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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr.

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Aus dem Spreewalde

aber rief unsre Vermittlung an. Wir hinderten also den Fuchs, so gut es ging,
an seinem teuflischen Vorhaben und trieben ihn mit Händeklatschen langsam vor¬
wärts. An einer Wegbiegung verloren wir das würdige Paar aus den Augen,
aber nach einer Viertelstunde trafen wir es wieder. Der Alte war selig eingenickt,
saß aber noch immer stramm auf dem steilen Rücken des Tieres, der Fuchs ging
mit vornübergebeugten Kopfe langsam im Leichenschritt dahin, dann und wann eine
Handvoll Gras vom Wiesenrnnde rupfend -- ob die beiden wohl ihre Klause noch
erreicht haben?

Die größte Sehenswürdigkeit von Burg ist der eine Viertelstunde nordwärts
liegende Burgwall, von den Einwohner" meist das Schloß oder der Schloßberg
genannt, die uralte Befestigung, die auch dem Dorfe den Namen gegeben hat. Die
ehrwürdige Anlage hat etwas gelitten, seitdem die von Kottbus über Burg nach
Lübben führende Kleinbahn mitten hindurch geführt worden ist. Aber noch immer
ist des Charakteristischen genug übrig geblieben. Das "Schloß" imponiert nament¬
lich aus einiger Entfernung -- von Süden oder Norden aus, wenn man die
durch die Kleinbahn ihm eingehauene tiefe Schramme nicht sieht, und es sich als
ein Ganzes über die grüne, von Baumgruppen unterbrochne Spreeau heraushebt.
Es ist einst ein acht bis zehn Meter hoch aufgeworfner unregelmäßiger Rundbau
aus Erde und Feldsteinen gewesen, mit drei nach Osten zu vorspringenden Bastionen,
rings von Wasser umgeben; noch jetzt nähert sich ihm der Wasserspiegel bei Hoch¬
wasser auf der Südseite. Aber jahrhundertelange Verödung und noch mehr ein seit
länger als einem Jahrhundert betriebner Anbau haben die Konturen etwas ver¬
wischt und die Profile des Bodens und des Wallganges einander genähert. Die
Gräben, wenn überhaupt solche vorhanden waren, sind verschüttet, ein andrer Teil
der Erdmassen ist nach innen gestürzt, sodaß nur in der Mitte des Ganzen die
ursprüngliche Sohle des Bodens erkennbar ist. strotzende Kartoffel- und wogende
Kornfelder füllen jetzt die ganze Fläche des "Schlosses" aus.

Unter einer großen Eiche, die am Westrand des Walles gewachsen ist, steht
eine grüne, aussichtsreiche Bank. Dort saßen wir lange im Schein der Nach¬
mittagssonne und genossen den eigentümlichen Reiz der Landschaft. Über uns kreiste
ein Storch, zu unsern Füßen dehnte sich ringsum das lieblichste Bild: strohgedeckte
Blockhäuser und Scheuern, dazwischen auch einmal ein rotes Ziegeldach schmiegen
sich weitverstreut in bunter Regellosigkeit an die starken Stämme hochwipfliger
Linden und Pappeln; die grenzenden Linien, die des Landmanns Eigentum scheiden,
werden nicht von Rainen gebildet, die Demeter in den Teppich der Flur gewirkt
hat, sondern von schmalen Wasserläufen, den zahlreichen Verästelungen der Spree,
die sich weithin durch die das Naß begleitenden schlanken hochstämmigen Erlen
kenntlich machen. Auf den Feldern sind fleißige Spreewäldler beschäftigt, das Korn
noch in altvaterischer Weise mit der Sichel zu schneiden und in "Mandeln" auf¬
zurichten. Dicht vor unserm Sitz beobachteten wir drei Geschwister, einen schlanken
Burschen und zwei liebliche Mädchen, die eine in blauem, die andre in rotem Rock,
beide in schwarzen Sammetmiedern, schneeigen Hemdärmeln und stark gesteiftem
linnenen Kopfschmuck, wie sie sich alle drei in einer gewissen vornehmen Lässigkeit,
die nur dem wohlhäbigen Besitzer eigen ist, mit zierlichen und doch kraftvollen
Bewegungen bückten und hoben, sich wiegten und schmiegten, wie es gerade ihre
Arbeit verlangte. Dann kam die rüstige Mutter in dunklerer Kleidung hinzu und
leitete sänftlich das Ganze, ein herrliches Bild von homerischer Einfalt und Anmut-
Von der sonnigen Gegenwart schweifte das innere Auge rückwärts zu den grauen
Gefilden der Vorzeit. Auf dem Burger Schloßberge ist der rechte Ort, über die
Natur dieses merkwürdigen Geländes und seine Schicksale nachzudenken.

Kein deutscher Fluß kann sich an eigentümlicher Gestaltung seines Laufes mit
der lausitzisch-märkischen Spree vergleichen. Gespeist von einer ganzen Anzahl
kleinerer Quellflüsse, die ihr die reichlichen Wasser des Lausitzer Gebirges zuführen,
gewinnt sie rasch Bedeutung und macht Miene, selbständig das Gestade der Ostsee


Aus dem Spreewalde

aber rief unsre Vermittlung an. Wir hinderten also den Fuchs, so gut es ging,
an seinem teuflischen Vorhaben und trieben ihn mit Händeklatschen langsam vor¬
wärts. An einer Wegbiegung verloren wir das würdige Paar aus den Augen,
aber nach einer Viertelstunde trafen wir es wieder. Der Alte war selig eingenickt,
saß aber noch immer stramm auf dem steilen Rücken des Tieres, der Fuchs ging
mit vornübergebeugten Kopfe langsam im Leichenschritt dahin, dann und wann eine
Handvoll Gras vom Wiesenrnnde rupfend — ob die beiden wohl ihre Klause noch
erreicht haben?

Die größte Sehenswürdigkeit von Burg ist der eine Viertelstunde nordwärts
liegende Burgwall, von den Einwohner» meist das Schloß oder der Schloßberg
genannt, die uralte Befestigung, die auch dem Dorfe den Namen gegeben hat. Die
ehrwürdige Anlage hat etwas gelitten, seitdem die von Kottbus über Burg nach
Lübben führende Kleinbahn mitten hindurch geführt worden ist. Aber noch immer
ist des Charakteristischen genug übrig geblieben. Das „Schloß" imponiert nament¬
lich aus einiger Entfernung — von Süden oder Norden aus, wenn man die
durch die Kleinbahn ihm eingehauene tiefe Schramme nicht sieht, und es sich als
ein Ganzes über die grüne, von Baumgruppen unterbrochne Spreeau heraushebt.
Es ist einst ein acht bis zehn Meter hoch aufgeworfner unregelmäßiger Rundbau
aus Erde und Feldsteinen gewesen, mit drei nach Osten zu vorspringenden Bastionen,
rings von Wasser umgeben; noch jetzt nähert sich ihm der Wasserspiegel bei Hoch¬
wasser auf der Südseite. Aber jahrhundertelange Verödung und noch mehr ein seit
länger als einem Jahrhundert betriebner Anbau haben die Konturen etwas ver¬
wischt und die Profile des Bodens und des Wallganges einander genähert. Die
Gräben, wenn überhaupt solche vorhanden waren, sind verschüttet, ein andrer Teil
der Erdmassen ist nach innen gestürzt, sodaß nur in der Mitte des Ganzen die
ursprüngliche Sohle des Bodens erkennbar ist. strotzende Kartoffel- und wogende
Kornfelder füllen jetzt die ganze Fläche des „Schlosses" aus.

Unter einer großen Eiche, die am Westrand des Walles gewachsen ist, steht
eine grüne, aussichtsreiche Bank. Dort saßen wir lange im Schein der Nach¬
mittagssonne und genossen den eigentümlichen Reiz der Landschaft. Über uns kreiste
ein Storch, zu unsern Füßen dehnte sich ringsum das lieblichste Bild: strohgedeckte
Blockhäuser und Scheuern, dazwischen auch einmal ein rotes Ziegeldach schmiegen
sich weitverstreut in bunter Regellosigkeit an die starken Stämme hochwipfliger
Linden und Pappeln; die grenzenden Linien, die des Landmanns Eigentum scheiden,
werden nicht von Rainen gebildet, die Demeter in den Teppich der Flur gewirkt
hat, sondern von schmalen Wasserläufen, den zahlreichen Verästelungen der Spree,
die sich weithin durch die das Naß begleitenden schlanken hochstämmigen Erlen
kenntlich machen. Auf den Feldern sind fleißige Spreewäldler beschäftigt, das Korn
noch in altvaterischer Weise mit der Sichel zu schneiden und in „Mandeln" auf¬
zurichten. Dicht vor unserm Sitz beobachteten wir drei Geschwister, einen schlanken
Burschen und zwei liebliche Mädchen, die eine in blauem, die andre in rotem Rock,
beide in schwarzen Sammetmiedern, schneeigen Hemdärmeln und stark gesteiftem
linnenen Kopfschmuck, wie sie sich alle drei in einer gewissen vornehmen Lässigkeit,
die nur dem wohlhäbigen Besitzer eigen ist, mit zierlichen und doch kraftvollen
Bewegungen bückten und hoben, sich wiegten und schmiegten, wie es gerade ihre
Arbeit verlangte. Dann kam die rüstige Mutter in dunklerer Kleidung hinzu und
leitete sänftlich das Ganze, ein herrliches Bild von homerischer Einfalt und Anmut-
Von der sonnigen Gegenwart schweifte das innere Auge rückwärts zu den grauen
Gefilden der Vorzeit. Auf dem Burger Schloßberge ist der rechte Ort, über die
Natur dieses merkwürdigen Geländes und seine Schicksale nachzudenken.

Kein deutscher Fluß kann sich an eigentümlicher Gestaltung seines Laufes mit
der lausitzisch-märkischen Spree vergleichen. Gespeist von einer ganzen Anzahl
kleinerer Quellflüsse, die ihr die reichlichen Wasser des Lausitzer Gebirges zuführen,
gewinnt sie rasch Bedeutung und macht Miene, selbständig das Gestade der Ostsee


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[0234] Aus dem Spreewalde aber rief unsre Vermittlung an. Wir hinderten also den Fuchs, so gut es ging, an seinem teuflischen Vorhaben und trieben ihn mit Händeklatschen langsam vor¬ wärts. An einer Wegbiegung verloren wir das würdige Paar aus den Augen, aber nach einer Viertelstunde trafen wir es wieder. Der Alte war selig eingenickt, saß aber noch immer stramm auf dem steilen Rücken des Tieres, der Fuchs ging mit vornübergebeugten Kopfe langsam im Leichenschritt dahin, dann und wann eine Handvoll Gras vom Wiesenrnnde rupfend — ob die beiden wohl ihre Klause noch erreicht haben? Die größte Sehenswürdigkeit von Burg ist der eine Viertelstunde nordwärts liegende Burgwall, von den Einwohner» meist das Schloß oder der Schloßberg genannt, die uralte Befestigung, die auch dem Dorfe den Namen gegeben hat. Die ehrwürdige Anlage hat etwas gelitten, seitdem die von Kottbus über Burg nach Lübben führende Kleinbahn mitten hindurch geführt worden ist. Aber noch immer ist des Charakteristischen genug übrig geblieben. Das „Schloß" imponiert nament¬ lich aus einiger Entfernung — von Süden oder Norden aus, wenn man die durch die Kleinbahn ihm eingehauene tiefe Schramme nicht sieht, und es sich als ein Ganzes über die grüne, von Baumgruppen unterbrochne Spreeau heraushebt. Es ist einst ein acht bis zehn Meter hoch aufgeworfner unregelmäßiger Rundbau aus Erde und Feldsteinen gewesen, mit drei nach Osten zu vorspringenden Bastionen, rings von Wasser umgeben; noch jetzt nähert sich ihm der Wasserspiegel bei Hoch¬ wasser auf der Südseite. Aber jahrhundertelange Verödung und noch mehr ein seit länger als einem Jahrhundert betriebner Anbau haben die Konturen etwas ver¬ wischt und die Profile des Bodens und des Wallganges einander genähert. Die Gräben, wenn überhaupt solche vorhanden waren, sind verschüttet, ein andrer Teil der Erdmassen ist nach innen gestürzt, sodaß nur in der Mitte des Ganzen die ursprüngliche Sohle des Bodens erkennbar ist. strotzende Kartoffel- und wogende Kornfelder füllen jetzt die ganze Fläche des „Schlosses" aus. Unter einer großen Eiche, die am Westrand des Walles gewachsen ist, steht eine grüne, aussichtsreiche Bank. Dort saßen wir lange im Schein der Nach¬ mittagssonne und genossen den eigentümlichen Reiz der Landschaft. Über uns kreiste ein Storch, zu unsern Füßen dehnte sich ringsum das lieblichste Bild: strohgedeckte Blockhäuser und Scheuern, dazwischen auch einmal ein rotes Ziegeldach schmiegen sich weitverstreut in bunter Regellosigkeit an die starken Stämme hochwipfliger Linden und Pappeln; die grenzenden Linien, die des Landmanns Eigentum scheiden, werden nicht von Rainen gebildet, die Demeter in den Teppich der Flur gewirkt hat, sondern von schmalen Wasserläufen, den zahlreichen Verästelungen der Spree, die sich weithin durch die das Naß begleitenden schlanken hochstämmigen Erlen kenntlich machen. Auf den Feldern sind fleißige Spreewäldler beschäftigt, das Korn noch in altvaterischer Weise mit der Sichel zu schneiden und in „Mandeln" auf¬ zurichten. Dicht vor unserm Sitz beobachteten wir drei Geschwister, einen schlanken Burschen und zwei liebliche Mädchen, die eine in blauem, die andre in rotem Rock, beide in schwarzen Sammetmiedern, schneeigen Hemdärmeln und stark gesteiftem linnenen Kopfschmuck, wie sie sich alle drei in einer gewissen vornehmen Lässigkeit, die nur dem wohlhäbigen Besitzer eigen ist, mit zierlichen und doch kraftvollen Bewegungen bückten und hoben, sich wiegten und schmiegten, wie es gerade ihre Arbeit verlangte. Dann kam die rüstige Mutter in dunklerer Kleidung hinzu und leitete sänftlich das Ganze, ein herrliches Bild von homerischer Einfalt und Anmut- Von der sonnigen Gegenwart schweifte das innere Auge rückwärts zu den grauen Gefilden der Vorzeit. Auf dem Burger Schloßberge ist der rechte Ort, über die Natur dieses merkwürdigen Geländes und seine Schicksale nachzudenken. Kein deutscher Fluß kann sich an eigentümlicher Gestaltung seines Laufes mit der lausitzisch-märkischen Spree vergleichen. Gespeist von einer ganzen Anzahl kleinerer Quellflüsse, die ihr die reichlichen Wasser des Lausitzer Gebirges zuführen, gewinnt sie rasch Bedeutung und macht Miene, selbständig das Gestade der Ostsee

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_292796/234>, abgerufen am 23.07.2024.