besitzers in einem Zimmer mit so blütenweißen Betten und so sorgfältiger, blitz¬
saubrer Ausstaffierung, daß wir uns förmlich bemühten, die Harmonie des Ganzen
durch unsern Aufenthalt möglichst wenig zu stören. Dieses Haus steht im Ver¬
hältnis einer Dependame zum „Schwarzen Adler," dem besten und stimmungs¬
vollsten Spreewaldgasthofe, den ich kennen gelernt habe. Er leistet sein Höchstes
in dem berühmten Abendessen: Hecht mit Spreewaldsauce — aber auch das Kaffee¬
stündchen in dem anmutigen Garten war sehr behaglich. Der Hauptreiz eines
Sonntagmorgens in Burg besteht in der Beobachtung des Kirchgangs der Spree¬
wälderinnen — die Männer haben leider die Volkstracht abgelegt —, bei dem die
bunteste» Geheimnisse der Truhen und Schränke, aber auch viel natürliche Anmut
und Lieblichkeit zur Entfaltung kommen. Lange vor Beginn des Gottesdienstes
stellen sich die ankommenden Frauen und Mädchen, die teilweise einen zwei¬
stündigen Weg zurückzulegen haben, auf dem geräumigen Platze vor und neben der
Kirche auf.

Es ist bekannt, wie sich ihre weitgespreizte, aber im ganze» doch nicht un¬
schöne Tracht, die den- Gange etwas sanft Wiegendes verleiht, nach Alter, Stellung
und Besitz unterscheidet. Gemeinsam ist alle» eine gesunde Farbenfreudigkeit, die
sich an gelben und roten, grünen und blauen Lichtern nicht genug tun kann.

Am auffallendsten ist das Abzeichen der Braut und der Brautjungfer: die
breite, steife, vielfältige weiße Halskrause, auf der der sauber gezopfte, weißhäubige
Kopf zu schwimmen scheint. Während sich die weniger bunt gekleideten Mütter
besonders auf dem Vorplatze der Kirche ihr Stelldichein gaben, sammelten sich die
buntem Scharen der Mädchen links von der Kirche vor einem kleinen Kramladen.
Sie wissen wohl, daß sie der Mittelpunkt des Interesses der Hunderte von Fremden
sind, und tragen meist ein selbstbewußtes, aber sehr zurückhaltendes Wesen zur
Schau. Endlich ziehen sich die Scharen der Kirchgänger in das Gotteshaus hinein.
Die Neigung der Wenden zu buntem Flitterstaat überträgt sich sogar auf dieses;
wir fanden es mit auffallend geschulteren Guirlanden aus buntem Papier nach allen
Richtungen hin durchzogen. Die Kirche ist bis auf den letzten Platz gefüllt, das
ganze Schiff ist voll Frauen und Mädchen, und wenn sie sich nun andächtig über
das Gesangbuch beugen, so sieht man von ihnen nichts als lange Reihen weißer
Hauben, ein sonderbarer und doch feierlicher Anblick.

Unterdessen hatte unser schon tags zuvor gedungner Fährmann, ein älterer
Wirtschaftsbesitzer aus Burg, das Boot zur Wasserfahrt gerüstet. Wir wollten das
verschlungne Geäder der Spreearme gründlich kennen lernen und deshalb auf
großen Umwegen mitten durch die einsamsten Partien des Waldes nach Lübbenau
vordringen. Die Boote, die dazu verwandt werden, sind sehr flach, weil die
Seitenkanäle oft recht seicht sind. Man sitzt aber doch auf der lose über die Boots¬
ränder gestellten zweisitzigen Bank leidlich bequem, während der Fährmann im
hintern Teile des Kahnes aufrecht stehend ihn mit einem leichten Ruder bewegt
und lenkt. Die schöne Körperhaltung der Spreewälder soll eine Folge dieser
Gewohnheit sein. Die fünf- bis sechsstündige Fahrt bringt uns an interessante
Einzelsiedlungen der Gemeinde Burg und später der Kauperkolonie (Kaupe — eine
Erderhöhung, auf der ein Gehöft gebaut ist); statt der Straße führt ein Wasser¬
arm auf den Hof, nahe bei der Haustür, oft auch unter der übers Wasser gebauten
Scheuer liegen die Kähne — hier und da stehn kleine Mädchen in Spreewälder¬
tracht am Ufer, Teichrosen in der Hand, die sie auf einen ermunternden Zuruf


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[0240] Aus dein Spreewalde der sanften Herrlichkeit der Szenerie so ergriffen, daß jeder übermütige Scherz verstummt war und sie uns mir durch Winter und geflüsterte Rede zur Mitfahrt aufforderten. Wir konnten leider der Lockung nicht folgen, da wir des Schlafes bedürfte». Und so sahen wir den geräuschlos dahinziehenden Kähnen noch lange sehnsüchtig nach, bis das Ruder des letzten noch einmal silbern aufleuchtend unter der „Bank" verschwunden war. Unsre wohlverdiente Nachtruhe fanden wir im Landhause eines Fuhrwerks¬ besitzers in einem Zimmer mit so blütenweißen Betten und so sorgfältiger, blitz¬ saubrer Ausstaffierung, daß wir uns förmlich bemühten, die Harmonie des Ganzen durch unsern Aufenthalt möglichst wenig zu stören. Dieses Haus steht im Ver¬ hältnis einer Dependame zum „Schwarzen Adler," dem besten und stimmungs¬ vollsten Spreewaldgasthofe, den ich kennen gelernt habe. Er leistet sein Höchstes in dem berühmten Abendessen: Hecht mit Spreewaldsauce — aber auch das Kaffee¬ stündchen in dem anmutigen Garten war sehr behaglich. Der Hauptreiz eines Sonntagmorgens in Burg besteht in der Beobachtung des Kirchgangs der Spree¬ wälderinnen — die Männer haben leider die Volkstracht abgelegt —, bei dem die bunteste» Geheimnisse der Truhen und Schränke, aber auch viel natürliche Anmut und Lieblichkeit zur Entfaltung kommen. Lange vor Beginn des Gottesdienstes stellen sich die ankommenden Frauen und Mädchen, die teilweise einen zwei¬ stündigen Weg zurückzulegen haben, auf dem geräumigen Platze vor und neben der Kirche auf. Es ist bekannt, wie sich ihre weitgespreizte, aber im ganze» doch nicht un¬ schöne Tracht, die den- Gange etwas sanft Wiegendes verleiht, nach Alter, Stellung und Besitz unterscheidet. Gemeinsam ist alle» eine gesunde Farbenfreudigkeit, die sich an gelben und roten, grünen und blauen Lichtern nicht genug tun kann. Am auffallendsten ist das Abzeichen der Braut und der Brautjungfer: die breite, steife, vielfältige weiße Halskrause, auf der der sauber gezopfte, weißhäubige Kopf zu schwimmen scheint. Während sich die weniger bunt gekleideten Mütter besonders auf dem Vorplatze der Kirche ihr Stelldichein gaben, sammelten sich die buntem Scharen der Mädchen links von der Kirche vor einem kleinen Kramladen. Sie wissen wohl, daß sie der Mittelpunkt des Interesses der Hunderte von Fremden sind, und tragen meist ein selbstbewußtes, aber sehr zurückhaltendes Wesen zur Schau. Endlich ziehen sich die Scharen der Kirchgänger in das Gotteshaus hinein. Die Neigung der Wenden zu buntem Flitterstaat überträgt sich sogar auf dieses; wir fanden es mit auffallend geschulteren Guirlanden aus buntem Papier nach allen Richtungen hin durchzogen. Die Kirche ist bis auf den letzten Platz gefüllt, das ganze Schiff ist voll Frauen und Mädchen, und wenn sie sich nun andächtig über das Gesangbuch beugen, so sieht man von ihnen nichts als lange Reihen weißer Hauben, ein sonderbarer und doch feierlicher Anblick. Unterdessen hatte unser schon tags zuvor gedungner Fährmann, ein älterer Wirtschaftsbesitzer aus Burg, das Boot zur Wasserfahrt gerüstet. Wir wollten das verschlungne Geäder der Spreearme gründlich kennen lernen und deshalb auf großen Umwegen mitten durch die einsamsten Partien des Waldes nach Lübbenau vordringen. Die Boote, die dazu verwandt werden, sind sehr flach, weil die Seitenkanäle oft recht seicht sind. Man sitzt aber doch auf der lose über die Boots¬ ränder gestellten zweisitzigen Bank leidlich bequem, während der Fährmann im hintern Teile des Kahnes aufrecht stehend ihn mit einem leichten Ruder bewegt und lenkt. Die schöne Körperhaltung der Spreewälder soll eine Folge dieser Gewohnheit sein. Die fünf- bis sechsstündige Fahrt bringt uns an interessante Einzelsiedlungen der Gemeinde Burg und später der Kauperkolonie (Kaupe — eine Erderhöhung, auf der ein Gehöft gebaut ist); statt der Straße führt ein Wasser¬ arm auf den Hof, nahe bei der Haustür, oft auch unter der übers Wasser gebauten Scheuer liegen die Kähne — hier und da stehn kleine Mädchen in Spreewälder¬ tracht am Ufer, Teichrosen in der Hand, die sie auf einen ermunternden Zuruf

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_292796/240>, abgerufen am 23.07.2024.