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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr.

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Aus dem Spreewalde

Gründung des Klosters Neuzelle (1268); noch länger erhielt sich ein halb unab¬
hängiges Wendentum im Spreewalde.

Es ist gewiß eine gut beglaubigte Überlieferung, wenn der Bürger Schlo߬
berg als der Zufluchtsort des letzten wendischen Fürsten bezeichnet wird. Die noch
jetzt in Burg lebendige Sage erzählt: "Der wendische König hat auf dem Schlo߬
berge zu Burg gewohnt und war ein Räuber. Er schlug die Hufeisen verkehrt
auf, daß niemand wissen sollte, ob er heraus- oder hereingeritten war, und hatte
eine lederne Brücke, die sich von selbst hinten zusammen- und vorn wieder aufrollte.
Darüber ist er geritten; so konnten sie ihn nicht abfassen, denn damals war alles
Sumpf und Wasser. Er hatte viel Geld, darum ist der Schloßberg verwünscht
worden. Zuletzt kam ein Gewitter und erschlug den König, und das Schloß ver¬
sank. Das kann man noch sehen, denn in der Mitte ist der Schloßberg tief, und
stößt man mit einer Stange auf, so klingt es hohl. Auf dem Schloßberge ist viel
Spuk, vornehmlich nachts. Die Pferde werden scheu, denn das Tier sieht mehr
als der Mensch. Der alte wendische König reitet ohne Kopf über den Berg; es
geht immer in der Dämmerung eine Fran herum, ganz weiß gekleidet, bei Tage
schwarze Männerchen; viele Flammen sieht man, auch im Winter auf dem Schnee.
Auch eine Verwünschte ist im Berge, eine Jungfrau, die Tochter des wendischen
Königs. Sie sitzt und spinnt an einem Spinnrade und soll zwölf Hemden machen,
doch jedes Jahr bloß einen Stich, dann ist sie gelöst, dann wird alles wieder
herauskommen, der König auch."

Von dem ehrwürdigen Sitze dieses Spukes lenkten wir unsre Schritte nord¬
wärts und konnten der Versuchung nicht widerstehn, einem der schmalen, durch das
weiche Gras führenden Fußpfade zu folgen. Aber gar bald sahen wir rechts und
links von uns Wasserarme, zwischen denen ein baumbesetzter Wiesenstreifen spitz¬
winklig bis zu dem Punkte verlief, wo sich die beiden Wasserläufe verewigten;
nirgends ein Steg, wohl aber lag unter hohen Erlen und Silberpappeln einer
jener slawischen Einzelhöfe, die für diese Gegend so charakteristisch sind. Uns
reizte die Neugier, dieses Gehöft in der Nähe und womöglich auch im Innern zu
betrachten. Als wir hiuankcunen, fiel uns zunächst die Weitläufigkeit und Zertragen-
heit der ganzen Anlage auf. Während z. B. in den fränkischen und den erzgebirgischen
Walddörfern eine strenge Geschlossenheit der Siedlungen herrscht, sodaß die kleinern
Besitzer die Wohnräume, die Stallung und die Scheuer gern unter einem Dache
vereinigen, die großem ihre Gebäude möglichst eng zum eintorigen, viereckigen,
ringsummauerten Hofe zusammenschließen, bestand diese slawische Siedlung aus
sechs ziemlich weit auseinander liegenden Blockhäusern von verschiedner Größe.
Das sehr lange und schmale einstöckige Wohnhaus, hinter dem ein blumenreicher
Gartenstreifen umzäunt war, schaut nach Osten, gegenüber liegt die Scherer, an
die ein Kahnhaus angebaut ist, nach Norden zu der Stall, die Hofecken bleiben
offen, nach Süden zu aber, regellos durcheinander, das Backhaus, der Schweinestall
und der Holzschuppen. Als wir unter dem Gebell des Hundes über den freien
Raum zwischen Wohnhaus und Scheuer dahinschritten, sahen wir die lange Gestalt
des Besitzers -- es war der "Ganzkossat" Markusseu-Krüger -- mit einem
Eimer kristallklaren Wassers von dem Ziehbrunnen auf die geöffnete Tür des
Pferdestalles zugehn, aus dem ein herrlicher Fuchs mit rückwärtsgewandtem Kopfe
verlangend nach dem Wasser und dann wieder neugierig zu uns herüberäugte.
Markussen-Krüger blieb stehn, stellte den Eimer hin, streckte uns beide Hände entgegen
und rief, indem er uns mit seinen blauen Augen lächelnd betrachtete, fast in einem
Atem: "Was bringt ihr mir, wo kommt ihr her, um wen trauert ihr?" Wir
gaben ihm die verlangte Auskunft, aber er hatte, wie ein Mann, der nur selten
mit Fremden spricht, schon wieder eine ganze Reihe andrer Fragen bereit: nach
unserm verstorbnen König Albert, der ihm als Kriegsmann bekannt war, nach den
klimatischen und wirtschaftlichen Verhältnissen unsrer Heimat, die er nur vom Hören¬
sagen kannte. Unterdessen kamen die Kinder herbei und gaben uns der Reihe nach


Aus dem Spreewalde

Gründung des Klosters Neuzelle (1268); noch länger erhielt sich ein halb unab¬
hängiges Wendentum im Spreewalde.

Es ist gewiß eine gut beglaubigte Überlieferung, wenn der Bürger Schlo߬
berg als der Zufluchtsort des letzten wendischen Fürsten bezeichnet wird. Die noch
jetzt in Burg lebendige Sage erzählt: „Der wendische König hat auf dem Schlo߬
berge zu Burg gewohnt und war ein Räuber. Er schlug die Hufeisen verkehrt
auf, daß niemand wissen sollte, ob er heraus- oder hereingeritten war, und hatte
eine lederne Brücke, die sich von selbst hinten zusammen- und vorn wieder aufrollte.
Darüber ist er geritten; so konnten sie ihn nicht abfassen, denn damals war alles
Sumpf und Wasser. Er hatte viel Geld, darum ist der Schloßberg verwünscht
worden. Zuletzt kam ein Gewitter und erschlug den König, und das Schloß ver¬
sank. Das kann man noch sehen, denn in der Mitte ist der Schloßberg tief, und
stößt man mit einer Stange auf, so klingt es hohl. Auf dem Schloßberge ist viel
Spuk, vornehmlich nachts. Die Pferde werden scheu, denn das Tier sieht mehr
als der Mensch. Der alte wendische König reitet ohne Kopf über den Berg; es
geht immer in der Dämmerung eine Fran herum, ganz weiß gekleidet, bei Tage
schwarze Männerchen; viele Flammen sieht man, auch im Winter auf dem Schnee.
Auch eine Verwünschte ist im Berge, eine Jungfrau, die Tochter des wendischen
Königs. Sie sitzt und spinnt an einem Spinnrade und soll zwölf Hemden machen,
doch jedes Jahr bloß einen Stich, dann ist sie gelöst, dann wird alles wieder
herauskommen, der König auch."

Von dem ehrwürdigen Sitze dieses Spukes lenkten wir unsre Schritte nord¬
wärts und konnten der Versuchung nicht widerstehn, einem der schmalen, durch das
weiche Gras führenden Fußpfade zu folgen. Aber gar bald sahen wir rechts und
links von uns Wasserarme, zwischen denen ein baumbesetzter Wiesenstreifen spitz¬
winklig bis zu dem Punkte verlief, wo sich die beiden Wasserläufe verewigten;
nirgends ein Steg, wohl aber lag unter hohen Erlen und Silberpappeln einer
jener slawischen Einzelhöfe, die für diese Gegend so charakteristisch sind. Uns
reizte die Neugier, dieses Gehöft in der Nähe und womöglich auch im Innern zu
betrachten. Als wir hiuankcunen, fiel uns zunächst die Weitläufigkeit und Zertragen-
heit der ganzen Anlage auf. Während z. B. in den fränkischen und den erzgebirgischen
Walddörfern eine strenge Geschlossenheit der Siedlungen herrscht, sodaß die kleinern
Besitzer die Wohnräume, die Stallung und die Scheuer gern unter einem Dache
vereinigen, die großem ihre Gebäude möglichst eng zum eintorigen, viereckigen,
ringsummauerten Hofe zusammenschließen, bestand diese slawische Siedlung aus
sechs ziemlich weit auseinander liegenden Blockhäusern von verschiedner Größe.
Das sehr lange und schmale einstöckige Wohnhaus, hinter dem ein blumenreicher
Gartenstreifen umzäunt war, schaut nach Osten, gegenüber liegt die Scherer, an
die ein Kahnhaus angebaut ist, nach Norden zu der Stall, die Hofecken bleiben
offen, nach Süden zu aber, regellos durcheinander, das Backhaus, der Schweinestall
und der Holzschuppen. Als wir unter dem Gebell des Hundes über den freien
Raum zwischen Wohnhaus und Scheuer dahinschritten, sahen wir die lange Gestalt
des Besitzers — es war der „Ganzkossat" Markusseu-Krüger — mit einem
Eimer kristallklaren Wassers von dem Ziehbrunnen auf die geöffnete Tür des
Pferdestalles zugehn, aus dem ein herrlicher Fuchs mit rückwärtsgewandtem Kopfe
verlangend nach dem Wasser und dann wieder neugierig zu uns herüberäugte.
Markussen-Krüger blieb stehn, stellte den Eimer hin, streckte uns beide Hände entgegen
und rief, indem er uns mit seinen blauen Augen lächelnd betrachtete, fast in einem
Atem: „Was bringt ihr mir, wo kommt ihr her, um wen trauert ihr?" Wir
gaben ihm die verlangte Auskunft, aber er hatte, wie ein Mann, der nur selten
mit Fremden spricht, schon wieder eine ganze Reihe andrer Fragen bereit: nach
unserm verstorbnen König Albert, der ihm als Kriegsmann bekannt war, nach den
klimatischen und wirtschaftlichen Verhältnissen unsrer Heimat, die er nur vom Hören¬
sagen kannte. Unterdessen kamen die Kinder herbei und gaben uns der Reihe nach


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[0236] Aus dem Spreewalde Gründung des Klosters Neuzelle (1268); noch länger erhielt sich ein halb unab¬ hängiges Wendentum im Spreewalde. Es ist gewiß eine gut beglaubigte Überlieferung, wenn der Bürger Schlo߬ berg als der Zufluchtsort des letzten wendischen Fürsten bezeichnet wird. Die noch jetzt in Burg lebendige Sage erzählt: „Der wendische König hat auf dem Schlo߬ berge zu Burg gewohnt und war ein Räuber. Er schlug die Hufeisen verkehrt auf, daß niemand wissen sollte, ob er heraus- oder hereingeritten war, und hatte eine lederne Brücke, die sich von selbst hinten zusammen- und vorn wieder aufrollte. Darüber ist er geritten; so konnten sie ihn nicht abfassen, denn damals war alles Sumpf und Wasser. Er hatte viel Geld, darum ist der Schloßberg verwünscht worden. Zuletzt kam ein Gewitter und erschlug den König, und das Schloß ver¬ sank. Das kann man noch sehen, denn in der Mitte ist der Schloßberg tief, und stößt man mit einer Stange auf, so klingt es hohl. Auf dem Schloßberge ist viel Spuk, vornehmlich nachts. Die Pferde werden scheu, denn das Tier sieht mehr als der Mensch. Der alte wendische König reitet ohne Kopf über den Berg; es geht immer in der Dämmerung eine Fran herum, ganz weiß gekleidet, bei Tage schwarze Männerchen; viele Flammen sieht man, auch im Winter auf dem Schnee. Auch eine Verwünschte ist im Berge, eine Jungfrau, die Tochter des wendischen Königs. Sie sitzt und spinnt an einem Spinnrade und soll zwölf Hemden machen, doch jedes Jahr bloß einen Stich, dann ist sie gelöst, dann wird alles wieder herauskommen, der König auch." Von dem ehrwürdigen Sitze dieses Spukes lenkten wir unsre Schritte nord¬ wärts und konnten der Versuchung nicht widerstehn, einem der schmalen, durch das weiche Gras führenden Fußpfade zu folgen. Aber gar bald sahen wir rechts und links von uns Wasserarme, zwischen denen ein baumbesetzter Wiesenstreifen spitz¬ winklig bis zu dem Punkte verlief, wo sich die beiden Wasserläufe verewigten; nirgends ein Steg, wohl aber lag unter hohen Erlen und Silberpappeln einer jener slawischen Einzelhöfe, die für diese Gegend so charakteristisch sind. Uns reizte die Neugier, dieses Gehöft in der Nähe und womöglich auch im Innern zu betrachten. Als wir hiuankcunen, fiel uns zunächst die Weitläufigkeit und Zertragen- heit der ganzen Anlage auf. Während z. B. in den fränkischen und den erzgebirgischen Walddörfern eine strenge Geschlossenheit der Siedlungen herrscht, sodaß die kleinern Besitzer die Wohnräume, die Stallung und die Scheuer gern unter einem Dache vereinigen, die großem ihre Gebäude möglichst eng zum eintorigen, viereckigen, ringsummauerten Hofe zusammenschließen, bestand diese slawische Siedlung aus sechs ziemlich weit auseinander liegenden Blockhäusern von verschiedner Größe. Das sehr lange und schmale einstöckige Wohnhaus, hinter dem ein blumenreicher Gartenstreifen umzäunt war, schaut nach Osten, gegenüber liegt die Scherer, an die ein Kahnhaus angebaut ist, nach Norden zu der Stall, die Hofecken bleiben offen, nach Süden zu aber, regellos durcheinander, das Backhaus, der Schweinestall und der Holzschuppen. Als wir unter dem Gebell des Hundes über den freien Raum zwischen Wohnhaus und Scheuer dahinschritten, sahen wir die lange Gestalt des Besitzers — es war der „Ganzkossat" Markusseu-Krüger — mit einem Eimer kristallklaren Wassers von dem Ziehbrunnen auf die geöffnete Tür des Pferdestalles zugehn, aus dem ein herrlicher Fuchs mit rückwärtsgewandtem Kopfe verlangend nach dem Wasser und dann wieder neugierig zu uns herüberäugte. Markussen-Krüger blieb stehn, stellte den Eimer hin, streckte uns beide Hände entgegen und rief, indem er uns mit seinen blauen Augen lächelnd betrachtete, fast in einem Atem: „Was bringt ihr mir, wo kommt ihr her, um wen trauert ihr?" Wir gaben ihm die verlangte Auskunft, aber er hatte, wie ein Mann, der nur selten mit Fremden spricht, schon wieder eine ganze Reihe andrer Fragen bereit: nach unserm verstorbnen König Albert, der ihm als Kriegsmann bekannt war, nach den klimatischen und wirtschaftlichen Verhältnissen unsrer Heimat, die er nur vom Hören¬ sagen kannte. Unterdessen kamen die Kinder herbei und gaben uns der Reihe nach

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_292796/236>, abgerufen am 23.07.2024.