Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Sie Aunst der Fri'chgestorbnen

durch ihr Leben gebreitete Folge von Werken, legen sie in jede ihrer wenigen
Schöpfungen den ganzen Glanz und Schmerz ihrer Seele. Die Intensität
des Schaffens ersetzt ihnen dessen Extensität. Daher das Jnnerlichkeitsgeprüge
ihrer Leistungen. Die Werke der Frühgestorbnen sprechen am deutlichsten ihrer
Schöpfer Eigenart aus.

Eine Zeile von Jakobsen oder Kleist, ein Bild Mnrees weiß man sofort
zu bestimmen.

Die Frühgestorbnen stehn im Zeichen des Todes, sie leben sich, sozusagen,
in den Tod ein. Nun gehört zu den Wandlungen, die die Nähe des Todes
im Wesen eines Menschen hervorruft, ein Überwiegen der Objektivität über
subjektive Wertungen in der Stellung des Menschen zur Welt. Das Gefühl
des nahen Endes hebt über die tausend kleinen Angelegenheiten des Alltäg¬
lichen und Gesundmenschlichen hinaus in eine Sphäre des feinern Verständ¬
nisses und einer heitern Jnteresfelvsigkeit am Nebensächlichen. Das Viel¬
fach-Kleine verliert seine Wichtigkeit und seinen Ernst. Damit kommt ein
aristokratischer Zug, die Vornehmheit der Krankheit im Gegensatz zum Plebe¬
jischen der robusten Gesundheit, in den Stil der Frühgestorbnen. Ein Zug
von Feierlichkeit, doch nicht der schwerfälligen, sondern einer lächelnden Ge¬
haltenheit. Die Vornehmheit dieser Art hatte z. B. Jakobsen, den sie im
Hause Kiellands im richtigen Gefühl dafür "Exzellenz" nannten.

Und nun noch ein letztes Merkmal des Stils der Frühgestorbnen: die
morbiäWiia, die rührende Anmut der Krankheit, oder wie Fontane sagt: "der
wehmütige Zauber aller derer, die früh abgerufen werden," der über den
Schöpfungen dieser Künstlergruppe liegt.




Wie eine Farbe durch die Nachbarschaft der Komplementärfarbe ihre
volle Eindruckskraft erlangt, wie das Zarte erst neben dem Derben spricht,
das Tragische am tiefsten wirkt durch den Kontrast mit dem Komischen, so
bekommt auch der Stil der Frühgestorbneu Relief und Bedeutung erst durch
die Konfrontation mit dem Stile der Alterswerke großer Meister.

Es gibt einen Stil des Alters. Schon die physiologischen Veränderungen
und Erscheinungen, die das Alter kennzeichnen, haben der Jugend gegenüber
auch eine gewandelte Kunstsprache zur Folge. So ist es z. B. bekannt, daß
mit der geringern Blutfülle des Gehirns im Alter sich die Farbenempfindung
der Künstler ändert. Tizians und Rembrandts letzte Bilder beweisen die Be¬
hauptung. Mit dem Verlorengehn ferner der leiblichen Gelenkigkeit scheinen
auch die Gelenke der Seele teilweise einzurosten. Wir glauben eine Empsindnngs-
erkaltung bei unangetasteten intellektuellen Fähigkeiten zu bemerken. Die
Folge davon ist ein Ersetzen des Gefnhlsgehalts im Kunstwerke durch formale
Werte. Freude an der Technik, um der bloßen Fertigkeit ist ein Charakteristikum
greiser Künstler gegenüber der Wärme des Anteils auch am Stofflichen in der
Jugend. Ich denke an Goethes späte Dichtungen, an Michelangelos letzte
Werke. Das künstlerische Interesse wird aber im Alter nicht nur kühler, es
wird auch einseitiger. Eine Ausbreitung über das Vielfältige individueller


Sie Aunst der Fri'chgestorbnen

durch ihr Leben gebreitete Folge von Werken, legen sie in jede ihrer wenigen
Schöpfungen den ganzen Glanz und Schmerz ihrer Seele. Die Intensität
des Schaffens ersetzt ihnen dessen Extensität. Daher das Jnnerlichkeitsgeprüge
ihrer Leistungen. Die Werke der Frühgestorbnen sprechen am deutlichsten ihrer
Schöpfer Eigenart aus.

Eine Zeile von Jakobsen oder Kleist, ein Bild Mnrees weiß man sofort
zu bestimmen.

Die Frühgestorbnen stehn im Zeichen des Todes, sie leben sich, sozusagen,
in den Tod ein. Nun gehört zu den Wandlungen, die die Nähe des Todes
im Wesen eines Menschen hervorruft, ein Überwiegen der Objektivität über
subjektive Wertungen in der Stellung des Menschen zur Welt. Das Gefühl
des nahen Endes hebt über die tausend kleinen Angelegenheiten des Alltäg¬
lichen und Gesundmenschlichen hinaus in eine Sphäre des feinern Verständ¬
nisses und einer heitern Jnteresfelvsigkeit am Nebensächlichen. Das Viel¬
fach-Kleine verliert seine Wichtigkeit und seinen Ernst. Damit kommt ein
aristokratischer Zug, die Vornehmheit der Krankheit im Gegensatz zum Plebe¬
jischen der robusten Gesundheit, in den Stil der Frühgestorbnen. Ein Zug
von Feierlichkeit, doch nicht der schwerfälligen, sondern einer lächelnden Ge¬
haltenheit. Die Vornehmheit dieser Art hatte z. B. Jakobsen, den sie im
Hause Kiellands im richtigen Gefühl dafür „Exzellenz" nannten.

Und nun noch ein letztes Merkmal des Stils der Frühgestorbnen: die
morbiäWiia, die rührende Anmut der Krankheit, oder wie Fontane sagt: „der
wehmütige Zauber aller derer, die früh abgerufen werden," der über den
Schöpfungen dieser Künstlergruppe liegt.




Wie eine Farbe durch die Nachbarschaft der Komplementärfarbe ihre
volle Eindruckskraft erlangt, wie das Zarte erst neben dem Derben spricht,
das Tragische am tiefsten wirkt durch den Kontrast mit dem Komischen, so
bekommt auch der Stil der Frühgestorbneu Relief und Bedeutung erst durch
die Konfrontation mit dem Stile der Alterswerke großer Meister.

Es gibt einen Stil des Alters. Schon die physiologischen Veränderungen
und Erscheinungen, die das Alter kennzeichnen, haben der Jugend gegenüber
auch eine gewandelte Kunstsprache zur Folge. So ist es z. B. bekannt, daß
mit der geringern Blutfülle des Gehirns im Alter sich die Farbenempfindung
der Künstler ändert. Tizians und Rembrandts letzte Bilder beweisen die Be¬
hauptung. Mit dem Verlorengehn ferner der leiblichen Gelenkigkeit scheinen
auch die Gelenke der Seele teilweise einzurosten. Wir glauben eine Empsindnngs-
erkaltung bei unangetasteten intellektuellen Fähigkeiten zu bemerken. Die
Folge davon ist ein Ersetzen des Gefnhlsgehalts im Kunstwerke durch formale
Werte. Freude an der Technik, um der bloßen Fertigkeit ist ein Charakteristikum
greiser Künstler gegenüber der Wärme des Anteils auch am Stofflichen in der
Jugend. Ich denke an Goethes späte Dichtungen, an Michelangelos letzte
Werke. Das künstlerische Interesse wird aber im Alter nicht nur kühler, es
wird auch einseitiger. Eine Ausbreitung über das Vielfältige individueller


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0230" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/293027"/>
          <fw type="header" place="top"> Sie Aunst der Fri'chgestorbnen</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1078" prev="#ID_1077"> durch ihr Leben gebreitete Folge von Werken, legen sie in jede ihrer wenigen<lb/>
Schöpfungen den ganzen Glanz und Schmerz ihrer Seele. Die Intensität<lb/>
des Schaffens ersetzt ihnen dessen Extensität. Daher das Jnnerlichkeitsgeprüge<lb/>
ihrer Leistungen. Die Werke der Frühgestorbnen sprechen am deutlichsten ihrer<lb/>
Schöpfer Eigenart aus.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1079"> Eine Zeile von Jakobsen oder Kleist, ein Bild Mnrees weiß man sofort<lb/>
zu bestimmen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1080"> Die Frühgestorbnen stehn im Zeichen des Todes, sie leben sich, sozusagen,<lb/>
in den Tod ein. Nun gehört zu den Wandlungen, die die Nähe des Todes<lb/>
im Wesen eines Menschen hervorruft, ein Überwiegen der Objektivität über<lb/>
subjektive Wertungen in der Stellung des Menschen zur Welt. Das Gefühl<lb/>
des nahen Endes hebt über die tausend kleinen Angelegenheiten des Alltäg¬<lb/>
lichen und Gesundmenschlichen hinaus in eine Sphäre des feinern Verständ¬<lb/>
nisses und einer heitern Jnteresfelvsigkeit am Nebensächlichen. Das Viel¬<lb/>
fach-Kleine verliert seine Wichtigkeit und seinen Ernst. Damit kommt ein<lb/>
aristokratischer Zug, die Vornehmheit der Krankheit im Gegensatz zum Plebe¬<lb/>
jischen der robusten Gesundheit, in den Stil der Frühgestorbnen. Ein Zug<lb/>
von Feierlichkeit, doch nicht der schwerfälligen, sondern einer lächelnden Ge¬<lb/>
haltenheit. Die Vornehmheit dieser Art hatte z. B. Jakobsen, den sie im<lb/>
Hause Kiellands im richtigen Gefühl dafür &#x201E;Exzellenz" nannten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1081"> Und nun noch ein letztes Merkmal des Stils der Frühgestorbnen: die<lb/>
morbiäWiia, die rührende Anmut der Krankheit, oder wie Fontane sagt: &#x201E;der<lb/>
wehmütige Zauber aller derer, die früh abgerufen werden," der über den<lb/>
Schöpfungen dieser Künstlergruppe liegt.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <p xml:id="ID_1082"> Wie eine Farbe durch die Nachbarschaft der Komplementärfarbe ihre<lb/>
volle Eindruckskraft erlangt, wie das Zarte erst neben dem Derben spricht,<lb/>
das Tragische am tiefsten wirkt durch den Kontrast mit dem Komischen, so<lb/>
bekommt auch der Stil der Frühgestorbneu Relief und Bedeutung erst durch<lb/>
die Konfrontation mit dem Stile der Alterswerke großer Meister.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1083" next="#ID_1084"> Es gibt einen Stil des Alters. Schon die physiologischen Veränderungen<lb/>
und Erscheinungen, die das Alter kennzeichnen, haben der Jugend gegenüber<lb/>
auch eine gewandelte Kunstsprache zur Folge. So ist es z. B. bekannt, daß<lb/>
mit der geringern Blutfülle des Gehirns im Alter sich die Farbenempfindung<lb/>
der Künstler ändert. Tizians und Rembrandts letzte Bilder beweisen die Be¬<lb/>
hauptung. Mit dem Verlorengehn ferner der leiblichen Gelenkigkeit scheinen<lb/>
auch die Gelenke der Seele teilweise einzurosten. Wir glauben eine Empsindnngs-<lb/>
erkaltung bei unangetasteten intellektuellen Fähigkeiten zu bemerken. Die<lb/>
Folge davon ist ein Ersetzen des Gefnhlsgehalts im Kunstwerke durch formale<lb/>
Werte. Freude an der Technik, um der bloßen Fertigkeit ist ein Charakteristikum<lb/>
greiser Künstler gegenüber der Wärme des Anteils auch am Stofflichen in der<lb/>
Jugend. Ich denke an Goethes späte Dichtungen, an Michelangelos letzte<lb/>
Werke. Das künstlerische Interesse wird aber im Alter nicht nur kühler, es<lb/>
wird auch einseitiger.  Eine Ausbreitung über das Vielfältige individueller</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0230] Sie Aunst der Fri'chgestorbnen durch ihr Leben gebreitete Folge von Werken, legen sie in jede ihrer wenigen Schöpfungen den ganzen Glanz und Schmerz ihrer Seele. Die Intensität des Schaffens ersetzt ihnen dessen Extensität. Daher das Jnnerlichkeitsgeprüge ihrer Leistungen. Die Werke der Frühgestorbnen sprechen am deutlichsten ihrer Schöpfer Eigenart aus. Eine Zeile von Jakobsen oder Kleist, ein Bild Mnrees weiß man sofort zu bestimmen. Die Frühgestorbnen stehn im Zeichen des Todes, sie leben sich, sozusagen, in den Tod ein. Nun gehört zu den Wandlungen, die die Nähe des Todes im Wesen eines Menschen hervorruft, ein Überwiegen der Objektivität über subjektive Wertungen in der Stellung des Menschen zur Welt. Das Gefühl des nahen Endes hebt über die tausend kleinen Angelegenheiten des Alltäg¬ lichen und Gesundmenschlichen hinaus in eine Sphäre des feinern Verständ¬ nisses und einer heitern Jnteresfelvsigkeit am Nebensächlichen. Das Viel¬ fach-Kleine verliert seine Wichtigkeit und seinen Ernst. Damit kommt ein aristokratischer Zug, die Vornehmheit der Krankheit im Gegensatz zum Plebe¬ jischen der robusten Gesundheit, in den Stil der Frühgestorbnen. Ein Zug von Feierlichkeit, doch nicht der schwerfälligen, sondern einer lächelnden Ge¬ haltenheit. Die Vornehmheit dieser Art hatte z. B. Jakobsen, den sie im Hause Kiellands im richtigen Gefühl dafür „Exzellenz" nannten. Und nun noch ein letztes Merkmal des Stils der Frühgestorbnen: die morbiäWiia, die rührende Anmut der Krankheit, oder wie Fontane sagt: „der wehmütige Zauber aller derer, die früh abgerufen werden," der über den Schöpfungen dieser Künstlergruppe liegt. Wie eine Farbe durch die Nachbarschaft der Komplementärfarbe ihre volle Eindruckskraft erlangt, wie das Zarte erst neben dem Derben spricht, das Tragische am tiefsten wirkt durch den Kontrast mit dem Komischen, so bekommt auch der Stil der Frühgestorbneu Relief und Bedeutung erst durch die Konfrontation mit dem Stile der Alterswerke großer Meister. Es gibt einen Stil des Alters. Schon die physiologischen Veränderungen und Erscheinungen, die das Alter kennzeichnen, haben der Jugend gegenüber auch eine gewandelte Kunstsprache zur Folge. So ist es z. B. bekannt, daß mit der geringern Blutfülle des Gehirns im Alter sich die Farbenempfindung der Künstler ändert. Tizians und Rembrandts letzte Bilder beweisen die Be¬ hauptung. Mit dem Verlorengehn ferner der leiblichen Gelenkigkeit scheinen auch die Gelenke der Seele teilweise einzurosten. Wir glauben eine Empsindnngs- erkaltung bei unangetasteten intellektuellen Fähigkeiten zu bemerken. Die Folge davon ist ein Ersetzen des Gefnhlsgehalts im Kunstwerke durch formale Werte. Freude an der Technik, um der bloßen Fertigkeit ist ein Charakteristikum greiser Künstler gegenüber der Wärme des Anteils auch am Stofflichen in der Jugend. Ich denke an Goethes späte Dichtungen, an Michelangelos letzte Werke. Das künstlerische Interesse wird aber im Alter nicht nur kühler, es wird auch einseitiger. Eine Ausbreitung über das Vielfältige individueller

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_292796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_292796/230
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_292796/230>, abgerufen am 23.07.2024.