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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr.

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Wo bleiben wir?

vielleicht die vvrhandne ungünstige Stimmung, die sich 1880 in der Ablehnung
der Samoavorlage betätigt hatte, als solche befestigt worden. Daher kommt
es auch, daß die Kolonialetats mit Positionen bepackt worden sind, die gar
nicht dahin gehören, wie z, B. die gesamten militärischen Ausgaben. Aus
den "Schutzgebieten" mit losen Handels-, Freundschafts- und Protektorats¬
verträgen sind Provinzen des Reichs geworden, für die das Reich die vollen
Pflichten zu tragen hat. Die erste Pflicht ist aber die Sicherung, namentlich
den Eingebornen gegenüber, über die das Reich die herrschende Macht, die
Übermacht unausgesetzt behaupten muß. Was heute in Südafrika geschehen
ist, kann sich morgen bei den volkreichen Stämmen des Hinterlandes von
Kamerun wiederholen, auch dort ist ein viel stärkerer Schutz, ist eine wesentlich
festere Fundamentierung der deutschen Herrschaft nötig. Als Spielzeug sind
die Kolonien zu teuer, als Provinzen des Reichs ausgebaut, gepflegt und ge¬
hütet, werden sie sich bezahlt machen.




Wo bleiben wir?

in Asien scheinen die großen Gegensätze zu einer Entscheidung zu
drängen. Rußland ist in Zentralasien bis an den Fuß der
iranischen Randgebirge vorgerückt, im Osten bis ans Gelbe Meer;
mit der sibirischen Eisenbahn hat es sich eine neue unangreifbare
!Welthandels- und Militärstraßc geschaffen, und zugleich hat es
sozusagen in aller Stille eine mächtige Flotte aufgestellt und damit nicht mir
das Ergebnis des Krimkriegs bis auf die letzte Spur zerstört, sondern auch
einen Anteil an der Herrschaft des Großen Ozeans gewonnen, wo früher allein
die englische Flagge gebot. Auf dieser ganzen ungeheuern Linie, vom Per¬
sischen Golf bis an das Gelbe Meer, stößt es überall mit England zusammen,
das von Indien aus Iran und Tibet unter seinen Einfluß zu bringen sucht
und mit eifersüchtiger Sorge über China wacht. Zugleich hat Rußland, indem
es die Hauptplätze des zentralasiatischen Islams in seine Hände gebracht hat,
den Weißen Zaren, den Ak Padischah, neben dem Sultan und Khalifen in
Konstantinopel zum Schutzherrn der Mohammedaner erhoben, also der in ganz
Westasien herrschenden Weltreligion, und wenn England, das in Indien schon
viele Millionen Buddhisten beherrscht, mit Tibet auch den Dalai-Lama irgend¬
wie in seine Gewalt bekommen sollte, dann würde es für den Buddhismus,
der in Ostasien dominiert und dreihundert Millionen Bekenner hat, in eine
ähnliche Stellung einrücken, wie der Zar deu Mohammedanern gegenüber.
Hinter diesen beiden europäisch-asiatischen Großmächten tritt Frankreich weit
zurück, obwohl es den größten Teil der hinterindischen Halbinsel direkt oder
indirekt in seiner Hand hat; dafür haben die Vereinigten Staaten mit starker
Faust über den Großen Ozean nach Ostasien herübergegriffen, und sie drohen
im Wettkampf um die wirtschaftliche Vorherrschaft dort der gefährlichste
Gegner der europäischen Mächte zu werden. Zwischen diesen drei erdum-

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Wo bleiben wir?

vielleicht die vvrhandne ungünstige Stimmung, die sich 1880 in der Ablehnung
der Samoavorlage betätigt hatte, als solche befestigt worden. Daher kommt
es auch, daß die Kolonialetats mit Positionen bepackt worden sind, die gar
nicht dahin gehören, wie z, B. die gesamten militärischen Ausgaben. Aus
den „Schutzgebieten" mit losen Handels-, Freundschafts- und Protektorats¬
verträgen sind Provinzen des Reichs geworden, für die das Reich die vollen
Pflichten zu tragen hat. Die erste Pflicht ist aber die Sicherung, namentlich
den Eingebornen gegenüber, über die das Reich die herrschende Macht, die
Übermacht unausgesetzt behaupten muß. Was heute in Südafrika geschehen
ist, kann sich morgen bei den volkreichen Stämmen des Hinterlandes von
Kamerun wiederholen, auch dort ist ein viel stärkerer Schutz, ist eine wesentlich
festere Fundamentierung der deutschen Herrschaft nötig. Als Spielzeug sind
die Kolonien zu teuer, als Provinzen des Reichs ausgebaut, gepflegt und ge¬
hütet, werden sie sich bezahlt machen.




Wo bleiben wir?

in Asien scheinen die großen Gegensätze zu einer Entscheidung zu
drängen. Rußland ist in Zentralasien bis an den Fuß der
iranischen Randgebirge vorgerückt, im Osten bis ans Gelbe Meer;
mit der sibirischen Eisenbahn hat es sich eine neue unangreifbare
!Welthandels- und Militärstraßc geschaffen, und zugleich hat es
sozusagen in aller Stille eine mächtige Flotte aufgestellt und damit nicht mir
das Ergebnis des Krimkriegs bis auf die letzte Spur zerstört, sondern auch
einen Anteil an der Herrschaft des Großen Ozeans gewonnen, wo früher allein
die englische Flagge gebot. Auf dieser ganzen ungeheuern Linie, vom Per¬
sischen Golf bis an das Gelbe Meer, stößt es überall mit England zusammen,
das von Indien aus Iran und Tibet unter seinen Einfluß zu bringen sucht
und mit eifersüchtiger Sorge über China wacht. Zugleich hat Rußland, indem
es die Hauptplätze des zentralasiatischen Islams in seine Hände gebracht hat,
den Weißen Zaren, den Ak Padischah, neben dem Sultan und Khalifen in
Konstantinopel zum Schutzherrn der Mohammedaner erhoben, also der in ganz
Westasien herrschenden Weltreligion, und wenn England, das in Indien schon
viele Millionen Buddhisten beherrscht, mit Tibet auch den Dalai-Lama irgend¬
wie in seine Gewalt bekommen sollte, dann würde es für den Buddhismus,
der in Ostasien dominiert und dreihundert Millionen Bekenner hat, in eine
ähnliche Stellung einrücken, wie der Zar deu Mohammedanern gegenüber.
Hinter diesen beiden europäisch-asiatischen Großmächten tritt Frankreich weit
zurück, obwohl es den größten Teil der hinterindischen Halbinsel direkt oder
indirekt in seiner Hand hat; dafür haben die Vereinigten Staaten mit starker
Faust über den Großen Ozean nach Ostasien herübergegriffen, und sie drohen
im Wettkampf um die wirtschaftliche Vorherrschaft dort der gefährlichste
Gegner der europäischen Mächte zu werden. Zwischen diesen drei erdum-

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[0204] Wo bleiben wir? vielleicht die vvrhandne ungünstige Stimmung, die sich 1880 in der Ablehnung der Samoavorlage betätigt hatte, als solche befestigt worden. Daher kommt es auch, daß die Kolonialetats mit Positionen bepackt worden sind, die gar nicht dahin gehören, wie z, B. die gesamten militärischen Ausgaben. Aus den „Schutzgebieten" mit losen Handels-, Freundschafts- und Protektorats¬ verträgen sind Provinzen des Reichs geworden, für die das Reich die vollen Pflichten zu tragen hat. Die erste Pflicht ist aber die Sicherung, namentlich den Eingebornen gegenüber, über die das Reich die herrschende Macht, die Übermacht unausgesetzt behaupten muß. Was heute in Südafrika geschehen ist, kann sich morgen bei den volkreichen Stämmen des Hinterlandes von Kamerun wiederholen, auch dort ist ein viel stärkerer Schutz, ist eine wesentlich festere Fundamentierung der deutschen Herrschaft nötig. Als Spielzeug sind die Kolonien zu teuer, als Provinzen des Reichs ausgebaut, gepflegt und ge¬ hütet, werden sie sich bezahlt machen. Wo bleiben wir? in Asien scheinen die großen Gegensätze zu einer Entscheidung zu drängen. Rußland ist in Zentralasien bis an den Fuß der iranischen Randgebirge vorgerückt, im Osten bis ans Gelbe Meer; mit der sibirischen Eisenbahn hat es sich eine neue unangreifbare !Welthandels- und Militärstraßc geschaffen, und zugleich hat es sozusagen in aller Stille eine mächtige Flotte aufgestellt und damit nicht mir das Ergebnis des Krimkriegs bis auf die letzte Spur zerstört, sondern auch einen Anteil an der Herrschaft des Großen Ozeans gewonnen, wo früher allein die englische Flagge gebot. Auf dieser ganzen ungeheuern Linie, vom Per¬ sischen Golf bis an das Gelbe Meer, stößt es überall mit England zusammen, das von Indien aus Iran und Tibet unter seinen Einfluß zu bringen sucht und mit eifersüchtiger Sorge über China wacht. Zugleich hat Rußland, indem es die Hauptplätze des zentralasiatischen Islams in seine Hände gebracht hat, den Weißen Zaren, den Ak Padischah, neben dem Sultan und Khalifen in Konstantinopel zum Schutzherrn der Mohammedaner erhoben, also der in ganz Westasien herrschenden Weltreligion, und wenn England, das in Indien schon viele Millionen Buddhisten beherrscht, mit Tibet auch den Dalai-Lama irgend¬ wie in seine Gewalt bekommen sollte, dann würde es für den Buddhismus, der in Ostasien dominiert und dreihundert Millionen Bekenner hat, in eine ähnliche Stellung einrücken, wie der Zar deu Mohammedanern gegenüber. Hinter diesen beiden europäisch-asiatischen Großmächten tritt Frankreich weit zurück, obwohl es den größten Teil der hinterindischen Halbinsel direkt oder indirekt in seiner Hand hat; dafür haben die Vereinigten Staaten mit starker Faust über den Großen Ozean nach Ostasien herübergegriffen, und sie drohen im Wettkampf um die wirtschaftliche Vorherrschaft dort der gefährlichste Gegner der europäischen Mächte zu werden. Zwischen diesen drei erdum- «

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_292796/204>, abgerufen am 22.07.2024.